ADAC-Rechtsgutachten: Nummernschild-Scannung ist verfassungswidrig

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In immer mehr Bundesländern erfasst die Polizei inzwischen Kfz-Nummernschilder im Straßenverkehr mit Hilfe von Videokameras. Die aufgenommenen Fahrzeuge werden gefilmt, die Kennzeichen elektronisch ausgelesen, gespeichert und mit Fahndungsdateien abgeglichen. Dieses Vorgehen verstößt laut einem Gutachten, das der ADAC in Auftrag gegeben hat, gegen das Grundgesetz. Lediglich die Regelungen in Brandenburg seien weitgehend verfassungskonform. Zudem sei das Videoscanning ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Ergebnis des Gutachtens ist nicht unerheblich, da vom Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Autonummern-Scanning für März erwartet wird. Von Christine Wicht.

Das Rechtsgutachten über die verfassungsrechtliche Bewertung der verdachtslosen automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen wurde vom Rechtswissenschaftler, Alexander Roßnagel, von der Universität Kassel erstellt. Laut Gutachten haben nur die Hälfte der Länder, nämlich Bayern, Bremen, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein spezifische Regelungen zur automatisierten Erfassung und Auswertung von Kfz-Kennzeichen in ihren Polizeigesetzen erlassen. In den anderen Ländern fehlen solche Regelungen. Für die Regelungen in Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fehle den Ländern die Gesetzgebungszuständigkeit. Für die Regelung polizeilichen Handelns ist die Kompetenz zur Gesetzgebung nämlich zwischen dem Bund und den Ländern geteilt. Seit Beginn des Jahres 2008 werden auch in Niedersachsen Nummernschilder per Videoscanning erfasst. Aufgrund des frühen Abschlusses der ADAC-Studie konnten die dort gelten Regeln nicht mehr untersucht werden.

Roßnagel kritisiert, dass Betroffene nicht in einem vorgeschalteten Verfahren Einfluss auf das eingreifende Verhalten der Polizei nehmen können. Insbesondere sei die Regelung des Bundeslandes Rheinland-Pfalz völlig unverhältnismäßig. Dort werden die Daten zwei Monate gespeichert, darunter auch so genannte “Nicht-Treffer”, die dann der Polizei zur Nutzung für allgemeine Polizeiaufgaben zur Verfügung stehen. Für den Rechtsexperten stellt diese Kontrolle ohne jeden Anlass oder Verdacht eine flächendeckende Überwachung dar und ermögliche persönliche Bewegungsprofile. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Karl Peter Bruch (SPD) sagte, dass zwar im Jahr 2004 eine gesetzliche Grundlage für das Nummernschild-Scanning geschaffen wurde, sie sei aber bislang nicht angewendet worden.

Laut ADAC konnten die Beamten bei nur 0,03 Promille der erfassten Kennzeichen einen “Treffer” verzeichnen. Dies seien aber keine Kapitalverbrecher oder gesuchte Terroristen gewesen, sondern überwiegend säumige Versicherungszahler, Fahrer mit gestohlenem Kennzeichen oder Kleinkriminelle gewesen. Da keine nennenswerten Fahndungserfolge zu verzeichnen seien, seien nach Auffassung des Automobilclubs die Kontrollen nicht verhältnismäßig.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar betrachtet die Entwicklung mit großer Sorge. Für ihn unterzieht die unterschiedslose Erfassung alle Verkehrsteilnehmer einem Generalverdacht, der erst bei Nichtübereinstimmung mit den polizeilichen Fahndungsbeständen entfalle. Des Weiteren werde mit der automatischen Kennzeichenerfassung eine neue Infrastruktur geschaffen, die künftig noch weitergehende Eingriffe und Speicherungen ermögliche. Staats- und Verwaltungsrechtler sehen in der heimlichen Datenerfassung und -speicherung einen Eingriff in besonderer Weise in die Grundrechte. Peter Schaar befürchtet ein “Mosaik der Überwachung”. Die Kennzeichenerfassung sei “nur der Einstieg in eine neue Überwachungstechnologie”. Eine Zusammenführung mit anderen Daten, wie es in Großbritannien geschehe, sei “nur eine Frage der Zeit”.

Für den ADAC-Vizepräsident, Ulrich Klaus Becker ist unbestritten, dass die Polizei schwere Kriminalität wirksam bekämpfen müsse und dazu auch geeignete technische Mittel benötigte. Er forderte aber auch, dass deren Einsatz in Übereinstimmung mit der Verfassung geschehen müsse und nicht zur totalen Überwachung führen dürfe.
Eine Kurzfassung des Rechtsgutachtens ist im Internet abzurufen unter: www.uni-kassel.de [PDF – 16 KB].

Die Erfassung und Aufbewahrung der Nummernschild-Daten sind nur ein weiteres Steinchen im Überwachungsmosaik. Wenn die inzwischen zahllosen kleinen Teilchen der unterschiedlichsten Überwachungsmaßnahmen, mit der allfälligen Begründung der Terrorismusbekämpfung, zu einer Einheit zusammengesetzt werden, wird ein flächendeckendes Überwachungsbild in Deutschland augenfällig – niemand bewegt sich nirgendwo mehr unüberwacht.

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