Brasiliens neue Regierung – Generäle, Klimaleugner und Evangelikale

Brasiliens neue Regierung – Generäle, Klimaleugner und Evangelikale

Brasiliens neue Regierung – Generäle, Klimaleugner und Evangelikale

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Der neue Außenminister, Ernesto Araújo, ist davon überzeugt, der Klimawandel ist eine „marxistische Verschwörung”. Der Minister für institutionelle Sicherheit – der für die Koordinierung der Geheimdienste zuständige General Augusto Heleno – ist der Ansicht, der geplante private Waffenbesitz ist „so harmlos wie Autofahren“. Auf die Frage, ob mit dem Waffenbesitz die schwindelerregende Mordziffer von jährlich 60.000 Toten nicht noch weiter nach oben getrieben werde, will er nicht antworten. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Die neue Ministerin für Frauen, Familie und Menschenrechte – die evangelikale Pastorin Damares Alves – schwört in einem in den sozialen Netzwerken viralisierten Video, dass sie nur deshalb noch am Leben sei, weil sie im Alter von 10 Jahren den leibhaftigen Jesus auf einem Guava-Baum hocken sah, der sie daran hinderte, sich umzubringen. Die religiöse Ministerin bezeichnete ihre Nominierung als „göttliche Mission“ und erklärte, der Staat müsse nun von der Religion „kontrolliert“ werden.

Dann trat Jair Bolsonaro – Chef aller drei und seit 1. Januar 2019 vereidigter Präsident Brasiliens – in Szene und rührte noch einmal seinen bevorzugten Wahlbrei zum unappetitlichen Teig an. Während seines wenige Minuten dauernden Amtseides erklärte er, „vor der ganzen Nation verkünde ich dieses Datum als den Tag, an dem das Volk begann, sich vom Sozialismus, von der Umkehrung der Grundwerte, des staatlichen Gigantismus und des politisch Korrekten zu befreien!”, und wiederholte einen seiner Wahlslogan, wonach die brasilianische Flagge „niemals rot sein wird”.

Solche Phrasen wirken auf kritische Ohren wie hirnverbrannte Phantasien, war Brasilien doch nie zuvor „sozialistisch“ und wurden auch die gelb-grünen Farben der seit 1889 zum nationalen Symbol erhobenen brasilianischen Flagge niemals geändert. Doch Bolsonaro ist ein Provokateur und opportunistischer Agitator. Er spricht für die vor und im Namen der hinter ihm Stehenden: die Masse und die Militärs.

So ist zum Beispiel sein Angriff auf die sogenannte „Umkehrung der Grundwerte“ eine Eskalierung jener Warnung vom abdankenden Heereschef, General Eduardo Villas Bôas, der bereits 2017 gegen eine angebliche „Diktatur der Political Correctness“ – also gegen die von der Regierung der Arbeiterpartei mit Rechten ausgestatteten Indianer, sexuelle Minderheiten, Umweltschützer, Feministinnen und Landarbeiter-Bewegung – mobilmachte.

Die vor dem Präsidentenpalast versammelte Menschenmenge – nach offizieller Zählung etwa 100.000, jedoch weitaus weniger, als angefeuert und erwartet – jubelte und kreischte dem zum „Mito“ (Mythos) erhobenen Vaterlandsretter entgegen. Draußen war das Regierungsviertel von Vergitterungen und Absperrungen bis zur Luftüberwachung durch patrouillierende Flugzeuge auf nahezu absurde Weise überwacht. Drinnen strafte die Trump nachahmende Regierung Dutzende Journalisten mit ihrer Einpferchung in einem Warteraum ab, in dem es keine Stühle, Tische, Trinkwasser und Toiletten gab. Bei Zuwiderhandlungen wurde mit Schusswaffengebrauch gedroht.

Wie einst Trump Fox TV zu seinem Sprachrohr machte, so erteilte Jair Bolsonaro mit sofortiger Wirkung nur noch dem evangelikalen Sender TV Record das Recht auf Interviews. Die übrigen, angeblich „feindlich gesinnten“ Medien werden fortan ignoriert. In der demokratischen Szene macht inzwischen eine Ironie die Runde: Die gleichen Medien, die über Jahre hinweg zum Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff und der Kriminalisierung von Altpräsident Lula da Silva aufriefen, scheinen nun „vom eigenen Gift zu kosten“.

US-Hörigkeit, Israel-Bündnis und der diplomatische Limbus

Die Vereidigung des ehemaligen Heereshauptmanns zum Präsidenten entpuppte sich jedoch im Handumdrehen als außenpolitisches Desaster. Die kaum 46 Vertretungen zählenden internationalen Delegationen – angeführt von gerade mal 10 Staats- und Regierungschefs – markierten den niedrigsten Stand der vergangenen drei Jahrzehnte.

Mit einem Mix aus Schadenfreude und Besorgnis erinnerten brasilianische Medien daran, dass zur Amtseinführung des liberalen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso im Jahr 1995 immerhin 120 Delegationen und zur ersten Vereidigung seines Nachfolgers, Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, im Jahr 2003 mindestens 110 ausländische Delegationen den Machtwechsel begrüßten; seit 1992, mit drei hintereinander folgenden, feierlichen Besuchen des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro und Venezuelas Hugo Chávez.

Gegen die Grundregeln nicht nur des politischen Anstands, sondern jahrhundertalter diplomatischer Etikette, ließ Bolsonaro diesmal die Vertretungen Kubas, Venezuelas und Nicaraguas als „Achse des Bösen“ demonstrativ ausladen; ein Zug, der ihm wohl Wochen zuvor von Donald Trumps ultrarechtem Sicherheitsberater und Kriegstreiber John Bolton abverlangt und während der Amtseinführung vom ehemaligen CIA-Chef und amtierenden Außenminister Mike Pompeo als offiziellem Vertreter der USA dankend anerkannt wurde.

Statt der neuen „Achse des Bösen“, jedoch auch – mit Ausnahme Portugals – der gesamten EU, Afrikas, der arabischen Staaten, Japans, Russlands und Chinas, zollten vor allem rechtsgerichtete Staatschefs dem autoritären Jair Bolsonaro ihre Anerkennung; darunter die Präsidenten Ungarns, Kolumbiens, Chiles, Honduras‘, Paraguays, Perus, Uruguays, der Kap Verden und Marokkos.

Als einsamer Verbündeter der neuen „Achse des Bösen“ überraschte Boliviens Präsident Evo Morales das Parkett und unterstrich mit ausgewählten Worten die Sinnlosigkeit politischer Eskalierung als Ziel der US-Außenpolitik: „Die Beziehungen zwischen Bolivien und Brasilien ruhen auf tiefen Wurzeln und sind geprägt von Brüderlichkeit und gegenseitiger Komplementarität beider Völker“ – Punkt.

Dass Präsident Donald Trump sich von Außenminister Pompeo vertreten ließ, spricht Bände; nämlich der arroganten Indifferenz gegenüber dem politischen Hinterhof. Die rüde Geste wurde im engeren Kreis des Trump anbetenden und nachahmenden „Bolsonarismo“ als bittere Enttäuschung erlebt, doch umso mehr machte sich Israels Benjamin Netanyahu als Hauptdarsteller der Amtseinführung verdient. Die liberale, israelische Tageszeitung Haaretz spekulierte, Netanyahu habe sich nach Brasilien begeben, „um Bolsonaro im Kampf gegen die Kriminalität zu helfen … Als Gegenzug erwarte Israel einen Umzug auch der brasilianischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem“.

Israels hatte im vergangenen Februar Brasilien technologische Hilfe für die Seewasserentsalzung angeboten, im Hintergrund lauern allerdings zunehmende Waffengeschäfte. Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Instituts für Friedensforschung (SIPRI) avancierte Brasilien zum fünftgrößten Waffenimporteur aus Israel. Zwischen den beiden Regierungen wurden neue Abkommen über den Einsatz von Satelliten- und Drohnen-Technologie sowie „Verteidigungstechnologie“ unterzeichnet, die bestimmte Entwicklungen von Raketen, Radaren und High-Tech-Überwachungskameras einschließen.

Die brasilianische Flagge werde „niemals rot sein!”, skandieren Bolsonaro und seine Mitläufer in alle Richtungen. Dass sich seine Minister, wie die Pastorin Damares Alves, und das rechtsradikale Fußvolk nun freudestrahlend oder gar fanatisch in das israelische Banner mit dem Davidstern einhüllen, das hätte sich der Geheimdienst Mossad selbst in einer orthodoxen Synagoge nicht erträumt.

General Mourãos, Bolsonaros Vize, rassistische Sprüche – wie, die Brasilianer hätten Drückebergerei und Trickserei von ihren afrikanischen und indianischen Vorfahren geerbt – die Entscheidung, Donald Trump zu folgen und die brasilianische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, ferner die kriegstreiberischen Sprüche von Bolsonaros Söhnen gegen Präsident Nicolás Maduro sowie das Nachgeben auf die US-Pressionen, Venezuela müsse „befreit” werden, summieren sich zum Todesstoß des weltweiten Prestiges der brasilianischen Diplomatie der Ära Luis Inácio Lula da Silva und werden das neue Regime in zunehmende Selbstisolierung treiben.

Die Drahtzieher hinter den Kulissen

Eingeweihten entgeht indes nicht, dass Jair Bolsonaro als Strohmann zweier Masterminds agiert. Zum einen als Trabant der Israel-Lobby der ultrarechten US-Evangelikalen und ihrer brasilianischen Zweigkirchen wie der “Assembleia de Deus” (Versammlung Gottes), zum anderen von General Villas Bôas‘ autoritärer Ideologie.

Eine erinnerungswürdige Episode vom Mai 2016 verdeutlicht den zunehmenden Einfluss der Evangelikalen auf den Katholiken Bolsonaro, nämlich seine evangelische Taufe im israelischen Jordan-Fluss durch Pastor Everaldo. Everaldo Dias Pereira, sollte man wissen, ist in Brasilien einflussreicher, religiöser Führer der US-evangelikalen Sekte “Versammlung Gottes” (Council of the Assemblies of God), mit Sitz in Hot Springs, Arkansas, und Chef der sogenannten Christlich-Sozialen Partei (PSC), die im brasilianischen Parlament die über 70 Abgeordnete zählende evangelikale Fraktion mit anführt.

Wiederum der Zyniker Villas Bôas – der stets die öffentliche Meinung mit der Zusicherung „beruhigte“, es werde auf keinen Fall eine militärische Intervention geben – war es, der im April 2018 mit einem Putsch drohte, falls Altpräsident Lula vom Obersten Gerichtshof (STF) freigesprochen werde und seine Präsidentschaftskandidatur antrete. Dass der General als einer der zentralen Architekten, wenn nicht als der eigentliche Schreibtischtäter seiner Kandidatur agierte, darüber verplauderte sich Bolsonaro bereits einen Tag nach seiner Amtsübernahme, während der Vereidigung von Reserve-General Fernando Azevedo e Silva zum neuen Verteidigungsminister.

Als letzter Sprecher der Amtshandlung, die nach dem Gesetz am zivilen Regierungssitz hätte stattfinden müssen, jedoch wieder einmal provokativ im Armeeklub von Brasilia abgehalten wurde, beichtete der neue Präsident, Villas Bôas sei „einer der Verantwortlichen” für seine Präsidentschaft, und schloss mit den Worten, „doch was wir besprochen haben, bleibt natürlich unter uns”.

Dass der derzeitige STF-Präsident, Richter Dias Toffoli, und die mit einem US-amerikanischen Mormonen verheiratete Generalstaatsanwältin Raquel Dodge ohne rot anzulaufen sich an der Zeremonie beteiligten, macht die Demütigung und endgültige Unterwerfung des gesamten Justizapparates unter die Militärstiefel deutlich, die – Vizepräsident Hamilton Mourão eingeschlossen – mit acht Generälen in der 22-köpfigen Regierung Bolsonaro vertreten sind.

Vorspeise: Generalattacke auf die Grundrechte

In weniger als den ersten 24 Stunden seiner Amtszeit erließ Jair Bolsonaro ohne Duldung des Parlaments 17 drakonische Maßnahmen, jedoch auch ein Geschenk. Zu den wichtigsten unpopulären Dekreten gehören:

  • Die Kürzung statt, wie üblich, die Erhöhung des vom Parlament genehmigten Mindestlohns um 8 Reais (umgerechnet 2 Euro)
  • Die Auflösung des Staatssekretariats für Diversität, Alphabetisierung und soziale Integration des Ministeriums für Bildung. Alte Vorurteile werden wiederhergestellt, kritische Aufklärung wird verhindert.
  • Der Indianerstiftung FUNAI wurde das Recht auf Territorial-Grenzziehung aberkannt, die nun vom Agrarbusiness kontrollierten Landwirtschaftsministerium bestimmt wird.
  • Ab sofort darf jede/r Brasilianer/in Waffen besitzen. Das “Recht” soll auf Lebenszeit gelten.
  • Die Ministerien für Arbeit, Kultur, Städte, Sport und Rassenintegration wurden ersatzlos abgeschafft. LGBTI-Minderheiten sind mit sofortiger Wirkung von öffentlicher Politik und Sonderrechten ausgeschlossen, Gewerkschaften sollen in die Bedeutungslosigkeit getrieben werden.
  • Zweitinstanzlich Verurteilte, wie Altpräsident Lula, sollen mit sofortiger Wirkung verhaftet werden und ihre volle Strafzeit absitzen; eine Streitfrage, worüber das STF noch entscheiden muss.
  • Die Amnestiekommission zur Ahndung politischer Menschenrechtsverletzungen wurde ausgehöhlt und an das Familien-Ministerium verwiesen.
  • Trotz des Parlaments-Vetos soll der erfolgreiche staatliche Energiekonzern Eletrobras privatisiert werden.
  • Der Nationale Rat für Ernährung und Ernährungssicherheit (Consea), der den Kampf gegen Hunger und für den Familienbonus koordiniert, verliert ab sofort seine Leitungsfunktion.
  • Wie gegenüber den USA verpflichtet, sollen Venezuela angegriffen, Kuba und Nicaragua mit aggressiven Kampagnen diskreditiert werden.

Bolsonaros geplantes Geschenk ging erwartungsgemäß an Vertreter der oberen Zehntausend: die exportorientierten Großgrundbesitzer. Unter massivem Druck der Agrarindustrie seit seiner Wahlkampagne hat Bolsonaro deren Vertretern bereits signalisiert, dass er 2019 dem Parlament die Billigung eines Gesetzes (9.252 / 2017) nahelegen wird, das die angefallenen Steuerschulden landwirtschaftlicher Betriebe und Agrarindustrien hundertprozentig amnestieren soll. Nach Angaben der Finanzbehörden wird die unannehmbare „Amnestie“ ein Finanzloch in Höhe von 17 Milliarden Reais (ca. 4 Milliarden Euro) in den öffentlichen Etat schlagen.

Titelbild: MARCELO CAMARGO/AGENCIA BRASIL, CC BY-NC 2.0

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