Der frühere Leiter der UN-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung zeigt die tatsächlichen Verhältnisse im internationalen Drogenhandel auf. Das venezolanische „Cártel de los Soles” ist demnach so legendär wie das Monster von Loch Ness, dient aber den USA dazu, Sanktionen, Embargos und Drohungen mit militärischen Interventionen gegen ein Land zu rechtfertigen, das zufällig über einige der größten Ölreserven der Welt verfügt. Von Pino Arlacchi.
Während meiner Amtszeit als Direktor des UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime), der UN-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung, war ich in Kolumbien, Bolivien, Peru und Brasilien, aber ich habe nie Venezuela besucht. Es war einfach nicht notwendig. Die Zusammenarbeit der venezolanischen Regierung im Kampf gegen den Drogenhandel war eine der besten in Südamerika; sie ist nur mit der tadellosen Bilanz Kubas vergleichbar. Diese Tatsache klingt angesichts Donald Trumps wahnwitziger Darstellung Venezuelas als „Drogenstaat” wie eine geopolitisch motivierte Verleumdung.
Die Daten, die im Weltdrogenbericht 2025 der Organisation veröffentlicht wurden, die zu leiten ich die Ehre hatte, erzählen jedoch eine ganz andere Geschichte als die, die die Trump-Regierung verbreitet.
Eine Geschichte, die Stück für Stück das geopolitische Konstrukt rund um das „Cártel de los Soles”[*] demontiert, eine Organisation, die so legendär ist wie das Monster von Loch Ness, aber dazu dient, Sanktionen, Embargos und Drohungen mit militärischen Interventionen[**] gegen ein Land zu rechtfertigen, das zufällig über einige der größten Ölreserven der Welt verfügt.
Venezuela laut UNODC: Ein irrelevantes Land auf der Karte des Drogenhandels
Der Bericht 2025 des UNODC ist eindeutig, was diejenigen beschämen sollte, die die Rhetorik der Dämonisierung Venezuelas aufgebaut haben. Der Bericht erwähnt Venezuela nur am Rande und kurz und stellt fest, dass nur ein minimaler Teil der kolumbianischen Drogenproduktion auf dem Weg in die USA und nach Europa durch das Land transportiert wird.
Venezuela hat sich laut UNO als Gebiet behauptet, das frei von Anbau von Kokablättern, Marihuana und ähnlichen Produkten sowie von der Präsenz internationaler krimineller Kartelle ist. Das Dokument hat damit lediglich die 30 vorangegangenen Jahresberichte bestätigt, die nicht vom venezolanischen Drogenhandel sprechen, weil es ihn nicht gibt. Nur fünf Prozent der kolumbianischen Drogen werden über Venezuela transportiert.
Um diese Zahl in die richtige Perspektive zu rücken: Im Jahr 2018 wurden 210 Tonnen Kokain durch Venezuela transportiert, während Kolumbien 2.370 Tonnen – zehnmal so viel – und Guatemala 1.400 Tonnen produzierten oder verkauften. Ja, Sie haben richtig gelesen: Guatemala ist ein siebenmal wichtigerer Drogenkorridor als der angeblich so gefürchtete bolivarische „Drogenstaat”. Aber niemand spricht darüber, weil Guatemala nur 0,01 Prozent der weltweiten Gesamtmenge der einzigen nicht-natürlichen Droge produziert, die Trump interessiert: Erdöl.
Das fantastische Cártel de los Soles: Eine Fiktion à la Hollywood
Das „Cártel de los Soles” ist eine Schöpfung der Fantasie Trumps. Es soll vom venezolanischen Präsidenten angeführt werden, wird aber weder im Bericht der weltweit führenden Anti-Drogen-Behörde noch in den Dokumenten einer europäischen Behörde oder fast keiner anderen Anti-Kriminalitäts-Behörde weltweit erwähnt. Nicht einmal in einer Fußnote.
Ein ohrenbetäubendes Schweigen, das jeden zum Nachdenken anregen sollte, der noch ein Minimum an kritischem Denken besitzt. Wie kann eine so mächtige kriminelle Organisation, die eine Belohnung von 50 Millionen Dollar wert ist, von denjenigen, die im Bereich der Drogenbekämpfung arbeiten, völlig ignoriert werden?
Mit anderen Worten: Was als Super-Kartell im besten Netflix-Stil verkauft wird, ist in Wirklichkeit die Art von Kleinkriminalität, die in allen Ländern der Welt zu finden ist, einschließlich den USA, wo außerdem jedes Jahr fast 100.000 Menschen an einer Überdosis Opioiden sterben, die nichts mit Venezuela zu tun haben, sondern mit den großen US-Pharmakonzernen.
Ecuador: Das wahre Zentrum, das niemand sehen will
Während Washington das Thema Venezuela hochspielt, florieren die wahren Zentren des Drogenhandels fast ungestört. In Ecuador beispielsweise kommen 57 Prozent der aus Guayaquil abgehenden Bananen-Container mit Kokain beladen in Belgien an.
Die europäischen Behörden beschlagnahmten 13 Tonnen Kokain von einem spanischen Schiff, das aus ecuadorianischen Häfen kam, die von Unternehmen kontrolliert werden, die wiederum von ecuadorianischen Regierungsbeamten geschützt werden.
Die EU erstellte einen detaillierten Bericht über die Häfen von Guayaquil, in dem beschrieben wird, wie „kolumbianische, mexikanische und albanische Mafiagruppen in Ecuador in großem Umfang operieren”.
Die Mordrate in diesem Land ist von 7,8 pro 100.000 ihrer Bewohner im Jahr 2020 auf 45,7 im Jahr 2023 gestiegen. Aber darüber wird wenig gesprochen. Vielleicht, weil Ecuador nur 0,5 Prozent des weltweiten Erdöls produziert und weil seine Regierung nicht die schlechte Angewohnheit hat, die Vorherrschaft der USA in Lateinamerika herauszufordern?
Die tatsächlichen Drogenrouten: Geografie versus Propaganda
Während meiner Zeit beim UNODC habe ich vor allem eines gelernt: Die Geografie lügt nicht. Die Drogenrouten folgen einer präzisen Logik: Nähe zu den Produktionszentren, einfache Transportmöglichkeiten, Korruption der lokalen Behörden und das Vorhandensein etablierter krimineller Netzwerke. Venezuela erfüllt keines dieser Kriterien. Kolumbien produziert mehr als 70 Prozent des weltweiten Kokains. Peru und Bolivien machen den größten Teil der restlichen 30 Prozent aus. Die logischen Routen zu den Märkten in den USA und Europa führen über den Pazifik via Asien, über die östliche Karibik nach Europa und auf dem Landweg über Mittelamerika in die Vereinigten Staaten. Venezuela, das an den Südatlantik grenzt, ist für alle drei Hauptrouten geografisch benachteiligt. Die kriminelle Logistik macht Venezuela zu einem irrelevanten Faktor auf der großen Bühne des internationalen Drogenhandels.
Kuba: das ruhmlose Beispiel
Die Geografie lügt zwar nicht, aber die Politik kann sie aushebeln. Kuba ist auch heute noch das Vorbild für die Zusammenarbeit im Kampf gegen Drogen in der Karibik. Eine Insel vor der Küste Floridas, theoretisch ein perfekter Stützpunkt für den Transit in die USA, der in der Praxis jedoch nicht für den Drogenhandel genutzt wird.
Ich habe wiederholt die Bewunderung der Agenten der US-Drogenbehörde DEA des FBI für die strenge Anti-Drogen-Politik der kubanischen Kommunisten beobachtet. Das chavistische Venezuela hat sich im Kampf gegen Drogen stets an das kubanische Modell gehalten, das von Fidel Castro selbst eingeführt wurde: „Internationale Zusammenarbeit, territoriale Kontrolle und Bekämpfung krimineller Aktivitäten”. Weder Venezuela noch Kuba hatten jemals Landstriche, auf denen Kokain angebaut wurde und die von Kriminellen kontrolliert wurden.
Die Europäische Union hat keine besonderen Ölinteressen in Venezuela, aber sie hat ein konkretes Interesse daran, den Drogenhandel zu bekämpfen, der ihre Städte betrifft. Sie hat den Europäischen Drogenbericht 2025 erstellt.
Das Dokument, das auf realen Daten und nicht auf geopolitischen Hirngespinsten basiert, erwähnt Venezuela nicht ein einziges Mal als Route für den internationalen Drogenhandel. Das ist der Unterschied zwischen einer ehrlichen Analyse und einer falschen und beleidigenden Darstellung. Europa braucht zuverlässige Daten, um seine Bürger vor Drogen zu schützen, und erstellt daher präzise Berichte. Die USA müssen ihre Ölpolitik rechtfertigen und produzieren daher Propaganda, die als Geheimdienstinformationen getarnt ist.
Laut dem EU-Bericht ist Kokain die am zweithäufigsten konsumierte Droge in den 27 EU-Ländern, aber die Hauptquellen sind klar identifiziert: Kolumbien für die Produktion, Mittelamerika für den Vertrieb und Westafrika mit verschiedenen Vertriebswegen. Venezuela und Kuba tauchen einfach nicht auf. Aber Venezuela wird systematisch und entgegen jedem Grundsatz der Wahrheit dämonisiert.
Der ehemalige FBI-Direktor James Comey gab in seinen Memoiren nach seinem Rücktritt die Erklärung dafür. Er schildert die unausgesprochenen Motive hinter der US-Politik gegenüber Venezuela: Trump hatte ihm gesagt, dass die Regierung von Nicolás Maduro „eine Regierung ist, die auf einem Berg von Öl sitzt, das wir kaufen müssen“. Es geht also nicht um Drogen, Kriminalität oder nationale Sicherheit. Es geht um Öl und es wäre besser, dafür nichts zu bezahlen.
Es ist also Donald Trump, der ein internationales Kopfgeld für ein ganz bestimmtes Verbrechen verdienen würde: „Systematische Verleumdungen eines souveränen Staates mit dem Ziel, sich dessen Ölressourcen anzueignen”.
Dieser Beitrag wurde am 27. August 2025 in italienischer Sprache in L’AntiDiplomatico veröffentlicht und vom venezolanischen Rechercheportal Misión Verdad übernommen. Aus dem Spanischen übersetzt von Marta Andujo.
Über den Autor: Pino Arlacchi, italienischer Soziologe und Politiker, leitete von 1997 bis 2002 das Internationale Drogenkontrollprogramm der UNO. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des Europäischen Parlaments.
Titelbild: Shutterstock / MillaF
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[«*] Die USA beschuldigen die venezolanische Regierung, ein Drogenkartell namens Cártel de los Soles zu betreiben. Auf Präsident Nicolás Maduro wurde ein Kopfgeld von 50 Millionen US-Dollar ausgesetzt, weil er Chef dieses Kartells sein soll.
[«**] Washington hat in den letzten zwei Wochen sieben Kriegsschiffe und ein Atom-U-Boot vor Venezuelas Küste in Stellung gebracht. Die US-Regierung begründet den Einsatz mit der Bekämpfung von Drogenkartellen