Welche Alternativen gibt es zur Militarisierung der EU und der NATO?

Welche Alternativen gibt es zur Militarisierung der EU und der NATO?

Welche Alternativen gibt es zur Militarisierung der EU und der NATO?

Reiner Braun
Ein Artikel von Reiner Braun

Kriege scheinen – wenn man dem politischen Mainstream folgt, die logische Konsequenz einer „Politik mit anderen Mitteln“ zu sein, um den selbst definierten und selbst ernannten „Aggressor“ in die Schranken zu weisen. Dabei ist nicht nur der „Aggressor“ – sei es Russland, China, Iran oder wen immer der Westen in kolonialistischer Manier dazu erklärt – eine Erfindung, der die eigenen Hegemonialinteressen nur notdürftig tarnen kann. Auch die Aussage, es gibt zu dieser Politik keine Alternative, ist eine Lüge. Von Reiner Braun.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Prinzipielle Alternativen

Diese kann man mit folgenden Stichworten umschreiben:

  • Ablehnung und Abschaffung von Kriegen
  • Nein zu Militarisierung und wahnwitziger Aufrüstung
  • Entwicklung von Kriterien für alternative Sicherheitsstrukturen.

Das Konzept der gemeinsamen Sicherheit: 1982 und 2022

Die Kommission, die 1982 als „Unabhängige Kommission für Abrüstungs- und Sicherheitsfragen“ von Olof Palme auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges eingesetzt wurde, entwickelte das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit – die Idee, dass Nationen und Bevölkerungen sich nur sicher fühlen können, wenn sich auch ihr Gegenüber sicher fühlt. Die Palme-Kommission legte eine Reihe von „Grundsätzen“ fest – unter anderem, dass alle Nationen ein Recht auf Sicherheit haben, dass militärische Gewalt kein legitimes Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Nationen ist und dass Rüstungsreduzierungen und -begrenzungen für die gegenseitige Sicherheit notwendig sind.

Dieser Bericht wurde 2022, das heißt 40 Jahre später, fortgeschrieben durch den gemeinsamen Report „Common Security 2022 – For our shared Future“, herausgegeben vom Olof-Palme-Center in Stockholm, dem Internationalen Friedensbüro und dem Weltgewerkschaftsbund (ITUC).

Darin heißt es (in der deutschen Fassung vom 14. April 2022):

Es ist Zeit für eine Erneuerung des globalen Sicherheitssystems auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheitsprinzipien. Wir brauchen jetzt mehr denn je ein starkes und effizientes multilaterales System für Frieden und Sicherheit. Um das Ruder herumzureißen, müssen wir:

  • Die UN-Charta auf der Grundlage der Rechte und Pflichten von „uns, den Völkern“ bekräftigen.
  • Den Aufruf des UN-Generalsekretärs zu einem weltweiten Waffenstillstand als Ausgangspunkt für Friedensprozesse in verschiedenen Regionen der Welt wiederbeleben und umsetzen.
  • Das humanitäre Völkerrecht dringend stärken.
  • Stärkung des Vertrauens zwischen Staaten und Völkern, damit Länder mit unterschiedlichen Systemen, Kulturen, Religionen und Ideologien gemeinsam an globalen Herausforderungen arbeiten können.
  • Aufbau einer Weltordnung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Es gibt keine Entwicklung ohne Frieden und keinen Frieden ohne Entwicklung.
  • Gewährleistung einer integrativen Regierungsführung auf allen Ebenen der Gesellschaft, um die demokratischen Grundsätze und die Einbeziehung von Frauen, jungen Menschen und Minderheiten zu gewährleisten.“

Der Grundgedanke ist: Alle Staaten haben ein Recht auf Sicherheit, und diese Sicherheit ist nur miteinander und nicht gegeneinander möglich. Im Atomzeitalter kann der Krieg nicht länger ein Mittel der Politik, sondern nur noch ein Anlass zur Zerstörung von nie gekanntem Ausmaß sein. Ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit muss anstelle der bisherigen Abschreckung und Hochrüstung treten. Statt der Drohung der gegenseitigen Auslöschung sind Frieden und Sicherheit nur miteinander und nicht gegeneinander möglich. Alle Staaten haben ein legitimes Sicherheitsinteresse, das berücksichtigt werden muss. Dieser Bericht war und ist – ebenso wie seine Fortschreibung 2022, konservativ und revolutionär zugleich.

Konservativ ist dieses Konzept, weil es nicht die Veränderung von Systemen und Regierungskonstellationen voraussetzt, sondern diese als gegeben akzeptiert. Das heißt, eine Sicherheitsarchitektur muss mit denen entwickelt werden, die politische Macht und Regierungskompetenz haben. Ob die uns im einzelnen Fall gefallen oder nicht, darf hierbei keine Rolle spielen, das heißt ein „Regime Change“ darf keine Voraussetzung sein.

Revolutionär ist diese politische Konstruktion, weil damit Krieg als Institution überwunden werden kann und damit ein jahrhundertealter Traum der Menschheit, nämlich Krieg abzuschaffen, erreicht werden kann.

Diese Kerngedanken müssen sowohl regional wie auch global umgesetzt werden. Das heißt, dieses gilt sowohl für Europa als auch für alle anderen Regionen dieser Welt mit Konfliktpotenzial. Voraussetzung dafür ist aber ein politischer Wille, der aktuell nicht vorhanden ist.

Was heißt das für NATO und für die Europäische Union?

Die NATO ist zu einer Politik der gemeinsamen Sicherheit nicht kompatibel, das heißt diese muss überwunden bzw. aufgelöst werden, da ein inklusives Sicherheitssystem und Exklusivität sich ausschließen. Das erfordert eine grundsätzliche Neuorientierung, basierend auf einer Friedensarchitektur. Ob dieses nur mit einer Überwindung der Europäischen Union möglich ist, soll an dieser Stelle offenbleiben. Diese Frage stellt sich aber ohnehin aufgrund der sich vertiefenden sozialen Spaltungen und der Demokratiedefizite in der EU. In der Konsequenz hieße das zumindest eine grundlegende Neuorientierung, während für die NATO definitiv nur eine Beendigung in Betracht kommt.

Für Europa heißt das:

  • Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik, eine neue KSZE/OSCE 2.0, anknüpfend an Helsinki, aber mit einem viel stärkeren Focus auf Abrüstung, denn nur diese ist die Materialisierung der Entspannungspolitik. Dieses ist ein längerer Prozess, der mit ersten Schritten der Vertrauensbildung beginnen muss.
  • Eine neue Friedensarchitektur in Europa ist nur mit Russland denkbar und möglich, und zwar muss Russland in die Entwicklung dieser Friedensarchitektur vom ersten Augenblick an partnerschaftlich – unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller Seiten – einbezogen werden.
  • Was heißt das für uns als Friedensbewegte? Wir müssen zunächst intensiver darüber nachdenken, wie wir die Diskussion über gemeinsame Sicherheitspolitik und eine neue Friedensarchitektur gegen den Militarismus wieder stärker in die politische Diskussion bringen.

Historische Beispiele: Friedensdiplomatie von unten

Wir müssen wieder stärker darüber nachdenken, was in den 70er- und 80er-Jahren als Friedensdiplomatie von unten bezeichnet wurde.

Das heißt aktuell: Wie können wir als Friedens- und soziale Bewegungen unsere Kontakte nach Russland wieder intensivieren, denn ohne einen Friedensprozess mit Russland wird es keine europäische Friedensordnung und damit auch keine globale Friedensordnung geben. Dies muss unabhängig davon gesehen werden, ob uns Russland auf der Regierungsebene passt oder nicht.

Wir müssen deshalb darüber nachdenken, ob die Friedensbewegung dazu beitragen kann, dass Gewerkschaften, Kirchen, Sportvereine und Künstler ihre Beziehungen zu Russland, zu Menschen in Russland und Institutionen dort weiterentwickeln können. Im globalen Maßstab gilt das natürlich auch für die konfliktbeladene Zusammenarbeit mit China.

Vertrauensbildung durch die Politik

Wir haben im nächsten Jahr (2025) den 50. Jahrestag der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Eine große Jubiläumskonferenz könnte nun nicht mehr in Helsinki stattfinden, da Finnland inzwischen zu einem aggressiven NATO-Partner geworden ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir als Friedensbewegung auf dieses Datum orientieren, um den Gedanken der Politik der gemeinsamen Sicherheit zu reaktivieren. Eine solche Konferenz könnte entweder in Dublin oder in Wien stattfinden. Weitere Kriterien, woran sich alternative Sicherheitsstrukturen orientieren müssen, sind die Absage an Blockkonfrontation und die Verstetigung von Feindbildern.

Titelbild: Shutterstock / Alexandros Michailidis

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