Viel ist nicht mehr übrig von der ursprünglich vermeldeten Geschichte über die angeblich russische GPS-Attacke auf den Jet von Ursula von der Leyen. Nun stellt sich die Frage, wer die Fake News in die Welt gesetzt hat und warum die Medien sie all zu leichtgläubig verbreitet haben. Eine Spurensuche von Jens Berger.
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Lesen Sie dazu bitte zunächst den Artikel „Wurde Ursula von der Leyens Jet durch eine russische GPS-Störung angegriffen? Es gibt erhebliche Zweifel an der Geschichte“.
Gab es überhaupt eine GPS-Attacke?
Hieß es anfangs noch, es hätte eine großräumige Störung des GPS-Signals gegeben, die „das gesamte Umfeld des Flughafens lahmgelegt hätte“, war davon schon gestern in den offiziellen Statements nicht mehr die Rede. Nun schreibt beispielsweise der SPIEGEL in einem eher defensiv gehaltenen Artikel, es sei „aktuell schwierig einzuschätzen, wie dramatisch die Vorkommnisse in Plowdiw tatsächlich waren“. Störungen des GPS-Systems seien in dieser Region nicht ungewöhnlich. Der bulgarische Ministerpräsident Rossen Scheljaskow wurde gestern noch von den Agenturen mit den Worten zitiert: „Solche Dinge passieren täglich.” Eine weitergehende Untersuchung zu dem Fall wird es von den bulgarischen Behörden nicht geben. Bitte gehen Sie weiter, es ist nichts passiert.
Dabei ist es nach wie vor fraglich, ob es die angebliche GPS-Attacke überhaupt gegeben hat. Es gibt einige Punkte, die dafür, und einige Punkte, die dagegen sprechen. Dafür spricht, dass der Pilot beim Anflug auf Plovdiv laut Mitschnitt des Funkverkehrs in der Tat einen Ausfall des GPS-Systems an Bord gemeldet hat und daraufhin völlig unspektakulär von den Fluglotsen aufgefordert wurde, mit dem alternativen ILS-System zu landen, was dann auch geschah. Nachvollziehbare Messdaten zu dieser GPS-Störung gibt es jedoch nicht.
Quelle: @auonsson via X
Fest steht aber auch, dass das GPS-System, das GPS-Daten und Daten zur GPS-Signalqualität über ADS-B quelloffen vom Flugzeug an Dienste wie Flightradar24 funkt, keine Probleme gemeldet hat. Im Gegenteil. Die GPS-Datenqualität, die gemeldet wurde, war einwandfrei. Hier sehen Sie eine Visualisierung der GPS-Datenqualität beim Anflug von der Leyens auf Plovdiv.
Quelle: Benoit Figuet via X
Wie die Daten aussehen, wenn es tatsächlich einen GPS-Jamming-Angriff gibt, zeigt sich in einem zweiten Bild, das pikanterweise ebenfalls von von der Leyens Jet stammt, jedoch vom Tag zuvor, als von der Leyen von Helsinki nach Warschau flog. Der Luftraum über dem Baltikum ist mittlerweile bekannt dafür, dass hier regelmäßig GPS-Jamming stattfindet – die Experten streiten sich, ob die Quelle dafür in der Enklave Kaliningrad oder in einer der baltischen Republiken zu verorten ist.
Quelle: Benoit Figuet via X
GPS-Jamming ist übrigens keine Geheimwissenschaft. Geräte für den kleinräumigen Einsatz lassen sich – illegal – auch in China bestellen und sind bei Autodieben sehr verbreitet, um eine Ortung der gestohlenen Wagen zu verhindern. Bei größeren Geräten, die auch militärisch eingesetzt werden, ist die Sendeleistung entscheidend. Leistungsstarke Geräte lassen sich mit der nötigen Stromversorgung jedoch auch von „nichtstaatlichen Akteuren“ mobil betreiben. Das ist letztlich nur eine Frage des Aufwands.
Wie dem auch sei, die Daten zeigen jedenfalls, dass es in Plovdiv, wenn überhaupt, nur eine kleine Störung gegeben haben kann, die noch nicht einmal eine nachvollziehbare Datenspur hinterlassen hat. Das ist nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht vollkommen auszuschließen, da auch die nahe bulgarische Schwarzmeerküste wegen ihrer Nähe zum Kampfgebiet im Ukrainekrieg mehr oder weniger regelmäßig mit GPS-Störungen zu kämpfen hat; die stammen jedoch in der Regel von ukrainischen Einheiten, die russische Drohnen stören wollen. Hier sind dann militärische Anlagen mit sehr hoher Leistung im Einsatz.
GPS-Störungen am 31. August – Quelle: GPS Jam
Fazit: Es ist unklar, ob es überhaupt einen GPS-Angriff gegeben hat. Möglich ist eine kleinere Störung des Systems, die jedoch kein großes Problem darstellt und eher als „Normalfall“ gelten kann.
Was ist mit der angeblichen Notlage des Jets?
In den ersten Meldungen hieß es, der Jet von von der Leyen musste „rund eine Stunde länger in der Luft bleiben“, dann habe der Pilot die Entscheidung getroffen, „manuell mithilfe analoger Karten“ zu landen. Die Verspätung betrug lediglich neun Minuten, der Pilot landete problemlos mit Hilfe des ILS-Systems und weder manuell noch mithilfe analoger Karten. Beides bestätigte gestern Paula Pinho, Chef-Regierungssprecherin der EU-Kommission, in einer Pressekonferenz.
Quelle: EU-Kommission
Wer brachte die Russen als angeblicher Angreifer ins Spiel?
Besonders interessant an der ganzen Geschichte ist natürlich, dass bereits in den ersten Meldungen „Russland“ als vermeintlicher Täter ins Spiel gebracht wurde. Selbstverständlich gab es dafür weder Indizien noch Beweise – wofür auch, es ist ja nichts Besonderes passiert. Schaut man sich die Entwicklung der Story an, so gibt es ein erkennbares Muster.
Die Primärquelle für die Fake News, die in den Stunden danach in nahezu allen Medien verbreitet wurden, war eine Pressekonferenz der EU-Kommission in Brüssel, auf der die stellvertretende Regierungssprecherin der EU-Kommission, Arianna Podestà, offensiv auf Russland als „möglichen“ Täter der angeblichen GPS-Attacke verwies. Podestà nannte dabei „bulgarische Behörden“ als Quelle. Mir ist es jedoch nicht gelungen, eine einzige bulgarische Quelle auszumachen, von der diese „Informationen“ stammen. Bulgarische Medien oder Agenturen haben davon jedenfalls nicht berichtet.
Nahezu zeitglich zur Podestà-Pressekonferenz veröffentlichte dann die britische Financial Times einen Bericht, der sich wiederum auf Podestà und auf „drei Offizielle“ bezieht, „die zum Vorfall gebrieft wurden“. Da als Autoren für den Artikel drei FT-Journalisten aus Brüssel, Berlin und London genannt werden, ist es gut möglich, dass die Falschinformationen gar nicht aus Bulgarien, sondern aus einer oder mehreren dieser Hauptstädte kamen. Wer hat die Quellen „gebrieft“? Der Artikel erwähnt übrigens auch die oben genannten Falschinformationen und wurde seinerseits von zahlreichen anderen Medien als Quelle dafür genannt.
London, Berlin, Brüssel oder Sofia? Wer spielt hier ein falsches Spiel?
Dass es sich beim GPS-Gate um eine Propaganda-Nummer handelt, dürfte somit klar sein. Die Medien – allen voran die Financial Times – haben sich dafür allzu bereitwillig einspannen lassen und sich – mit Ausnahme des SPIEGEL, aber der auch nur halbherzig – bis heute nicht korrigiert. Unklar ist nach wie vor, wer sich diese Propaganda-Nummer ausgedacht hat. War es die EU-Kommission selbst? Dafür spricht, dass die meisten der Falschinformationen von der EU-Kommission selbst lanciert wurden – wenn auch unter Berufung auf angebliche bulgarische Quellen. Freilich kann es auch sein, dass die Bulgaren Urheber der Kampagne sind. Dazu passen jedoch nicht die betont unaufgeregten Äußerungen des bulgarischen Ministerpräsidenten am Tag danach. Bleiben noch die Briten und die Deutschen als mögliche Quellen der Desinformationskampagne. Wer es letztlich war? Wahrscheinlich werden wir es nie erfahren.
Titelbild: Benoit Figuet via X