Keine Waffenruhe für Gaza

Keine Waffenruhe für Gaza

Keine Waffenruhe für Gaza

Karin Leukefeld
Ein Artikel von Karin Leukefeld

Am vergangenen Mittwoch, am 4. Juni 2025, lag im UN-Sicherheitsrat ein Resolutionsentwurf vor, mit dem ein sofortiger und anhaltender Waffenstillstand für Gaza gefordert wurde. Der Text war von den zehn nicht-ständigen, gewählten (E 10, elected 10) Sicherheitsratsmitgliedern – Algerien, Dänemark, Griechenland, Guyana, Pakistan, Panama, Republik Korea (Südkorea), Sierra Leone, Slovenien and Somalia – ausgearbeitet und dem Rat zur Abstimmung vorgelegt worden. Vier der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder – China, Frankreich, Großbritannien, Russische Föderation – stimmten der Resolution zu. Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) legten ihr Veto ein und brachten die Initiative zu Fall. Es war das fünfte Mal seit Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober 2023, dass allein die USA eine entsprechende Resolution blockierte. Von Karin Leukefeld.

Die Resolution forderte – wie andere Resolutionen zuvor – die „sofortige, würdige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln, die von Hamas und anderen Gruppen festgehalten werden“.

Verwiesen wurde mit „großer Besorgnis“ auf die „katastrophale humanitäre Situation“ in Gaza, die durch die monatelange Blockade für Hilfe entstanden war. Es wurde darauf hingewiesen, dass „alle Parteien“ an das internationale Recht gebunden seien, einschließlich des internationalen humanitären und Menschenrechts. Neben dem Waffenstillstand wurde die „sofortige und bedingungslose Aufhebung aller Blockaden“ für humanitäre Hilfe nach Gaza gefordert. UNO und humanitären Partnerorganisationen der UNO sei im gesamten Gazastreifen ungehinderte Bewegungsfreiheit zu gewähren. Notwendige Versorgung – beispielsweise mit Strom, mit Wasser, sichere Unterkünfte, Kliniken – müsse wiederhergestellt werden. Die Vermittlungsbemühungen von Ägypten, Katar und den USA wurden gelobt und sollten wieder zum Leben erweckt werden, so die Resolution. Verwiesen wurde auf die Resolution 2735 (2024), in der ein ständiges Ende der Feindseligkeiten, die Freilassung aller Geiseln, der Austausch von palästinensischen Gefangenen, die Rückgabe der Toten, der vollständige Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen und der Beginn langfristiger Wiederaufbauarbeit gefordert worden waren.

USA wollen die Welt lehren

Schon vor der Abstimmung hatte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Dorothy Shea den Resolutionsentwurf als „inakzeptabel“ bezeichnet. Der Text sei nicht akzeptabel „für das, was er sagt und für das, was er nicht sagt“, so Shea. Inakzeptabel sei zudem die Art, in der der Text zustande gekommen sei. „Die Vereinigten Staaten haben sehr klar gemacht, dass wir keinen Text unterstützen, der die Hamas nicht verurteilt und der nicht die Hamas auffordert, die Waffen niederzulegen und Gaza zu verlassen.“ Hamas habe zahlreiche Vorschläge für einen Waffenstillstand zurückgewiesen, und die USA „könne es nicht zulassen, dass der Sicherheitsrat diese Kompromisslosigkeit der Hamas noch belohnt“, sagte Shea. „Hamas und andere Terroristen dürfen keine Zukunft in Gaza haben. Wie Außenminister Rubio gesagt hat: Wenn Glut in der Asche überlebt, wird wieder ein Feuer ausbrechen.“ Die Resolution habe zudem die Probleme des bisherigen, UN-geführten Versorgungsmechanismus für den Gazastreifen nicht aufgegriffen, so Shea. Was nicht gesagt, aber vermutlich gemeint war, war, dass die von den USA und Israel eingesetzte Humanitäre Gaza-Stiftung (GHF) nicht im Text erwähnt worden war. Schließlich bezeichnete sie die Resolution als „unseriös“ und „beschämend“ für den Sicherheitsrat, der sich selbst „höhere Standards setzen“ müsse. Ihr Verweis darauf, dass es bereits „ernsthafte Fragen zum Nutzen der UN, ihrer Finanzierung und Ressourcennutzung“ gebe, hörte sich wie eine Drohung an.

Die Vertreter der 14 Staaten, die für die Resolution gestimmt hatten, verurteilten die Haltung der USA. Tom Fletcher, der Leiter des UN-Büros für humanitäre Hilfe, hatte zu Beginn der Sitzung einen Bericht über die Lage in Gaza abgegeben, der die USA offensichtlich nicht beeindruckt hatte. „Die Welt sieht zu“, so Fletcher. „Tag für Tag sieht die Welt die furchtbaren Bilder von Palästinensern, auf die in Gaza geschossen wird, die verletzt oder getötet werden, nur weil sie versuchen, etwas zu essen zu finden.“

US-Administration mit „klarer Vision“

Am folgenden Tag legte der Sprecher des US-Außenministeriums Tommy Pigott nach. Die Vereinigten Staaten hätten erneut gezeigt, „dass die Führungsrolle Amerikas von Bedeutung“ sei, sagte Pigott bei der Pressekonferenz des State Department am 5. Juni 2025 in Washington. Präsident Trump und Außenminister Rubio hätten eine „klare Vision“, weswegen die USA „fest auf der Weltbühne“ stehe und „echte Ergebnisse für das amerikanische Volk“ erziele. Man habe eine „kontraproduktive Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen abgelehnt, die sich gegen Israel gerichtet und die Hamas nicht verurteilt“ habe. Es sei falsch, wie in der Resolution erfolgt, einen souveränen Staat und eine terroristische Vereinigung gleichzustellen, sagte Pigott. Das untergrabe „sinnvolle diplomatische Bemühungen“. Man werde sich weiter dafür einsetzen, dass Hilfsgüter an die Bevölkerung in Gaza verteilt werden und „dass die Hamas und andere terroristische Organisationen nicht weiter existieren können“. Die Trump-Regierung sei stolz darauf, „das erste Veto … in so einer wichtigen Frage einzulegen“, so der Pressesprecher weiter. Die UNO müsse zu ihrem Gründungszweck zurückkehren und „Frieden und Sicherheit fördern“. Symbolische Aktionen (wie die Resolution) müssten eingestellt werden.

Eine schützende Hand für Straffreiheit

Am gleichen Tag wurde bekannt, dass die USA weitere Sanktionen gegen Richterinnen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verhängt haben. Der Gerichtshof werde politisiert und missbrauche seine Macht, hieß es in einer Erklärung des US-Außenministeriums. Das sehe man daran, dass er sowohl gegen die USA als auch gegen Israel ermittle. Die betroffenen Richterinnen seien direkt beteiligt, für den ISG gegen geschützte Personen zu ermitteln, sie festzunehmen oder zu verfolgen, ohne dass der Staat, dessen Nationalität die jeweiligen Personen hätten, zugestimmt hätte. Hintergrund ist eine Untersuchung des ISG gegen US-Soldaten in Afghanistan sowie die wegen des Gaza-Krieges ausgestellten Haftbefehle u.a. gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Das Vorgehen des Gerichts gegen die USA und Israel müsse aufhören.

Einen Tag später, am 6. Juni 2025, wurde bekannt, dass der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Benjamin Netanjahu angeordnet hat, kriminelle Banden und mächtige lokale Großfamilien (Clans) im Gaza-Streifen zu bewaffnen. Sie wurden ermächtigt, Hilfskonvois zu überfallen und Palästinenser zu töten, „um israelische Soldaten zu schützen“, erklärte Netanjahu. Die Taten wurden von Israel der Hamas zugeschrieben. Im Osten der von Israel besetzten Stadt Rafah gebe es einen Stützpunkt dieser Gruppe, berichtete Mohammed Shehade vom European Council of Foreign Relations dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera.

Die Folgen anhaltender Straflosigkeit

Die Haltung der USA im UN-Sicherheitsrat und an der Seite Israels basiert auf dem eigenen Selbstverständnis, für eigene Vergehen in Kriegs- und Krisengebieten nicht verantwortlich gemacht werden zu können. Die USA führen und bestimmen, andere haben sich zu fügen oder werden die Folgen spüren.

Israel hat diese Haltung mit Billigung Washingtons übernommen. In der gegenwärtigen Lage, wo die internationale Weltordnung zunächst zerfällt, bevor sie möglicherweise neu zusammengefügt werden wird, zeigt sich dieses Selbstverständnis in der Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Persischen Golf besonders deutlich. Israel agiert als hochgerüsteter Wächter für die USA und europäische Partner der USA, insbesondere auch in der NATO, um diese strategisch wichtige Region zu kontrollieren. Es geht um den „Neuen Mittleren Osten“, wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schon im September 2023 vor der UN-Vollversammlung erklärte. Palästina oder gar die Palästinenser hatten da schon keinen Platz mehr auf der Landkarte, die er vorzeigte. Seit dem 7. Oktober 2023 geht es Israel nicht um Selbstverteidigung, sondern um die Ausweitung seiner Macht. Verwüstung und Massaker in Gaza, im Westjordanland, im Libanon und der Vormarsch in Syrien nach dem Einmarsch der ehemaligen Al-Qaida-Vertreter in Syrien, Nusra Front und Hay’at Tahrir al Sham (Allianz zur Befreiung der Levante) in Damaskus zeigen deutlich, wie Israel alle internationalen Regeln und Gesetze überschreitet und was sich ihm entgegenstellt niederwalzt.

Bei Verhandlungen bestimmen Israel und die USA, wie die Ergebnisse ausgelegt werden. Und niemand außer Israel (und die USA oder Partner) dürfen in der Region über Waffen verfügen, mit der sie die Souveränität und territoriale Integrität des eigenen Landes (!) gegen den Landhunger Israels verteidigen könnten. Die libanesische Armee ist schwach, die syrische Verteidigungsfähigkeit komplett zerbombt, bewaffnete nicht-staatliche Akteure werden zunächst als „Terroristen“ kriminalisiert, gegen die jedes Vorgehen erlaubt und gerechtfertigt ist.

Das Veto der USA im UN-Sicherheitsrat gegen eine sofortige und permanente Waffenruhe in Gaza am 4. Juni 2025 nutzte die israelische Armee umgehend am nächsten Tag nicht nur, um erneut in Gaza zu bombardieren. Erneut wurde auch der Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut bombardiert. Als der libanesische Präsident Joseph Aoun den Angriff scharf kritisierte und die internationale Gemeinschaft aufforderte, Israel zu drängen, die Ende November 2023 vereinbarte Waffenruhe mit dem Libanon zu respektieren, reagierte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz mit unverhohlener Überheblichkeit. Die Angriffe auf Libanon würden fortgesetzt, bis die libanesische Regierung die Hisbollah entwaffnet habe, erklärte er. Es werde „keine Ruhe in Beirut geben, keine Ordnung oder Stabilität im Libanon, ohne Sicherheit für den Staat Israel“. Und weiter: „Vereinbarungen müssen eingehalten werden, und wenn Ihr nicht macht, was von Euch gefordert wird, werden wir weiter mit großer Gewalt (gegen Euch) vorgehen.“

Die UN und ihre Organisationen sind stark geschwächt durch die Missachtung ihrer Ordnungsfunktion. Dafür ist nicht zuletzt der UN-Sicherheitsrat verantwortlich. Die Veto-Mächte haben mehr im eigenen als im internationalen Interesse für Frieden und Sicherheit agiert.

Allen voran die USA.

Titelbild: UN Photo/Eskinder Debebe