Mileis Außenminister in Berlin: Vertiefte Partnerschaft mit der NATO, Abbau von Grundrechten und „Geschmacklosigkeiten“

Mileis Außenminister in Berlin: Vertiefte Partnerschaft mit der NATO, Abbau von Grundrechten und „Geschmacklosigkeiten“

Mileis Außenminister in Berlin: Vertiefte Partnerschaft mit der NATO, Abbau von Grundrechten und „Geschmacklosigkeiten“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Außenminister Wadephul traf sich am 17. September mit seinem argentinischen Amtskollegen Werthein in Berlin. Im Mittelpunkt standen nach Darstellung des Auswärtigen Amtes Fragen der Handels- und Wirtschaftspolitik, der Rohstoffversorgung sowie die angestrebte NATO-Partnerschaft von Argentinien. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund zum einen wissen, ob der Bundesregierung die Kritik von neun UN-Sonderberichterstattern an „staatlicher Repression“ und „einem massiven Abbau von Grundfreiheiten“ unter der Regierung von Javier Milei bekannt sei. Zum anderen kam die Frage auf, wieso Deutschland in einer Region, die sich bisher durch Block- und Atomwaffenfreiheit ausgezeichnet hat, die Etablierung einer NATO-Partnerschaft unterstützt. Von Florian Warweg.

Hintergrund

Die Kritik der UN-Berichterstatter: „Gravierende Verschlechterung der Grundfreiheiten“ seit Machtantritt von Milei

Neun Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats hatten sich bereits am 12. Mai 2025 in einem formellen Schreiben an die argentinische Regierung gewandt. In dem Schreiben äußerten die UN-Berichterstatter ihre „ernsthafte Besorgnis“ angesichts „der gravierenden Verschlechterung der Grundfreiheiten und des zivilgesellschaftlichen Raums in der Republik Argentinien seit Dezember 2023“ (die NachDenkSeiten berichteten).

Explizit kritisiert wird unter anderem die Einführung des sogenannten „Anti-Streikposten-Protokolls“ von Sicherheitsministerin Patricia Bullrich. Diese Maßnahme habe laut UN „alarmierende” Folgen. So sei die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt und Regierungskritiker würden eingeschüchtert, eingekesselt und teilweise willkürlich verhaftet, häufig unter Einsatz von Tränengas und anderen Repressionsmitteln.

Wie die UN-Berichterstatter weiter ausführen, werden Teilnehmer friedlicher Proteste, darunter auch zahlreiche berichtende Journalisten, regelmäßig Opfer polizeilicher Willkür. Die Berichterstatter betonen insbesondere einen Vorfall vom 12. März, bei dem der Fotojournalist Pablo Grillo von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen und schwer verletzt wurde.

Das Schreiben der UN-Berichterstatter zeichnet ein Bild systematischer Repression: Einsätze mit übermäßiger Polizeipräsenz, Blockaden von Zufahrtswegen zu Kundgebungen und gezielte Eskalationsstrategien seien mittlerweile gängige Praxis.

Besonders alarmierend sei, so die Berichterstatter weiter, der direkte Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. Als ein Beispiel wird auf den Fall der Richterin Karina Andrade verwiesen, die infolge ihrer Untersuchungen zu den über 100 Festnahmen im Zusammenhang mit einer Demonstration vom 12. März massiven Schikanen durch Regierungsvertreter, den Präsidenten persönlich und regierungsnahe Online-Netzwerke ausgesetzt sei.

Die UN-Berichterstatter sehen darin eine organisierte Strategie zur Einschüchterung und Bestrafung von Mitarbeitern der Justiz, die gegen exzessives staatliches Vorgehen ermitteln. Es zeige sich ein Muster struktureller Schikanen gegen Richter und Staatsanwälte, die den Zugang zur Justiz und damit die Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen erheblich behindern.

Kritik wird auch an dem von Milei eingeführten „Anti-Mafia-Gesetz“ geübt, welches präventive Festnahmen ohne richterlichen Beschluss ermöglicht, was laut den UN-Beobachtern einen Bruch mit etablierten rechtsstaatlichen Prinzipien darstellt. Zudem wird die Sorge vor einer willkürlichen Anwendung des Gesetzes gegen Regierungskritiker geäußert.

Wieso setzt sich Deutschland für eine „vertiefte NATO-Mitgliedschaft“ Argentiniens ein?

Besonders auffallend bei der Präsentation der Gesprächsthemen zwischen Außenminister Johannes Wadephul und seines argentinischen Amtskollegen Gerardo Werthein war die Aussage von Außenamtssprecher Martin Giese, Argentinien habe unter Milei einen Antrag „auf eine vertiefte Partnerschaft mit der NATO gestellt, den wir sehr unterstützen“.

Argentinien und die gesamte Region war seit Jahrzehnten vom Prinzip der Blockfreiheit geprägt. Zudem wurde mit der Unterzeichnung des Vertrags von Tlatelolc am 14. Februar 1967 ganz Lateinamerika und die Karibik zur atomwaffenfreien Zone der Welt erklärt.

In Artikel 1 des Vertrages heißt es:

„Die Vertragsparteien kommen hiermit überein, Nuklearmaterial- und einrichtungen, die sich unter ihrer Jurisdiktion befinden, ausschließlich zu friedlichen Zwecken zu nutzen und auf ihren Territorien folgendes zu verbieten und zu verhindern: Jede Art der Erprobung, des Gebrauchs, der Herstellung, Erzeugung oder des Erwerbs irgendwelcher Kernwaffen.“

Es war das erste Abkommen, das eine bewohnte Region zur atomwaffenfreien Zone erklärte. Bis dahin hatte nur die Antarktis über diesen Status verfügt.

Die von der Bundesregierung unterstützte und von Milei initiierte „vertiefte NATO-Mitgliedschaft“ des südamerikanischen Landes würde nicht nur mit der bisherigen Tradition der Blockfreiheit und Neutralität Argentiniens brechen, sondern potenziell auch den Aspekt der Atomwaffenfreiheit infrage stellen. Man fragt sich unwillkürlich, aus welchen Motiven sollte die deutsche Bundesregierung an so einer Tendenz Interesse haben?

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 17. September 2025

Giese (AA)
Außenminister Wadephul trifft heute am späten Nachmittag seinen argentinischen Amtskollegen Gerardo Werthein. Deutschland und Argentinien sind enge Partner. Politisch und wirtschaftlich haben wir sehr viele gemeinsame Interessen. Diese Zusammenarbeit wollen wir noch weiter vertiefen. Das ist das Kernanliegen, um das es bei diesem Besuch geht.

Die beiden Außenminister werden viele verschiedene Themen besprechen, darunter Fragen der Handels- und Wirtschaftspolitik, der Rohstoffversorgung und der Verteidigung. Argentinien und Deutschland haben einen sehr ähnlichen Blick auf viele aktuelle Krisen und Konflikte. Auch darüber wird sicherlich gesprochen werden. In den Gesprächen wird es auch darum gehen, wie wir Fragen klären können, die dem Abschluss eines Handelsabkommens zwischen der EU und MERCOSUR noch im Wege stehen können. Wir setzen uns gemeinsam mit Argentinien sehr stark für dieses Abkommen ein. Damit wird eine der größten Freihandelszonen der Welt entstehen. Wir sind uns einig, dass wir mit einer aktiven Handelspolitik mehr Wohlstand für Deutschland schaffen können.

Argentinien unterstützt auch die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg. Wir sind uns sehr einig, dass es an Russland liegt, den Angriffskrieg gegen die Ukraine endlich zu beenden. 2023 hat Argentinien einen Antrag auf eine vertiefte Partnerschaft mit der NATO gestellt, den wir sehr unterstützen. Wir wollen die Praxis der Staatssekretärskonsultation mit Argentinien wieder aufnehmen. Die beiden Außenminister werden heute über die nächsten Schritte dazu beraten.

Warweg
Im Juli hatten sich neun unabhängige Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats öffentlich zu Wort gemeldet und gesagt, sie sähen einen massiven Abbau von Grundrechten und einen massiven Angriff auf Grundrechte in Argentinien durch die aktuelle Milei-Regierung. Sind Ihnen diese Vorwürfe des UN-Menschenrechtsrats bekannt, und werden sie auf dem Treffen unter Umständen thematisiert werden?

Giese (AA)
Natürlich nehmen wir alle Äußerungen der Vereinten Nationen zur Kenntnis. Ich habe gerade darüber gesprochen, was bei den Gesprächen Thema sein wird. Das steht für sich, denke ich.

Zusatzfrage
Herr Kornelius, Ihr Amtsvorgänger hatte, auch wenn das jetzt schon eine Weile zurückliegt, relativ beleidigende Äußerungen von Milei gegenüber dem spanischen Präsidenten Sánchez als geschmacklos bewertet. Wie bewertet die Bundesregierung grundsätzlich die Art und Weise, wie Milei gegen die Opposition und auch gegen enge Partner auf EU-Niveau austeilt, auch jetzt im Jahr 2025?

Regierungssprecher Kornelius
Ich sehe momentan keinen Anlass dafür, Äußerungen von Herrn Milei zu bewerten. Was in der Vergangenheit lag, wurde dort bewertet. Die Bundesregierung hat momentan keine Haltung dazu.

Warweg
Eine Verständnisfrage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Deutschland die Absicht Argentiniens unterstützt, Kooperationspartner der NATO zu werden?

Giese (AA)
Ja.

Zusatzfrage
Lateinamerika gilt als einer der wenigen Kontinente, die mehr oder weniger blockfrei agieren. Es hat sich zu einer Zone des Friedens und für atomwaffenfrei erklärt. Sieht die Bundesregierung kein Risiko darin, zu unterstützen, dass neben Kolumbien jetzt auch noch Argentinien NATO-Kooperationspartner wird?

Giese (AA)
Nein.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 17.09.2025