Israel im Krieg: seit 748 Tagen – so steht es im Kopfbanner der Times oft Israel, wenn man die englischsprachige Ausgabe dieser israelischen Tageszeitung im Internet aufruft. Seit 748 Tagen hat die israelische Armee mehr als 200 Journalisten im Gazakrieg und Libanon, bei seinen Angriffen auf Iran und Jemen getötet. Auf israelischer Seite starben zwei Journalisten am 7. Oktober 2023 bei dem Angriff palästinensischer Kämpfer auf israelische Dörfer entlang des Sicherheitszauns, der den Süden Israels vom Gazastreifen trennt. Von Karin Leukefeld.
Ausländische Journalisten berichten seit 748 Tagen aus Israel über den israelischen Feldzug gegen Gaza. Manche von ihnen fuhren „embedded“ in Jeeps oder auf Panzern der israelischen Streitkräfte mit der israelischen Armee durch die Trümmerwüste. Berühmt sind die Fotos von einer Art Aussichtshügel südlich von Ashdod an der Grenze zu Gaza, wo sich israelische Panzer auf den Einmarsch in den Gazastreifen sammeln. Bekannt wurde ein Foto, dass der AP-Fotograf Tsafrir Abayov eher zufällig machte, als israelische Soldatinnen am 19. Februar 2024 posierten und Erinnerungsfotos vor den Trümmern von Gaza machten.
Schon zu Beginn des Krieges beantragten ausländische Journalisten Zugang zum Gazastreifen, um aus der Perspektive der Palästinenser, der Anderen, zu berichten. Israel lehnte ab. Ein Antrag an den Obersten Gerichtshof wurde ebenfalls zurückgewiesen. Anfang November 2023 versammelten sich internationale Journalisten in Kairo und versuchten, aus Ägypten über den Grenzübergang Rafah nach Gaza zu gelangen. Einer dieser Journalisten war der langjährige Leiter des Büros für den Mittleren Osten der New York Times, Chris Hedges. In einem „Brief an die Kinder von Gaza“ beschrieb er: „Liebes Kind. Mitternacht ist vorbei und ich fliege mit einer Geschwindigkeit von Hunderten Meilen die Stunde durch die Dunkelheit, Tausende Meter über dem atlantischen Ozean. Ich bin auf dem Weg nach Ägypten, wo ich an die Grenze nach Gaza fahren werde, nach Rafah. Ich mache diese Reise wegen Dir.“ Hedges und die anderen internationalen Kollegen reisten vergeblich nach Rafah, Israel ließ sie nicht passieren. In Israel versuchte die Vereinigung der Auslandspresse (FPA), juristisch gegen die Einreisesperre nach Gaza vorzugehen. Vergeblich.
Im November 2023 wird die Sendeerlaubnis des libanesischen Nachrichtensenders Al Mayadeen, der aus Israel berichtet hatte, zunächst ausgesetzt, im August 2024 wird der Sender in Israel verboten. Die Webseite des Senders wird abgeschaltet, technische Ausrüstung wird beschlagnahmt. Es heißt, der Sender sei „eine Gefahr für die nationale Sicherheit Israels“. In deutschen Medien wird das Verbot kaum erwähnt.
Im Mai 2024 wird der katarische Nachrichtensender Al Jazeera, der aus Israel und aus den besetzten palästinensischen Gebieten und aus Gaza berichtet, von der israelischen Regierung einstimmig verboten. Das Büro des Senders im von Israel besetzten Ostjerusalem wird durchsucht, sämtliche technische Ausrüstung wird beschlagnahmt, die Webseite abgeschaltet.
Der israelische Ministerpräsident Netanyahu teilt persönlich – über X – mit, Al Jazeera habe „aktiv an dem Massaker am 7. Oktober (2023) teilgenommen“. Es sei „Zeit, dieses Sprachrohr der Hamas aus unserem Land zu entfernen“ und „der Terrorkanal Al Jazeera wird nicht mehr aus Israel senden“. Sämtliche Anschuldigungen gegen Al Jazeera in dieser Mitteilung werden von Netanyahu nicht belegt.
Zu diesem Zeitpunkt sind im israelischen Krieg, der sich nach Gaza auf das Westjordanland, Libanon, Syrien, Jemen ausweitet – Juni 2025 auf Iran – bereits 140 Journalisten getötet worden. Zwei Jahre später, am 10. Oktober 2025, beginnt eine „Waffenruhe“. Am 22. Oktober 2025 notiert das Komitee zum Schutz von Journalisten CPJ, dass mindestens 241 Journalisten von Israel seit dem 7. Oktober 2023 getötet wurden. 162 wurden verletzt, 96 wurden gefangen genommen.
Ausländische Medien in Israel
Nach sechs Verschiebungen kommt es am vergangenen Donnerstag (23.10.2025) erstmals zu einer gerichtlichen Anhörung über den Antrag der Auslandspresse in Israel, aus dem Gazastreifen berichten zu dürfen.
Das Gericht verschiebt erneut die Entscheidung und gibt der israelischen Regierung eine 30-tägige Frist, um auf den Antrag der Auslandspresse zu antworten.
Seit mehr als zwei Jahren sind internationale Kolleginnen und Kollegen, die aus Israel berichten und/oder dort akkreditiert sind, dazu verurteilt – oder auch verdammt -, aus israelischer Perspektive über das Geschehen in Gaza zu berichten.
In den Meldungen der Deutschen Presseagentur dpa finden sich weitgehend die Presseerklärungen und Darstellungen der israelischen Streitkräfte wieder. In Deutschland beginnen die Nachrichten über den Gazastreifen mit der israelischen Perspektive: „Die israelische Armee“ oder „die israelische Regierung hat erklärt“, heißt es. Massendemonstration in Israel fordern von der Netanyahu-Regierung ein Abkommen mit der Hamas, damit ihre Angehörigen, die noch in Gaza festgehalten werden, nach Hause kommen. Über palästinensische Gefangene, Familien, Kinder oder auch Journalisten in israelischen Gefängnissen stocken die deutschen Meldungen. Da geht es um die „Terrororganisation Hamas“, um das „von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium“ und darum, dass die palästinensischen „Terroristen der Hamas“ die Zivilbevölkerung als „menschliche Schutzschilde missbrauchen“.
Und selbst nach einem sogenannten Abkommen über eine „Waffenruhe“ sind es die Palästinenser, die angeblich Angriffe der israelischen Armee auslösen: Palästinenser überschreiten eine von Israel gezogene Linie und werden erschossen. Eine elfköpfige palästinensische Familie kommt bei der Suche nach ihrem Haus israelischen Soldaten zu nahe, neun von ihnen – 7 Kinder, 2 Frauen – werden erschossen. Palästinensische „Terroristen“ töten angeblich zwei israelische Soldaten bei Rafah an der Grenze zu Ägypten, wie eine Sprecherin der israelischen Streitkräfte mitteilt. Daraufhin bombardiert die israelische Armee massiv Ziele im Gazastreifen und tötet mindestens 44 Palästinenser. Die gerade geöffneten Grenzübergänge für Hilfslieferungen werden geschlossen. Tatsächlich war jedoch ein israelischer Bulldozer über nicht explodierte Munition gefahren und hatte die Explosion ausgelöst. Dieser Hergang wird von namentlich nicht genannten Quellen im Weißen Haus und im Pentagon gegenüber dem Internetportal Drop Site News bestätigt.
Das erfährt man im englischsprachigen iranischen Sender Press TV, in den palästinensischen Medien Quds TV, Palestine Chronicle, bei dem US-portal antiwar.com und bei dem libanesischen Nachrichtensender Al Mayadeen – um nur einige Medien zu nennen. In deutschen Medien sucht man diese Nachricht vergeblich.
Die Studie des Bayerischen Rundfunks
Tagesschau 24, ein Produkt der bundesdeutschen ARD, berichtet am 21. Oktober d.J. über „Details“ einer „BR-Studie“, wonach „70 Prozent des Gazastreifens zerstört“ seien. Die Tagesschau-Sprecherin kündigt den Bericht mit den Worten an: „Die Waffenruhe ist auch eine Gelegenheit, eine traurige Bilanz zu ziehen, denn durch den Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas sind inzwischen rund 70 Prozent der Gebäude im Gazastreifen beschädigt.“ Zu diesem Ergebnis komme eine „Studie von BR-Data und dem ARD-Studio Tel Aviv, für die Satellitenbilder aus dem Zeitraum von Oktober 2023 bis September 2025 ausgewertet“ worden seien. Die Sprecherin sitzt vor einem Bild, das Zerstörungen in Gaza zeigt.
Erläutert wird die Studie von einer BR-Korrespondentin in Israel, die etwas in die Sonne blinzeln muss, als sie vor der Hochhauskulisse von Tel Aviv spricht. Immerhin weist die Reporterin aus dem Studio Tel Aviv darauf hin, dass sich „die Ergebnisse mit den Auswertungen anderer internationaler Studien decken“.
Besser spät als nie, doch die BR-Studie und der Bericht aus Israel sind peinlich, weil es für das deutsche Fernsehen offenbar zwei Jahre (!) dauerte, bis es seine eigenen Recherchen der deutschen Öffentlichkeit präsentiert.
Wer es nämlich wissen und berichten wollte, konnte und kann die Zahlen bei UN Habitat, UNICEF, UNEP oder auch beim UN-Nothilfebüro OCHA lesen, die regelmäßig seit Oktober 2023 veröffentlicht werden. Bezugnehmend auf diese Zahlen und öffentlich zugängliche Satellitenbilder, veröffentlicht der Nachrichtensender Al Jazeera seit Oktober 2023 zahlreiche interaktive Berichte und Zahlen über die verletzten, gefangenen und getöteten humanitären Mitarbeiter, Ärzte, Pflegepersonal, Professoren, Lehrer und Journalisten. In den verschiedenen Berichten kann man sich auch über die steigende Zahl der Zerstörung ziviler Infrastruktur – Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Moscheen, Kirchen, Wasserversorgungsanlagen u.a.m. – informieren.
Die palästinensischen Reporter, Fotografen und freien Journalisten haben täglich 24 Stunden, 7 Tage die Woche über das Geschehen berichtet. Mindesten 241 wurden getötet, darunter 10 Mitarbeiter von Al Jazeera, die gezielt bei israelischen Angriffen getötet wurden. Wie kommt es, dass deutsche Journalisten das nicht aufgriffen, mit UN-Berichten und ihren eigenen palästinensischen Mitarbeitern überprüften und dann die deutsche Öffentlichkeit mit Hinweis auf die verschiedenen Quellen informierten? Oder wurden sie von ihrer Heimatredaktion zurückgehalten? Hat es mit der „deutschen Staatsräson“ zu tun? Weil Benjamin Netanyahu und sein Kabinett Al Jazeera einen „Terrorkanal“ und „Sprachrohr der Hamas“ nennen? Weil sein ehemaliger Verteidigungsminister Gallant die Menschen in Gaza „menschliche Tiere“ nennt? Weil die UNRWA nach Angaben der Netanyahu-Regierung „von der Hamas unterwandert“ sein soll? Weil die Bundesregierung daraufhin ihre Zahlungen an UNRWA vorübergehend einstellte und deutsche Medien nicht mehr über die wichtige Arbeit der UNRWA berichten sollen? Weil die Gesundheitsbehörde in Gaza nach israelischen Angaben „von der Hamas kontrolliert“ und deshalb unglaubwürdig sein soll? Weil die deutschen ARD-Korrespondenten in Tel Aviv gehalten sind, sich an die Sprachregelung der israelischen Armee zu halten und weil sie ihre Berichte der israelischen Zensurbehörde vorlegen müssen? Schließlich ist Israel im Krieg?
Zu lange geschwiegen
Der Protest der Vereinigung der Auslandspresse in Israel (FPA), der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ und deutscher Medien, die sich den Zugang in den Gazastreifen juristisch erstreiten wollen, hinterlässt einen schalen Geschmack. Nach zwei Jahren (!) eines israelischen Vernichtungsfeldzuges gegen Gaza soll der Oberste Gerichtshof in Israel über den Zugang der internationalen Journalisten nach Gaza entscheiden?
Zwei Jahre sind palästinensische Journalisten für ihre Berichterstattung von der israelischen Armee getötet worden, haben ihre Wohnungen, Häuser, Familienangehörige verloren. Wurden verletzt, leiden – wie alle Menschen in Gaza – unter Hunger, mangelnder medizinischer Versorgung, haben kein Dach mehr über dem Kopf. „Gaza stirbt“, heißt es in einem Bericht von Journalisten, der von AFP und Al Jazeera veröffentlicht wurde. „Gaza stirbt und wir sterben mit Gaza.“ Frauen, die kurz vor der Geburt stehen, wissen nicht, ob ihr Kind, ob sie selber die Geburt überleben werden. 10 Prozent der Bevölkerung in Gaza wurde getötet.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag untersucht eine Klage gegen Israel wegen des Verdachts auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Internationale Organisationen, Experten der Vereinten Nationen und auch EU-Staaten sprechen über die Vernichtung Gazas als Völkermord. Die Informationen sind da, es gibt zahllose Berichte im weltweiten Netz. Und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Rundfunk wird nicht darüber berichtet? Oder so selten, dass die Öffentlichkeit es nicht erfährt? Warum?!
Zu lange haben ausländische, haben deutsche Medien über das Geschehen in Gaza geschwiegen. Zu oft haben deutsche und andere Medien die Darstellung – Neudeutsch: das Narrativ – der israelischen Armee oder der israelischen Regierung übernommen. Immer schwang ein Verdacht mit, wenn über die Tötung palästinensischer Journalisten berichtet wurde, was indirekt die israelischen Angaben zu bestätigen schien, die Journalisten seien Hamas-Kämpfer gewesen, wie es die israelische Propaganda darstellte, ohne Beweise vorzulegen. Die israelische Armeedarstellung stand im Vordergrund, Umstände und Umfang der israelischen Angriffe auf palästinensische Journalisten, Fotografen, Blogger oder „Bürgerjournalisten“ blieben in deutschen Medien im Unklaren. Ausführliche Darstellung palästinensischer oder arabischer Medien über ein Geschehen wurde bei der Berichterstattung meist weggelassen. Das führte dazu, dass die Öffentlichkeit die Darstellung palästinensischer und arabischer Medien für unglaubwürdig hielt.
Verleumden. Töten. Wiederholen.
Im Nachrichtensender Al Jazeera English berichtet die Sendung „The Listening Post“ (Der Horchposten) wöchentlich 30 Minuten über Medien und Berichterstattung. Am 4. Oktober 2025 untersuchte die Sendung das systematische Vorgehen gegen die palästinensischen Journalisten in Gaza, die „ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um das ungeheure Maß an Tod, Zerstörung und Vertreibung zu dokumentieren“, das sie umgibt. Seit dem 7. Oktober 2023 sind infolge des Krieges gegen Gaza so viele Journalisten getötet worden wie in keinem anderen Krieg seit dem US-Unabhängigkeitskrieg 1861/65.
Die Sendung mit dem Titel „Smear.Kill.Repeat“ (Deutsch: Verleumden.Töten.Wiederholen) erläutert die Methoden, mit denen Israel palästinensische Journalisten bedroht, sie einschüchtert, diffamiert und ins Visier nimmt. Gesprächspartner sind Wael Dahdouh, Chef des Al-Jazeera-Büros in Gaza, dessen Familie getötet wurde, nachdem sie der israelischen Armeeanordnung auf Evakuierung gefolgt war. Auch sein Sohn, ebenfalls ein Journalist, wurde getötet. Für DropSite News spricht Sharif Abdel Kouddous sowie die israelisch-britische Journalistin Rachel Shabi, die u.a. für den britischen Guardian schreibt.
Jodie Ginsberg, Geschäftsführerin des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ), fasst ihr Fazit zur anhaltenden Straflosigkeit Israels mit den Worten zusammen: „Wenn Du weißt, dass Du mit Mord davonkommst, dann machst Du es wieder und wieder und wieder.“
PS: Der israelische Krieg gegen Gaza, im Westjordanland, Libanon, Syrien, Jemen und Iran geht weiter. Wenn dieser Artikel erscheint, wird im Banner der Times of Israel zu lesen sein: Israel im Krieg seit 749 Tagen“.
Titelbild: Screenshot ARD






