Schlachthof Mexiko: das Gemetzel an der Zivilbevölkerung, zwischen Staatsterror und Narco-Banden

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Elf Jahre, nachdem Mexikos Präsident Felipe Calderón unter dem politischen Druck der USA im Jahr 2006 dem Drogenhandel den „Krieg“ erklärte, gelang der Offensive zwar die Inhaftierung einzelner Capos der alten Garde, wie Joaquin „El Chapo“ Guzmán, nicht aber die Zerstörung, sondern die Aufsplitterung der mächtigsten Dealer-Gangs, „Kartelle“ genannt. Auf der Strecke blieben die Verminderung der Gewalt und der Abbau der Kriminalität. Von Frederico Füllgraf.

Die Bilanz ist haarsträubend: 100.000 Tote und 30.000 Vermisste; soviele Opfer, wie die ein Jahrzehnt andauernden Bürgerkriege im Mittelamerika der 1980er Jahre forderten („A 10 años de la guerra contra el narco: 100 mil muertos y 30 mil desaparecidos“ – El Milenio, 11.12.2016). Calderóns Nachfolger, der seit Dezember 2012 amtierende Präsident Enrique Peña Nieto, nahm den Mund voll und versprach den Mexikanern Frieden, Schutz und Freiheit – Fromme Sprüche!

Wer sich südwestlich von Mexiko-Stadt auf den Weg nach dem 300 Kilometer entfernten Bundesstaat Guerrero macht, erbleicht nach wie vor über makabre Funde. Die Entdeckungen von Massengräbern mit Leichen entführter Opfer, auf öffentlichen Plätzen „entsorgte“, abgeschlagene Menschenköpfe und verkohlte Körperreste von Polizeiagenten oder verhassten Konkurrenten, die auf offener Straße lebendig verbrannt werden, gehören zur Routinemeldung der Behörden.

Die meisten Verbrechen werden von der Justiz nicht aufgeklärt, ihre Urheber nicht bestraft. Nach Angaben des Globalen Straflosigkeit-Index´ 2017 [PDF], den die Universidad de las Americas in Puebla für 69 UN-Mitgliedsländer ermittelte, belegt Mexiko den vierten Platz im internationalen Vergleich und Platz 1 als Hochburg ungesühnter Verbrechen Lateinamerikas. Der Bericht zum Stand von Sicherheit, Gerechtigkeit und Menschenrechten erteilte Mexiko ein Straflosigkeits-Ausmaß von 69,21 Punkten, gefolgt von Kamerun (69,39), Indien (70,94) und den Philippinen (75,60 Punkte).

Was die Ermittlungs-und Justizbehörden kalt ließ, spornte mutige Journalisten zu Recherchen über die Hintergründe der weltweit wohl schauerlichsten Gewaltverbrechen an, denen mit Reportagen, Büchern und Filmen der gegenwärtige Kenntnisstand über das organisierte Verbrechen und seine Verfilzung mit dem mexikanischen Staat weitgehend zu verdanken ist.

Als ich eine mexikanische Kollegin aus Puebla zu einem Interview über das Thema animierte, sagte sie mir augenblicklich ab. Sie habe immerhin eine Familie und könne kein Risiko eingehen, entschuldigte sie sich. Und wünschte mir „viel Glück!“.

Was die verängstigte Kollegin von der Zusammenarbeit abhielt ist, dass investigativer Journalismus in Mexiko einen hohen Preis fordert. Die Sonderstaatsanwaltschaft zur Aufklärung von Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit berechnete, dass zwischen 2000 und 2016 mindestens 105 Journalisten wegen ihrer Arbeit ermordet wurden. Die britische Menschenrechts-Organisation Article 19 stellte jedoch klar: Allein unter Peña Nietos Regierung seien 36 Journalisten umgebracht worden; dazu weitere 9 Todesopfer unter Medienarbeitern allein im auslaufenden Jahr 2017.

Massaker als „Rechenschafts“-Tradition der Oligarchien

Am 22. Dezember 1997 kniete gerade eine Hundertschaft der Tzotzil-Ethnie in einer evangelischen Kirche der Gemeinde Acteal, Bundesstaat Chiapas, zum gemeinsamen Gebet, als ein Killerkommando die Kirche unter Beschuss nahm und das Feuer auf die Betenden öffnete. Augenzeugen wollen 90 Paramilitärs gesehen haben, die nur knappe 200 Meter von einem Polizeirevier entfernt ungehindert 45 Menschen mit automatischen Waffen niedermähten. Zu den Opfern zählten 20 Frauen – darunter sieben Schwangere – ferner 16 Kinder und 9 erwachsene Männer.

Der „Grund“? Die Indianer wurden als Mitglieder der linken Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) bezichtigt. Folglich wurden auch im Handumdrehen rund 100 Indigene hinter Schloss und Riegel des Gefängnisses von Tuxtla Gutiérrez, Hauptstadt von Chiapas, gesperrt und als Akteure der Massen-Exekution beschuldigt. Hingegen Samuel Ruiz, damaliger Bischof von San Cristóbal de las Casas, forderte von der Staatsanwaltschaft, die wahren Anstifter festzunehmen. Diese ermittelte unter den mutmaßlichen Mördern zwar acht ehemalige Sicherheitsbeamte, doch die Gerichtsurteile fielen bitter enttäuschend aus. Die Massenmörder wurden zu höchstens drei Jahren Gefängnis verurteilt und anschließend freigelassen.

Nach inoffiziellen Angaben sollen zu jener Zeit in Chiapas mehr als zehn paramilitärische Verbände gegen die EZLN aktiv gewesen sein. Einzelne Menschenrechts-Aktivisten haben die Gangster der Institutionell-Revolutionären Partei (PRI) zugeordnet, die Mexiko seit 71 Jahren regiert und über Jahrzehnte hinweg im Mittelpunkt schwerwiegender Anschuldigungen von chronischer Korruption und straflosen Gewaltverbrechen steht.

Das Chiapas-Massaker sorgte zwar für tiefe Betroffenheit, bildete aber nur die Spitze eines verborgenen oder aus der historischen Wahrnehmung verdrängten Gewalt-Eisbergs, der auf mehr als 100 Jahre zurückdatiert werden kann und in Cananea, Sonora, seine modernen Anfänge hatte. Am Vorabend der Mexikanischen Revolution (1910-1917, mit Nachwirkungen bis 1940) schossen dort US-Amerikaner 23 mexikanische Bergarbeiter über den Haufen, als diese für einen Mindestlohn von 5 Pesos und den 8-Stunden-Tag streikten. Als die übrigen Mexikaner auf den Anschlag mit bewaffneter Gegenwehr reagierten, ritten paramilitärische US-Rangers über die Grenze und erstickten unter Anstiftung der US- und der mexikanischen Porfírio-Díaz-Regierung den Arbeitskampf im Keim.

Wie wenig der mexikanischen Oligarchie Menschenleben wert waren, macht das Vorgehen General González Garzas deutlich, der während der Revolution Mexiko-Stadt von den Aufständischen unter Führung Emiliano Zapatas befreite. Nachdem González´ 30.000 Mann starke, blutrünstige Truppe den Bundesstaat Morelos geplündert und die Drohung ausgesprochen hatte, Revolutions-Sympathisanten hinzurichten, ordnete er am 15. September 1910 die Zusammentreibung und Deportation von Bauern an. Auf seinen Befehl kommandierte Oberst Jesús Guajardo am darauffolgenden 30. September 1910 die Massenerschießung von 180 Einwohnern Tlaltizapáns wegen Nichtzahlung einer Steuer und für ihre Unterstützung der Zapatistas. Dem folgte ein blutiges Massaker an weiteren 268 Männern, Frauen und Kindern.

General Jesús María Guajardo Martínez gelang es jedoch, die Verbrechen seines Kollegen González 1919 mit einer himmelschreienden Perfidie in den Schatten zu stellen. Er versuchte Emiliano Zapata mit der Botschaft zu überlisten, er sei mit dem Führer der sogenannten Verfassungs-Streitkräfte, Venustiano Carranza, unzufrieden und wolle zu Zapata überlaufen. Als der legendäre Revolutionsführer Beweise verlangte, ließ Guajardo mit Zustimmung Carranzas und González´ etwa 50 seiner eigenen Soldaten erschießen und Zapata Rüstungen und Munition anbieten. Am darauffolgenden 10. April ermordete er Zapata auf der Chinameca-Ranch in Morelos.

Das wahllose Hinschlachten vermeintlicher Feinde, Intriganten und armer Bauern verlagerte sich ein halbes Jahrhundert später auf politisierte Studenten. So befahl General Raúl Caballero Aburto 1960 die Erschießung von 20 Studenten, denen der Sturz des Gouverneurs von Guerrero unterstellt wurde. Acht Jahre später befehligte die autoritäre Regierung Gustavo Díaz Ordaz nach 146 Protest-Tagen gegen die Missstände des mexikanischen Bildungssystems, während der Sommer-Olympiade 1968 mindestens 200 Schüler und Studenten auf offener Straße mit MG-Feuer niederzumähen. Dem folgte drei Jahre später der sogenannte „Halconazo“, wie die Hinrichtung von 120 Schülern durch die „Falken“-Division der Armee am Fronleichnamstag 1971 genannt wurde.

Und so weiter. Aguas Blancas-Massaker, 1995: 17 erschossene und 21 verletzte Bauern. Blutbad San Fernando-Tamaulipas, am 22. und 23. August 2010: 72 Einwanderer aus Mittel- und Südamerika im Kugelhagel von Los Zetas hingerichtet. Schlächterei von San Fernando-Tamaulipas, 2011: 193 Menschen ermordet und in geheimen Gräbern verscharrt. Die Aktivistin Isabel Miranda de Wallace erklärte jedoch mehrfach, in Wahrheit seien mehr als 500 Menschen umgebracht worden. Blutbad von Tlataya, 2014: 22 Zivilisten am frühen Morgen des 30. Juni 2014 von acht Armeesoldaten grundlos und kaltblütig erschossen.

Und schließlich das weltweit angeklagte Massaker von Ayotzinapa, 2014: 6 Tote, 25 Verletzte und 43 „Verschwundene“. Für den Anschlag wurden städtische Polizeibeamte verantwortlich gemacht, die im Auftrag des Drogen-Kartells Guerreros Unidos handelten. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft soll ferner die mexikanische Armee in die Gräueltaten involviert sein. Die Ermittlungen wurden intensiv behindert und dauerten bis Ende 2017 an.

Das 90-jährige Machtmonopol einer korrupten Regierungspartei

Wie konnte Mexiko so zahllose Schandtaten an der eigenen Bevölkerung dulden und umgekehrt so wenig Rechenschaft über die perfidesten Gewaltverbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts ablegen?

Die Frage rief mexikanische Wissenschaftler und Menschenrechts-Experten auf den Plan, die in einer mehr als 200-seitigen Studie (2016), gesponsert von George Soros´ Stiftung Open Society, die der staatlichen Repression, einer beispiellosen Militarisierung des Alltags, der uferlosen Korruption und der Unterwerfung Mexikos unter den Einfluss der USA die Hauptschuld an der Mordorgie in dem nordamerikanischen Land anlasten.

Dass ausgerechnet Soros eine solche Untersuchung finanzierte, liegt darin begründet, dass der milliardenschwere Berufsspekulant zu den führenden internationalen Befürwortern einer Entkriminalisierungspolitik für leichte Drogen, wie Marihuana, zählt, doch als entschiedener Gegner der vernichtenden Auswirkungen des weltweiten Konsums von Kokain und Heroin auftritt.

Unumgänglich steht auch hier die Regierungspartei (PRI), die seit 1929 die Fäden der Macht in den Händen hält, im Mittelpunkt der Kritik. Bis 1989 kontrollierte die PRI mit regelmäßig erneuerter, absoluter Mehrheit die Regierungen sämtlicher mexikanischer Bundesstaaten, bis 1997 die Bundesabgeordneten-Kammer und beherrschte ohne nennenswerte Konkurrenz auch das Präsidentenamt bis ins Jahr 2000. So entstand ein starker, zentralistischer und zunehmend undurchsichtiger Staat.

Zur Aufrechterhaltung der Macht um jeden Preis dehnte die Partei im Lauf der Jahrzehnte ihren eisernen Einfluss auf Schlüsselbereiche des öffentlichen Lebens in drei großen gesellschaftlichen Bereichen aus: Staatsbeamte der Mittelklasse, Gewerkschaften und das beachtliche Heer der Kleinbauern und Landarbeiter. Dies geschah ständig mit der fadenscheinigen Berufung auf die ruhmreiche Revolution von 1910, als extra dafür beauftragte 33 Parteiführer im Namen der PRI Geld- und Machtvorteile im Austausch für Abstimmungs-Garantien aushandelten und selbst Dissidenten mit Korruption, Kooptation, Privilegien und politischer Unterstützung zu bedienen versuchten.

Gleichwohl widerstanden relevante Gesellschaftsgruppen der Kooptation. Ein ineffizienter Staat, der nach außen die Gleichheits-Prinzipien der Revolution propagierte, sich jedoch intern zunehmend in den Dienst der Eliten stellte, konnte nicht zugleich zwei Herren dienen. So blieb die ländliche Armut unverändert, die indigene Bevölkerung wurde vernachlässigt, die allgemeinen Arbeitsbedingungen durch verantwortungslose Freihandelsabkommen verschlechtert – Zustände, die bald Studenten, Gewerkschaftsführer und soziale Bewegungen zum Kampf gegen soziale Ungleichheit, Korruption, Entrechtung und polizeistaatlichen Autoritarismus mobilisierten.

Die „Abtrünnigen“ wurden zum Angriffsziel der PRI, und zwar mit der Mobilmachung der Sicherheitskräfte. Diese mussten jedoch kooptiert werden, was der PRI mit der „Belohnung“ von Polizisten und Soldaten für ihre politische Treue gelang, und einen mächtigen, schwerbewaffneten Korruptions- und Unterdrückungsapparat in Bewegung setzte, der unter dem Einfluss der USA, zwischen den 1960-er und 1980-er Jahren, den sogenannten „Guerra Sucia“ (Schmutzigen Krieg) der Regierungen Gustavo Díaz Ordaz, Luis Echeverría und López Portillo gegen fortschrittliche sozialen Bewegungen besorgte, der tausenden Aktivisten das Leben kostete.

Die Regierung López Portillo machte schließlich einzelne Zugeständnisse, billigte die Amnestie für die Guerilla-Bewegungen und legalisierte 1978 die linken Oppositionsparteien. Obwohl diese Maßnahmen die Beendigung des „schmutzigen Krieges“ besiegeln sollten, setzte der PRI-kontrollierte Staat die Gewaltanwendung gegen die linke Opposition mit neuen Mitteln fort.

Der Staat als kriminelle Vereinigung

Die Einbindung Mexikos in Richard Nixons „Krieg gegen die Drogen“ beantwortete der PRI-Staat mit einer bewährten Tradition. Schon in den Anfängen der Drogenbekämpfung wurde die Armee zur Ausrottung der Opium- und Marihuana-Pflanzungen in Mexiko eingesetzt, die in den 1940-er Jahren als Reaktion auf die Nachfrage in den USA ihre Hochblüte erreichten.

Ab 1976 dirigierte jedoch die US-amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA) mit Pestizid-Einsätzen aus der Luft die Vernichtung von Marihuana- und einzelnen Opium-Pflanzungen in Mexiko. Zu den unmittelbaren Folgen der gemeingefährlichen Spritzvorgänge gehörte der rasante Preisanstieg für illegal angebaute Drogen und die aufflammende Rivalität zwischen den geheimen Drogenhandelsketten, genannt „Kartelle“.

Für die Verbrechensbekämpfung übertrug der mexikanische Staat immer mehr Verantwortung der Polizei und dem Militär, die ihren Einsatz zum Anlass zunehmender Einschränkung ziviler Rechte und erhöhter sozialer Kontrolle nahmen. Bald waren der „Krieg gegen die Drogen“ und der mit neuen Mitteln fortgesetzte „schmutzige Krieg“ gegen die Linke eng miteinander verwoben.

Als Rechtfertigung für den Angriff auf ihre politischen Gegner erlaubte und befeuerte die PRI die Bildung mächtiger paramilitärischer Verbände und versuchte sie zu kooptieren. Als diese sich jedoch als sogenannte Drogenhandels-Kartelle mit der Absprache territorialer Kontrolle entpuppten, hatten sie die PRI bereits „verseucht“ und die Erosion der Staatsgewalten herbeigeführt.

Während der Ära Nixon (1969-1974) hatte Mexiko zunächst als Transitroute für kolumbianisches Kokain in die Vereinigten Staaten gedient. Doch als die sogenannten „Kartelle” ihre Geschäfte auf den Menschenhandel – nämlich die illegale Einwanderung in die USA – ausweiteten, veränderte sich auch das Wesen der öffentlichen Korruption.

Örtliche PRI-Führer in den Drogenanbau- und Erntegebieten waren nicht mehr in der Lage, Drogenherstellern und Menschenhändlern Schutz zu gewähren. Angespornt von den Bandenführern, verlangten sie fortan von der Regierung den Schutz der Drogenpflanzungen sowie die Duldung von Handelsrouten quer durch Mexiko. Die Folge war grassierende Bestechungspraxis auf immer höheren Regierungsebenen.

Als das Drogengeschäft neu ins Rollen kam und die Vernichtung der linken, demokratischen Opposition auch politische Dividende versprach, desertierten hochrangige Militärs und Polizeiagenten zu hunderten und gründeten neue „Kartelle“. Da die Strukturen der PRI jedoch stark zentralisiert waren, erkannten die aufstrebenden Drogenkartelle darin einen Anlass, um mehr als in einem Bundesstaat zusammenzuarbeiten und politische Beamte auf höchster Ebene zu schmieren.

Die PRI versuchte, den Drogenhandel in ihren Dienst zu stellen und reagierte zunächst mit der Bekämpfung, anschließend jedoch mit der Erpressung, der Kontrolle und dem Schutz schwer belasteter Drogenhändler-Banden, denen mit Hilfe politischer und Sicherheits-Maßnahmen der Zugang zur politischer Staatsmacht verwehrt werden sollte.

Doch häufig, wenn der investigative Journalismus und vereinzelte Sozialwissenschaftler meinen, nun hätten sie den Dollpunkt der politischen Hintergründe des organisierten Verbrechens in Mexiko geknackt, werden sie von neuen, ungeahnten Zusammenhängen überrumpelt. So auch von der Ironie, dass die Drogenbekämpfungs-Politik der USA stetig die Expansion mexikanischer Kartelle begünstigte.

Nur allzu ungern lässt sich die US-Regierung zum Beispiel daran erinnern, dass sie für die Entstehung des kriminellen Guadalajara-Kartells verantwortlich war. Das passierte während der US-Unterstützung der berüchtigten Contras in der Endphase des Befreiungskrieges in Nicaragua, als das aufkeimende Kartell der Regierung Ronald Reagan beim Passieren von US-Waffen aus Nachbarländern verdeckte Hilfe zur Verfügung stellte. Den Contras zufolge haben die US-Behörden im Austausch für den Gefallen „ein Auge zugedrückt“, als sich gigantische Kokainmengen, die in Mexiko verarbeitet worden waren, ihren Weg in die USA bahnten.

Weiterhin ist erwiesen, dass der militarisierte Einsatz mit der Drogen-Beschlagnahme der DEA in Süd- und Mittelamerika der organisierten Kriminalität in Mexiko als Anreiz zur Fortentwicklung diente. Als der Nachschub aus diesen Gebieten ausfiel, stiegen die Preise und mexikanische Kartelle erlebten ihre Blüte mit der Bedienung der unersättlichen Nachfrage des Nachbars im Norden.

Mit gesteigerten Geld- und Politik-Ressourcen und beachtlichen Waffenarsenalen ersetzten die Kartelle in wachsendem Ausmaß Parteiführer der PRI und entpuppten sich als Meister der politischen Unterwanderung und Kooptation potenzieller Gegner. Sie wurden auch immer gewalttätiger und kämpften um die Vorherrschaft im kriminellen Milieu.

Lebendiges Beispiel für diese Entwicklung ist der Aufstieg des Joaquín Archivaldo Guzmán Loera, genannt „El Chapo Guzmán “, vom armen Jungen aus einem Elendsviertel in Tuna zum Chef des mächtigsten Sinaloa-Drogenkartells aller Zeiten. Dreimal gelang es „El Chapo“, aus mexikanischen Hochsicherheits-Haftanstalten zu fliehen und im Jahr 2011 rangierte er auf Platz 55 der einflussreichsten Personen in aller Welt.

Ende 2016 war „El Chapo“ von der in Hollywood aktiven mexikanischen Schauspielerin Cate Castillo per Twitter als „aufrichtiger Mensch“, im Vergleich mit Präsident Peña Nieto und seiner PRI, gerühmt worden. Der als belesen und Gefangenen-Beschützer geltende, kriminelle Milliardär, dem zigtausende Morde angedichtet werden, ließ die Hollywood-Artistin, begleitet vom zweifachen Oscar-Preisträger und politischen Aktivisten Sean Penn, in sein mexikanisches Versteck rufen.

„El Chapo“ hatte den Wunsch, Kate Castillo mit der Verfilmung der Lebensgeschichte des Joaquín Archivaldo Guzmán Loera zu beauftragen, die nach der unbeschreiblichen Kriminellen-Karriere nach einer romantisierten und humanisierenden Bearbeitung verlangte. Dazu kam es aber nicht.

Die von einem WhatsApp verwandten, elektronischen Sprachdienst übertragenen Botschaften zwischen dem Bandenchef und der Schauspielerin wurden abgefangen und „El Chapo“ kurz nach der Abreise Castillos und Penns in Los Mochis zum dritten Mal verhaftet und schließlich im Februar 2017 an die USA ausgeliefert. Was Kate Castillo nicht an der Produktion eines glamourösen Dokumentarfilms mit dem Titel „Der Tag, an dem ich den Chapo kennenlernte“ (Filmtrailer) hinderte, der ihr nachträglich eine Anzeige der mexikanischen Regierung bescherte.

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