Immer mehr Deutsche sind dafür sich außenpolitisch „einzumischen“ … wirkt die Kampagne?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Fast drei Jahre ist es nun her, als Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 im Gleichklang forderten, Deutschland solle „mehr Verantwortung übernehmen“. Ein von langer Hand von transatlantischen Think Tanks orchestriertes Manöver, wie einer der Beteiligten, der ZEIT-Journalist und Think-Tank-Stratege Jochen Bittner es wenige Tage später stolz und freimütig eingeräumt hat. Deutschland solle seine „militärpolitische Zurückhaltung“ aufgeben. Seit Beginn dieser Kampagne für mehr militärische Einsätze Deutschlands, überprüft die eng mit der Münchner Sicherheitskonferenz zusammenarbeitende Körber Stiftung die öffentliche Meinung in dieser Frage. Die Zustimmung für eine interventionistische Außenpolitik wuchs demnach vor allem im letzten Jahr, wie unlängst auch die Süddeutsche Zeitung vermeldete. Dies ist ein ernst zu nehmendes Warnsignal. Doch hinter der Studie stehen auch Fragezeichen. Von Jens Berger.

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Im April 2014, kurz nach den „Hauruck-Reden“ unseres militärpolitischen Dreigestirns waren der Körber-Studie zufolge immerhin 37% aller Befragten für ein „stärkeres außenpolitisches Engagement“ Deutschlands. Bis zum Januar 2015 sank die Zahl auf 34%, um bis zum Oktober 2015 wieder auf 40% und bis zum Oktober 2016 auf 41% zu steigen. Spiegelbildlich nahm die Zahl derer, die sagen, „Deutschland solle sich weiterhin eher zurückhalten“ von 62% über 60% (Januar 2015), 62% (Oktober 2015) auf aktuell 53% ab. Die Zahlen können kritische Beobachter der Medienlandschaft natürlich nicht wirklich überraschen. Schon seit vielen Jahren versuchen die mehrheitlich transatlantisch orientierten Eliten aus Politik und Medien die Erfolge der Entspannungspolitik zu torpedieren und aus Deutschland ein „ganz normales Land“ zu machen, das „seiner Verantwortung gerecht wird“ und sich „international engagiert“.

Mehr „Verantwortung“ übernehmen? Das klingt doch gut. Oder? Nicht unbedingt. Denn wenn von einer Außenpolitik die Rede ist, die mehr „Verantwortung“ übernehmen soll, geht es freilich nicht darum, dass beispielsweise die deutsche Entwicklungshilfepolitik die Verantwortung für die verheerende Freihandelspolitik der EU übernehmen soll. Wenn im außen- und sicherheitspolitischen Kontext von „Verantwortung“ die Rede ist, geht es in der Regel vielmehr darum, politische und vor allem wirtschaftliche Ziele durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt durchzusetzen; eine sehr seltsame Verdrehung dessen, was der Begriff „Verantwortung“ im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet. Aber das passt ja durchaus in die Zeit. Wir führen ja auch keine Kriege mehr, sondern besetzen fremde Länder im Rahmen von „Stabilisierungseinsätzen“ oder „Befriedungsmissionen“.

Diese sprachlichen Unschärfen sind es auch, die zumindest Fragen nach der Validität der Zahlen der Körber Stiftung aufwerfen. In der betreffenden Frage heißt es wörtlich …

Es wird derzeit viel darüber diskutiert, ob Deutschland in Zukunft international mehr Verantwortung übernehmen soll. Was denken Sie: Sollte sich Deutschland künftig bei internationalen Krisen stärker engagieren oder sollte sich Deutschland weiterhin eher zurückhalten?
Quelle: Körber Stiftung

Was heißt „stärker“ engagieren und warum spricht man von „weiterhin“ zurückhalten? Die Frage klingt gerade so, als sei sie aus den 1980ern, als die Bundesrepublik Deutschland in der Tat außen- und sicherheitspolitisch zurückhaltend war. Doch dies waren andere Zeiten, auch für die Bundeswehr. Aus der Verteidigungsarmee, die zumindest offiziell das Kämpfen erlernte, um nicht kämpfen zu müssen, wurde eine schlagkräftige Einsatzarmee, die auf Kriegseinsätze getrimmt wurde. Deutschland führte einen Angriffskrieg im Kosovo und ist maßgeblich am Krieg in Afghanistan beteiligt. 2.915 Bundeswehrsoldaten sind aktuell in Auslandseinsätzen im Einsatz – vom Mali, über Südsudan, Somalia, das Horn von Afrika, Syrien bis zum Irak. Aus dem Staatsbürger in Uniform wurde der Rambo in Flecktarn, aus der Verteidigungsarmee eine internationale Interventionsarmee. Wenn die Körber Stiftung also fragt, ob Deutschland sich „weiterhin eher zurückhalten“ soll, so ist bereits die Frage manipulativ und die Antworten sind mannigfaltig zu deuten.

Dies erkennt man auch an den Studienergebnissen, sobald die Fragen mal etwas konkreter werden. Die Körber Stiftung fragte zum einen, ob man eine „Beteiligung Deutschlands an einer militärischen Intervention in Syrien“ und eine „Beteiligung Deutschlands an direkten Verhandlungen mit Syriens Präsident Assad“ jeweils voll und ganz oder eher befürwortet oder eher bzw. strikt ablehnt. Und siehe da – der Interventionismus der Deutschen kommt offenbar eher diplomatisch denn militärisch daher. Während nur 15% einen militärischen Einsatz befürworten, sind es 66%, die wünschen, dass die Bundesregierung mit Assad verhandelt. 82% der Befragten lehnen einen Militäreinsatz ab, nur 34% lehnen es hingegen ab, sich aktiv an direkten Verhandlungen zu beteiligen.

Interessant ist hier übrigens die demoskopische Zuordnung – sowohl bei der Ablehnung eines Militäreinsatzes als auch bei der Zustimmung zu diplomatischen Initiativen sind Anhänger der Linkspartei die Avantgarde, während bei der generell formulierten Frage, ob Deutschland „sich stärker engagieren“ solle, die Interventionisten nur bei den Anhängern der SPD, der Grünen und der FDP die Mehrheit stellen, während Anhänger der CDU/CSU, der Linkspartei und der AfD sich mehrheitlich wünschen, Deutschland solle sich außenpolitisch „eher zurückhalten“. Wenig überraschend ist wohl, dass die Interventionsfreude mit zunehmendem Alter stark nachlässt. Umgekehrt verhält es sich bei Einkommen und formaler Bildung. Je höher der Schulabschluss und je höher das Haushaltseinkommen, desto größer die Zustimmung zu einer interventionistischen Außen- und Sicherheitspolitik. Hier haben ZEIT, Süddeutsche, FAZ und Co. sicher Spuren hinterlassen.

Sorgenfalten dürften den Transatlantikern jedoch vor allem zwei Teilfragen der Körber-Studie machen. Zum einen sehen die Befragten in den „Beziehungen zu den USA/Trump“ aktuell hinter der Flüchtlingsthematik die zweitwichtigste außenpolitische Herausforderung für Deutschland, zum anderen wird Frankreich erstmalig von den meisten Befragten als „wichtigster Partner“ der deutschen Außenpolitik gesehen. Den Transatlantikern geht die Arbeit also so schnell nicht aus. Wir von den NachDenkSeiten werden freilich ebenfalls auch weiterhin am Ball bleiben und unsere Leser auch künftig auf die Kampagnen und Umtriebe der Transatlantiker aufmerksam machen.