Urteil wegen „Billigung des russischen Angriffskriegs“: Vorsicht – eine falsche Meinung kann jetzt kriminell sein

Urteil wegen „Billigung des russischen Angriffskriegs“: Vorsicht – eine falsche Meinung kann jetzt kriminell sein

Urteil wegen „Billigung des russischen Angriffskriegs“: Vorsicht – eine falsche Meinung kann jetzt kriminell sein

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Eine Frau wurde gerade wegen „Billigung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine“ schuldig gesprochen. Es gibt weitere juristische Vorstöße gegen unbequeme Meinungen. Diese Tendenz ist brandgefährlich – bald könnten auch jene ihr Opfer werden, die die Entwicklung jetzt noch begrüßen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Abweichung vom offiziellen „Ukraine-Narrativ“ ist unter Umständen keine legale Meinung, sondern eine illegale Äußerung, die „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.

Das Kölner Amtsgericht hat eine 48 Jahre alte Frau wegen „Billigung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine“ schuldig gesprochen, wie Medien berichten. Die Richterin verurteilte die Frau am Dienstag zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro. Nach Überzeugung des Gerichts hatte die Ukrainerin am 8. Mai 2022 „bei einer pro-russischen Demonstration“ in Köln den Krieg „für andere wahrnehmbar gutgeheißen und befürwortet“, wie es in der Urteilsbegründung hieß.

Laut Medienberichten hatte die Frau in einem Fernseh-Interview, das in der Verhandlung in Augenschein genommen wurde, gesagt: „Russland ist kein Aggressor“. Zudem habe sie gesagt, das Vorgehen Russlands sei „alternativlos“. Das Gericht war überzeugt, dass die Äußerungen der Frau geeignet seien, „den öffentlichen Frieden zu stören“. Die 48-Jährige habe sich in ihrer Einlassung zu den Anklagevorwürfen als „Friedensaktivistin“ bezeichnet, so Berichte. Am Tag der Demo habe sie, „wie jedes Jahr“ am 8. Mai, „den Tag des Sieges über den Faschismus gefeiert“.

In ihrer Urteilsbegründung führte die Richterin laut Berichten aus, dass die Angeklagte nach Auffassung des Gerichts mit ihrer Aussage einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unterstützt habe und damit nach § 140 Strafgesetzbuch wegen „Belohnung und Billigung von Straftaten“ als schuldig zu befinden sei. Im Absatz 2 des Paragrafen 140 heißt es: Wer rechtswidrige Taten „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 30 Euro gefordert. Die Angeklagte und ihr Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Angeklagte und ihr Verteidiger kündigten an, Rechtsmittel dagegen einzulegen, so Medien.

Brandgefährliche Tendenz

Ich finde die durch das Urteil zum Ausdruck gebrachte Tendenz brandgefährlich: Auch auf dem Gebiet des Meinungskampfes findet eine abzulehnende juristische „Zeitenwende“ statt – oder wurden all die Journalisten, die die US-Kriege verteidigt haben, auch vor Gericht gezerrt (eine Praxis, die ich nicht einfordere)? Man ist ja bereits viel gewohnt im Zusammenhang mit der radikalen Verengung des „erlaubten“ Meinungsspektrums, aber die Dramatik nimmt jetzt nochmals massiv zu.

Eine inhaltliche Debatte ist beim konkreten Fall meiner Meinung nach nicht angebracht: Man muss der Meinungsäußerung der Frau inhaltlich ja nicht zustimmen, man kann diese Meinung in Bausch und Bogen ablehnen. Die Debatte sollte darum nicht um die Inhalte gehen (es sei denn, von den Äußerungen der Frau wären Paragraphen wie Beleidigung, Volksverhetzung oder ähnliches berührt worden). Die Debatte muss darüber geführt werden, was das für ein Zeichen ist, wenn eine Bürgerin in Deutschland für die Äußerung ihrer Meinung juristisch verfolgt wird. Darüber, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der Meinungen als „illegal“ erklärt werden können (auch wenn sie nicht volksverhetzend oder beleidigend usw. sind).

Und: Sind sich die Journalisten, die zu solchen Urteilen schweigen oder sie gar begrüßen, sicher, dass ihre eigenen Äußerungen nicht ebenfalls irgendwann kriminalisiert werden könnten, wenn sie diesem Prinzip der Meinungskriminalisierung jetzt nicht entschlossen entgegentreten?

Das Urteil und die ausbleibende Skandalisierung sind auch ein Symbol: Es gibt keine Scheu mehr – zum einen vor der exzessiven Nutzung von ganz offensichtlichen Doppelstandards (etwa im Vergleich mit dem Umgang mit den zahlreichen US-Kriegen) und zum anderen vor der Enttarnung als Heuchler. Man tut nicht mal mehr so, als sei die Meinungsfreiheit garantiert, auch wenn das doch angeblich einer der zentralen „westlichen Werte“ ist: Diese „Garantie“ gerät massiv in Gefahr (mutmaßlich vorsätzlich), wenn die Menschen durch strafrechtliche Verfolgung von Meinungsäußerungen eingeschüchtert werden.

Werden sich die Bürger also nun zweimal überlegen müssen, ob ihr Standpunkt zu einem wichtigen aktuellen Thema in Deutschland nicht mittlerweile als „illegal“ eingeordnet ist, ob sie ihre Gedanken also überhaupt noch aussprechen dürfen? Allein diese Frage kann zu (mutmaßlich angestrebter) Selbstzensur führen. Die Wirkung von solchen Urteilen kann weit über den konkreten Fall hinausgehen.

Ermittlungen gegen Meinungen

Eine weitere juristische Auseinandersetzung wegen Meinungsäußerungen zum Ukrainekrieg hatte Florian Warweg vor einiger Zeit im Artikel „Skandal-Urteil in Berlin: Amtsgericht verurteilt Friedensaktivisten wegen Rede ‚Nie wieder Krieg gegen Russland‘“ thematisiert. In einem Strafbefehl für Heinrich Bücker mit 40 Tagessätzen zu 50 Euro hieß es: Seine Aussagen hätten das „Potenzial, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima der Bevölkerung aufzuhetzen“. Dieser Strafbefehl wurde inzwischen aufgehoben, wie Medien berichtet haben. Die Staatsanwaltschaft hat laut Bücker Rechtsmittel eingelegt, die Sache geht demnach in die nächste Instanz.*

Eine weitere aktuelle Auseinandersetzung bezüglich Meinungsäußerungen betrifft den Musiker Roger Waters, gegen den die Berliner Polizei laut Medien strafrechtlich ermittelt. Der Vorwurf: Waters soll bei den zwei Berlin-Konzerten am 17. und 18. Mai volksverhetzende Symbolik aufgeführt haben. Diese Vorwürfe und die polizeilichen Ermittlungen, die sich auf eine auf der Konzertbühne nachgespielte Szene aus dem Film „The Wall“ beziehen, sind grotesk und sie zeigen: popkulturelle Ahnungslosigkeit, Ignoranz der Kunstfreiheit und den erkennbaren Willen, einem kritischen Geist irgendwie irgendetwas anzuhängen. Mit der gleichen Begründung könnte man gegen alle Hitlerdarsteller der Filmgeschichte ermitteln – und auch gegen Sir Bob Geldof wegen seiner Darstellung eines Faschisten im Film „The Wall“.

Der hier geschilderten Tendenz, unbequeme Meinungen zu kriminalisieren, muss entschieden entgegengetreten werden.

* Aktualisierung 7.6.2023, 16:30: Dieser Absatz wurde nachträglich ergänzt und präzisiert.

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Titelbild: Gorodenkoff / shutterstock.com

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