Fall Julian Assange: Sieht Frau Baerbock noch immer „schwerwiegende Verstöße gegen Folterverbot“?

Fall Julian Assange: Sieht Frau Baerbock noch immer „schwerwiegende Verstöße gegen Folterverbot“?

Fall Julian Assange: Sieht Frau Baerbock noch immer „schwerwiegende Verstöße gegen Folterverbot“?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 20. Februar begann in London die wohl letzte Anhörung im Fall des seit fast fünf Jahren eingekerkerten Journalisten und WikiLeaks-Gründers Julian Assange. Ende 2021, kurz vor Amtsantritt als Außenministerin, forderte Annalena Baerbock öffentlich die „sofortige Freilassung von Julian Assange“ und begründete dies damals mit Verweis auf „schwerwiegende Verstöße gegen das Verbot von Folter, gegen das Recht auf ein faires Verfahren und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten“. Die NachDenkSeiten wollten auf der BPK vor diesem Hintergrund wissen, ob die Außenministerin weiterhin die damals von ihr angeführten schwerwiegenden Menschenrechtsverstöße gegen Assange gegeben sieht. Das Auswärtige Amt reagierte sichtlich genervt. Von Florian Warweg.

Hintergrund

„Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.“

So lautete die unmissverständliche Antwort von Annalena Baerbock, damals noch Kanzlerkandidatin der Grünen, am 14. September 2021 auf dem Portal Abgeordnetenwatch hinsichtlich der Frage, wie sie zum Fall Julian Assange steht. Zweieinhalb Jahre später scheint bei Annalena Baerbock von diesen Einschätzungen und Forderungen nichts mehr übriggeblieben zu sein:

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 21. Februar 2024 zum Thema Julian Assange

Frage Amin (ARD-Hauptstadtstudio)
Frau Deschauer, heute wird in Großbritannien die mögliche Auslieferung von Julian Assange verhandelt. Die Bundesaußenministerin hat sich zu einem früheren Zeitpunkt, als sie noch nicht Außenministerin war, sehr stark für die sofortige Freilassung von Herrn Assange eingesetzt. Was sagt sie heute zu dem Verfahren? Werden sie oder auch die Beauftragte für Menschenrechtspolitik, von der ich meine, auch noch nichts gehört zu haben, sich irgendwie zu Wort melden?

Deschauer (AA)
Vielen Dank für Ihre Frage. Sie nehmen Bezug auf ein laufendes Verfahren, das gerade seit gestern und heute vor dem High Court in London stattfindet und das wir als Bundesregierung wie aber natürlich auch die Außenministerin und die Menschenrechtsbeauftragte genau verfolgen. Die Menschenrechtsbeauftragte hat sich in der vergangenen Woche auf X dazu eingelassen. Darauf verweise ich einfach. Das können Sie vielleicht noch einmal nachlesen.

Inhaltlich kann ich die Position der Bundesregierung und der Außenministerin noch einmal darstellen. Sie hat sich auch in der Vergangenheit dazu geäußert. Es ist so, dass wir Diskrepanzen zwischen unserem Rechtsverständnis und dem Rechtsverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika sehen, was die Bedeutung von Pressefreiheit in diesem konkreten Fall angeht. Es gibt ein Bundesverfassungsgerichtsurteil – ich meine, aus dem Jahr 2007 -, das deutlich gemacht hat, dass bei Tatbeständen wie etwa Geheimnisverrat der Bedeutung der Pressefreiheit Rechnung getragen werden muss. Die unterschiedliche Rechtsposition in diesem sehr konkreten Fall bringt die Bundesregierung auch gegenüber den Ansprechpartnern – das heißt, den Ansprechpartnern in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich – sehr deutlich und sehr klar zum Ausdruck, in der Vergangenheit, aber auch in laufenden Gesprächen. Wir haben den Fortgang natürlich gestern beobachtet und beobachten ihn heute. Die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar in dieser Hinsicht.

Frage Jung
Frau Deschauer, sind denn Vertreter oder Vertreterinnen der Bundesregierung im Gerichtssaal vertreten? Das war ja in früheren Fällen schon einmal der Fall.

Herr Hebestreit, wie wirkt der Kanzler bei diesem Verfahren mit? Hat er den US-Präsidenten auf die Diskrepanzen, auf die Frau Deschauer gerade in Sachen Rechtsverständnis hingewiesen hat, denn bei seinem Besuch im Weißen Haus vor ein paar Tagen hingewiesen?

Deschauer (AA)
Ich kann vielleicht auf die erste Frage antworten: Ja, ein Vertreter der Botschaft wird dabei sein.

Regierungssprecher Hebestreit
Das Thema Julian Assange hat beim Besuch des Bundeskanzlers im Weißen Haus vor knapp zwei Wochen keine Rolle gespielt.

Zusatzfrage Jung
Obwohl das so ein elementares Verfahren ist, obwohl dabei europäisches und US-amerikanisches Verständnis über Recht und Menschenrechte und Presserechte so weit auseinanderliegen, ist das ausgerechnet, wenn man im Weißen Haus ist, kein Thema?

Hebestreit
Nein. Der Bundeskanzler hat sich bei seinem Besuch beim amerikanischen Präsidenten auf die Lage in der Ukraine konzentriert, die militärische Unterstützung, die für die Ukraine nötig ist, und mit dem amerikanischen Präsidenten über verschiedene andere, sehr zentrale weltpolitische Fragen gesprochen. Ich glaube, man kann eine ganz lange Liste von Themen aufstellen, die wichtig sind und die man gerne miteinander besprechen würde, aber man muss da Prioritäten setzen, und das ist auch in diesem Fall geschehen.

Frage Warweg
Die Kollegin von der ARD hat ja schon darauf hingewiesen, dass Annalena Baerbock kurz vor Amtsantritt öffentlich die sofortige Freilassung von Julian Assange gefordert hat. Begründet hatte sie das damals, wenn ich kurz zitieren darf, „mit schwerwiegenden Verstößen gegen das Verbot von Folter und gegen das Recht auf ein faires Verfahren“. Da würde mich interessieren: Sieht denn die Außenministerin nach wie vor diese schweren Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein faires Verfahren im Falle von Julian Assange als gegeben an?

Deschauer (AA)
Ich glaube, ich habe eben sehr deutlich gemacht, was die Haltung der Bundesregierung und der Außenministerin ist und wie sie in ihren Gesprächen wirkt und sich einlässt. Detaillierter berichten wir nicht aus Gesprächen, die mit Partnern geführt werden; das wissen Sie auch. Es gibt ein divergierendes Rechtsverständnis. Aus gutem Grunde wären entsprechende Handlungen in unserem Rechtssystem nicht strafbewehrt, so nennt sich das. Diese Haltung hat sich nicht geändert, und die vertritt die Außenministerin klar, auch in entsprechenden Austauschen mit ihren britischen und amerikanischen Kollegen.

Vielleicht ergänzend, Herr Jung, weil Sie gerade eine Frage stellten, möchte ich noch eine Präzisierung anführen. Es ist so, aber dafür müssten Sie sich vielleicht im Detail an die britischen Behörden bzw. den High Court selbst wenden, dass es von der logistischen Organisation her so ist, dass aufgrund des großen Interesses natürlich nur ein begrenzter Anteil von Menschen direkt in dem Saal beiwohnen kann. Die Behörden stellen dann die Möglichkeit zur Verfügung, dass die gestern und heute stattfindenden Anhörungen für einen erweiterten Kreis in Nebensälen verfolgt werden können. Insofern eine Präzisierung, um das noch einmal präziser klarzustellen: Ja, wir sind über einen Kollegen der deutschen Botschaft vertreten.

Zusatzfrage Warweg
Frau Deschauer, ich hatte ja auch darauf verwiesen, dass Frau Baerbock damals von schwerwiegenden Verstößen gegen das Folterverbot gesprochen hat. Sieht die Außenministerin denn nach wie vor schwere Verstöße gegen das Folterverbot im Falle von Julian Assange als gegeben an?

Deschauer (AA)
Herr Warweg, ich kann Ihnen sagen, dass wir als Bundesregierung und Außenministerin keine Zweifel an einem in den Vereinigten Staaten jetzt laufenden rechtsstaatlichen Verfahren haben und im Moment keinen Anlass haben, diesen Zweifel zu äußern. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin, dass es eine inhaltlich unterschiedliche Bewertung in der Sachfrage gibt, habe ich klargemacht.

Frage Jessen
Unterstützt die Außenministerin die Forderung des australischen Parlaments, also aus Assanges Heimatland, Assange zu entlassen und nach Australien ausreisen zu lassen?

Deschauer (AA)
Die Außenministerin macht deutlich, dass aus gutem Grunde in unserem Rechtssystem die entsprechenden Handlungen nicht strafbewehrt wären, und kommuniziert das in aller Deutlichkeit gegenüber ihren Partnern in Gesprächen, und zwar den britischen und den amerikanischen Partnern.

Zusatzfrage Jessen
Das war eine deutliche Nichtbeantwortung der Frage, „sorry to say“. Es gibt offenbar – das wird jedenfalls berichtet – Aussagen der US-amerikanischen Regierung, dass Assange im Falle einer Verurteilung in den USA die Verbüßung der Strafe in Australien ermöglicht werde, und dann könne die australische Regierung ihn ja begnadigen. Das würde also sozusagen für Assange eine Freilassung innerhalb absehbarer Zeit bedeuten. Kennt die Außenministerin solche Zusagen bzw. fordert oder erwartet sie, dass die US-amerikanische Regierung die Zusage einer solchen Möglichkeit oder Absicht öffentlich macht?

Deschauer (AA)
Ich habe jetzt von dieser Stelle aus ein laufendes rechtsstaatliches Verfahren und entsprechende mögliche Entscheidungen, die wir sicherlich in den kommenden Tagen erfahren werden, nicht weiter zu kommentieren. Deswegen bitte ich um Verständnis. Die Position der Bundesregierung und der Außenministerin ist sehr klar. Die habe ich hier vorgetragen. Sie ist übrigens auch nicht anders, als wir sie in der Vergangenheit vorgetragen haben. Ich würde es dabei bewenden lassen.

Frage Warweg
Entschuldigen Sie, Frau Deschauer, ich habe es noch nicht ganz erfasst. Frau Baerbock sagte also im Herbst 2021, sie sehe schwerwiegende Verstöße gegen das Folterverbot und gegen ein Recht auf ein faires Verfahren. Wenn ich es jetzt richtig verstanden habe, sieht Frau Baerbock mittlerweile, Februar 2024, keine Verstöße mehr, weder gegen das Folterverbot noch gegen ein Recht auf ein faires Verfahren.

Deschauer (AA)
Ich habe auch darauf verwiesen, wie sich die Außenministerin geäußert hat. Insofern habe ich dem nichts mehr hinzuzufügen.

Zusatz Warweg
Das ist ja eine einfache Ja-Nein-Frage!

Deschauer (AA)
Ich habe Ihre Frage beantwortet, und im Übrigen beantworte ich die so, wie ich sie beantworten möchte, Herr Warweg.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.02.2024