Lesung mit Steimle: Eine Zensur findet nicht statt – doch, und Ausgrenzung gleich dazu

Lesung mit Steimle: Eine Zensur findet nicht statt – doch, und Ausgrenzung gleich dazu

Lesung mit Steimle: Eine Zensur findet nicht statt – doch, und Ausgrenzung gleich dazu

Ein Artikel von Frank Blenz

Ein weiterer Vorgang von Cancel Culture wird gerade in der deutschen Öffentlichkeit behandelt. Was bei medialen Quellen wie dem öffentlich-rechtlichen Sender MDR auffällt, ist, dass der Betroffene des in Angriff genommenen Ausgrenzungsversuchs, hier der Dresdner Kabarettist Uwe Steimle, unter dem Deckmantel seriös scheinender „Berichterstattung“ weiter ungeschützt im offenen Kreuzfeuer gehalten wird, auf dass irgendetwas schon bei diesem Künstler hängenbleiben muss. Immerhin: Die betreffende Lesung mit Steimle kann nun doch stattfinden, im Rathaus wurde die Kulturbürgermeisterin in der Raum-Frage am Dienstag überstimmt. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Unwidersprochen wird in der Berichterstattung weitergegeben, dass eine Lesung bei einer Teilnahme Uwe Steimles Schaden für die Stadt Dresden einbrächte und der Künstler aufgrund seiner Gesinnung der Verursacher sei. Der MDR schiebt schließlich einen Schriftsteller für die Diskreditierung Steimles vor – und ist doch nicht aus dem Schneider.

Ein undemokratischer, feiger Vorgang gegen die Meinungsfreiheit

Der Vorgang: Die im Dresdner Stadtparlament sitzenden Freien Wähler wollen am heutigen 9. November eine Lesung veranstalten, bei der ein waschechter Dresdner, der Kabarettist Uwe Steimle, mit weiteren Persönlichkeiten (Arnold Vaatz, CDU, der Grünen-Politikerin Antje Hermenau) im Dresdner Stadtmuseum aus dem Buch „LTI“ des jüdischen Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer liest. Doch dieses Vorhaben stieß und stößt auf Widerstand, der Reclam Verlag wollte die Lesung verhindern. Inzwischen zog man das Verbot zurück und genehmigte die Lesung am Montag doch. Ein weiterer Akteur in dem traurigen Schauspiel, die Stadt Dresden, bleibt stur und sich moralisch auf der besseren Seite meinend: Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) untersagt als Hausherrin die Lesung im kommunalen Stadtmuseum.

Nun kommen unsere Leitmedien dazu, hier der MDR, der ein Glanzstück der Unterstützung die Zivilgesellschaft zerstörender Cancel-Culture-Aktivität liefert und so „berichtet“.

Der MDR hat auf seiner Seite Aussagen eines Schreibens der Bürgermeisterin veröffentlicht:

In dem Schreiben der Kulturbürgermeisterin heißt es zur Begründung, man wolle einen ‚drohenden Imageschaden für die Landeshauptstadt Dresden hinsichtlich der personellen Besetzung des Podiums‘ abwenden. Bei Teilen des Podiums sei davon auszugehen gewesen, ‚dass diese nach diversen Auftritten im rechten politischen Spektrum mit einer Lesung von Klemperer-Texten – einem während der NS-Diktatur verfolgten Dresdner Juden – öffentlich als Verunglimpfung von Holocaustopfern wahrgenommen werden könnte.‘

Die Reaktion auf das Verbot und den politisch brisanten Inhalt, der geradezu eine beleidigende Verurteilung der Vorleser darstellt („Besetzung des Podiums“), wird vom MDR so wiedergegeben:

Gegen die Entscheidung der Kulturbürgermeisterin protestieren nun wiederum die Freien Wähler. Susanne Dagen, Stadträtin der Fraktion, sagte MDR KULTUR, dass die Äußerungen von Klepsch ihrer Auffassung nach strafrechtlich relevant seien. „Wir haben sie dafür angezeigt“, so Dagen.

Und der MDR? Macht bei dem Spiel gegen Steimle und der Demontage der Meinungsfreiheit mit

Der MDR transportiert schließlich eine moralische Überlegenheit gegenüber Uwe Steimle, ohne dass dieser zu Wort kommt. Abgestempelt ist eben abgestempelt, nicht wahr?

Victor Klemperers ‚LTI‘ analysiert die Sprache des Nationalsozialismus und entlarvt die Sprach-Manipulation während der Hitler-Herrschaft. Der in Karl-Marx-Stadt geborene Schriftsteller Jan Kuhlbrodt betonte im Gespräch mit MDR KULTUR die Aktualität des Werkes. Eine Kritik am Sprachgebrauch sei nach wie vor angebracht. Ein Verbot der von den Freien Wählern geplanten Klemperer-Lesung befürwortete er aber nicht: ‚Ich denke, das Buch ist stärker als Steimle‘, so Kuhlbrod. Man solle dem Werk von Klemperer vertrauen.“

Aha. Man soll also dem Klemperer vertrauen, weil das Buch stärker als Steimle sei? Wie sollte das Schwächersein von Uwe Steimle bei der dann vielleicht doch stattfindenden Lesung aussehen? Steimle stotternd, Steimle mit breitem Dresdner Dialekt schwadronierend? Die Zuhörer werden ihre Schlüsse ziehen und der MDR aktuell davon berichten, wie der einstige MDR-Star Steimle doch so weit herunter- und vom rechten, Pardon, richtigen Weg abgekommen sei?

Der MDR und all die anderen auf Krawall gebürsteten und erneut besorgten Akteure dieses Schmierenstücks, welches lediglich und schlimmerweise einen weiteren der zahlreichen Skandale im öffentlichen gesellschaftlichen Leben unserer Bundesrepublik darstellt, erfüllt seine vom Rundfunkstaatsvertrag erteilten Pflichten nicht.

Man lese auch den Artikel 5 des Grundgesetzes: Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Bei der Lektüre der veröffentlichten (!) Informationen und dem Vermissen von weiteren Informationen, eben Worte von Uwe Steimle, Worte der Veranstalter, die Steimle einluden und sich etwas dachten, den Kabarettisten lesen zu lassen, spüre ich die Zensur, die latente, die Feigheit, die Arroganz.

Vor Uwe Steimle geschah gerade dies: NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger schrieb kürzlich in einem Beitrag:

„‚In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit! Jeder darf sagen, was er will! Cancel Culture gibt es nicht, dies ist ein Kampfbegriff der Rechten!’ Diese Sprüche sind vor allem in der Berliner Blase sehr populär. Wie falsch sie sind, zeigt das Schicksal des Bestsellerautors und Talkshowphilosophen Richard David Precht.“

Nein den Ausgrenzern, Nein den Anmaßenden, moralische Instanz zu sein

Unsere Demokratie, unser Grundgesetz, wir Bürger werden beschädigt. So, wie es Steimle und Precht ergeht, ergeht es weiteren Personen der Öffentlichkeit. Absage, Freistellung, Entlassung, Ausgrenzung, Inkaufnahme, was bedeutet, dass Menschen in Gefahr geraten, ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren, weil brutal und rücksichtslos an ihrer gesellschaftlichen Anerkennung und Position gesägt wird, bis es kracht.

Den Ausgrenzern, den Verstehern, den Macht und Einfluss habenden Entscheidern im Dresdner Rathaus oder in der MDR-Sendezentrale sei gesagt: Wenn Uwe Steimle aus Victor Klemperers Buch „LTI – Notizbuch eines Philologen“ öffentlich liest, ist das ein selbstverständlicher Akt für unser Land, das ein Grundgesetz mit dem Artikel 5 besitzt. Es steht dabei und generell überhaupt nicht zur Debatte, welcher Gesinnung der Dresdner ist. Andersdenkend darf er sein, genauso denkend wie die Kulturbürgermeisterin oder die Redakteure des MDR auch. Das halten wir alle aus.

Ihn auszuladen, damit auszugrenzen, zu verurteilen und abzustempeln, steht der Bürgermeisterin und dem MDR nicht zu, denn das ist eine Abqualifizierung, aus der man schlussfolgern muss, dass Uwe Steimle im Gegensatz zur ehrenwerten Gesellschaft kein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr sei. Warum aber sollte das geschehen? Weil er genehme Bedingungen nicht erfüllt, womöglich unbequeme Gesinnungen hat und Worte sagt, die wem nicht passen? Tatsächlich ist es auch denen, denen Steimle nicht passt, gestattet, Steimle schlecht zu finden. Das ist Freiheit. All das ist von unserem Grundgesetz und unser aller Anspruch auf eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft gedeckt. Doch verbietet es sich, zu verbieten. Das ist die Aufgabe von Freiheit.

Die Lesung muss stattfinden

Die Lesung mit Steimle muss stattfinden, wenn nicht im Stadtmuseum, weil die Kulturbürgermeisterin sich ein Verbot anmaßt (und damit selbst Imageschaden anrichtet), dann eben an anderer Stelle. Auch mit, ja gerade mit Steimle wird die Veranstaltung würdig in die von der Stadt Dresden geplanten Veranstaltungen zum gemeinsamen Gedenken an den 85. Jahrestag der Pogrome von 1938 passen, wie es vom Reclam Verlag, der Klemperers Werk vertritt, gefordert wird.

Eine Frage stellt sich mir noch: Was Klemperer wohl gesagt hätte?

Victor Klemperer ist mir seit Kindheitstagen bekannt. Ich wuchs in den 1960er-/1970er-Jahren im vogtländischen Falkenstein auf – ein schöner, kleiner Ort im Göltzschtal, in dem im Jahr 1945 Klemperer und seine Frau auf der Flucht aus Dresden bei einem Apotheker namens Scherer Unterschlupf fanden. Diese spannende Geschichte Klemperers faszinierte und berührte mich als Kind, als Erwachsener bleibt mir das ebenso.

Ein wenig stolz war ich, als ich als Kind erfuhr, dass Falkensteiner so mutig waren, in der Nazizeit verfolgten Menschen zu helfen. Ich war auch sehr froh, dass seine Geschichte gut ausging, dass sich Zivilcourage selbst in gefährlichen Situationen lohnt. Und ja! Victor Klemperer überlebte. Er schrieb später das Buch, aus dem Uwe Steimle nun lesen soll. Ich lernte in der Schule, dass Klemperer Professor an der Technischen Universität Dresden war und später in Greifswald, Halle, Berlin lehrte. Klemperer ging sogar in die Politik, als Abgeordneter für die Fraktion „Kulturbund“ wirkte er in der Volkskammer der DDR.

Jetzt erlebe ich eine neue Episode, in der Victor Klemperer wieder eine Rolle spielt. Ich frage mich, was hätte er gesagt? Hätte er auch gesagt: Der Steimle, nein, lass‘ mal, der ist ungeeignet und schlecht, meine Texte zu lesen? Ich denke nicht. Würde Klemperer noch leben, er würde sicher den Kabarettisten Steimle kennen und über seinen Humor lachen, seinen Sinn für das Um-die-Ecke-Denken teilen und sicher auch manches nicht teilen. Das ist Demokratie und Meinungsfreiheit, offene Debatte halt.

Immerhin, wie eingangs gesagt: Die Lesung mit Steimle kann nun doch stattfinden, wie Medien berichten. Im Rathaus wurde die Kulturbürgermeisterin in der Raum-Frage am Dienstag überstimmt.

Titelbild: ANDRANIK HAKOBYAN / Shutterstock

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