Sie werden fast schon in die Nähe von potenziellen Spionen oder Sicherheitsrisiken gerückt: Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner, Ronald Pofalla, Matthias Platzeck und andere haben sich mit politischen Vertretern Russlands getroffen, um zerstörte Kommunikationswege wie den „Petersburger Dialog“ zu beleben. Was sehr zu begrüßen und im Interesse der hiesigen Bürger ist, wird von anti-russischen Meinungsmachern in Deutschland hart und unverantwortlich diffamiert. Umso höher sollte die Wertschätzung für das Vorhaben und den Mut der Beteiligten sein. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Ralf Stegner, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste; Ronald Pofalla, ehemaliger Chef des Bundeskanzleramts und Leiter des „Petersburger Dialogs”; Matthias Platzeck, ehemals brandenburgischer Ministerpräsident und SPD-Bundesvorsitzender sowie Vorstand des „Petersburger Dialogs”; Stephan Holthoff-Pförtner, CDU-Europaminister unter Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen, sowie Martin Hoffmann, langjähriger Geschäftsführer des „Petersburger Dialogs”, hatten sich bereits Mitte April in Aserbaidschan unter anderem mit dem früheren russischen Ministerpräsidenten Subkow getroffen, wie der Deutschlandfunk berichtet. Nun läuft über diese Zusammenkunft eine Debatte in Deutschland.
Mit allen darf man reden – nur nicht mir Russland
Als Reaktion auf das Bekanntwerden des Treffens wurden der Vorstoß selbst sowie die Beteiligten massiv kritisiert (siehe weiter unten im Artikel). Immerhin Ex-SPD-Fraktionschef Mützenich sprang Stegner zur Seite: Solche Gesprächsformate seien im diplomatischen Raum notwendig, sagte Mützenich im Deutschlandfunk. Forderungen aus der Opposition, Stegner müsse wegen der Kontakte zu russischen Vertretern seine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste beenden, wies Mützenich zurück.
Und das tut Mützenich meiner Meinung nach mit vollem Recht: Wer bereits den Versuch, Gespräche anzubahnen und Interessen auszugleichen, indirekt in die Nähe von Spionage oder Sicherheitsrisiko rückt, der führt nichts Gutes im Schilde. Absurd ist auch das moralische „Alleinstellungsmerkmal“, das Russland oft von deutschen Transatlantikern zugedacht wird: Mit den blutigsten Golf-Monarchien und mit moralisch-militärisch mit schwerer Schuld beladenen US-Demokraten – mit allen darf man reden, aber bei Russland hat gefälligst Schluss zu sein! Der Verweis auf US-Verbrechen rechtfertigt nicht im Gegenzug das Verhalten Russlands im Ukrainekrieg. Aber Gespräche mit US-Vertretern werden ja auch nicht kriminalisiert, auch nicht von meiner Seite: Gespräche müssen möglichst immer mit allen Seiten stattfinden. Wichtig: Es geht um den bestmöglichen Interessenausgleich zwischen bewaffneten Staaten und die Verhinderung von Kriegen – eine krass einseitige Moral ist da nicht hilfreich.
„Konspirative Zusammenkunft“, „klandestines Revival-Treffen”
Als eines der ersten Formate hatte „Kontraste“ in der ARD berichtet:
„Thema der konspirativen Zusammenkunft war offenbar die Zukunft des “Petersburger Dialogs”, jenes Gesprächsforums, das die Duzfreunde Gerhard Schröder und Wladimir Putin 2001 ins Leben gerufen hatten.
Man wollte damals Deutsche und Russen einander näherbringen – und auch Geschäfte machen. Angesichts des immer autoritärer gewordenen Russlands schon lange zur Farce verkommen, löste die deutsche Seite den “Petersburger Dialog” nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schließlich offiziell auf. Nun also das klandestine Revival-Treffen in Baku, nach Informationen von Zeit und Kontraste seit April 2024 bereits das dritte seiner Art.“
Stegner hat das Treffen in Aserbaidschan laut „Tagesschau“ verteidigt. Auch in schwierigen Zeiten sollten Gesprächskontakte „nach Russland aufrechterhalten werden”, teilte Stegner in einer Erklärung laut der Süddeutschen Zeitung mit. „Diese Gespräche können einen Beitrag dazu leisten, wechselseitig nützliche Kenntnisse und Einschätzungen über Verhältnisse, Haltungen und Entwicklungen zu befördern, die über das hinausgehen, was Presseberichterstattung oder Nachrichtendienste leisten”, heißt es laut Süddeutscher Zeitung in der Erklärung.
Solche Gesprächskontakte seien naturgemäß vertraulich, „aber keine Geheimverhandlungen, für die keiner von uns ein Mandat hätte und in die Regierungsstellen in keiner Weise involviert sind”. Politisch Verantwortliche hätten aber Kenntnis von diesen Gesprächskontakten gehabt, hieß es weiter. Nach SZ-Angaben war auch der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) über die Gesprächsbemühungen informiert.
Wenn aber die „Russland-Expertin“ der Stiftung Wissenschaft und Politik, Sabine Fischer, laut Medien meint, den Russen gehe es mit solchen Treffen vor allem darum, Einflusskanäle auf die deutsche Politik zu öffnen, dann ist zu betonen, dass dadurch Selbstverständlichkeiten zum Skandal erklärt werden. Die „Einflusskanäle“ gehen außerdem in beide Richtungen. Und: Warum sind in diesem Darstellungen immer die Deutschen die nützlichen Idioten? Vielleicht sind ja solche Treffen und daraus folgende Entspannungen zwischen den beiden Ländern ja auch manchmal nützlich für die Deutschen?
„Die neu aufgeflammte Moskau-Connection einstampfen“
Die Grünen sind erwartungsgemäß empört, laufen alle nicht feindlichen Kontakte zu Russland doch der gefährlichen Anti-Diplomatie zuwider, die im grünen Außenministerium in den letzten Jahren gepflegt wurde, Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner sagte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio, Teile in Union und SPD würden „ihre ganz eigene Schattendiplomatie (…) betreiben“. Merz und Klingbeil müssten „die neu aufgeflammte Moskau-Connection einstampfen, bevor sie uns wieder in eine fatale Abhängigkeit von Russland führt“. Die Vokabeln „Moskau-Connection“ und „Putin-Freund“ trafen kürzlich auch Politiker wie Michael Kretschmer (CDU), wie ich im Artikel Sanktionen: Wie die „Grünen-Connection“ gegen die Vernunft hetzt beschrieben habe.
Manche Politiker – ausgerechnet von Grünen und FDP – versuchen, Stegner nun in die Nähe eines potenziellen Sicherheitsrisikos zu rücken. Die FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte, Stegner dürfe nicht erneut eine Mitgliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags erhalten, das für die Geheimdienstkontrolle zuständig ist. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion Irene Mihalic sagte, Stegner handele „mindestens grob fahrlässig”. Der SPD-Politiker sitze seit vier Jahren im Parlamentarischen Kontrollgremium und werde regelmäßig von den deutschen Nachrichtendiensten über ihre Arbeit informiert. „Durch seine Zugänge zu höchst sensiblen Informationen ist er offensichtlich für den Kreml von größtem Interesse”, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Jemand, der durch sein Verhalten dazu beiträgt, darf diesem Gremium nicht weiter angehören.“
Zuzustimmen ist meiner Meinung nach den Aussagen, dass nicht jeder (noch aktive) Politiker außenpolitisch machen kann, was er will. Eine Abstimmung mit der jeweils amtierenden Regierung sollte meiner Meinung nach Voraussetzung für solche Vorstöße sein. In der aktuellen Debatte neige ich aber dazu, der Version von Stegner zu glauben. Ich schätze Stegner auch als erheblich vernünftigeren und integreren Politiker ein als Brantner (Grüne) oder Strack-Zimmermann (FDP). Außerdem sind solche Kontakte zu Russland, die den in den letzen Jahren aufgebauten Hass abbauen könnten, prinzipiell als nützlich und vernünftig zu betrachten. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass hier nicht russische Interessen dominieren, sondern mit Vernunft und auf Augenhöhe der beiderseitige Nutzen gefördert wird. Zu diesem Nutzen zählt auf „unserer“ Seite unter anderem preiswerte Energie, gebannte Kriegsgefahr und dadurch keine Notwendigkeit für absurde Steigerungen der Militärbudgets.
Leider ist inzwischen auch auf „sozialdemokratische“ Stimmen Verlass, wenn es darum geht, eine Überbrückung des deutsch-russischen Grabens zu beiderseitigem Vorteil zu verhindern: „Ein falsches Treffen zur falschen Zeit am falschen Ort”, schrieb der frühere Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), in einem Online-Dienst. Dass ausgerechnet Roth sich auch noch zum Vertreter der wahren „sozialdemokratischen Überzeugungen“ aufschwingt, ist dreist:
„Es widerspricht der Politik Deutschlands und Europas sowie sozialdemokratischen Überzeugungen. So schafft man keinen Frieden, sondern wertet die russischen Kriegstreiber auf.“
„Keine neuen Kreml-Netze“
Selbstverständlich haben auch zahlreiche etablierte Journalisten versucht, den vernünftigen Vorstoß und seine Beteiligten zu diffamieren. Beispielhaft soll hier ein Kommentar in der FAZ zitiert werden, in dem es nach der Eingangsfrage „Neue Moskau-Connection?“ heißt:
„SPD und CDU müssen aufpassen, dass aus den heimlichen Kontakten einzelner Politiker nach Russland keine neuen Kreml-Netze entstehen. Diese haben die deutsche Politik schon einmal unempfänglich für die Gefahr aus Russland gemacht.“
Über den „Petersburger Dialog”, dessen Wiederbelebung als vernünftige (ergebnisoffene) Gesprächsbasis bezeichnet werden kann, heißt es in verzerrender Weise:
„Aus einer Veranstaltung, die einst den Dialog der Zivilgesellschaften beider Länder fördern sollte, hatte der Kreml ein Vehikel gemacht, das seine Propaganda in die deutsche Öffentlichkeit transportierte. Dass er dabei Erfolge hatte, lag an führenden Mitgliedern in der deutschen Organisation, die dabei gerne mitspielten.“
Und weiter:
„Die beiden Regierungsparteien sollten aufpassen, dass aus solchen angeblich privaten Kontakte (wer soll das glauben?) keine neuen kremlfreundlichen Netze erwachsen.“
Vor allem das Beispiel der SPD zeige, wie „solche Lobbyarbeit im Hintergrund” vor dem Angriff auf die Ukraine 2022 dazu beigetragen habe, die deutsche Politik unempfindlich für „die Gefahr aus Russland” zu machen. Daher müsse sich nun vor allem Ralf Stegner, der als einziger aktiver Politiker in Baku war, harte Fragen gefallen lassen, so der FAZ-Kommentar.
„Pro-russisches Narrativ“, „Diktatfrieden“…
Da nun wieder so viel von „kremlfreundlichen Netzen“ und dubiosen „Moskau-Connections“ die Rede ist, und weil bereits jeder Kontakt kriminalisiert werden soll und dafür eine massive Umdeutung der Geschichte vorgenommen wird: Es muss immer wieder betont werden, wer und welche Handlungen Europa an diesen kritischen Punkt geführt haben, an dem wir nun stehen:
Der Ukraine-Krieg hätte verhindert werden können, wie kürzlich etwa im Artikel „Süddeutsche Zeitung“ und „taz“ in Not: In der Ukraine droht Frieden auszubrechen“ beschrieben wurde: „bei Verzicht auf die den Absprachen mit den Russen widersprechende NATO-Osterweiterung, den Maidan-Putsch, die extreme Aufrüstung der Ukraine, die antirussische Propaganda in Medien und Politik, den uns selbst schädigenden Wirtschaftskrieg und vieles mehr. Vor allem hätte es von offizieller und medialer westlicher Seite eine Verurteilung der Angriffe der Nazi-Bataillone gegen die Bürger des Donbass im Rahmen der von Kiew angeordneten „Anti-Terror-Aktion“ ab 2014 geben müssen – diese Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, auf die Russland in Teilen der Ostukraine dann schützend reagiert hat, sind als realer Beginn des Ukrainekriegs zu bezeichnen.“ Weiter heißt es:
„Die anschließende westliche „Erlaubnis“ für die Ukraine, den Friedensprozess von Minsk einfach zu ignorieren und das Land statt dessen massiv aufzurüsten, ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zu einem Krieg, der hier nicht verteidigt wird, der aber hätte verhindert werden können.
Die aggressive und absolut voraussehbar in den Ukraine-Krieg mündende Strategie der NATO rechtfertigt auf der anderen Seite aber nicht automatisch die Handlungen, die Russland während des Ukraine-Kriegs vollzogen hat. Ich kann nicht abschließend beurteilen, wie akut die Bedrohungslage im Februar 2022 aus Sicht Russlands tatsächlich war. Ich will die russische Invasion und die möglichen Gebietsverluste der Ukraine darum nicht verteidigen. Und: Das wichtige Anstreben einer gesamteuropäischen und Russland einschließenden Sicherheitsarchitektur bedeutet selbstverständlich nicht die Forderung nach einer Unterwerfung unter ein „russisches System“.“
Unbeirrt wird in der anti-russischen Meinungsmache trotzdem jede realistische(!) Perspektive für ein Ende des Ukraine-Kriegs als „pro-russisches Narrativ“ oder „Diktatfrieden“ diffamiert. Diese Stimmen können aber außer abwegigen Szenarien von einem Niederringen Russlands null Alternativen anbieten – wie viele Ukrainer sollen für dieses unrealistische Ziel noch geopfert werden? Andererseits sollte Russland meiner Meinung nach jetzt auf jede Möglichkeit, die zu einem schnellen Waffenstillstand führen kann, eingehen – auch wenn das eigene militärisch-strategische Nachteile bedeuten könnte: Oberstes Ziel sollte immer ein Ende der Kämpfe sein.
Ein bisschen Hoffnung?
Man sollte die deutsch-russischen Treffen nicht überbewerten, aber: Dass es noch möglich ist, dass einflussreiche Personen von beiden Seiten, wenn auch aus der zweiten Reihe, sich treffen und austauschen – das kann ein bisschen Hoffnung auf noch nicht vollends unter grüner Kriegstreiberei begrabene Restvernunft in der deutschen Politik machen.
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