Schon gehört? Deutschland hilft Gaza …

Schon gehört? Deutschland hilft Gaza …

Schon gehört? Deutschland hilft Gaza …

Ein Artikel von Renate Dillmann

Seit Kurzem demonstriert die Bundesregierung eine veränderte Haltung in der Nahostpolitik. Der deutsche Außenminister Wadephul soll die israelische Regierung bei einem Besuch in Tel Aviv „ernsthaft ermahnt“ haben, sie müsse in ihrem eigenen Interesse angesichts weltweiter Isolation ihre Politik „fundamental“ ändern, und verurteilt „Pläne von Annexionen“. Die Bundeswehr hat parallel dazu eine „Luftbrücke“ aufgemacht und wirft symbolträchtig Lebensmittel über Gaza ab. Kanzler Merz „ringe“ derweil noch um seine Aussage zu Israel. So die Nachrichtenlage der letzten Tage in Kurzform. Von Renate Dillmann.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Würdigen wir zunächst kurz die Flexibilität unserer Leitmedien. Gaza verhungert? Immer mehr entsetzliche Bilder, die auch durch den steten Verweis auf den Kampf gegen die „radikal-islamistische Hamas“ nach ihrem „terroristischen Überfall“ offenbar nicht so verdaut werden wie erwünscht? 74 Prozent der Deutschen haben sich in einer repräsentativen Umfrage dafür ausgesprochen, dass die Bundesregierung Israel unter Druck setzt, damit der Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung endet.

Die besorgten Bürger können sich in ihren Fernsehsesseln zurücklehnen, denn nun kämpfen Deutschland, seine Politiker und seine Armee gegen den drohenden Hungertod der Palästinenser – so soll man sich das jedenfalls zusammen mit Tagesschausprecherin Susanne Daubner und ihrem beruhigenden Lächeln allen Ernstes denken. Auch wenn „die Hilfe“ natürlich keineswegs reicht, Kritiker sie eher für reine Symbolpolitik halten und sogar einige Gefahren von abstürzenden Paletten ausgehen – Meldungen, an denen man sehen kann, dass Kritik im deutschen Fernsehen ganz und gar nicht verschwiegen wird, auch nicht, wenn es um Israel geht. Zwinkersmiley. Gleichzeitig muss – soviel ist sich der seriöse Tagesschau-Journalismus einfach schuldig – auch vorsichtig mit dem Begriff „Hungersnot“ operiert werden, denn nur weil in Gaza viele Menschen an Hunger sterben, ist das noch längst keine …

Dass Deutschland den Israelis ungerührt weiter Waffen für ihre fortlaufende Schlächterei verschafft (33 Prozent, zusammen mit den USA liefert es für 99 Prozent aller Waffen) und in der EU Sanktionen verhindert, die Israel eventuell ein wenig beeindrucken könnten, darf bei dieser fabelhaften Inszenierung nicht stören – wird in den Nachrichten also besser gar nicht erst thematisiert.

Nur um noch einmal an die Ergebnisse von Israels „Krieg“ zu erinnern: Mehr als 60.000 Tote in Gaza (UN-Angaben), davon zwei Drittel Frauen und Kinder, die Angriffe auf sämtliche 36 Krankenhäuser (9 komplett, 25 teilweise zerstört) und die Ermordung von Ärzten und medizinischem Personal, die gezielte Tötung von Journalisten, die Vernichtung von mehr als 90 Prozent der Häuser in Gaza, die mehrmalige Vertreibung der Bevölkerung von Nord nach Süd und zurück „wie Ratten in einem Käfig hin- und hergetrieben, terrorisiert und von lebensnotwendiger Versorgung abgeschnitten“ und inzwischen das gezielte Abknallen der Hungernden an den von Israel installierten Lebensmittel-Ausgabestellen (bislang mehr als 1.300 Tote).

Das alles wurde in den deutschen Leitmedien mehr als anderthalb Jahre lang als bedauerlicher, aber unumgänglicher Kollateralschaden bei der Bekämpfung der Hamas vorstellig gemacht. Kritik an Netanjahu bzw. der „humansten Armee der Welt“ durfte nur aus der israelischen Gesellschaft kommen – als Beschwerde darüber, dass bei diesem gerechten Krieg die Geiseln nicht vergessen werden dürften. „Israelbezogene“ Kritik in Deutschland dagegen wurde per definitionem als „Antisemitismus“ eingestuft und auf allen nur denkbaren Ebenen – in den Medien, der Kunst- und Kulturszene, den Hochschulen, bei Demonstrationen – und mit allen Mitteln – durch Diffamierung, dem Entzug von Jobs, finanziellen Mitteln oder Räumen (selbst für die UN-Beauftragte für Gaza, Francesca Albanese) oder mit strafrechtlichen Konsequenzen – verfolgt.

Der außenpolitische Kern der PR-Aktion

Warum nun dieser Schwenk der deutschen Außenpolitik? Die verhungernden Kinder werden es wohl kaum sein. So etwas halten gestandene Politprofis einer Möchtegern-Weltmacht schon aus, schließlich hungern aktuell 757 Millionen in ihrer werte- und regelbasierten Weltordnung. Dass jetzt überall die Bilder des Gaza-Elends kursieren, ist allerdings nicht schön – das macht einfach keinen guten Eindruck. Das zeigen die zitierten Umfragewerte, auch wenn eine deutsche Regierung schon in einigen Fällen prima damit leben konnte, dass ihre Bevölkerung etwas anderes wünschte. Der Afghanistan-Krieg etwa fand über zwanzig Jahre hinweg nie eine Zustimmung bei der Mehrheit der Bürger.

Insofern stört aber am Fall Gaza wohl vor allem, dass sich die deutsche Regierung mit ihrer Israel-Politik in eine außenpolitische Isolation hineinmanövriert hat. Und das, ohne dass ihr diese unverbrüchliche Freundschaft im Moment viel bringt, ihr etwa ein Mitspracherecht im Nahen Osten verschafft. Das demonstrieren sowohl Trump als auch Netanjahu sehr deutlich.

Anerkennung und Unterstützung Israels war für die junge Bundesrepublik nach Weltkrieg 2 und Holocaust die Wieder-Eintrittskarte in die internationale Politik. Die Vergangenheitsbewältigung, derer sich Deutschland heute rühmt, konnte die Adenauer-Republik dank Kaltem Krieg dabei einigermaßen schlank halten. Die kommunistischen Opfer im Innern und die der Sowjetunion mit ihren 27 Millionen Kriegstoten blieben außen vor; Entschädigungen und finanzielle Hilfen für den Staatsaufbau gingen allein nach Israel (erst später, als die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter aus dem Osten bereits tot waren, gab es noch etwas Geld für sie).

Merkel überhöhte diese politmoralische Linie mit ihrer Aussage, Israel sei „Teil der deutschen Staatsraison“. Das hieß seitdem: bedingungslose diplomatische Unterstützung durch Deutschland und kontinuierliche Waffenlieferungen.

Daran hielt die deutsche Politik nach dem Hamas-Überfall fest, auch wenn sich schnell abzeichnete, dass Israels Premier Netanjahu die Situation ausnutzte, um das „Palästinenser-Problem“ nun ein für allemal zu bereinigen – eine Absicht, die bereits 2018 mit dem Nationalstaatsgesetz und seiner Definition Israels als „jüdischem Nationalstaat“ für alle offen nachlesbar dargelegt wurde und in einer ganzen Reihe diskriminierender Gesetze gegenüber der arabischen Bevölkerung längst praktisch zum Ausdruck kommt.

Inzwischen gibt es eine bei Arte dokumentierte Reihe unmissverständlicher Ankündigungen von Mitgliedern der jetzigen israelischen Regierung zur kompletten Vertreibung der Palästinenser nicht nur aus Gaza, sondern auch aus dem Westjordanland (wo bekanntlich die Hamas nichts zu sagen hat, was aber nicht weiter irritieren soll). Und davon, dass der heutige Horror in Gaza überraschend käme, kann angesichts der Aussage des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers Gallant („Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Gas, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend.“) im Oktober 2023 eigentlich keine Rede sein.

Sowohl Scholz wie Merz haben die bedingungslose deutsche Unterstützung auch auf die aktuelle rechtsradikale Regierung und deren Großmachtpläne ausgedehnt. Merz hat den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Netanjahu nach Berlin eingeladen und damit zum Ausdruck gebracht, dass Deutschland das Völkerrecht nur dann gelten lässt, wenn es passt – was man anderen Staaten ansonsten gerne vorwirft, vor allem natürlich Russland und seinem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine“.

Mit ihrer Position steht die deutsche Außenpolitik allerdings sowohl innerhalb der EU/Westeuropas wie weltweit inzwischen ziemlich alleine da; lediglich die USA handeln ähnlich. Frankreich und England haben sich kürzlich damit ins Gespräch gebracht, dass sie „demnächst“ einen Staat Palästina anerkennen wollen bzw. könnten. Sie versuchen, ihr altes Projekt von der Zwei-Staaten-Lösung und damit ihren Einfluss in der Region zu retten; gleichzeitig wollen sie damit bei ihren verärgerten arabischen Minderheiten ebenso billig punkten wie im Globalen Süden. Dort haben die EU und insbesondere Deutschland wegen ihrer Doppelstandards in Menschen- und Völkerrechtsfragen massiv an Glaubwürdigkeit verloren – das haben ehemalige deutsche Diplomaten öffentlich in Frage gestellt. Innerhalb des Auswärtigen Amtes hat sich Meldungen des Spiegel zufolge eine Gruppe von 130 Kritikern an der gegenwärtigen Israel-Politik gebildet.

Soweit wie Frankreich und England mit ihren ebenfalls eher symbolpolitischen Drohungen will man in Berlin allerdings nicht gehen. Aber etwas Distanz zu Israel muss sein – ein diplomatischer „Balanceakt“ also, für dessen Schwierigkeiten die feinfühlige deutsche Presse vollstes Verständnis hat und gespannt mitverfolgt, wie die Regierung das hindeichselt. Ein paar Luftballons über Gaza mit etwas Essen dran, ein paar geheuchelte Sorgen über „die Siedler“ bei einer Ortsbesichtigung im Westjordanland – und gleichzeitig das Versprechen an die Netanjahu-Bande, dass Deutschland weiterhin fest an ihrer Seite steht. Einem Roderich Kiesewetter gelten die bescheidenen Einwände dabei schon wieder als Verrat an der nationalen Linie …

Soweit die diplomatischen, innenpolitischen und medialen Schachzüge. Gaza verhungert indessen.

PS: Und ja, auch die Geiseln hungern – was natürlich einzig die Schuld der Hamas ist, der „menschlichen Tiere“, denen Israel zu Recht das Essen verweigert. Dieser Skandal soll nun wieder alles andere erschlagen – und laut Netanjahu eine erneute Rechtfertigung für die Besetzung von Gaza darstellen.

PPS: Liebe Arbeiter, wie wäre es damit, keine deutschen Waffen mehr nach Israel zu verladen? Soll es in Italien und Griechenland bereits geben – so die gewerkschaftskritische Basisinitiative „Sagt NEIN!“

Renate Dillmann ist Journalistin und hat vor Kurzem das Buch „Medien. Macht. Meinung. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit“ bei PapyRossa veröffentlicht.

Titelbild: Abwurf von Hilfsgütern aus einer A400M-Transportmaschine der Luftwaffe über dem Gazastreifen – Quelle: Bundeswehr/Francis Hildemann

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