Alle wollen die gefährliche Bundeswehr-Mission gegen den Iran: die CDU, die Grünen, die Industrie, die Verteidigungsministerin und diverse Lobbyisten. Die Medien versagen einmal mehr angesichts dieser ganz offenen Eskalation. Die SPD hat wie so oft keine glaubwürdige Position. Widerstand kommt einzig von der LINKEN. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die große Koalition aus Interessengruppen, die eine Teilnahme der Bundeswehr an einer Iran-Mission nicht ausschließen möchte, wird immer größer: Sie umfasst die CDU, die Grünen, die Industrie, weite Teile der Medienlandschaft und verschiedenste Lobbyisten. Die „Position“ der Sozialdemokraten ist einmal mehr nicht zu identifizieren und darum nicht ernstzunehmen. Eindeutiger Widerspruch kommt vor allem von der LINKEN. Angesichts der Kriegsgefahr ist das erneute Versagen vieler Redakteure sowie vieler Sozialdemokraten sehr bedenklich.
Derweil gibt es eine neue Entwicklung im Iran-Konflikt: Die neu formierte britische Regierung unter Premierminister Boris Johnson setzt laut Medienberichten nicht mehr auf eine rein europäische Militärmission in der Straße von Hormus. Ein „europäisch geführter Ansatz unterstützt von den USA“ sei dagegen der beste Weg. Vor gut einer Woche hatte der damalige britische Außenminister Jeremy Hunt noch eine rein europäische Militärmission vorgeschlagen. Großbritannien hatte am 4. Juli in Gibraltar den Tanker „Grace1“ festgesetzt. Der Iran stoppte daraufhin am 19. Juli in der Straße von Hormus den Tanker „Stena Impero“.
Schockierende Leichtfertigkeit gegenüber Iran-Kampagne
Es ist eine weit verbreitete und schockierende Leichtfertigkeit angesichts der Eskalation des Iran-Konflikts festzustellen. In die beschriebene Koalition der Missions-Befürworter sind nun auch die Grünen eingetreten, wie Medien berichten. Jens Berger hat diesen Vorstoß des Grünen-Politikers Omid Nouripour bereits treffend eingeordnet:
„Omid Nouripour ist übrigens im Vorstand der Atlantikbrücke und Beisitzer im Vorstand der Deutschen Atlantischen Gesellschaft. Dass ein offener Einflussagent der transatlantischen Netzwerke außenpolitischen Sprecher der Grünen werden kann, sagt sehr viel über die außen- und sicherheitspolitische Orientierung dieser Partei aus.“
Heiko Maas: “Wir wollen dabei sein“
Die Haltung der Grünen ist bedenklich, aber nicht überraschend – und immerhin ist es eine Haltung. Die ist bei der SPD nicht festzustellen. Denn einerseits vermeldet der „Focus“ Zustimmung in der Bundesregierung: “Wir wollen da dabei sein”. Das Magazin fährt fort:
„Die Bundesregierung will die Bundeswehr offenbar an einem Militäreinsatz in der Straße von Hormus beteiligen. Das kündigte Außenminister Heiko Maas nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) in der Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages am Mittwoch an. Sitzungsteilnehmer bestätigten dies und zitierten Maas mit den Worten: ‚Wir wollen da dabei sein.’“
Andererseits warnte der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Nils Schmid, davor, in einen militärischen Konflikt hineingezogen zu werden, wenn „Amerika beschließen sollte, die Lage eskalieren zu lassen“. Solche Signale sendete auch der kommissarische SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich angesichts der neuen britischen Pläne: Er warnte vor den Risiken einer Mission gemeinsam mit den USA. Dies berge ein „enorm hohes Eskalationsrisiko“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Dagegen wollte SPD-Vize Ralf Stegner gegenüber Medien eine Beteiligung wiederum doch nicht ganz ausschließen: Diese wäre aber nur bei einem internationalen Mandat für eine friedenserhaltende Mission „grundsätzlich erwägenswert“. Die Verwirrung komplett machte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), der sich bereits öffentliche Gedanken über die Ausstattung einer doch angeblich von seiner Partei abgelehnten Mission machte: Sollte sich Deutschland an einer Schutzmission im Golf beteiligen, so rechne er mit „Engpässen“, so Bartels.
SPD macht sich zum Spielball
Durch die fehlende eigene Position zum Thema öffnet die SPD wichtige Flanken und macht sich zum Spielball mutmaßlicher Kriegsbefürworter wie Norbert Röttgen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses ließ es sich im „Heute Journal“ denn auch nicht nehmen, die SPD weiter vor sich herzutreiben, wie Medien berichten:
„‚Wenn aus Gründen rein innerparteilicher Schwäche und Orientierungslosigkeit der SPD‘ eine deutsche sicherheitspolitische Handlungsunfähigkeit erwachse, dann wäre das ein ‚sehr ernster Vorgang‘, stichelte Röttgen in Richtung des Koalitionspartners.
Die Industrie, die Bundeswehr und die Handelwege
Erstaunlich offen mischt sich auch die Industrie in die Debatte ein. So befürwortet etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie einen Einsatz der Bundeswehr am Persischen Golf, wie der „Deutschlandfunk“ berichtet. Verbandspräsident Kempf sagte demnach, eine funktionierende Handelsschifffahrt sei für Deutschland als Exportnation und Industrieland von herausragender Bedeutung.
Die skandalöse Forderung, die Bundeswehr als Schutzmacht deutscher Unternehmen einzusetzen, äußerte aktuell auch der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, wie die „Zeit“ schreibt:
„Ischinger hat die Bundesregierung aufgefordert, sich an der von Großbritannien vorgeschlagenen Seeschutzmission am Persischen Golf zu beteiligen. “Kaum ein Land hängt von der Freiheit der internationalen Schifffahrt so stark ab wie der Exportweltmeister Deutschland”, sagte Ischinger der Welt am Sonntag. “Deshalb darf die Bundesrepublik auch nicht von der Reservebank aus zuschauen, wenn jetzt eine maritime EU-Schutzmission am Golf diskutiert wird”, sagte Ischinger.“
Das erneute Versagen der Medien vor einem Krieg
Es gab Zeiten, da haben solche Forderungen aufgeregte Debatten und sogar den Rücktritt des Bundespräsidenten Köhler ausgelöst. Heute ist die Abstumpfung anscheinend weiter fortgeschritten. An dieser Abstumpfung nicht unschuldig sind auch Teile der deutschen Medienlandschaft. Aktuell fiel in dieser Richtung etwa die „FAZ“ auf, die einen unverblümten westlichen Herrschaftsanspruch für die Golfregion formulierte:
„Amerika und Europa können die Golfregion aus eigenem Interesse nicht anderen Akteuren überlassen – weder einer anderen externen Macht, etwa Russland, noch weniger der Islamischen Republik Iran, denn eine Pax Iranica würde die heutige Ordnung einer Region gefährden, in der die Hälfte der bekannten Ölvorkommen liegen. (…) In dieser Ordnung ist Iran ein Störenfried. Denn die Islamische Republik baut ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten auf Kosten der mit dem Westen verbündeten Staaten aus, und ihr Atomprogramm könnte die Machtverhältnisse am Persischen Golf nachhaltig verändern. Noch verhalten sich in der aktuellen Krise alle Akteure rational, sie testen lediglich mit kleinen Schritten und Provokationen das Vorgehen des Gegners. Iran muss aber wissen: Stellt es die Interessen des Westens in der Golfregion in Frage, schadet es nur sich selbst.“
Durch besonders eifriges Trommeln für den Einsatz ist – neben vielen anderen Medien – auch etwa der „Tagesspiegel“ aufgefallen:
„Eine reine Beobachtungsmission der Bundesmarine reicht allerdings nicht aus. Nicht für Deutschland, den Exportweltmeister. Irgendeine funktionsfähige Fregatte der Bundesmarine als Begleitschiff zur Abschreckung wird die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer doch wohl finden. Alles ist besser als keine Antwort. Die Europäer müssen es schon ernst meinen mit einem gemeinsamen Handeln. Und sie müssen bald ernst machen. Der Iran testet ihre Glaubwürdigkeit. Tag für Tag.“
Auch kleinere Medien wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ möchten da nicht zurückstehen:
„Wenn die EU außenpolitisch näher zusammenstehen will – auch, um sich von den USA zu emanzipieren – böte eine Marinemission am Golf dazu eine Gelegenheit. Soll sich die deutsche Marine daran beteiligen? Unbedingt.“
Erleben wir den „Golf von Tonkin des Jahres 2019“?
Eigentlich müsste nun die Stunde der engagierten Journalisten schlagen, die sich warnend der Eskalation entgegenstellen – zumal die bisher gegen den Iran vorgelegten „Beweise“ nicht ernstzunehmen sind, sondern eine Beleidigung der Intelligenz der Mediennutzer darstellen. Doch diese Stunde schlägt nicht, im Gegenteil, wie die „Leipziger Volkszeitung“ in diesem Artikel kritisch feststellt.
Zum aktuellen Medienversagen kommt erschwerend hinzu, dass die Mechanismen der Kriegsvorbereitung mittlerweile wohlbekannt sind – etwa von diesen historischen Beispielen: der “Überfall” auf den Sender Gleiwitz 1939, die “Angriffe” im Golf von Tonkin 1964, die “Brutkastenlüge” 1990 oder die Kampagne zu den “Massenvernichtungswaffen” 2003. Auch Jens Berger hat zur aktuellen Iran-Kampagne bereits die richtige Frage gestellt:
„Ist der Golf von Oman der Golf von Tonkin des Jahres 2019?“
Immerhin die Linksfraktion im Bundestag konnte sich zu einer klaren Position gegen die brandgefährlichen militärischen Planspiele durchringen. So erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion, Heike Hänsel:
„Die mögliche Entsendung einer EU-Militärmission in die Straße von Hormus wäre kein Beitrag zur Deeskalation in der Region, sondern im Gegenteil ein riskantes militärisches Abenteuer ohne völkerrechtliche Grundlage. Die Bundesregierung muss jeglichen Überlegungen, sich daran zu beteiligen, eine Absage erteilen.“
Titelbild: Photo Veterok / Shutterstock