Merkels Bierzeltrede – Zeitenwende oder Wahlkampf? Das sagen NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser

Jens Berger
Ein Artikel von:

Unsere Artikel „Merkels Geheimplan – sind wir Zeugen einer historischen Zeitenwende?“ (Jens Berger) und „Merkels „Geheimplan“ ist vermutlich vor allem ein cleverer Wahlkampftrick“ (Albrecht Müller) haben bei unseren Lesern ein großes Echo ausgelöst. Uns erreichten über 100 Leserbriefe zum Thema – stets konstruktiv und in den meisten Fällen interessant und lehrreich. Wir können uns nur wiederholen: Was wären wir ohne Sie, unsere Leser? Heute möchten wir Ihnen eine Auswahl der interessantesten Leserbriefe vorstellen. Jens Berger und Albrecht Müller.


Sehr geehrter Herr Berger,
sehr geehrtes Team von den Nachdenkseiten,

gerne schicke ich Ihnen meine Gedanken zu Ihrem Artikel über Merkels “Geheimplan”. 

Eine deutsche Vormachtstellung in Europa? Ja, natürlich denke ich auch, dass Merkel und Co. die anstreben. Aber warum sollte das mit einem zurückgehenden Einfluss der USA in Europa bzw. einer größeren Unabhängigkeit Europas von den USA einhergehen? Könnte es nicht vielmehr sein, dass eine deutsche Vormachtstellung in Europa gerade auch im Interesse der USA ist ? Ist Deutschland unter den großen europäischen Vasallen nicht der treueste des Imperiums (während etwa Frankreich immer wieder von – nicht nur militärischen – Alleingängen träumt). Ist es für ein Imperium nicht einfacher einen Vasallen mit lokaler Vormachtstellung über die Untervasallen zu haben, als die alle einzeln kontrollieren zu müssen? Sind nicht gerade die höheren Militärausgaben, die jetzt (auch) angeblich wegen der Unzuverlässigkeit der USA “gebraucht” werden, nicht genau das, was die USA ohnehin seit langem einfordern?

Ich fürchte bei Ihrer Formulierung “Wenn Europa sich aus den Klauen der aggressiven amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik befreit, ist dies zunächst natürlich ein Grund zur Freude.” war dann doch leider nur der Wunsch Vater des Gedankens. 

Schönen Gruß
JT


Liebes Nachdenkseiten-Team,
 
ich habe so meine eigene Deutung der „Bierzeltrede“ dieser, unserer Kanzlerin, die zurecht als aus den USA ferngesteuerter Hosenanzug bezeichnet wird. Und diese Deutung  ist wesentlich einfacher als es die tiefgreifenden Analysen von angeblich „deutschem Hegemonialbestreben“, „Merkels Geheimplänen“ und so weiter und fort glauben machen wollen. . Ist alles nicht viel banaler, als all die Analysten und Kommentatoren meinen, interpretieren zu müssen? Wahlkampf, Bierzelt, Stammtisch, Populismus. War und ist da nicht was? Dem Volk nach dem Mund reden, um mit falschen „Versprechungen“ die anstehende Wahl zu gewinnen? Kennen Merkels Wahlstrategen doch all die Umfragen, nach denen  die Menschen hierzulande die Nase voll haben von den kriegerischen USA, unserem Vasallentum, von Aufrüstung und weltweiten neokolonialen und imperialistischen Kriegen, allesamt angezettelt von den angeblich doch so „guten“ USA, unserem wichtigsten Verbündeten? Und jetzt, pünktlich zum Auftakt des „heißen Wahlkamps“ stellt Merkel, die überzeugte Atlantikerin, die bislang treueste Vasallin der USA, die bislang jede Schweinerei des großen Bruders für gut und richtig befand und bis heute tatenlos zusieht (oder, weil erpressbar aufgrund uns unbekannter dunkler Flecken in ihrer DDR-Politkarriere, zusehen MUSS), wie unser Land, die Menschen und sämtliche Unternehmen von den USA flächendeckend bespitzelt und ausspioniert werden, die bisherige Vasallentreue in Frage ?? Den Menschen, die ihr das abnehmen und sie und ihre Partei in hoffnungsvoller Erwartung auf eine Loslösung von den verbrecherischen USA im September wählen, werden nach der Wahl die Augen geöffnet. Aber vielleicht fordert Merkel bei einem ihrer nächsten Bierzeltauftritte ja auch noch ein Ende der uns schadenden Sanktionen gegen Russland. Und das wird ihr dann, sollten ihr die Menschen dies auch tatsächlich noch glauben, mit Sicherheit den Wahlsieg bringen. 
 
Viele Grüße
Dr. Wilhelm Schneider


Sehr geehrter Herr Berger,
liebe NDS-Redaktion,
 
ja ist denn heut schon wieder der 1. April? So könnte könnte man staunend fragen, wenn man von Merkels Geheimplan, Deutschland zur Hegemonialmacht in Europa zu machen, hört. Doch ist ein solcher Plan schon alt, in leichter Abwandlung gehörte es schon zu den deutschen Kriegszielen des 1. Weltkrieges einen mitteleuropäischen Zoll- und Wirtschaftsverband zu bilden, um die anderen Länder zu beherrschen. Auch in Mitte der 1980er Jahre träumte Westdeutschland davon, mit Unterstützung der Amerikaner, Führungsmacht in Europa zu werden. 

Damals beklagten konservative Kräfte den Niedergang traditioneller Werte, sowie den geringen Nationalstolz (!!). Aufgrund dieser “Sinnkrise” sah man die Gefahr politischer Instabilität im Innern, aber auch die Beeinträchtigung der Machtentfaltung in den internationalen Beziehungen. Was nottut liegt auf der Hand: “Geistige Führung, Stärkung der nationalen Identität und eine Wiederweckung jener Werte, Erfahrungen und Tugenden, die die Stärke unseres nationalen Erbes vor Hitler, trotz und gegen Hitler und nach Hitler gewesen sind.” (Ludolf Herrmann)

Dazu noch einige Statements aus diesen Jahren: Es gehe darum, das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen zum Eigeninteresse der internationalen Umwelt zu machen (Weidenfeld, Ratloses Nationalgefühl, 1984). Die Deutschen müssen europäische Führungsimpulse freisetzen – das ist Teil ihrer Staatsräson. (Weidenfeld, Die Deutschen als emanzipierte Europäer. Zur europapolitischen Strategie der Bundesrepublik Deutschland). Kurzum: Deutschland muss Führungsmacht werden. Die Grundlagen sind zuvor getroffen worden – West-Deutschland war militärisch und ökonomisch stärkste Macht in Europa. “Der Einfluss der Bundesrepublik reicht schon jetzt bis ins Nervenzentrum weltpolitischen Krisenmanagements”. (Lothar Späth, Wende in die Zukunft, Reinbek 1985).  Die Bundeswehr hat hat mehr als jede andere Institution Einfluss und Gewicht der Bundesrepublik vergrößert, bei den Verbündeten, aber auch in Moskau. (FAZ 15.11.1985). Europa habe noch immer die Schlüsselrolle im internationalen Mächtesystem – Deutschland aber bilde die Mitte von Europa. Es muss also die Aufgabe einer natürlichen Führungsmacht wahrnehmen, denn, wie Bismarck gelehrt habe: “Wir werden Amboss, wenn wir nichts tun, um Hammer zu werden”. (Michael Stürmer, Die deutsche Frage als europäisches Problem, 1984). Vor dem 1. Weltkrieg war Deutschland die schwächste Weltmacht, aber die größte Macht auf dem Kontinent. Die größte Wirtschaftsmacht in Europa ist Deutschland schon wieder, Weltmacht will es noch werden (z.B. ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat). Eine Kleinigkeit fehlt noch: Verfügbarkeit über (eigene) Atomwaffen. Die Stationierung der Atomwaffen wurden unserer damaligen Regierung nicht von den Amerikaner aufgezwungen – Adenauer hat sie nach der Suez-Krise selbst gefordert (Franz Josef Strauß hatte bezüglich Nuklearbewaffnung auch keine Ruhe gegeben). Auch deshalb sucht Deutschland immer wieder den Schulterschluss mit Frankreich (Stichwort: gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, Deutschland sucht engen Einfluss auf die französische Atom-Macht zu nehmen). Allem Gerede von “Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen” zum Trotz – mehr als siebzig Jahre “Amerikaphilie” in Deutschland werden nicht durch eine Bierzeltrede beendet. Angela Merkel spricht eine deutliche Mahnung in Richtung der Amerikaner aus, als Schutzmacht an die Seite Deutschlands zurückzukehren, bzw., diese erst gar nicht zu verlassen. 
 
Frage: Was ist nun das das deutsche, bzw.europäische Interesse? Antwort: Deutschland (Europa) so umzugestalten, dass es für alle Einwohner zu einem Land (Kontinent) der friedlichen Arbeit, der kulturellen Entfaltung, der Freiheit von Angst und Not und der Freude am Dasein werden kann. Daraus folgt, dass die Basis der nationalen Interessen in allen bürgerlichen Nationalstaaten die gleiche ist. In diesem Sinne wäre Europa dann deutsch und Deutschland europäisch. Müssen wir nur noch Frau Merkel und den Amerikanern klarmachen. 
 
Mit lieben Grüßen 
Michael Wrazidlo


Lieber Herr Berger,
mir hat ihr Artikel sehr gefallen und er hat mich zum Weiterdenken angeregt, weshalb ich Ihnen nun schreibe.

Merkel wendet sich nach jahrelanger Treue von den USA ab? 

Kann ich mir nicht vorstellt. Merkel ist zu stark abhängig. Erst vor kurzem wurde bekundet, wie wichtig die NSA für Deutschland ist.

Der Verlauf der G7 war ausschlaggebend? Wie Sie geschrieben haben: „Dass Trump weiterhin auf höhere Militärausgaben der Europäer pochen und einem offenbar im Vorfeld überhaupt nicht abgestimmten Passus zur Klimapolitik nicht zustimmen würde, war klar. Beides ist vor allem innenpolitisch bedingt. Der Rest war Kosmetik.“ Alles vorhersehbar.

Trump wurde im Vorfeld als der Antipräsident dargestellt. Merkel hat immer wieder klar Flagge gegen ihn bekundet. In Merkelscher Manier schlägt sie die Richtung auch nach Trumps Sieg ein und solidarisiert sich weiter mit Obama. Zugehen auf seine Forderungen kann sie öffentlich nicht, da sie damit heuchlerisch und schwach erscheinen würde; vor allem vor der Bundestagswahl müsste sie zudem heftige Einbußen befürchten. Bestes Beispiel ist die Scharade um die Erhöhung des Verteidigungsetats, die ja schon vor Trump fokussiert wurde. Die Inszenierung muss also weitergehen: Trump als America-first-Ideologe und Merkel als Schützerin Europas. Ihr Bild wurde nun wunderbar durch die Bierzeltrede (sollte wohl Spontanität ausstrahlen) und den FAS-Artikel bekräftigt. Netter Nebeneffekt: Wählergunst bei neuer Zielgruppe gewonnen.

Wie geht es weiter? Problematisch finde ich ist es, dass keiner wirklich von der Schiene abweichen kann, es sei denn eine Bedrohung von außen (Russland) wird so „stark“ (hochgepusht), dass die „Differenzen“ vergessen sind. Ich denke, dass es erstmal so weiter geht wie gehabt. 

Was bringt das? Es können Gesetze und „Reformen“ in Deutschland und in der EU durchgesetzt werden, die den Einfluss Trumps angeblich verringern können: Ich denke hier vor allem an neoliberale Gesetze für Unternehmen und zur Stärkung der Wirtschaft. Zudem kann Trump der Schwarze Peter zugeschoben werden, wenn (wieder mal) Abkommen(, die die Lobbyisten auch nicht wollten,) scheitern. Da sein Ruf eh schon ruiniert ist, lebt es sich für ihn ganz ungeniert. Andererseits kann sich Trump als der starke Mann, der angeblich gegen das Establishment ist, inszenieren. Die aktuelle Politik wird ungehindert fortgesetzt werden. Ein Durchblicken durch diese Strukturen und die eigentlichen Ziele dahinter wird für die Öffentlichkeit aber erschwert. 
 
Problematisch für Merkel ist nur, dass das europäische Ziel des Freihandels von Trump so vehement torpediert wird. Wie das in die von mir gedachte Entwicklung passt, ist mir noch nicht ganz schlüssig. Hier könnte es eventuell ein größerer Deal dahinter geben. Möglich wäre, dass der Freihandel mehr auf bilateraler Ebene oder mit bestimmten proamerikanischen Klauseln gearbeitet wird. Als Deal könnte ich mir vorstellen, dass Europa und besonders Merkel mehr „Verantwortung in der Welt“ (=Möglichkeit für kriegerische Einsätze und Machtpolitik) eingeräumt wird. Merkel hat diese in der Bierzeltrede ja bereits für sich reklamiert.

Beste Grüße,
Martin Wünsche


Sehr geehrter Herr Müller,

ich teile Ihre Ansicht zu Merkels Masterplan voll und ganz. Ich halte es für ausgeschlossen, dass diese Regierung so etwas wie einen Masterplan für Europa erarbeitet hat. Vielmehr zeichnet sich die GroKo durch ein ewiges ‘Herumwurschteln’ aus; es wird an diesem und jenen Schräubchen gedreht, aber Reformen, die den Namen auch verdienen und der Allgemeinheit dienen, bringt diese Koalition nicht zustande ! Es soll ja auch alles so bleiben. Für gewisse Kreise läuft die Sache ja ganz prima, die Profite steigen …

Ich schließe mit einem Spruch von Volker Pispers : ‘Die Merkel hat gar kein Interesse an Politik. Die ist einfach nur gerne Kanzlerin !’

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Fischer


Lieber Herr Berger,
 
ich finde, diesem gespielten Zwist wird in der Öffentlichkeit zu viel Aufmerksamkeit zu teil. Es verhält sich meiner Meinung nach ähnlich wie bei der Nominierung von Herrn Schulz als SPD-Vorsitzenden. Wir erinnern uns. Die SPD brauchte eine neue Fassade – die bekam sie mit Schulz. Wir erinnern uns aber auch, dass sich nichts am Inhalt änderte. Vage Andeutungen, dabei blieb es.
 
Ähnlich sehe ich es hier. Trump dient lediglich als Sündenbock zur Durchsetzung der neoliberalen/neokonservativen Agenda. Früheres Beispiel: Freihandel. Da speit er einmal gegen den Freihandel und plötzlich sahen sich die Grünen genötigt, CETA zu unterstützen, um gegen Trump zu sein. Nun ist Europa gerade auf einem Nationalisten-Trip. Da lässt es sich dem kriegsmüden, desillusionierten Bürger leichter verkaufen, dass man fortan selber für die Landesverteidigung aufkommt als es in US-Knechtschaft fortzuführen.
 
De facto fahren die EU-Länder (allen voran Deutschland) aber weiter den 2%-NATO-Budget-Kurs und bleiben somit auf Linie. Last but not least sollte man nicht vergessen, dass wir ein von US-Militärbasen überpflastertes Land sind. Man kann nicht ernsthaft glauben, dass die Amerikaner einem Land mit stationierten Atombomben freie, militärische Hand lassen. Das ist töricht & naiv.
 
Grüße,
Daniel Schulz


Sehr geehrter Herr Berger,

danke für Ihren heutigen Beitrag zum Thema “Merkels Geheimplan – sind wir Zeugen einer historischen Zeitenwende?” und die Anregung einer offenen Debatte dazu.

Als Erstes möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es eine erstklassige französische Hintergrundanalyse von Emmanuel Todd aus dem Jahr 2014 dazu gibt. Diese habe ich in 3 Teilen auf meinem Blog übersetzt. Der dritte Teil beschäftigt sich eben mit der Möglichkeit eines kommenden Konflikts zwischen den USA und einem “deutschen Europa”:

Donald Trump könnte durchaus so etwas sein wie das amerikanische Erwachen für die deutsche Gefahr. Was für ein Zufall, dass vor wenigen Tagen Zbigniew Brzezinski gestorben ist, den Todd im zweiten Teil der Analyse ausdrücklich erwähnt und hart kritisiert hat! Ist auch das überaus trumpelige Vorgehen von Trump wirklich Zufall? Todds Analyse stützt bestens die in den Nachdenkseiten geäußerte Vermutung, dass Angela Merkels Regierung hier zielstrebig eine Chance nutzt, um sich zum Hegemon über Europa aufzuschwingen, und nicht etwa passiv und notgedrungen auf den “bösen” Trump reagiert.

Wer sich aber auf Todds bestechende Tiefen- und Langfrist-Analysen stützt, muss auch sein Werturteil zur Kenntnis nehmen, mit dem er die amerikanische Hegemonie der deutschen entschieden vorzieht. Gerade weil er 2002 in seinem Bestseller “Weltmacht USA: ein Nachruf” eine so hervorragende und unbestechliche Analyse des amerikanischen Niedergangs abgegeben hat, sollten wir uns jetzt hüten, die Freude über die “Befreiung aus der aggressiven amerikanischen Außenpolitik” die Oberhand gewinnen zu lassen über die Sorge, dass es mit Deutschland eine noch schlimmere Wendung nimmt. Die Risiken, die Angela Merkels Regierungen in den letzten Jahren sehenden Auges oder aktiv aufgehäuft haben, bilden zusammen eine brisante Mischung. Und insbesondere die Tatsache, dass sie diese Risiken teilweise unter amerikanischen Augen und mit amerikanischem Lob aufgehäuft haben, sollten uns doppelt vorsichtig werden lassen.

Ich halte (mit Todd) die Wahrscheinlichkeit, dass sich Deutschland hier völlig verhebt (oder gar in eine Falle locken lässt), für außerordentlich hoch. Darüberhinaus bringt die Hegemon-Rolle außer Lasten der alternden und wirtschaftlich völlig einseitig aufgestellten deutschen Bevölkerung nichts.
Ich würde mir sehr wünschen, dass die Nachdenkseiten in dieser Frage eine wirklich offene Debatte anregen und sich dabei auch bemühen, sich von linker Deutschtümelei freizumachen. Wir befinden uns in einer brandgefährlichen historischen Situation, wie auch diese Beiträge von Todd nahelegen.

Herzliche Grüße
Dr. Andreas Müller


Sehr geehrte  Redaktion der Nachdenkseiten,

ihr Artikel ist schon zutreffend, meiner Meinung nach, aber er greift immer noch zu kurz. Gehen wir doch einmal davon aus, im machiavellistischen Sinne, dass Deutschland für die herrschende Klassen in den USA eine Art Bundesstaat darstellt das nur für die Erfüllung der eigenen Interessen da ist, dann sieht diese Betrachtung etwas anders aus. Dann erfüllt Deutschland durchaus die transatlantischen Interessen indem es die konkurrierenden Länder Europas in die Ecke stellt und durch den direkten Einfluss der USA auf die deutsche Politik direkt auch deren Nutznieser ist. Deutschland steht auf der Verpackung und USA steckt drin. Dann macht auch das ganze Geplänkel Sinn was die europäische Union angeht, die Handlungen des IWF, was die Troika macht usw. usw. usw. den amerikanischen Handlungsspielraum zu sichern.

Da es meines Wissens nach keine belegten Dokumente über die deutsche Politik nach 1990 gibt (siehe Foschepoth) drängt sich der Verdacht auf, dass die USA sich Vormacht über die deutsche Politik gesichert hat, sonst wäre auch so manches Gebaren unserer “Führungseliten” kaum vorstellbar.

Die Quintessenz lautet ohne Deutschland gibt es keine Führungsrolle der USA in Europa.

PS: Sonst würde nicht dauernd Herr Kornblum als Blockwart der deutschen Unabhängigkeit in allen möglich Talkshows herumlungern um als Diskussionskorrektiv Einfluss zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen und WEITER SO

S. Walker


Liebes NDS-Team,

ich teile Jens Berger’s Gefühl. Da nutzt man die Gunst der Stunde und die deutschen Medien jubeln – Amerika-Bashing ist en vogue geworden, was bis vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre.

“Der nicht unproblematische Aufruf für mehr europäisches, aber auch nationales Selbstbewusstsein war sicherlich kein Wahlkampfmanöver (wie bei ihrem leichtfüßigen Vorgänger Schröder), aber er könnte dennoch den Ton setzen für den Endspurt im Wahlkampf.” (Ulf Poschardt, “Die Welt-Online”, 29.05.2017)

Und gerade mit diesem “nationalen Selbstbewusstsein” schlägt Merkel zwei Fliegen mit einer Klappe.

Zum Einen hat man die Chance erkannt sich von Amerika ein Stück weit emanzipieren zu können – so richtig mag ich das noch gar nicht glauben können – und zum Anderen nimmt man all denen den Wind aus dem Segel, die mehr Vertretung nationaler Interessen einfordern. Die Problematik des Neoliberalismus bleibt unberührt und wird wohl im Taumel deutscher Großmachtsfantasien untergehen. Wen interessiert denn da noch Innen- und Sozialpolitik?

Auch wenn ich die Begeisterung der Medien nicht teile, aber damit – sollte sich nichts gravierendes mehr ändern – hat Merkel sich die Kanzlerschaft für vier weitere Jahre gesichert.

Hinsichtlich dieser Perspektive bin ich gespannt, wie sich das künftige Verhältnis zu Russland gestalten wird, denn auch da gäbe es Optionen, die eine Zeitenwende im positiven Sinne einläuten könnte.

Viele Grüße aus dem Saarland,
Kris Schulte


Hallo Herr Berger,

wir sollten sowohl Trump als auch Merkel nicht überschätzen. Trump hat sich über den apolitischen Flügel der Republikaner ‘qualifiziert’ (Chomsky ist der Meinung, dass die Republikaner in der Reagan-Ära von der Machtelite gekapert wurde und, damit die 0,001% bei Wahlen bestehen kann, Wahlkämpfe mit radikalen Ansichten machen muss (Klima, Abtreibung, Ablehnung des Staatwesens, Cowboymentalität …)). Augenblicklich läuft alles zu ihrer Zufriedenheit. Falls er keine Einfuhrzölle verhängt, macht er im Sinne der Machtelite alles richtig. Und Merkel? Sie erfüllt die Vorgaben dieser Machtelite. Sie soll den amtierenden Poltergeist in die Schranken weisen – und das macht sie ordentlich. Merkel ist meiner Meinung nach eine Erfüllungsgehilfin der Nato, der Transatlantiker, der Großindustrie, des Geldadels. Dass sie oberflächlich betrachtet als mächtige Frau mit eigenständigen Gedanken und Machtanspruch daherkommt, ist eine Schmeichelei ohne Wahrheitsgehalt.

Die Machtelite braucht Kriege und Handel. Nur so kann man Gewinne generieren und noch reicher werden. Eingeengt formuliert: Trump muss Kriege liefern und Merkel muss stillhalten, Merkel muss Handel liefern und Trump muss stillhalten.

Der Geheimplan stammt nicht von Merkel.

Freundliche Grüße
Edmund Hagmann


Lieber Herr Berger,

die Szenarien, die Sie in Ihrem Artikel aufzeigen, widerspiegeln vielleicht das Wunschdenken einiger Strategen in den Hinterzimmern der Macht. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass ein Hegemonialstreben Deutschlands in Europa durchsetzbar ist. Dafür gibt es viele Gründe. Um dies plausibel darzustellen, müsste man allerdings hinter die Kulissen schauen können. Dennoch hierzu einige verstreute Gedanken

  1. Die meisten Überlegungen gehen davon aus, dass Frau Merkel die starke Frau im Zentrum der Macht ist. Das halte ich für völlig abwegig. Sie kann keine Strategien entwerfen. Wenn sie wirklich gefordert ist, kommen solche Entscheidungen zustande wie 2015 auf dem Gipfel der Flüchtlingskrise. Ansonsten ist sie ja bekannt dafür, dass sie gerne mal auf Tauchstation geht und abwartet, in welche Richtung sich der Wind dreht. Ihre Stärke liegt wohl eher darin, die Konzepte moderat zu verkaufen, die Ihr auf den Weg mitgegeben werden. Die Frage muss also lauten, welche Think Tanks die politischen Vorgaben erarbeiten und vor allem, wie diese besetzt sind und welchen Interessen sie dienen.
  2. Ich glaube nicht, dass eine nationale oder im europäischen Sinne ausgerichtete Politik der Masterplan für die Zukunft ist. Es gibt genügend Publikationen darüber, die zeigen, dass die internationale Politik künftig zunehmend durch die Interessen der Konzerne bzw. des Kapitals gesteuert wird. Die nationale Politik schafft dafür nur die Freiräume und wenn es geht, in einem möglichst großen Rahmen. TTIP ist dafür ein Beispiel, die Eigentümerstruktur der großen internationalen Konzerne ein anderes. Welcher Raum ist da noch für die Entfaltung nationaler politischer Interessen, außer, sich diesen Kapitalinteressen dienstbar zu machen?
  3. Allein aus dem Machtanspruch, der sich aus der Rolle eines Gläubigers ergibt, lassen sich Europa und die Welt nicht dauerhaft bevormunden. Abgesehen von dem riesigen finanziellen Loch, welches in Summe in den ‘Südländern’ aufgerissen ist, wird sich die Bevölkerung dieser Länder nicht ewig auf der Nase herumtanzen lassen, zumal dort ein starkes Nationalbewusstsein ausgeprägt ist. Nicht anders ist es in den Visegrád-Staaten. Und die sind noch nicht einmal in diesem Maße verschuldet. Man kann sich nicht vorstellen, dass sich Polen als starke Kraft in dieser Allianz ans Gängelband legen lässt. Könnte man sich denn unter den allgemeinen Auflösungserscheinungen vorstellen, dass Österreich unter einem neuen Kanzler an alte Traditionen anknüpft und sich dort andockt, um völlig neue Synergien für sich nutzbar zu machen? Deutschland sollte sich doch nicht in dem Glauben wiegen, überall als die beliebteste Nation auf dieser Welt angesehen zu werden. Es ist zwar nur ein Nebenkriegsschauplatz, aber die jeweils letzten Plätze beim Eurovision Song Contest der letzten Jahre sind nicht allein darauf zurückzuführen, dass Deutschland die schlechtesten Lieder gesungen hat.
  4. Eine Befreiung aus der amerikanischen Vormachtstellung kann ich nicht erkennen. Man darf doch den derzeitigen Dauerbeschuss des Präsidenten nicht mit einer allgemeinen Abnabelung von den transatlantischen Beziehungen verwechseln. Die alten Verbindungen zum Tiefen Staat scheinen ja immer noch gut zu funktionieren. Letztendlich ist das derzeitige Verhalten bestenfalls eine grobe Unsportlichkeit, weil die allgemeinen Spielregeln verletzt werden. In der Vergangenheit haben die unterlegenen Parteien den Machtverlust in den USA (und die damit verbundene zeitweilige Vermögensumverteilung) für die Dauer von ein oder zwei Legislaturperioden immer akzeptiert. Jetzt haben wir es mit einer neuen Qualität in diesem Spiel zu tun.
  5. Sollte es aber entgegen (4) doch zu einer neuen Machtverteilung mit einem unabhängig starken Europa/Deutschland kommen, dann darf auch die vernünftige Frage erlaubt sich, ob damit nicht auch die Beziehung zu Russland auf eine völlig neue qualitative Ebene gehoben werden kann. Ein solches Konglomerat wäre sicher auf lange Sicht ein Garant für Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung zum Vorteil aller Beteiligten.

Mit freundlichen Grüßen
Björn Ehrlich


Hallo, NDS,

in durchaus richtungslosen Zeiten für Regierende und Regierte, sind Interpretationen in alle Richtungen doch nichts Außergewöhnliches.

Ich versuche mal, die Bierzeltworte unserer Kanzlerin im Zusammenhang mit dem G-7- und dem NATOtreffen zu sehen. Sind die Ergebnisse der Treffen tatsächlich so nieder schmetternd gewesen, dass sie Anlass wären für, wenn nicht “tektonische”, so doch mindestens “historische” Schnellschüsse? Ich denke, dem ist nicht so. Merkel liefert meinen “Lieblingszeitungen” WP und NYT, DAS Fressen, aus dem die Zeitungen leicht eine Antipathie Trumps, Europa gegenüber, ableiten könnten. Diese Medien warten nur darauf, dass Trump einmal eine total ungeschützte Flanke anbietet.

Merkel’s Geheimplan (und selbst die Bierzeltäußerungen) enthält kiloweise Sprengstoff; und der Plan wird ihr noch von Seiten der USA auf die Füßchen fallen. Man könnte, wüsste man es nicht besser, Frau Merkel beinahe eine Bierlaune unterstellen. KEIN Ort für solche Aussagen! Stammt vermutlich aus dem Fundus “Wir schaffen das”!

Trump wird reagieren (müssen?) – und er wird seinen ZuhörernInnen beim Treffen unterstellen, ihn total missverstanden zu haben. Dann steht Frau Merkel da mit ihrem Spruch, jener, mit den versteckten Strategieambitionen. Selbst wenn sie das konsequent weiter verfolgen würde, was läge näher, als ihr eine deutsche und KEINE europäische Strategie zu unterstellen? Welcher Art Strategie – eine europäische NEBEN der NATO? Artikel 5 des NATO-Vertrages (Bündnisfall) in doppelter Ausführung? Oder ist es gar eine neoliberale Strategie? Wer würde mir mal die unterschiedlichen Strategien (Ziele) erklären wollen?

Vermutlich wird auch Frau Merkel ihre Biersätze relati(b)vieren…Wenn nicht? Vor allem die Osteuropäer, allen voran Herr Orban, sind doch spezialisiert darin, ihr Alleingänge vorzuwerfen…War das wieder einer?

Trump würde ihr das (eigene europäisch/deutsche Wege zu gehen) auch nie verzeihen und ich bin auch echt gespannt, wie Macron mit dieser Situation umgehen wird.

Beste Grüße,
Wilfried Schmitt

PS. Danke für Ihre hervoragende Aufklärungsarbeit in Zeiten, in denen Wahrheiten nichts mehr zählen! Sie haben zudem extrem kurze Halbwertzeiten…


Sehr geehrte Nachdenkseitenredaktion,

Ich meine das die in den Nachdenkseiten vertretene Sichtweise in dieser Sache und auch in Bezug auf die Wahl Macrons zu pessimistisch ist.

Sicher, in Berlin wird schon seit längeren heimlich vom alten Glanz geträumt. Ja, Angela Merkel ist wie keine Zweite  die Kandidatin des von Trump verschreckten globalen Kapitals. Ja, Macron ist ein Investmentbänkermännlein wie sie schon so viele die politische Bühne bevölkern. Aber gerade weil Merkel und Macron  „Kandidaten der mutlosen Vernunft“ sind, werden sie sich den geostrategischen tektonischen Verschiebungen die durch Trump und Brexit sichtbar geworden sind, nicht entziehen können. 

Kontinentaleuropa wird eine deutsche Instrumentalisierung der EU als Machtmittel schlicht nicht hinnehmen. Macron wird „Reformen“ nach dem Vorbild Schröders nicht ohne massive Widerstände durchsetzen können. Er wird einen Preis anbieten müssen, und dieser wird vermutlich sein, Deutschland auf einen sozialeren Kurs in Bezug auf Resteuropa zu zwingen. Dabei wird er ohne Zweifel die Unterstützung der „Ärmeren“  EU-Mitglieder finden. Deutschland ist auf die EU angewiesen und wird spätestens nach der Wahl Kompromisse machen müssen. 

Deutschland hat England als Partner und Buhmann für eine reine Freihandels-EU verloren. So ist zu vermuten das die EU als ganzes „Linker“ wird mögen die Köpfe diese Wende durchführen müssen auch „neoliberal“ sein. Hier gleicht die Situation den Neunziger Jahren, als weltweit linke Parteien gewählt wurden und diese getrieben vom vermeintlichen Standortwettbewerb „rechte“ Agenden  durchsetzten.

In Bezug auf Russland mögen Merkel und Macron die Hardliner spielen, aber Kontinentaleuropa kann sich ohne zuverlässige Rückendeckung der USA eine dauerhafte Konfrontation mit Russland weder militärisch noch wirtschaftlich leisten. Spätestens wenn Merkel ihr Amt auf die eine oder andere Weise aufgibt, wird Europa eine erneute Öffnung nach Osten vollziehen. Traditionell russlandfeindliche Staaten wie die baltischen Staaten und Polen werden ohne  Rückendeckung der Briten die Mitteleuropäer nicht dazu zwingen können eine Politik gegen ihre eigenen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen zu machen.

So gesehen steht uns also in Europa eine strahlende Zukunft bevor!

Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Bicher


Sehr geehrter Herr Berger,
 
meiner Ansicht nach ist der sogenannte “Geheimplan” nichts als substanzloses Gepolter. Man mag es auch Wahlkampfgetöse nennen.
Im Endeffekt wird sich nichts ändern, außer dass die Rüstungsindustrie durch den Aufbau einer EUTO nochmal massig Gerät absetzen kann. Die USA hat in den letzten Jahrzehnten als imperiale Supermacht ihr eigenes, hegemoniales Ding gemacht und das wird sie auch weiterhin tun. NATO-Europa wird Partner/Freund/Vasall bleiben. Russland ist beider Feind und China die Macht, die den eigenen Interessen gefährlich werden kann. Die neoliberale, zerstörerische Spaltung unserer Gesellschaften setzt sich weiter fort, genauso wie die Ausbeutung armer Regionen sowie die militärische Zerstörung islamischer Länder, bei stetig steigender Gefahr größerer Kriege, weil Ressourcen knapp und Ökosysteme instabiler werden.
 
Für mich ist da nichts Geheimes zu erkennen. Business as usual einer herrschenden Klasse, die leider nicht die Lösung, sondern das Problem ist. Ein Befund, mit dem ich mich allerdings in der Minderheit befinde. Die Mehrheit vertraut Mutti. Und so trudeln wir weiter Richtung Abgrund und werden uns erst verändern, wenn wir die drohenden Katastrophen am eigenen Leib spüren. 
 
Mit freundlichen Grüßen
Alexandar Allinger


Sehr geehrter Herr Berger,
 
ich sehe eine stärkere Hegemonie Deutschlands äußerst skeptisch. Jedes Mal wenn Deutschland sich anschickte Europa zu beherrschen, endete das in einer Katastrophe. 

Es scheint, dass Deutschland einfach nicht als Führungsmacht geeignet ist. Ein Anführer einer Gruppe zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er die Bedürfnisse der Mitglieder wahrnimmt und berücksichtigt. 

Deutschland lässt diese Eigenschaft gerade in der Eurokrise vermissen. Man leugnet die Zusammenhänge von Niedriglohn, Handelsüberschüsse und Staatschulden. Eigensüchtig wird die „Beggar thy Neighbour“-Strategie verteidigt, und man wähnt sich im Recht, weil man der Gewinner ist. Anstatt den elementaren Zusammenhang von Überschüssen und Defiziten einzuräumen, lästert man über die Verlierer. Wie soll man so gleichzeitig die akzeptierte Führungsmacht sein? Im Gegenteil man ist der verhasste Zuchtmeister, aus dessen Klauen man sich irgendwann befreien will.

Spätestens wenn Herr Weidmann EZB-Chef wird, ist die Zeit des Euro gezählt. Denn Deutschland wird in absehbarer Zeit seine Niedriglohnpolitik fortsetzen. Frankreich wird unter Macron versuchen den Kostennachteil gegenüber Deutschland etwas abzumildern. Es wird aber weiterhin Defizite machen, oder so extrem kürzen, dass in Europa endgültig eine Deflation ausbricht. Der Austritt Frankreichs und Italiens ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Es sei denn, in diesen Ländern werden Marionettenregierungen eingesetzt.
 
Freundliche Grüße
C. Sarantakis


Ich glaube, nichts liegt Merkel ferner, als die Idee einer deutschen Hegemonialmacht in Europa. Sie will es nicht, und sie begreift auch nicht, dass es dazu kommen kann. Deswegen sieht sie auch die Gefahren nicht, die dadurch entstehen können. In nationalen Dimensionen denkt sie nicht. Was Merkel antreibt, sind meines Erachtens zwei Dinge: die Wahlen in vier Monaten und ihre wirtschafts- und sozialpolitische Grundeinstellung. 

Was ist besser für eine zur Wahl stehende Kanzlerin, als eine unsichere Welt? Wer kann uns überhaupt noch schützen, wenn die USA es nicht mehr tut? Das sind ihre Gedanken, und sie verfangen bei vielen Menschen. Schon jetzt gibt es zumindest bei einer Umfrage (Forsa 23.05.) eine absoluten Mandatsmehrheit für CDU/CSU und FDP (zusammen 48 % der Stimmen bei 5 % Sonstigen). Mit der Perspektive des von den USA “allein gelassenen” und damit unsicheren Europas, ist eine bürgerliche Koalition nicht mehr abzuwenden. 

Merkel hat 2005 ihren ersten Wahlkampf als Kanzlerkandidatin mit extrem neoliberalen Forderungen geführt (Kopfpauschale in der Krankenversicherung, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Senkung des Kündigungsschutzes, Studiengebühren). Sie hatte damit zwar knapp gewonnen, doch nur mit einem mäßigen Ergebnis (35,2 %, -3,3 % gegenüber 2002). Ihr Machtinstinkt hat ihr bei den folgenden Wahlen gesagt, dass sie mit solchen Forderungen nicht gewinnen kann. Was aber machen, wenn sie solche Dinge durchsetzen will? So wie Schöder, also vor der Wahl sozial reden und nach der Wahl sozialen Kahlschlag?

Nein, es geht eleganter: über Europa. In Europa herrschen überwiegend konservative und liberale Regierungen, entsprechend ist die Europäische Kommission zusammengesetzt: 14 Konservative, 5 Liberale und 8 Sozialdemokraten. Fast alle Resorts, die etwas mit Wirtschaft und Sozialem zu tun haben sind in den Händen der Liberalen und Konservativen (nur ein Sozialdemokrat besetzt noch ein Wirtschaftsressort, der kommt aus Frankreich und steht damit demnächst sicher zur Disposition). Mehr Europa heißt also immer auch mehr liberale Wirtschaftspolitik. Da kann sich Merkel in der bürgerlichen Presse weiterhin als “sozialdemokratische” Kanzlerin feiern lassen – und gleichzeitig nutzt sie Europa für ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen. 

Ich denke, dass auch die Militärpolitik für sie nur ein Mittel zum Zweck ist. Sie denkt zu rational, als dass sie prinzipiell mehr Geld in Rüstung stecken will. Aber es passt halt im Moment: es bindet die Osteuropäer ein und verfestigt die Meinung in der Bevölkerung, dass wir außenpolitisch in unsicheren Zeiten leben. Auch wenn die Mehrheit der Deutschen nicht der Meinung ist, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bedeutet, bleibt doch eins hängen: die Welt ist unsicher – und da hilft nur Merkel. 

So bitter es ist: man muss Merkel für ihren Machtinstinkt und das Nutzen einmaliger Gelegenheiten (wie jetzt Trump) Respekt zollen. Sie hat genau das, was offenbar weder Martin Schulz noch irgend ein Mitarbeiter der SPD-Zentrale haben. Diese sind allenfalls machtverliebt und verschlafen erst ihr Umfrage-Hype, und begreifen offenbar bis heute nicht, wodurch dieses kurze Umfrage-Hoch ausgelöst wurde: durch das Reden über den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Diese Umfragehoch war die einmalige Chance der SPD, und mit einem Quäntchen Machtinstinkt hätten sie es halten können, indem sie konkret geworden wären und klare Versprechen und Ansagen gemacht hätten. 

Herzliche Grüße, Thomas Rüffer


Plan A oder B?
 
Trump war und ist niemals der Kandidat der politischen Eliten (gewesen), dies war Hillary Clinton. Entgegen aller Versuche der Massenmedien, die zu über 90% ein Jahr lang Anti-Trump Propaganda mit unglaublicher Schärfe veranstalteten geschah das Undenkbare: Trump – der falsche Kandidat – gewann die US-Wahl.
Das eingespielte Eliten-Netzwerk in Washington kann auf einmal nicht mehr bedenkenlos schalten und walten wie es möchte. Die Medien, sogar die Geheimdienste – zentrale Säule des „Deep State“ – stehen tw. am öffentlichen Pranger (dank Twitter…). Das ist eine vollkommen neue Situation. 
Und Trump war und ist kaum berechenbar. 
 
Welche Optionen haben nun die Machteliten, wenn sie erstmals den Präsidenten nicht mehr steuern können? Entweder Loswerden (-> Impeachment, die Vorbereitungen laufen bereits, Plan A) oder Ausweichen auf eine Regierungskraft, die ausreichend Einfluß hat und nach wie vor gut zu steuern ist (Plan B).
Wer könnte das sein? Im Herzen Europas existiert da seit Jahrzehnten die treueste Gefolgschaft der USA, ein Land das alles mit sich geschehen läßt und deren Leitmedien maximale Treue geschworen haben. Und das in Europa die erste Geige spielt, dabei äußerst solvent und außenpolitisch ohne eigene Meinung ist. Bingo!
Was also tun? Was hinter den Kulissen läuft werden wir kaum erfahren. Vor den Kulissen macht sich ein neues Traumpaar der Weltpolitik bereit: Merkel und Obama. Obama? Hat der noch etwas zu sagen? Offiziell nicht, aber… (wer nach z. B. „Obama und Merkel“ googelt erkennt schnell die neue mediale Marschrichtung: „Anfangs begegneten sie einander mit Skepsis, später bezeichnete Obama Merkel als “engste Verbündete” sagt z.B. die tagesschau.)
 
Was sagt uns dies? Die seit mehr als 50 Jahren praktizierte Hegemonial-Strategie der transatlantischen Machteliten kann und darf durch einen unplanmäßigen Präsidenten nicht ernsthaft gefährdet werden. Zwei Strategien laufen nun parallel: Trumps Amtsenthebung (oder gar Schlimmeres) und die Steuerung des transatlantischen Blockes von einer Außenstelle in Berlin. So ähnlich wie damals der Gegenpapst in Avignon. 
 
Die Symbolik ist schon klar zu erkennen: die Führungsrolle der US in NATO und Diplomatie wird offen in Frage gestellt (von Merkel!), die „Europäer“ müssten ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen u. ä. Hier wird die Situation vorbereitet, dass die EU offen in Widerspruch zu Trump geht, falls dieser nicht rechtzeitig „auf Linie“ gebracht werden kann. Sein Versuch, eine Annäherung an Russland zu erzielen wurde ja bereits im Keim erstickt, ebenso wie eine friedliche Lösung in Syrien, bei welcher Assad und Russland im Spiel geblieben wären.
 
Das scheinbar aussenpolitisch erstarkende Deutschland ist damit nichts anderes als der Plan B der Eliten, der zum Einsatz kommt, wenn Plan A (Gefügigmachung oder Absetzung Trumps) scheitern sollte.
 
Schönen Gruß,
Thomas Eisinger


Lieber Jens Berger,

nach wie vor ist Deutschland zwar ökonomischer Riese, aber  militärischer Zwerg, zudem noch festgenagelt durch US-Präsenz, NATO und Reste des Besatzungsstatuts. Die ökonomisch ungleichmäßige Entwicklung der europäischen Länder und dementsprechend divergierende Interessen (deutsche Überschüsse, Schulden der anderen usw.) dürfte das “deutsche Europa” eher zur Fata morgana machen. Frankreich träumt  von einem französischen Europa usw. (führend mit einem frankophonen Imperium und deutscher Beihilfe). Auch allen anderen “Partnern” ist das nationale Hemd letztlich näher als ein deutscher Rock, da hilft auch die hingebungsvollste Europa-Romantik nichts. Insgesamt dürfte die “geostrategische Wende” eher zu anschwellender Kakophonie nicht nur in Europa führen. Der deutsche Wahn, dass Schulden und Deindustrialisierung der anderen nur auf deren versäumten “Reformen”  bzw. besseren deutschen Produkten beruhen, wird Europa weiter spalten. Die einzig denkbare Alternative – ein gesamteuropäischer Länderfinanzausgleich in welcher Form auch immer – würde ein Vielfaches der Summe des Aufbaues Ost kosten und wäre unbezahlbar, zumindest unvermittelbar. Auch das Patentrezept von mehr deutschen Investitionen in Bildung, Infrastruktur sowie höheren Löhnen müsste erst mal mit der deutschen Real-Exportwirtschaft verhandelt werden, die mit Sicherheit nicht  ihr Geschäftsmodell und die Wettbewerbsfähigkeit des entsprechenden materiellen Produktionssystems  zugunsten der Konkurrenten zurückfahren wird. Wahrscheinlicher als ein deutsches Europa scheint mir in einer kommenden Krise ein ökonomisches Stalingrad Deutschlands. 

Richtig ist, dass die Zeit des vermeintlichen “ideellen Gesamtimperialismus unter Führung der USA“ (Robert Kurz)  von einer komplexeren, brisanten “multipolaren” Gemengelage abgelöst wird mit unkalkulierbaren Risiken und Nebenwirkungen. 

Viele Grüße
Karl-Heinz Goll


Lieber Herr Berger,

ist ja interessant, dass die Bundeskanzlerin Geheimpläne laut FAS im Bierzelt lanciert ….

Im Ernst: Es läuft medial die Operation GröKaZ (größte Kanzlerin aller Zeiten) und rhetorisch alles nach dem gleichen Schwarzfahrer-Prinzip.

Makron nutzt die Aufregung über Le Pen um einen Wahlsieg ohne oder trotz seiner Wahlaussagen einzufahren. Der Bundespräsident hält auf dem Kirchentag eine Rede gegen Fake-news und über die Gefahr, die Wichtigkeit objektiver Vernunft und Wahrheit zu vergessen – und stilisiert so kostenlos und unter dem Beifall der Kirchentagsbesucher die herrschende politische Klasse als Inbegriff der Wahrheit und Vernunft. Die Bundeskanzlerin nutzt den Buhmanneffekt eines Trump, um sich nach “Führerin der freien Welt” nun auch als Jeanne d’Arc der europäischen Idee zu profilieren – um dabei immer nur dieselben deutschen Interessen – wie sie sie versteht – in Europa zu vertreten.

Dass damit ernsthaft ein Kurswechsel gegenüber den USA verbunden ist, ist ebenfalls ein Schwarzfahrer-Mythos, den die Kanzlerin gerne auch noch mitnimmt, wenn man ihn ihr anbietet.

Dass politische Rhetorik stets einen doppelten Boden hat, hört der in der Selbstwahrnehmung ehrliche Deutsche nicht gerne – und ist genau darum ein willliges Opfer von Bierzeltinszenierungen wie der der Kanzlerin.

Deutsche Wähler sind sich mit ihrem politischen Führungspersonal einig: Was Machiavelli über Politik zu sagen hatte, gilt vielleicht für Italien – in Deutschland vertrauen wir der Obrigkeit.

P.S.: Auf dem evangelischen Kirchentag tat der Präses der evangelischen Kirche, Bedford-Strom auf dem Dreier-Podium kund, mit Obama sitzte er neben dem ehemals mächtigsten Mann der Welt. Merkel, die in der Mitte saß, ließ das nicht auf sich sitzen: Zunächst mal sitze Bedford-Strom neben ihr. Es ist nicht so, dass Merkel von sich selbst als Jeanne d’Arc nicht überzeugt wäre …. das macht die Sache nicht besser.

Liebe Grüße

EJ


Herzlichen Dank für `Merkels Geheimplan – sind wir Zeugen einer historischen Zeitenwende?´ 

Der ist sehr interessant, doch ich sehe die Sache völlig anders, nämlich: 

Merkel ist nicht so dumm, Deutschland zur führenden Macht in Europa zu machen. M. E. sieht sie die Chance, das Schwergewicht unserer Beziehungen von West nach Ost zu verschieben. Mitte Juli 2016 fand das 11. ASEM-Treffen (Asia-Europe Meeting) in Ulan Bator statt, also in der Mongolei. 30 Regierungschefs aus Ost und West sowie die Spitzen der EU sprachen zum Thema `20 Jahre ASEM: Partnerschaft für die Zukunft durch Vernetzung.´ Dabei wurde u. a. beschlossen, `sich für verstärkte Handels- und Investitionsströme zwischen den Regionen´ einzusetzen. Ich habe – und zwar seit langem – die Hoffnung, dass die Europäische Union und Russland eine `Europäisch-Asiatische Wirtschaftsunion´ bilden, die von der atlantischen bis zur pazifischen Küste reicht. Das wäre in meinen Augen ein Riesenvorteil für beide Seiten: Europa hat in Wissenschaft und Technik sehr viel zu bieten, der Osten hat den riesigen Raum und gewaltige Bodenschätze. Das sind  jeweils nur zwei Faktoren unter vielen. Eine enge Zusammenarbeit, (zunächst) nur in der Wirtschaftspolitik, käme beiden Seiten zugute. Wenn die Erfolge bringt, dann würden vielleicht andere Länder sich anschließen, vor allem China. Den Nutzen hätten alle Teilnehmer, sicher auch der Rest der Welt. Das nächste ASEM-Treffen findet übrigens 2018 in Brüssel statt. 

Rudolf Binsack


Hallo Nachdenkseiten,

ich habe jetzt Herrn Müllers heutige Gegendarstellung  nur kurz angelesen, halte die ganze Geschichte aber auch für einen geschickten (Wahlkampf-)Coup , denn damit hat Merkel einen hübschen Wellenbrecher gegen rechtsaußen installiert,  damit wieder Europa als “Europäische Idee” in den Fokus gerückt und kann durchaus damit rechnen, gemäßigt rechtskonservativ-nationalistisch ausgerichtete Kräfte (bzw. deren Wähler und Wutbürger- Sympathisanten), die aus diesen Gründen auch die EU ablehnen wieder ins Boot zu holen und damit die gesamte rechtspopulistische Bewegung zu fragmentieren – so etwa könnte das in der Theorie aussehen.

Aussenpolitisch bzw. europolitisch liesse sich dann auch, wie angedacht, der deutsche Führungsanspruch weiter zementieren und unsere Angela für weitere vier Jahre den bundesdeutschen Thron besteigen lassen.

Sie ist zwar eine lausige Rednerin die gern alle bürgerlichen Denkklischées bedient und sich als betuhliche Kaffeetante generiert (“Aber bitte mit Sahne”) aber dumm ist sie (und ihre politschen Berater) sicherlich nicht.

Auf emotionaler Ebene war meine persönliche Resonanz unmittelbar an Orwells 1984 zu denken und die dortige Darstellung, die Welt in sich untereinander endlos bekriegende Machtblöcke zu unterteilen. Gott (oder wer auch immer) bewahre uns vor diesem “Schicksal”….

Unmittelbar vorher las ich übrigens diesen Artikel in der NRhZ-Online, den man bei der Betrachtung des ganzen Spektakels nicht ausser Acht lassen sollte. Für alles Weitere muss man wohl erst einmal abwarten und Tee trinken.

Beste Grüße,

André G.


Kein Geheimplan, keine geostrategische Wende – Ich würde Albrecht Müller weitgehend Recht geben wollen. Die vermeintliche „geostrategische Wende“ ist keine. Die „Emanzipation Europas“ unter deutscher Führung wurde bereits am Tag von Trumps Wahlsieg von „HillaryUSA“ so gefordert, als sie ausgerechnet Angela Merkel zur neuen „Fackelträgerin der Freiheit“ ausriefen (Washington Post?). Dass diese jetzt ernst macht und (ohne jeden Widerstand aus Politik und Medien in Deutschland) statt des gewählten US Präsidenten die Front gegen Russland und die anderen „Feinde der Freiheit“ anführen und die Globalisierung retten will zeigt zweierlei: einerseits, wie mühelos Hillary(corporate)USA in Deutschland durchregieren kann und andererseits, dass der Demokratieunfall Trump möglicherweise nicht so schnell „korrigiert“ werden kann, wie man ursprünglich hoffte.

Widersprechen würde ich lediglich der Interpretation als „Wahlkampftrick“. Dass die Figur Merkel durch dieses Vorgehen auch als Wahlkämpferin profitiert, ist aus Sicht ihrer Auftraggeber wohl kaum mehr als eine erfreuliche Nebenwirkung.

Ich wollte es kurz machen und bitte, die ungenauen Formulierungen zu entschuldigen!
 
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für Ihre unverzichtbare Arbeit an den Nachdenkseiten!
 
Lothar Zimmermann


Nach meiner Überzeugung vollziehen Merkel wie Trump als Angestellte der echten Machteliten folgende geheime Kooperation: eine wesentlich höhere Stufe der Militarisierung und der Überwachung wird erreicht durch den „Trick“, die Propaganda zu verbreiten, man sei vom großen Bruder, dem transatlantischen Hegemon verlassen worden und müsse nun eigene Verantwortung voll übernehmen. „Europa first?“ Nein: „Europa Weltmacht Nr. 2“.

Solche Politik braucht äußerste Härte, u. a. gegen Migranten, und viel Geld. Feindbilder werden nicht abgebaut, sondern verhärtet. Ausbau Europas als Atommacht wird auch angedacht.

Cui bono? Dem militärisch-industriellen Komplex, der Finanzkapitalindustrie und den transnationalen Konzernen, alles unter dem ideologischen Deckmantel des Neoliberalismus.

Manfred Lotze

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