Auf dem Weg zum Regime Change in Russland wäre ein Teil-Boykott der Fußballweltmeisterschaft ein weiterer Schritt. Campact hilft dabei. Ein Einordnungsversuch.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Was um uns herum vorgeht – von immer neuen Meldungen und Aktionen im Falle Skripal über die Attacken auf Nordstream 2, die neuen Sanktionen der USA gegen Russland und die Meldungen zu Syrien – erscheint sehr verwirrend. Irrsinnig könnte man es auch nennen. Die folgenden Anmerkungen sind ein Versuch zur Einordnung verschiedener rätselhafter Vorgänge. Rätselhaft ist vor allem die Tatsache, dass Russland sowohl bei der Affäre Skripal als auch im Falle Syriens auf die Anklagebank zu sitzen kam, obwohl seine Verantwortung und Schuld ausgesprochen zweifelhaft sind. Bei diesem Einordnungsversuch ist die Erkenntnis, dass wir es vor allem mit Meinungsmache und mit einer Propagandaschlacht zu tun haben, von großer Bedeutung. Die Meinungsmache dient der Durchsetzung der westlichen Interessen und notfalls der Kriegvorbereitung durch einseitige Schuldzuweisung. Albrecht Müller.

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Meinungsmache und Propaganda werden von Entscheidungen und Schachzügen verschiedener Personen und Einrichtungen gestützt.

Dazu gehört auch ein kleiner Schachzug, der letzte Woche auf den Tisch kam: eine Campact-Petition für den Boykott der Fußballweltmeisterschaft in Russland. Man muss kein Fußball-Fan sein und schon gar kein Fan von Meisterschaften, um zu verstehen, dass der Boykott der Weltmeisterschaft durch eine nennenswerte Zahl von westlichen Staaten ein herber Schlag für Russland und die russische Führung sein würde. Damit würde die Konfrontation zwischen West und Ost weiter verschärft. Das passt ins Bild, das mit uns viele Leser der NachDenkSeiten und ehemalige Förderer von Campact von dieser Organisation haben. Dies nur als Vorbemerkung aus aktuellem Anlass. Und jetzt der Einordnungsversuch:

Im Westen hat sich die Linie der Konfrontation durchgesetzt. Diese wird angetrieben von der Vorstellung, es müsse unbedingt eine monopolare Welt, geführt von den USA und begleitet von der NATO, geben.

Diese Vorstellung von einer imperialen Weltordnung ist gepaart mit der neoliberalen Ideologie und im Kern auch von der Vorstellung, dass das Imperium auf die Ressourcen anderer Völker zurückgreifen könne. Die Ausbeutung anderer Staaten und Völker und die Zerstörung von Staaten sowie die Destabilisierung ihrer bisherigen Regierungen, die im Wege stehen oder stehen könnten, gehört mit zu diesem Konzept. Und dies geschieht stets im Namen von Freiheit und Demokratie. So ist man von westlicher Seite im Irak und in Libyen und übrigens auch in Staaten der westlichen Hemisphäre wie zur Zeit wieder in Brasilien vorgegangen. In Syrien wird das seit 2011 versucht, im Iran und zum Beispiel auch in Kuba ist es geplant, und unterschwellig eben auch in Russland. Auf dem Weg dorthin gibt es viele Unwägbarkeiten und auf jeden Fall viele Tote und unglaublich viel Zerstörung – heute zu besichtigen in Afghanistan, im Irak, in Libyen und in Syrien.

In den USA ist diese Ideologie und die damit verbundene weltpolitische Vorstellung dominant bei den Republikanern und insbesondere den sogenannten Neocons, aber eben nicht nur bei ihnen. Die Kriege des Westens sind auch von den Demokraten getragen worden, auch von Hillary Clinton z.B.. Die Bewunderung für sie im Kontrast zu Trump kann man so erklären, dass die Bewunderer systematisch über die Realitäten hinwegschauen, so zum Beispiel über die Rolle von Frau Clinton bei der Zerstörung Libyens. Und auch über die Rolle und die Untaten des Präsidenten Obama im Drohnenkrieg.

Es gab ja auch unter linken und kritischen Beobachtern des Geschehens solche, die in dieser Situation Sympathien für den jetzigen Präsidenten der USA, für Herrn Trump entwickelten. Aber das scheint eine fundamentale Selbsttäuschung zu sein. Trump widerspricht dieser erhofften Linie selbst mit personellen und politischen Entscheidungen. Er heizt in Syrien an, er hat neue Sanktionen gegen Russland beschließen lassen und er hat einen der härtesten kalten Krieger zum Sicherheitsberater im Weißen Haus ernannt. Seit Montag, den 9. April residiert dort John Bolton. Siehe dazu den NachDenkSeiten-Beitrag von Ray McGovern: Die kommende Attraktion: Der Irre ist los im Westflügel – Braucht es noch mehr Eindeutigkeit?

Damit ist Ziel und Methode der Entspannungs- und Friedenspolitik, die in den sechziger Jahren entwickelt wurde und 1990 mit dem (vermeintlichen) Ende des West-Ost-Konfliktes ihren Abschluss fand, erledigt. Die Ergebnisse der Arbeit einer wichtigen Epoche wurden einfach getilgt, ausradiert.

Die Vertreter dieser auf Zusammenarbeit und Freundschaft auch mit Russland Setzenden sind entweder tot (Willy Brandt, Egon Bahr, Helmut Schmidt, Helmut Kohl zum Beispiel), oder kaltgestellt wie zum Beispiel Willy Wimmer von der CDU und eine Gruppe von Sozialdemokraten wie Andreas von Bülow, Johannes Posth und ich. Zu diesen kaltgestellten Personen könnte man auch eine Gruppe von Politikerinnen und Politikern zählen, die sich gerade mahnend zu Wort gemeldet haben: Antje Vollmer, Horst Teltschik, Günter Verheugen Edmund Stoiber und Helmut Schäfer. Siehe hier die Vertonung einer Erklärung in der FAZ.

Andere frühere Vertreter einer Entspannungs- und Friedenspolitik sind „umgedreht“ worden – anders kann man das nicht ausdrücken. Das gilt für eine ganze Reihe von Vertretern jener Parteien, nämlich SPD und Grünen, die in der entscheidenden Phase zwischen 1963 und 1990 die Antreiber und Garanten der friedenspolitischen Entwicklung waren.

Kriege werden geführt, Kriege werden wieder als möglich und als Teil der Politik betrachtet, auch große Kriege sind vermutlich einkalkuliert, wenn beispielsweise der große Regime Change in Russland auf andere Weise nicht möglich sein sollte.

Der Widerstand gegen Kriege, gegen Aufrüstung und Konfrontation ist dahingeschmolzen. Es gab keine massiven Proteste gegen Aufrüstung. Es gibt keine erkennbaren Proteste gegen die Beteiligung Deutschlands an Kriegen in Syrien und vielen anderen Stellen der Welt. Kein Thema.

Das ist deshalb besonders kritisch, weil an den Hebeln der Macht in den USA, in GB und anderen Ländern skrupellose Menschen sitzen. Siehe Bolton und May. Siehe dazu den Beitrag von gestern: Wir werden von Lügnern und Kriminellen gesteuert und das Bürgertum juckt das mehrheitlich nicht. Genauso wenig wie damals die Machtergreifung der Nazis und ihre Kriegsvorbereitung.

Die Destabilisierung anderer Länder, im konkreten Fall Russlands, muss nicht auf kriegerische Weise geschehen. Die im konkreten Fall bevorzugte Methode ist die Destabilisierung durch Propaganda, durch Meinungsmache, durch Sanktionen, durch Lobbyisten und NGOs. Die Meinungsmache hat dabei eine zentrale Bedeutung gewonnen.

Sie wird gepaart mit Aktionen einzelner Personen. Es werden Ereignisse geplant und umgesetzt. Das erleben wir gerade jetzt im Falle dieses angeblich von den Russen betriebenen Giftanschlags in Großbritannien und des angeblich von der syrischen Regierung verübten Giftgaseinsatzes östlich von Damaskus. Dieser kann von Assads Regierung und Militär kommen; er kann von Islamisten in Syrien kommen, kann von den Weißhelmen kommen und auch von westlichen Geheimdiensten organisiert sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Fall des italienischen Politikers Aldo Moro, über dessen Entführung und Tod wir auf den NachDenkSeiten gerade berichtet haben: 11. April 2018 Zur Erinnerung an die Entführung und Ermordung von Aldo Moro und als Hinweis auf aktuelle ähnliche Vorgänge.

Da ist alles möglich. Es ist sogar möglich, dass diejenigen, die den Giftanschlag jetzt zur Anklage gegen Russland nutzen, die Sache selbst inszeniert haben bzw. inszenieren haben lassen. Interessant an diesem Vorgang ist nebenbei betrachtet ja auch, dass sichtbar wurde: es gibt private Einrichtungen und Firmen, die gegen viel Geld oder Einfluss solche Anschläge inszenieren und die notwendige Agitation organisieren können.

Obwohl also alles möglich sein könnte, kam Russland auf die Anklagebank und hat wohl nach dem Eindruck der großen Mehrheit der westlichen Öffentlichkeit diesen Platz auch verdient. Das ist mit einer Orgie an professioneller Agitation und Manipulation gelungen.

Weil es beim Durchblick hilft, die Methoden zu kennen, gehe ich wie schon des Öfteren auf die Methoden ein, die in den konkreten Fällen benutzt werden:

Perfekte Meinungsmache und die eingesetzten Methoden der Manipulation

  1. Eine Botschaft ist glaubhaft oder wird glaubhafter, wenn sie permanent wiederholt wird.

    Das geschieht in allen konkreten Fällen perfekt und immer wieder. Die Botschaft, Russland sei schuld am Giftangriff auf Skripal und Tochter wie auch die Botschaft, Russland sei schuld am Syrien-Krieg oder die syrische Regierung habe Giftgas eingesetzt, wird unentwegt wiederholt. Das ist schon dadurch gesichert, dass es viele Absender für diese Botschaft gibt. Siehe 2

  2. Eine Botschaft erscheint als glaubwürdig, wenn sie von vielen Absendern ausgesandt wird.

    Im konkreten Fall hat schon die Fülle der westlichen Staaten, die sich der Verurteilung Russlands angeschlossen haben, beeindruckt und sicher auch viele Menschen überzeugt. Großbritannien, die USA, Frankreich und dann Deutschland und dann wurde auch noch behauptet: die gesamte EU. Als diese Bedingung der Geschlossenheit innerhalb der Europäischen Union gefährdet war, hat sich zum Beispiel der grüne Abgeordnete Giegold mit einem Appell und einer Verurteilung der Nicht-Ja-Sager zu der Ausweisung von Diplomaten und zu weiteren Sanktionen zu Wort gemeldet. Seine seltsame Intervention sollte dazu dienen, die Geschlossenheit der Absender der Botschaft herzustellen und damit auch ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen.

  3. Eine Botschaft wird dann glaubwürdiger, wenn sie aus verschiedenen Ecken ausgesandt wird.

    Deshalb ist es von großer Bedeutung für die Glaubwürdigkeit zum Beispiel der Behauptungen der britischen Regierung, wenn auch Medien, die man nicht für reaktionär bis konservativ hält, die Parolen übernehmen. Deshalb sind taz und Frankfurter Rundschau und auch der Spiegel, der in manchen Kreisen immer noch ein progressives Image hat, so wichtig für die Durchsetzung rechter Positionen in Sachen Krieg und Frieden.

    Auch die Aktion/Petition von campact gehört in diese Kategorie.

  4. Eine Botschaft wird glaubhafter, wenn sie affirmativ und ohne Selbstzweifel vorgetragen wird.

    Das hat schon May begriffen und der deutsche Außenminister Maas hat es ebenso professionell nachgemacht.

    Deutsche Medien üben sich in dieser Methode gerade am Beispiel des angeblichen Chemiewaffeneinsatzes durch angeblich die syrische Regierung.

  5. Man kann eine Botschaft A dadurch glaubhaft und glaubwürdig erscheinen lassen, dass man sie mit einer Botschaft B transportiert.

    Diese klassische Methode haben die westlichen Staaten mit der Ausweisung des diplomatischen Personals Russlands angewandt. Mit B, der Ausweisung, lassen sie als glaubhaft erscheinen, dass Russland schuld ist am Giftanschlag von Salisbury.

  6. Man macht eine nicht belegte Behauptung dadurch glaubwürdig, dass man sie mit anderen ähnlich gelagerten Behauptungen kombiniert. Dann stützen sich die nicht begründeten Behauptungen gegenseitig und erwecken den Eindruck von Glaubwürdigkeit.

    Dass das funktioniert, habe ich erst jetzt im Zusammenhang mit dem Versuch, aus den Russen das wahre Böse zu machen, erlebt und beobachtet. Da sind immer im Paket die gleichen Vorwürfe gebündelt worden: Giftanschlag in Salisbury, Chemiewaffen-Einsatz in Syrien, Unterstützung rechter europäischer Parteien, Cyberattacken im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, Schlächter Assad, Autokrat Putin usw.

  7. Eine echte Innovation unter den Methoden: die eigenen Leute im Abwiegeln von Zweifeln und Kritik sprachfähig machen. Das geschieht jetzt mit einer neuen Worterfindung: Whataboutism

    Bei Spiegel Online finden Sie das gerade im sechsten Abschnitt dieses Artikels. Irgendwie Wahnsinn.

Als ich 2009 das Buch „Meinungsmache“ veröffentlichte, wusste ich sehr wohl, welche Bedeutung Meinungsmache und die dafür entwickelten Strategien für die Entwicklung unserer Gesellschaften haben werden. Dass Meinungsmache kriegsentscheidend werden könnte, konnte ich mir so ganz nicht vorstellen.

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