Kein neuer Galeano: Stefan Peters’ Venezuela-Buch

Ein Artikel von Daniela Lobmueh

Ist der „Sozialismus“ in Venezuela mit dem ehemaligen Präsidenten Chávez gestorben? Was sind die Gründe für die desolate Lage, in der sich das Land zur Zeit befindet? Sind die Probleme hausgemacht? Oder eher eine Folge externer Faktoren, die vor allem Folge einer imperialistischen Außenpolitik der USA sind? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Buch „Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela“ von Stefan Peters, in das Daniela Lobmueh für die NachDenkSeiten einen Blick geworfen hat.

Der Verlagstext zum Buch beginnt mit ein paar Lobesworten. Mit Hugo Chávez wurde der Sozialismus „wieder salonfähig“, denn mit „dem Rückenwind kräftig steigender Rohstoffpreise“ gelangen soziale Entwicklungserfolge und „hohe Wachstumsraten“. Es sind diese Erfolge, von denen man in unserem Medienmainstream bislang wenig hörte und in einer Analyse gern mehr gehört hätte. Aber der Klappentext fährt fort: „Doch bald wurden die Erfolgsmeldungen spärlicher und Nachrichten von Verschwendung, Korruption sowie zunehmenden autoritären Tendenzen untergruben den Modellcharakter. Spätestens mit dem Tod des comandante im März 2013 und dem Einbruch der Erdölpreise begann der Niedergang der Bolivarischen Revolution.“

Stefan Peters’ Analyse der „Gründe des Scheiterns der Bolivarischen Revolution“ krankt fatal an einem selbst gesetzten Dogma: „Das vorliegende Buch möchte der Versuchung widerstehen, die Ursachen für das revolutionäre Scheitern der Bolivarischen Revolution zunächst in externen Ursachen zu suchen…“ (Peters S.18) Mit seinem „zunächst“ erweckt Peters den Eindruck, er würde sich nach ausgiebiger Darstellung interner Fehler des Chavismus dann endlich den offensichtlichen Einflussnahmen der USA zuwenden. Das tut er aber nicht.

Im Gegenteil, Peters bemüht sich angestrengt, jede Erwähnung einer konkreten Einmischung der US-Regierung zu vermeiden und sogar insgesamt die Rolle der USA für die Geschichte Lateinamerikas herunterzuspielen. Er zeichnet tatsächlich die Geschichte diverser Kämpfe von Guatemala über Chile bis zu El Salvador und Nicaragua nach, ohne die CIA nur einmal zu erwähnen, die dort überall eine Blutspur des Terrors hinterließ. Das geht bis zur offenen Geschichtsklitterung: Den CIA-gesteuerten Putsch von General Pinochet gegen den Sozialisten Allende in Chile 1973 habe „der spätere Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger“ als damaliger US-Außenminister „goutiert“ (Peters S.16). Heute ist jedoch weithin bekannt, dass Kissinger diesen blutigen Putsch keineswegs nur „goutierte“.

Denn Kissinger war keineswegs, wie Peters wahrheitswidrig behauptet, nur ein goutierender Zeuge der Massenmorde in Chile. Er hatte sie maßgeblich mit organisiert und von seiner CIA mit Meuchelmorden und einem Wirtschaftskrieg ermöglichen lassen. Der US-Außenminister des Jahres 1973 wurde später deshalb trotz seines Friedensnobelpreises in diversen Ländern als Kriegsverbrecher zur Fahndung ausgeschrieben -sollte ein Lateinamerika-Experte wie Peters das nicht eigentlich wissen? Peters schmäht, statt Kissinger objektiv darzustellen, lieber den 2013 verstorbenen Hugo Chávez, der sich in der Rolle des „unkonventionellen Randalierers“ gefallen hätte. Weil Chávez in seiner „Symbolpolitik“ etwa dem frisch gewählten US-Präsidenten Obama 2009 den Klassiker „Die offenen Adern Lateinamerikas“ von Eduardo Galeano verehrt habe (S.27). Ach, hätte Peters den Galeano nur selbst gründlich gelesen, dann hätte er gewusst, was seine Kritiker Hannes Sies und Galindo Gaznate von scharf-links.de ihm genüsslich unter die Nase reiben:

„Die Akten des Kongresses der Vereinigten Staaten registrieren unwiderlegbare Zeugenaussagen über die Interventionen der USA in Lateinamerika… Die Strategie der Verbrechen wurde in Washington geplant. Seit 1970 bereiteten Kissinger und die Geheimdienste sorgfältig den Sturz Allendes vor..“ Galeano, Die offenen Adern Lateinamerikas, Ergänzung 1978, S.IX

Auch vom Wirtschaftskrieg, Mord-, Invasions- und Putschplänen der USA gegen die erfolgreiche Revolution in Kuba will Peters nie etwas gehört haben, kritisiert aber Fidel Castros Autoritarismus und Personenkult. Peters raunt hie und da von „engen Anbindungen“ rechtsradikaler Regierungen und Diktaturen „an die USA“, konkretisiert dies aber nie und stört sich weder an deren Personenkult und Autoritarismus (die er in Kuba und Venezuela geißelt) noch an blutigen Interventionen Washingtons in Lateinamerika.

Die Schlagseite der historischen Analyse zieht sich durch Peters‘ Buch, das folglich zu einer verheerenden Bilanz gelangt. Sämtliche der abwiegelnd dargestellten Erfolge des „Sozialismus des 21.Jahrhunderts“ (wie Peters ihn sieht) ergaben sich fast ausschließlich aus einem „Erdölboom“, in dessen Genuss das Land unter Chavez kam; Peters spricht wiederholt und penetrant despektierlich von einer „Erdölparty“, die das chavistische Venezuela feierte (S.233). Hat man je gehört, westdeutsche Wirtschaftserfolge basierten auf einer „Auto- und Maschinenbau-Party“? Oder das gute Sozialsystem der Schweiz auf einer „Banken- und Schwarzgeld-Party“?

Die vom Schmetterling-Verlag versprochene „kritische Würdigung der Erfolge des Chavismus“ fällt insgesamt äußerst spärlich und lakonisch aus, verglichen mit dem gebetsmühlenhaft und markig verkündeten Scheitern des Chavismus durch den Autor Stefan Peters. Peters braucht sich also nicht zu wundern, wenn seine Kritiker von scharf-links.de ihm vorwerfen, er betreibe letztlich die „wortgewaltige Exkulpierung der Machenschaften von Ölkonzernen, USA und CIA“, weil er diese komplett ausblende. Der deutsche Professor Stefan Peters ist sichtlich bemüht, den USA bzw. den westlichen Machteliten nirgends auf die Zehen zu treten und damit weit von einer kritischen Sichtweise auf die Konflikte um und in Venezuela entfernt, wie sie auch etwa auf den Nachdenkseiten von Frederico Füllgraf vertreten wird.

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