„Friedensratschlag“: Um die Welt zu retten, muss die Menschheit das Militär abschütteln

„Friedensratschlag“: Um die Welt zu retten, muss die Menschheit das Militär abschütteln

„Friedensratschlag“: Um die Welt zu retten, muss die Menschheit das Militär abschütteln

Bernhard Trautvetter
Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Der bundesweite Friedensratschlag am 8. und 9. November mit über 500 Teilnehmern beinhaltete teils heftige Debatten über Auswege aus den Eskalationsspiralen, die der Militarismus auslöst. Die Veranstaltung war eine wichtige Vorbereitung auf die Aktionen der Friedensbewegung im Jahr der geplanten Stationierung nuklearfähiger US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Friedensratschlag ist wie jedes Jahr das wichtigste Forum zur Verständigung von Kräften der Friedensbewegung mit befreundeten Spektren. Hier folgt auf der Basis von Mitschriften ein erster Bericht:

Ingar Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung wandte sich gegen die Militarisierung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft mit ihren Rekordsprüngen an den Börsen bringt Arbeitsplatzverluste, da die Rüstungsproduktion besonders hoch automatisiert ist. Rüstung ist toter Konsum, da die Kriegswaffen nach dem Verkauf an den Staat nur herumliegen, außer sie kommen in einem Krieg zum Einsatz. Um die damit verbundene Ressourcenvernichtung zu legitimieren, zeichnet die Militärlobby wie in den Zeiten vor den großen Kriegen der Vergangenheit ein möglichst bedrohliches Feindbild, das sie mit ständig neuen Gefahrennarrativen dramatisiert. Die Schuldenaufnahme, die für den Staat mit der Hochrüstung verbunden ist, macht ihn abhängiger vom Finanzkapital, das aus seinem Rendite-Interesse heraus Forderungen an den Schuldner (den Staat) richtet, der die Interessen des Kapitals bedient, und das zum Nachteil der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung.

Das Schüren von Angst vor dem dämonisierten Feind lenkt die Sorgen infolge einer wachsenden Perspektivlosigkeit der Jugend sowie der Not vieler Familien auf den schuldigen Feind im Osten. Hier ein Kern-Zitat aus Ingar Soltys Rede:

„Insofern die USA den hochgradig monopolisierten Weltmarkt für Rüstungsgüter dominieren – die fünf größten Rüstungskonzerne der Welt sind alles US-amerikanische –, bedeuten die Hochrüstungsmaßnahmen letzten Endes, dass die europäischen Arbeiterklassen mit ihren Steuergeldern die Profite von Raytheon, Lockheed-Martin, Boeing und Co. und die Dividende-Ausschüttungen an deren Aktionäre finanzieren. Sie bedeuten, dass die europäischen Staaten, ja alle US-Verbündeten, ein militärkeynesianisches Rüstungsprogramm finanzieren, aber nicht für sich selbst, sondern in weiten Teilen für die USA. Wirtschaftspolitisch betrachtet könnte man genauso gut Milliardensummen ohne Gegenleistung an Donald Trump überweisen.“

Michael von der Schulenburg (BSW-Abgeordneter im EU-Parlament, Diplomat mit OSZE- und UNO-Erfahrung) verdeutlichte die globale Schädlichkeit der NATO schon ohne Kriegshandlungen damit, dass die NATO-Staaten mit nicht einmal 10 Prozent der Weltbevölkerung deutlich mehr als die Hälfte der Weltrüstungsausgaben mit verursachen. Die NATO-Lobby arbeitet dabei mit doppelten Standards und Feindbild-Narrativen. Sie tut dies auch, um ihre gefährliche Strategie nach außen hin zu legitimieren. So hat sie Gegner, gegen die NATO-Staaten auf dem Balkan, in Libyen, im Irak und in Russland vorgehen, immer wieder mit einer Gut-Böse-/Schwarz-Weiß-Propaganda als Dämonen gekennzeichnet, gegen die sie – so die Propaganda  – im Interesse des Rechts vorzugehen haben.

Helga Baumgarten berichtete aus Jerusalem und kritisierte den Siedlerkolonialismus, der Palästinenser rechtloser und gewaltsamer Willkür aussetzt. Sie berichtete vom kürzlichen Gaza-Tribunal in Istanbul; in diesem Zusammenhang zitierte sie Bertrand Russel mit den Worten, wenn sie das Gesetz zum Schweigen bringen, hat unser Gewissen die Aufgabe, zum Tribunal für die Verbrechen zu werden. Sie fand für die Gesetzesbrüche klare Begriffe: Systematische Unterbrechung der Nahrungsversorgung und der Wasserzufuhr, Zerstörung der Wohngebiete, der Gesundheitsversorgung, der Bildung, der gesamten Lebenskultur der Bevölkerung; systematische Verfolgung und Ermordung von Journalisten, die über diese Verbrechen aufklären. Wer Israels Regierung in der Situation stützt, unterstützt Verbrechen, er wird wissentlich zum indirekten Mitttäter. Die Straflosigkeit gegenüber Willkür, Entrechtung und Gewalt wird nur enden, wenn die Solidaritätsbewegung die Verfolgung und das Ende der Gesetzlosigkeit erzwingt.

Die Gewerkschafterin Ulrike Eifler aus Würzburg (IG Metall) erläuterte, dass erst eine in den Gewerkschaften breit verankerte Friedensbewegung die notwendigen Erfolge erzielen kann. Wie stark Friedensfragen mit der Sozialpolitik zusammenhängen, das kann man gut an der Offensive gegen den Sozialstaat ablesen, die den Widerstand gegen die Hochrüstung lähmen soll. Die Kombination aus Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung und Angriffen auf Gewerkschaften sowie auf gewerkschaftliche Rechte, das hat eine lange Tradition: Schon vor dem Ersten Weltkrieg war die Hochrüstung mit Sozialabbau und mit der Diskreditierung von Friedenskräften verbunden. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden zuerst die Gewerkschaften verboten und dann folgte die Militarisierung. Die Wirtschaftskrise, die zum sogenannten ›Schwarzen Freitag‹ führte, zog eine Rekordrüstung in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg nach sich. Militarisierung ist auch mit einer Rechtsentwicklung verbunden, wie man auch an den Worten des CSU-Politikers Manfred Weber nachvollziehen kann, der einforderte, dass ein Umschalten auf Kriegswirtschaft ‚notfalls mit Stimmen von rechts‘ beschlossen werden müsse.

Die Tarnung der Hochrüstung im schuldenfinanzierten sogenannten 500-Milliarden-‚Sonderfonds‘ als Investitionsprogramm für „Infrastruktur“ soll auch den gewerkschaftlichen Widerstand präventiv abwenden. Unterirdische Lazarette und panzertaugliche Brücken dienen allerdings in erster Linie der Kriegsvorbereitung und nicht den Menschen. Sie sollen schon früh an die Tötungsmaschinerie gewöhnt werden, was zu solchen Projekten führt, wie der Herstellung von Handgranaten-Attrappen, damit junge Bürger damit Krieg üben können. Diese Programme werden auf Kosten der Infrastruktur aufgelegt, mit dem Resultat, dass Arbeitslose zur Not zu Jobs im Bereich der Militarisierung greifen, um irgendwie doch über die Runden zu kommen.

Die Planung von über 150 Milliarden Euro für den Militäretat in vier Jahren ist ein Angriff auf die Interessen der Menschen und der Gewerkschaften in diesem Land. Die Werbung für den Dienst an der Waffe ist eine weitere Verletzung der Lebensinteressen der Menschen. Arbeitslose, die in der Krisenlage einen schlechten Job ablehnen, müssen mit dem kompletten Entzug von Bürgergeld rechnen. Die damit verbundene Einschüchterung schwächt die Kampfkraft der Gewerkschaften weiter.  Die Friedenskräfte sind in einer Interessengemeinschaft mit den Gewerkschaften, sie stehen vor der Aufgabe, die Gewerkschaften in die Abwehr der Angriffe des militärisch-industriellen Komplexes möglichst federführend einzubeziehen.

Der langjährige Friedensaktivist Reiner Braun warnte vor der immer massiveren Hetze gegen die Friedensbewegung, mit der die Menschen in unserem Land in einen Krieg gegen Russland gedrängt werden. Er forderte den Aufbau einer Friedensordnung in gemeinsamer Sicherheit, die nicht gegen, sondern nur mit Russland und auch China aufgebaut werden muss. Er warnte vor antidemokratischen Entwicklungen in die Richtung eines neuen Faschismus als Ergebnis der Militarisierung.

Er verwies darauf, dass die Kriegsstrategie der USA und damit auch von NATO-Partnern nicht alleine auf Europa begrenzt ist. Er forderte auf zur Solidarität mit Venezuela und Kuba, die im Visier der globalen Kriegsstrategie der USA liegen. Diese Strategie bricht mehrfach internationales Recht, auch durch die Aufrechterhaltung der Sanktionen und Blockaden gegen Kuba, mit denen die USA die erdrückende Mehrheit der UNO übergehen, die diese imperiale Politik als völkerrechtswidrig geißelt.

Die Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland ist für den Zeitraum ab September 2026 geplant. Mit diesen Offensivsystemen, über deren Einsatz alleine die USA entscheiden – und nicht das Stationierungsland – gerät Deutschland im Konflikt- und Kriegsfall ins Visier der russischen Militärs; diese Waffen können Silos und Kommandozentralen Russlands in einem Erstschlag und Enthauptungsschlag ausschalten, sodass Russland sich im Kriegsfall gezwungen sehen kann, seine Raketen vorbeugend gegen die US-Raketen einzusetzen, ehe diese Russland enthaupten.

Anfang Juni 2026 findet in Ankara der nächste NATO-Gipfel statt. Allein die Tatsache, dass die NATO in der Türkei tagt, die mit kriegerischen Maßnahmen in Kurdengebieten auch in Nachbarstaaten Völkerrecht bricht, zeigt, wie wenig das propagierte Selbstbild von der NATO als Verteidiger des Rechts wert ist. Wir sind gefordert, größtmögliche Friedensdemonstrationen gegen die Militarisierung Europas und die Kriegsvorbereitungen durchzuführen, lokal vor Ort, in unserem Land und in der EU, sowie am NATO-Hauptquartier in Brüssel. Der Frieden, für den wir uns engagieren, verbindet Internationalismus mit Solidarität.

Christoph von Lieven von ICAN betonte, dass die soziale Frage mit der Militarisierung zusammenhängt. Die Warnung etwa von Generalinspekteur Breuer, man müsse mit einem Angriff Russlands 2029 rechnen, hält er für unverantwortlich. Was die Öffentlichkeit über die Planungen der Militärs erfährt, sei nur die Spitze des Eisbergs. Ein Krieg mit Russland würde sich nicht auf der anderen Seite des Atlantiks, in den USA, ereignen, sondern in Europa. Hier haben die USA ultraschnelle und hochpräzise Mittelstreckenraketen, sodass ein kriegerisches Szenario leicht in ein nukleares Inferno übergehen würde.

Die Kriegstüchtigkeit steht gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes. Eine Friedenspolitik muss mehr sein als die Kritik an Einzelmaßnahmen. Das System der Gewalt hat Ursachen in der Konkurrenz- und Wachstumslogik des Kapitalismus. Wir müssen mit dem Naheliegenden anfangen, etwa mit der Forderung nach Erfüllung des Atomwaffenverbotsvertrages und der UNO-Charta.

Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde, erinnerte an Immanuel Kants Forderung, die Menschen brauchen Mut zur Mündigkeit. Dieser Mut steht heute gegen den Kriegskonformismus.

Wir brauchen auch eine klare Sprache – etwa Begriffe wie der vom ‚Klimakollaps‘ in der Ökologiedebatte ist zu schwach. Wir müssen den Kollaps des Erdsystems abwenden. Niemand kann valide vorhersagen, was etwa eine Erderhitzung auf drei Grad plus gegenüber 1979 für den Lebensraum der Menschheit regional und global bedeutet.

Die armen Länder werden als erste betroffen sein. Und Gebiete in den Industriestaaten, wo ungewöhnliche Wetterereignisse Katastrophen hervorrufen können, werden möglichst schnell einfach wieder hergestellt. Die mit all diesen Entwicklungen verbundene Destabilisierung steigert Konflikte bis zur Kriegsgefahr.

Die Erderhitzung von 1,9 Grad plus ist bereits Realität. Wer heute noch von 1,5 Grad spricht, verharmlost. Konservativer Nationalismus und grüner Neoliberalismus werden die erwähnten Probleme nicht lösen.

Die Veränderungen bewirken im System der Thermoströme Umwälzungen von unvorhersehbaren Ausmaßen und Ausformungen.

Die Dummheit eines Systems, das vor allem die Linearität von Wachstum zum Programm hat, kann sich die Menschheit nicht mehr leisten. Während planetarische Krisen verschärft werden, bleiben gemeinsame Aktionen von zivilgesellschaftlichen Akteuren die Ausnahme. Wir brauchen eine globale Gemeinsamkeit statt der Konfrontation der Abschreckungsstrategie.

Wir brauchen eine Strategie der Bewahrung des Lebensraumes der Menschheit, die Abrüstung und Diplomatie, das Völkerrecht im Sinn einer Friedensordnung der gemeinsamen Sicherheit etabliert. Ohne eine dadurch mögliche globale Kooperation sind die globalen Probleme nicht lösbar. Die Welt braucht Gemeinsamkeit statt Konfrontation. Ohne eine strukturelle Veränderung des Systems ist die Welt nicht zu retten.

Die nichtlinearen Prozesse vor uns liegender Kipp-Punkte, die sich gegenseitig durchdringen, sind nur mit eine Kraftanstrengung bewältigbar, die mit dem Mut zur Mündigkeit beginnt. Wir müssen sehen und sagen, was ist. Und wir haben da anzusetzen, wo die Gefahr aktuell und wo die Aussicht auf Aktivierung von Widerstand am größten ist.

Das zu klären, wird auch wieder 2026 Aufgabe der Friedensbewegung sein.

Die Atomrüstung, die Vormachts-Strategie der NATO und die Kriegsvorbereitung inklusive der erneuten Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland wird dabei eine herausragende Aufgabe beim Auf- und Ausbau von Friedensstrukturen sein.

Titelbild: Drakuliren / Shutterstock

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