Olympische Sommerspiele in Paris: Exzessiver Ausnahmezustand inklusive sozialer Säuberungen

Olympische Sommerspiele in Paris: Exzessiver Ausnahmezustand inklusive sozialer Säuberungen

Olympische Sommerspiele in Paris: Exzessiver Ausnahmezustand inklusive sozialer Säuberungen

Ein Artikel von Frank Blenz

Endlich, zur Freude der vielen begeisterten Sportfreunde und vor allem der Athleten: Das größte Sportereignis der Welt beginnt in wenigen Wochen. Die Olympischen Sommerspiele sowie die Paralympischen Spiele finden in der französischen Hauptstadt statt. Doch der Preis für all den Glanz und Gloria ist hoch, Paris verwandelt sich in eine nochmals überteuerte, überhitzte Stadt, hin zu einer exklusiven, zugangsbeschränkten Zone, militärisch und polizeilich aufgerüstet, zu einem total bewachten und überwachten Hochsicherheitsgebiet, massiv aufgeräumt und dazu als Krönung gar sozial gesäubert. Die Spiele werden damit – so das Kalkül der eifrigen Macher – offiziell überaus sicher und glanzvoll sein und unvergessliche Bilder in diese gerade kriegerische, unsichere Welt liefern. Die Schattenseiten von Paris, von all dem überzogenen Handeln der Organisatoren und der Regierung Frankreichs hingegen sollen möglichst im Dunkeln bleiben. Ob all das dem Gründervater der Olympiade Pierre de Coubertin gefallen hätte? Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Paris aufpolieren – mittels sozialer Säuberungen

Vor einem Jahr schien es für die politische Klasse in Paris, in Frankreich egal zu sein, ob und wie viele obdachlose, gestrandete, arme, hilfsbedürftige Menschen in der Metropole an der Seine, in der schönsten Stadt der Welt, der Liebe, der Lebensart und so weiter in Zelten und notdürftigen Behausungen unter Brücken, am Fluss, in Tunneln schlafen mussten. Ich besuchte wiederholt die Stadt und sah die Not neben dem ausufernden Wohlstand und der Leichtigkeit des Pariser Lebens. Es sei gesagt: Die Zahl der Armen, Obdachlosen und Migranten steigt seit Jahren. Die Anstrengungen, Mittel, Maßnahmen gegen Not, gegen Armut, für Integration und Teilhabe verringerten sich dagegen oder stagnieren, so mein Eindruck.

Dieses Jahr nun ist das alles anders, aber wie?! Die französische Regierung hat zum Beispiel im Frühjahr beschlossen, Obdachlose aus Paris in die Provinz umzusiedeln. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie werden als Bedrohung angesehen und als Störfaktor dagegen, der Weltöffentlichkeit während Olympia ein schönes Paris vorzugaukeln. Ich hörte im Radiosender MDR Kultur dazu passend einen Beitrag, der diese zynische, verlogene Praxis kritisiert:

Kultur International. Rausgeworfen fürs Postkartenidyll.

Seit Wochen gibt es fast täglich Meldungen, dass in Paris Zeltstädte und besetzte Häuser geräumt werden. In diesen informellen Siedlungen leben vor allem Obdachlose, Migranten, Menschen mit Suchtproblemen. Immer mehr von ihnen werden nun in Regionen außerhalb von Paris und der Ille de France gebracht … Aus Sicht der Behörden geht es darum, Paris zu entlasten und die Menschen in den Regionen besser zu versorgen. Organisationen wie das Kollektiv „Le Revers de la Medaille“ dagegen kritisieren wörtlich eine „soziale Säuberung“ vor den Olympischen Spielen.

(Freitag, 3. Mai, 16.40 Uhr, MDR-Kultur)

Hauptsache weg, also Einsteigen in den Bus …

Menschen werden also zum Sicherheitsrisiko erklärt. Die Lösung nach Art der Regierung lautet? Sie einfach mal aus der Stadt karren:

Vor dem Rathaus haben bis vor einigen Tagen rund 100 junge Männer aus Westafrika ausgeharrt. Sie waren nah an den Behörden, so ihr Ansinnen, um die lang ersehnten Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Doch dann mussten sie ihre Zelte zusammenpacken. Ein Bus sollte sie zu einem „Transitzentrum“ außerhalb der Stadt bringen.

Doch sie leisten Widerstand. Sie steigen nicht in den Bus.

Die meisten von ihnen werden sich wahrscheinlich weigern, in eine andere Stadt zu ziehen, weil sie dann die Möglichkeit verlieren, sich beim Gericht um Aufenthaltsgenehmigungen zu bemühen. Also nehmen sie ihre Sachen und gehen einfach an einen anderen Ort”, erzählte Antoine de Clerck, Koordinator von Le Revers de la Medaille.

(Quelle: Euronews)

Auch Erbauer von Olympischen Anlagen, die „Papierlosen“, werden gedemütigt

Man stelle sich vor, hochmoderne, prestigeträchtige Sportanlagen werden für sehr viel Geld errichtet, welches die Auftragnehmer – meist große Firmen – satt und gierig einstreichen. Nebenbei, wie mir mein Freund und Politologe Sebastian Chwala berichtete, streicht sich auch eine kleine Gruppe aus dem reichen Bürgertum viel Geld, konkret überhöhte Beratergelder ein. Die vielen Hauptarbeiten und unzähligen wichtigen Tätigkeiten werden hingegen von „Ehrenamtlichen“ geleistet.

Gespart wird auch anderswo. Die Arbeit vor Ort erledigen Menschen für sehr wenig Lohn, die zudem noch ohne bürgerliche Rechte sind. Alles geschieht ja für schöne, reiche Spiele, zum Gefallen des schönen, reichen Paris und seiner ausgewählten Gäste, könnte man meinen. Eine Reportage der taz erzählt vom Schicksal, vom Leid und vom Protest der „Papierlosen“, die sicher auch keine Tickets für Olympia bekommen:

Für die Olympischen Spiele im Sommer baut Paris neue Stadien.

Viele Migranten arbeiten dort ohne Papiere. Doch sie wollen raus aus der Illegalität.

Eigentlich sollte es ein Pressetermin im kleinen Kreis werden, kein großes Ding: Die Eröffnung der Adidas Arena, einer Art Mehrzweckhalle für Sport-Events und Konzerte, eigens für die Olympischen Spiele im Norden von Paris errichtet. „Guckt sie euch an, sie tragen Anzüge und Krawatten“, ruft ein junger Mann mit erhobenen Armen und deutet abwechselnd auf die Gäste am Eingang und das Gebäude. „Die können hier eine Besichtigung machen, aber wir, wir haben das hier aufgebaut!“ Wenige Meter neben ihm steht eine Gruppe von etwa 30 Menschen mit Bannern. „Keine Papiere? Keine Olympischen Spiele!“, skandieren sie. Ein Stück Papier, beziehungsweise ein Stück Plastik – darum geht es hier.

Papierlose“ nennen sich in Frankreich diejenigen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, denen also die entsprechenden Papiere fehlen.

(Quelle: taz)

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Olympias Glanz entsteht u.a. dank den Menschen, die als „nicht legal“ bezeichnet und derart gedemütigt werden, denen ein würdiger Status verweigert wird. Große Sportereignisse scheinen derlei Praxis zur Regel werden lassen, man erinnere sich an die Stadien zur letzten Fußball-WM in Katar … Damals konnten auch deutsche Offizielle nichts Schlechtes vor Ort erkennen.

Zugangsbeschränkungen Einheimische, zigtausende Uniformierte und mehr

Das olympische Paris wird im Sommer zu einem Hochsicherheitstrakt: strenge Kontrollen, Durchgangspunkte, geschlossene Metrostationen, Zuverlässigkeitsprüfungen für Bewohner und Gäste, abgesichert obendrein von zigtausenden Beamten. Anwohner des Spektakels müssen sich offiziell registrieren und einen QR-Code anfordern, wollen sie ihr Quartier und somit ihre Wohnung betreten. Die Seite Parisjetaime.com (Paris ich liebe Dich, Ironie aus) erweist sich als detailreiche Beschreibung eines dystopischen Zustandes, in welchen Paris versetzt werden wird. Die Innenstadt als Austragungsort von Sportevents wird nur zugänglich sein mit Ticket und QR-Code. Das alles geht ja ganz einfach, schließlich hat ja jeder Bürger heutzutage ein Smartphone … von den Ticketpreisen ganz zu schweigen. Selbst an der Marathonstrecke wird es für Passanten unmöglich sein, ganz ohne Ticket mal Wettkampfatmosphäre zu schnuppern.
(Quelle: Parisjetaime)

Diese Aufzählung der Sicherheitskräfte ist atemberaubend.

Die Sicherung des sportlichen Großereignisses stellt Frankreichs Sicherheitskräfte vor große Herausforderungen. Bis zu 45.000 französische Polizisten und Gendarmen sollen während der Olympischen Spiele täglich eingesetzt werden. Zudem sollen Regierungszahlen zufolge 18.000 Soldaten mobilisiert werden. Zusätzlich werden 18.000 bis 22.000 private Sicherheitskräfte im Einsatz sein. Die französische Polizei, die Gendarmerie und die Nachrichtendienste seien bereit, um die Sicherheit der Spiele zu gewährleisten, betonte Frankreichs Innenminister Gérard Darmanin jüngst. Frankreich sei, auch weil es universelle Werte vertrete, besonders bedroht, gerade während der Olympischen Spiele, sagte der Minister. Die Pariser Olympia-Organisatoren verweisen darauf, dass in Frankreich seit den schweren Anschlägen in Paris 2015 die terroristische Bedrohung systematisch bei der Konzeption von Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigt werde. Ab 2019 seien für Olympia mit den Behörden Sicherheitspläne unter Berücksichtigung dieser Bedrohung konzipiert worden. „Unser Land ist mit der Organisation von Veranstaltungen mit großer internationaler Tragweite vertraut. Es hat sich stets dieser Bedrohung gestellt, um selbst unter extrem schwierigen Umständen beispielhafte, festliche und sichere Veranstaltungen zu gewährleisten”, erklärte das Olympia-Organisationsteam.

(Quelle: Tagesschau)

Die Tagesschau liefert die Begründung für so viel personellen Aufwand gleich mit, es ist die terroristische Bedrohung. Und ein Minister darf äußern, dass diese Bedrohung deswegen bestünde, weil Frankreich für universelle Werte einstehe. Das sind Frankreichs Werte: Dessen Präsident redet über Truppeneinsätze im Osten des Kontinents, fordert noch mehr Waffenlieferungen und hält große, von führenden Medien bejubelte Aufrüstungsreden nicht vorm Volk, sondern vor Auserwählten an der Elite-Universität Sorbonne.
(Quelle: Deutschlandfunk)

Respekt und Daumendrücken den Sportlern, Gedanken über zweifelhafte Entwicklung

Gerade sah ich im Netz ein froh stimmendes Foto einer deutschen Leichtathletin. Sie posierte vor den Olympischen Ringen und verkündete in der Unterschrift glücklich und geschafft, dass sie sich für die Sommerspiele in Paris qualifizieren konnte. Ihr war wundervoll und für mich durchaus nachzuempfinden anzusehen, wie groß ihre Erleichterung sein musste: Nach all den Anstrengungen, nach all den unzähligen Trainingseinheiten, den Entbehrungen, nach all den Qualifizierungstortouren fährt sie tatsächlich nach Paris. Olympia – Teilnahme ist alles. An ihrem Beispiel zeigt sich, wie sehr Leistungssportler für ihren Sport leben und überaus viel geben. Olympia scheint für sie, sofern sie an der Spitze stehen, das höchste, finale Ziel zu sein. Ach ja, Olympia. Und dazu noch in Paris. Dieser Sehnsuchtsort ist dieses Jahr der Ort für die Sportler, der Ort einer wundervollen Idee eines Pierre de Coubertin. Die junge deutsche Sportlerin wird möglicherweise gar nicht wissen, auf welche Weise ihre Gastgeberstadt, ihr Paris auf diese Spiele vorbereitet, schick gemacht und die Spiele in einer überaus angespannten Zeit eines beispiellosen Ausnahmezustandes durchgeführt werden.

Was ist aus Olympia über all die Jahre geworden? Ein immer wieder heftig kritisiertes Monstrum. Und auch diesmal, 2024, wird es nicht besser. In Paris zeichnet sich erneut ein zweifelhaftes, gigantisches Ereignis ab, welches auf dem Rücken vieler Menschen ausgetragen wird, die nicht im Rampenlicht stehen. Noch dazu in Kriegszeiten, in denen wir uns, das muss ungeschminkt gesagt werden, befinden. Geradezu tragisch mutet es an, dass in Paris ein Team der Flüchtlinge an den Start gehen wird. Sie treten an, während andere Flüchtlinge aus Paris mit Bussen abtransportiert werden. Es ist zum Heulen, Hoffnung ist nicht in Sicht, Händereichen ebenfalls nicht. Boykotte schon, Ausgrenzung von Athleten aus nicht genehmen Ländern auch.

Dann doch noch eine gute Nachricht

Die Buchhändler an der Seine, die „Bouquinisten“, gehören zu Paris wie der Eifelturm. Sie sind eine Art fliegende Händlerschar, die ihre Waren aus kleinen Holzkiosken feilbietet. Für die Zeit der Olympiade sollen viele von ihnen, die sich im Zentrum befinden, ihre kleinen Kisten schließen. Nun hat der französische Präsident höchstselbst verfügt, dass sie bleiben dürfen – trotz Sicherheitsbedenken seiner Polizei. Das ist doch mal eine gute Nachricht.

Titelbild: Svet foto/shutterstock.com

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