Ulrike Guérot war jahrelang eine der angesehensten Politikwissenschaftlerinnen in Deutschland. Doch nachdem sie die Coronamaßnahmen und den Stellvertreterkrieg in der Ukraine kritisiert hatte, wurde sie wie eine Staatsfeindin behandelt. Der italienisch-britische Journalist Thomas Fazi präsentiert, anlässlich der nächsten Gerichtsverhandlung von Guérot am 16. Mai 2025 vor dem Landesarbeitsgericht Köln, einen persönlichen Blick auf die „Causa Guérot“ mit einigen brisanten neuen Einblicken zu den Hintergründen ihrer Verfolgung – aus dem Englischen übersetzt von Maike Gosch.
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Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel gibt Thomas Fazi einen Überblick über die Vorgeschichte und den Verlauf der „Causa Guérot“. Der Text erschien im englischen Original auf seinem Substack-Kanal und ist für ein internationales Publikum geschrieben, das mit der Angelegenheit und der Person Ulrike Guérot vielleicht noch nicht so vertraut ist. Die Ankündigung seines Textes stieß auf großes Interesse auf X – mit bisher über 128.000 Ansichten – und wurde von vielen prominenten englischsprachigen Aktivisten und Journalisten, wie der U.S.-amerikanischen Journalistin Kim Iversen, geteilt. Aber auch für die deutsche Leserschaft enthält Fazis Artikel nicht nur eine gute Übersicht über die Ereignisse, sondern bietet persönliche Beobachtungen und vor allem brisante neue Hinweise auf die Hintergründe der politischen Verfolgung und Diffamierung ihrer Person.
Viele Leserinnen und Leser haben vielleicht noch nie von Ulrike Guérot gehört – aber am Ende dieses Artikels werden sie sich fragen, wie das möglich ist, wo sie doch im Mittelpunkt eines der erstaunlichsten Fälle von politischer Verfolgung in Europa in der jüngsten Geschichte steht.
Noch vor wenigen Jahren wurde Guérot als eine der angesehensten Politikwissenschaftlerinnen Deutschlands – und Europas – und als führende Stimme zur europäischen Integration gefeiert. Wer die Debatte über die Zukunft der EU in den letzten zwei Jahrzehnten verfolgt hat, kam an Guérot und ihren Ideen zur „Europäischen Republik“ kaum vorbei. Als produktive Wissenschaftlerin und öffentliche Intellektuelle wurde sie oft eingeladen, um über verschiedene Aspekte der EU-Politik zu sprechen.
Ich traf Guérot zum ersten Mal im Jahr 2018 in Helsinki, wo wir vor Publikum eine leidenschaftliche Debatte über die Europäische Union führten. Wir waren uns zwar einig, dass die EU in ihrer jetzigen Form Mängel aufweist, doch bei der Lösung des Problems lagen unsere Positionen weit auseinander: Ich plädierte für die Auflösung der EU und die Rückkehr zu souveränen Nationalstaaten, während Guérot für eine radikale Demokratisierung der Union eintrat. Guérots Vision war inspirierend, aber sie passte auch genau in die lange Tradition des progressiven Europäismus – eine Perspektive, die insbesondere in akademischen Kreisen lange Zeit den Mainstream repräsentiert hat.
Tatsächlich war Guérot während eines Großteils ihrer Karriere fester Bestandteil des intellektuell-politischen Establishments in Deutschland (und Europa). In den Neunzigerjahren arbeitete sie zunächst unter der Schirmherrschaft von hochrangigen Politikern wie Karl Lamers, dem damaligen außenpolitischen Sprecher der CDU, und Jacques Delors, dem ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission.
Ab Anfang der 2000er-Jahre übernahm sie zunächst die Rolle der außenpolitischen Direktorin des German Marshall Fund und dann die des Direktors des European Council on Foreign Relations – zwei der wichtigsten transatlantischen Denkfabriken (think tanks) in Europa. Im Jahr 2013 war Guérot sogar Teil der offiziellen Delegation des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in Frankreich.
Mitte der 2010er-Jahre, als sie das European Democracy Lab mitbegründete, das der European School of Governance in Berlin angegliedert ist, hatte sich Guérot als eine der führenden Expertinnen für europäische Angelegenheiten etabliert. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel in deutschen und europäischen Zeitungen und trat häufig in Talkshows in ihrem Heimatland auf.
Nach unserer Begegnung in Helsinki tauschten Guérot und ich uns weiterhin von Zeit zu Zeit über Europa aus – bis die Corona-Pandemie zuschlug. Während ich mich bemühte, den Wahnsinn, der die Welt im Jahr 2020 erfasste, zu begreifen, stellte ich fest, dass ich mich von der europäischen (Des-)Integrationsdebatte, die meine Arbeit lange Zeit bestimmt hatte, innerlich entfernte.
Als linker Schriftsteller, der dem Covid-Regime sehr kritisch gegenüberstand, bedeutete diese Erfahrung zudem einen endgültigen Bruch mit der politischen Gemeinschaft, die ich einst als die meine betrachtet hatte. In der hyperpolarisierenden Atmosphäre der Pandemie wurden alle Gemeinsamkeiten, die ich noch mit der Mainstream-Linken teilte – und die den Dialog mit liberalen Progressiven wie Guérot ermöglicht hatten –, endgültig weggefegt. In der Tat muss ich, etwas verlegen, zugeben, dass ich einfach davon ausgegangen war, dass Guérot sich auf die Seite der Covid-Orthodoxie geschlagen hatte – wie praktisch alle ihre Kollegen im intellektuellen und akademischen Establishment.
Deshalb war ich, als sie mich vor zwei Jahren aus heiterem Himmel anrief, erstaunt über die Geschichte, die sie zu erzählen hatte, und etwas beschämt, dass diese völlig an mir vorbei gegangen war. Sie erzählte, wie sie, seit wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, zu einer der meistgeschmähten Persönlichkeiten Deutschlands geworden war – von ihrem Universitätsposten entlassen, in den Medien verleumdet, vom akademischen Establishment geächtet und sogar als Staatsfeindin bezeichnet. Ich war sprachlos. Wie konnte das einer der anerkanntesten Intellektuellen des Landes passieren?
Guérots „Sündenfall“ begann im Oktober 2020, als sie öffentlich die Pandemiemaßnahmen, das wachsende Klima der ideologischen Konformität und die damit einhergehende alarmierende Verengung der akzeptablen Meinung kritisierte – ein Kontext, in dem jeder, der die Corona-Politik in Frage stellte, schnell vom politischen und medialen Establishment angefeindet wurde.
Aus Guérots liberal-progressiver Perspektive vertrat sie – vielleicht etwas naiv – lediglich die Habermas’schen Prinzipien des offenen Diskurses: die Überzeugung, dass sich die öffentliche Meinung aus der Kraft des besseren Arguments bilden sollte. Anfangs war sie, wie sie es beschreibt, sich nicht einmal des Ausmaßes der autoritären „neuen Normalität“ bewusst, die durch die Pandemie eingeleitet wurde – oder, dass sie mit ihrer Infragestellung der Pandemiebeschränkungen und ihrer Warnung vor einem Abbau der Demokratie eine unsichtbare rote Linie überschritten hatte. Fast über Nacht wandelte sich ihre öffentliche Persona in den Augen der Institutionen, der Medien und großer Teile der Öffentlichkeit – von einer gefeierten Denkerin zu einer „problematischen Person“.
Nach ihren kritischen Kommentaren und Aufsätzen wurde Guérot zur Zielscheibe intensiver Medienaufmerksamkeit und Empörung in den sozialen Medien. In den Artikeln wurde nicht mehr auf ihre Argumente eingegangen, sondern sie wurde persönlich angegriffen, als „umstritten“ bezeichnet und als „Verschwörungstheoretikerin“ abgetan. Die Tatsache, dass ihre prinzipientreue Haltung sie bei den Gegnern der Lockdowns und anderer Corona-Maßnahmen, die im Sommer 2020 große Demonstrationen in Berlin und anderen Städten organisierten und die von den etablierten politischen Medien schnell als „rechtsextrem“ gebrandmarkt wurden, immer beliebter machte, verstärkte nur die feindseligen Reaktionen gegen sie. In den Augen vieler war Guérot jetzt eine „Rechtsextreme qua Kontaktschuld“ geworden.
Dennoch schien ihr akademisches Ansehen Anfang 2021 noch intakt zu sein. Im Frühjahr 2021 wurde sie von der renommierten Universität Bonn eingestellt – die Krönung ihrer jahrelangen akademischen Forschung zu europapolitischen Themen. Trotz der Kontroverse um ihre Haltung zu Corona wurde Guérot von ihren Kollegen an der Universität herzlich empfangen, die sich sichtlich freuten, eine so hochkarätige und versierte Persönlichkeit in ihren Reihen begrüßen zu dürfen.
In diesem Jahr, während der Weihnachtsferien, brachte Guérot ihre Kritik an der Coronapolitik zu Papier. Das Ergebnis war „Wer schweigt, stimmt zu“, das im März 2022 veröffentlicht wurde. Das Buch, das die Unverhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen der Regierung scharf kritisiert und eine dringende soziale und öffentliche Aufarbeitung fordert, war ein großer Erfolg. Es stand wochenlang auf der Bestsellerliste, und Guérot wurde mit Briefen und E-Mails von Menschen überhäuft, die ihr dafür dankten, dass sie einem großen Teil der deutschen Gesellschaft eine Stimme gegeben hatte, der im offiziellen öffentlichen Diskurs zum Schweigen gebracht oder verleumdet worden war.
Die akademische Welt hingegen wandte sich scharf gegen Guérot: Es ist eine Sache, Artikel zu schreiben oder Interviews zu geben – aber ein ganzes Buch zu veröffentlichen, noch dazu einen Bestseller, in dem sie diejenigen offen kritisiert, die, wie sie sagt, „bereit sind, die Demokratie einem Virus zu opfern und ihre Freiheit für vermeintliche Sicherheit aufs Spiel zu setzen“, ist etwas ganz anderes. Sie hatte eine weitere unsichtbare rote Linie überschritten. Prominente Akademiker griffen sie auf Twitter an. Die Einladungen zu Konferenzen wurden immer seltener. Selbst an ihrem noch relativ neuen Arbeitsplatz an der Universität Bonn begannen Studenten und Kollegen, sie zu meiden – oder aktiv gegen sie zu mobilisieren. Die Pandemie hatte eine wachsende Kluft zwischen der akademischen Welt und der breiten Öffentlichkeit aufgedeckt, und Guérot drohte in diese zu stürzen.
Kurz vor der Veröffentlichung des Buches war Russland in die Ukraine einmarschiert, was die öffentliche Debatte weiter vergiftet und militarisiert hatte. Das manichäische Denken und der moralische Absolutismus, die die Corona-Ära geprägt hatten, verstärkten sich noch weiter. Die Unterstützung der Ukraine wurde zu einem staatsbürgerlichen Lackmustest; Kritik an der Regierungspolitik wurde nicht mehr als „Bedrohung der öffentlichen Gesundheit“ angesehen, sondern grenzte nun an Hochverrat. Guérot befand sich wieder einmal im Zentrum all dieser Ereignisse.
In der ersten Jahreshälfte 2022 rief sie in einigen – immer seltener werdenden – Fernsehauftritten zu Frieden, Dialog und Diplomatie auf – und erntete in den Sendungen hysterische Reaktionen von den anderen Gästen, die alle kategorisch dem Kriegslager angehörten. Erneut sah sich Guérot im Fadenkreuz der Medien – und erneut in eine Rolle gedrängt, die sie sich nicht ausgesucht hatte, diesmal als sogenannte „Putin-Apologetin“. Dies löste eine weitere massive Welle von Angriffen gegen sie aus, auch von hochrangigen Politikern. Zunehmend richteten sich die Vorwürfe gegen Guérot in den sozialen Medien auch gegen die Universität Bonn – ein klarer Versuch, nicht nur sie, sondern auch ihren Arbeitgeber öffentlich zu blamieren und unter Druck zu setzen. Verschiedene Fakultäts- und Studentengruppen in Bonn gaben Erklärungen gegen Guérot ab.
Guérot ließ sich jedoch nicht entmutigen. Im Gegenteil, sie begann mit der Arbeit an einem Buch über den Russland-Ukraine-Krieg und war entschlossen, es so schnell wie möglich zu veröffentlichen. Im Sommer 2022 tauchten in den Medien die ersten Plagiatsvorwürfe auf. Obwohl sie für Schlagzeilen sorgten, handelte es sich dabei um relativ geringfügige Vorwürfe, die paraphrasiertes oder nur teilweise zitiertes Material in zwei Büchern von ihr betrafen. In einigen Fällen hatte sie die Fehler in späteren Ausgaben des Buches sogar eingeräumt. Die in den Artikeln beschriebenen Muster – verstreute Fußnoten, vage Quellenangaben und lose paraphrasierte Ideen – deuten schlimmstenfalls auf Versehen aufgrund von Zeitmangel hin, nicht auf Betrug.
Weitaus beunruhigender ist die Tatsache, dass einige deutsche Medien beträchtliche Ressourcen darauf verwendet haben, Guérots gesamtes Werk Zeile für Zeile einer forensischen Untersuchung zu unterziehen, in dem verzweifelten Versuch, jeden noch so kleinen Fehler oder jede noch so kleine Unstimmigkeit aufzudecken. Das war kein Journalismus mehr, dies ähnelte mehr und mehr einer organisierten Rufmordkampagne. In der Tat leitete die Universität Bonn fast sofort danach eine Untersuchung gegen Guérot wegen angeblichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens ein. In der Zwischenzeit geschahen merkwürdige Dinge, die darauf hindeuteten, dass hinter dieser Verleumdungskampagne etwas Größeres steckte – mehr als nur das Werk einiger weniger Journalisten mit einer persönlichen Agenda.
So wurde beispielsweise der erste Plagiatsvorwurf, der am 4. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, bereits am Abend des 3. Juni auf Guérots Wikipedia-Seite verlinkt. Entweder hat jemand sehr genau aufgepasst, oder dies war Teil einer konzertierten Kampagne zur Zerstörung von Guérots Ruf – an der möglicherweise Elemente innerhalb des Geheimdienst- und Sicherheitsapparats beteiligt waren, wie sie inzwischen vermutet.
Damals hätte Guérot selbst solche Behauptungen als paranoide Hirngespinste belächelt – bis sie, wie sie mir erzählte, Anfang August 2022 einen unerwarteten Anruf von einem alten Freund erhielt, der für den deutschen Auslandsgeheimdienst BND arbeitet. Er schlug ihr ein Treffen vor, wies sie aber an, ihr Telefon zu Hause zu lassen. Was er zu sagen hatte, klang wie aus einem Frederick-Forsyth-Roman. „Du musst vorsichtig sein, Ulrike“, sagte er ihr. „Man hat es auf dich abgesehen. Sie wollen dich zerstören.“ Er fuhr fort, dass die jüngsten Änderungen an ihrer Wikipedia-Seite zu einer Handvoll IP-Adressen zurückverfolgt werden konnten – die alle jenseits des Atlantiks, in Washington, liegen. Die Botschaft war unmissverständlich: Guérots Aktivismus hatte die Aufmerksamkeit hochrangiger Personen in NATO-Kreisen – in Deutschland und darüber hinaus – auf sich gezogen.
Zunächst war Guérot skeptisch. „Warum sollten so mächtige Institutionen so viel Angst vor jemandem wie mir haben?“, fragte sie. „Ich habe keine Macht, kein politisches Amt.“ „Du hast Charisma, Ulrike, die Leute bewundern und respektieren dich“, antwortete ihr Freund. „In Zeiten wie diesen ist das genau das, was die öffentliche Meinung beeinflussen kann.“ Guérot verließ das Treffen schockiert, doch ein Restzweifel blieb: Vielleicht hatte ihr Freund übertrieben. Schließlich ist es nur natürlich, dass Geheimdienstmitarbeiter hinter jeder Ecke eine Verschwörung vermuten. Die Ereignisse sollten jedoch bald ihre letzten Illusionen – oder Hoffnungen – vernichten.
Ende September, kurz nachdem sie das Manuskript für ihr Buch über den Russland-Ukraine-Krieg eingereicht hatte, wurde Guérots Einladung als Jurymitglied für den renommierten NDR-Sachbuchpreis – die am selben Morgen erst öffentlich bekannt gegeben worden war – innerhalb weniger Stunden abrupt widerrufen. Innerhalb weniger Tage wurde Ulrike Guérot von allen verbleibenden Vortragsterminen ausgeladen, darunter auch von seit Langem geplanten Vorträgen in Mailand, Brüssel und Wien. Offensichtlich war eine konzertierte Aktion im Gange, um Guérot aus dem öffentlichen Leben zu entfernen – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. In einem Fall teilte ein Angestellter eines österreichischen Wirtschaftsverbands – einer der Organisatoren der Veranstaltungen – Guérot unter vier Augen mit, dass die Absage „auf einen Anruf von höherer Stelle“ erfolgt sei, wie sie berichtet.
Guérot war nun gezwungen, sich mit der erschreckenden Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass ihr Freund die Wahrheit gesagt hatte. Ihre Feinde waren dabei, um sie herum verbrannte Erde zu schaffen. Sie wurde selbst ein wenig paranoid und fragte sich, ob diese plötzliche Welle von Absagen absichtlich auf die bevorstehende Veröffentlichung ihres neuen Buches abgestimmt war, das nur wenige Tage später in den Regalen stand. Das gemeinsam mit Hauke Ritz verfasste Buch „Endspiel Europa“ kontextualisiert den Ukraine-Krieg als Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland, der teilweise durch die Einmischung der USA in der Ukraine ausgelöst wurde. Diese Sichtweise wird heute zunehmend anerkannt, sogar von Donald Trump selbst – aber zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches war sie in Deutschland ein Anathema (und ist es größtenteils bis heute).
Wie schon bei ihrem Corona-Text löste die Veröffentlichung des Buches eine neue Welle öffentlicher Verunglimpfungen gegen Guérot aus – diesmal intensiver und aggressiver als alles, was sie bisher erlebt hatte. Mit ihrer Kritik an der NATO hatte Guérot wahrscheinlich die letzte rote Linie überschritten. Ihre eigene Universität distanzierte sich in einer öffentlichen Erklärung sowohl von Guérot als auch von ihrem Buch – allerdings, ohne sie namentlich zu nennen. Kurz darauf meldete Guérot sich krank: Zwei Jahre unerbittlicher Angriffe – fast 200 böswillige Artikel, die seit Ende 2021 gegen sie geschrieben worden waren – und der zunehmende psychologische Druck hatten ihren Tribut gefordert. Man könnte argumentieren, dass die Kampagne ihr Ziel erreicht hatte: Sie war emotional und psychisch gebrochen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch die meisten ihrer Freunde von ihr abgewandt. Und doch stand der letzte Akt des „Cancelns“ noch bevor.
Nur wenige Monate später, im Februar 2023, wurde Guérot mitgeteilt, dass sie wegen Plagiats von der Universität Bonn entlassen worden war – ohne Abmahnung und ohne die Möglichkeit, etwaiges Fehlverhalten zu korrigieren, wie es in solchen Fällen üblich ist. Es gab Voruntersuchungen, von denen sie wusste, aber aufgrund ihrer Krankschreibung konnte sie sich nicht angemessen gegen diese verteidigen. Die Entscheidung war beispiellos: Nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands war ein Professor oder eine Professorin allein wegen Plagiats entlassen worden. Noch absurder war die Art der angeblichen Verstöße – geringfügige Zitierfehler, verstreut über ein Dutzend Seiten, die etwa ein Prozent des Gesamtinhalts von Werken ausmachten, bei denen es sich nicht einmal um wissenschaftliche Abhandlungen handelte, sondern um polemische Essays für ein breites Publikum.
Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass es sich hierbei um eine politisch motivierte Entscheidung handelte, die nichts mit Guérots akademischen Qualifikationen oder ihrer wissenschaftlichen Integrität zu tun hatte. Ein Kommentator drückte es so aus:
„Wird hier nicht offensichtlich, dass die Vorwürfe, oftmals vorverurteilend als Plagiat bezeichnet und wenngleich sie in Teilen zutreffen, nur vorgeschoben sind? Tatsächlich soll eine Unbequeme bestraft werden – wohl auch in der Absicht, andere abzuschrecken.“
Dies wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Ombudsmann der Universität für mutmaßliche Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, Prof. Dr. Klaus F. Gärditz, ein Verfassungsrechtler, während der Pandemie ein lautstarker Befürworter der Regierungsmaßnahmen war – und somit eindeutig voreingenommen gegenüber Guérots Positionen sein könnte.
Es wäre jedoch irreführend, sich in dieser Geschichte auf eine einzelne Person zu konzentrieren, denn was Guérots Sturz so auffällig macht, ist die offensichtliche Koordination zwischen mehreren Akteuren – den Medien, der Universität und, wenn man ihrem Freund Glauben schenken darf, sogar Elementen des NATO-Geheimdienstapparats. Wenn man sich den Ablauf der Ereignisse ansieht, kommt man tatsächlich nicht umhin, sich zu fragen, ob der von den Medien aufgepeitschte „Plagiats-Skandal“ Teil einer umfassenderen Strategie war, um unter dem Deckmantel akademischen Fehlverhaltens den Boden für eine Entlassung zu bereiten.
Während ich dies schreibe, bin ich mir der Ironie sehr bewusst: Ich versuche, Guérots Sturz zu verstehen, indem ich mich auf etwas berufe, das manche als „Verschwörungstheorie“ bezeichnen würden, um jemanden zu verteidigen, dessen Ruf zerstört wurde, weil sie angeblich selbst solche Theorien verbreitet hat. Aber genau aus diesem Grund sind wir es ihr – und der intellektuellen Integrität – schuldig, den Beweisen zu folgen, wohin sie auch führen mögen, unabhängig davon, wie sie in Mainstream-Kreisen aufgenommen werden.
Und es gibt gute Gründe, zu glauben, dass es sich hierbei nicht nur um eine Hexenjagd handelte, sondern um einen Fall politischer Verfolgung – dass Guérot von mächtigen Kräften, darunter auch Elemente des deutschen Staates, ins Visier genommen wurde, weil sie eine einflussreiche öffentliche Intellektuelle war, die eine Bedrohung für den Status quo darstellte. Dafür musste sie nicht nur gecancelt, sondern vernichtet werden. Im Laufe von zwei Jahren wurde Guérot systematisch alles genommen, was sie sich über Jahrzehnte aufgebaut hatte: ihr Ruf, ihre Glaubwürdigkeit, ihre Freundschaften und schließlich ihre Stellung – zusammen mit ihrer Existenzgrundlage. Man könnte sogar argumentieren, dass ihre Strafe gerade deshalb so hart ausfiel, weil sie den größten Teil ihres Lebens Teil des Establishments gewesen war – und nun als Verräterin angesehen wurde, weil sie die ultimative Ketzerei begangen hatte: selbstständig zu denken.
Ihr Fall ist ein erschreckendes Zeugnis für die autoritäre Entwicklung der deutschen Gesellschaft und der westlichen Gesellschaften im Allgemeinen, in denen abweichende Meinungen nicht mehr diskutiert, sondern bestraft werden – sogar bis hin zur Verfolgung von Professoren mit Lebenszeitvertrag, die früher fast unantastbar waren. Diese Geschichte sollte alle verbleibenden Illusionen über den wahren Zustand der westlichen liberalen Demokratie zerstören. Letztendlich braucht man jedoch keinen Beweis für eine Verschwörung, um über Guérots Behandlung entsetzt zu sein. Wenn alle Beteiligten tatsächlich unabhängig voneinander gehandelt haben, ist das Bild vielleicht noch beunruhigender – das eines Establishments, das Dissens und Widerspruch so intolerant gegenübersteht, dass es instinktiv versucht, ihn im Keim zu ersticken, wo immer er auftaucht.
Tatsächlich hat eine aktuelle Studie einen starken Anstieg von Entlassungen von Professoren in Deutschland aufgezeigt, die Meinungen geäußert haben, die gegen den Mainstream gingen – oder, in den Worten der Autorinnen, wegen „ideologischer Insubordination“. Dies ist eine bemerkenswerte Veränderung im Vergleich zur früheren, fast unantastbaren Stellung von Professoren mit Festanstellung. Natürlich beschränkt sich das harte Durchgreifen nicht nur auf die akademische Welt – es ist Teil eines umfassenderen Musters von Stasi-ähnlicher Unterdrückung und Verfolgung, das sich in Deutschland etabliert hat. In den letzten Jahren wurden Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft – darunter Wissenschaftler, Ärzte, Anwälte, Richter, Beamte und normale Bürger – diffamiert, entlassen, mundtot gemacht oder sogar strafrechtlich verfolgt, weil sie abweichende Meinungen zu zwei der prägenden Krisen unserer Zeit geäußert haben: der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine.
Ärzte wie Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi, die schon früh Fragen zur Verhältnismäßigkeit und wissenschaftlichen Grundlage der Pandemiepolitik stellten, wurden öffentlich diffamiert und institutionellen (und teilweise auch rechtlichen) Repressionen ausgesetzt. Der Versicherungsmanager Andreas Schöfbeck verlor seinen Arbeitsplatz, nachdem er Daten veröffentlicht hatte, die das Sicherheitsprofil von Impfstoffen in Frage stellten. Künstlerinnen wie Lisa Fitz und Eva Herzig mussten aufgrund kritischer Äußerungen mit Absagen von Auftritten und Vertragsauflösungen rechnen. Die renommierte Journalistin Gabriele Krone-Schmalz und der investigative Reporter Patrick Baab wurden angegriffen und beruflich ausgegrenzt, weil sie diplomatische Lösungen für den Ukraine-Konflikt forderten.
Selbst Richter und Anwälte blieben nicht verschont. Christian Dettmar, Richter am Familiengericht, musste sich nach einer Entscheidung gegen Corona-Maßnahmen in Schulen vor Gericht verantworten. Schriftsteller wie C. J. Hopkins (über seinen Fall habe ich hier geschrieben), Künstler wie Simon Rosenthal und politische Aktivisten wie Michael Ballweg – Gründer der Anti-Lockdown-Bewegung „Querdenken“ – wurden ebenfalls unter Vorwänden, die zunehmend politisch motiviert wirken, strafrechtlich verfolgt oder inhaftiert.
Dieses Muster der Unterdrückung zeigt kaum Anzeichen nachzulassen. Unter der Führung von Friedrich Merz dürfte es sich sogar noch verschärfen. Der neue deutsche Bundeskanzler, der für seinen entschiedenen Atlantizismus und seine aggressive Haltung gegenüber Russland bekannt ist, macht keinen Hehl aus seinem Wunsch, Deutschland als führende Militärmacht innerhalb der NATO zu positionieren. Seine Rhetorik deutet auf eine Hinwendung zu einer noch konfrontativeren Außenpolitik hin – einer Politik, die nicht nur militärische Aufrüstung, sondern auch eine ideologische Angleichung im eigenen Land fordert. In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, dass abweichende Meinungen zunehmend als Bedrohung für die nationale Sicherheit dargestellt werden.
Die Geschichte von Guérot – und anderen zeitgenössischen Dissidenten wie sie – ist jedoch nicht nur eine Geschichte der Unterdrückung. Es ist auch eine Geschichte von Widerstand und Standhaftigkeit. Nach eigenen Angaben wurde sie in eine schwere Krise getrieben und stand kurz vor dem Zusammenbruch, doch sie fand die Kraft, sich zu wehren. Diese Kraft speiste sich auch aus der Welle der Unterstützung, die sie von der sogenannten neuen deutschen Widerstandsbewegung erhielt: Millionen Menschen im ganzen Land, die etablierte Parteien ablehnen und sich für „populistische“ Alternativen wie die AfD und das BSW entscheiden. Tatsächlich führt Guérot derzeit ein Gerichtsverfahren gegen ihre Kündigung.
Die nächste Verhandlung ist für den 16. Mai 2025 vor dem Landesarbeitsgericht Köln angesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Richter endlich anerkennen, was längst offensichtlich ist: dass Guérots Entlassung politisch motiviert und ohne rechtmäßige Grundlage war. Ein Urteil zu ihren Gunsten würde nicht nur etwas Gerechtigkeit wiederherstellen für alles, was sie durchgemacht hat, sondern auch ein wichtiges Signal dafür senden, dass es in Deutschland noch eine unabhängige Justiz gibt und dass die demokratischen Grundlagen des Landes noch nicht vollständig ausgehöhlt sind.
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