Schließung von Krankenhäusern: „Das ist politisch gewollt“

Schließung von Krankenhäusern: „Das ist politisch gewollt“

Schließung von Krankenhäusern: „Das ist politisch gewollt“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Es dürfen keine weiteren Krankenhäuser schließen. Insolvente und akut von Insolvenz bedrohte Kliniken müssen vom jeweiligen Bundesland aufgefangen werden.“ Das sagt Laura Valentukeviciute, Sprecherin der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand. Im NachDenkSeiten-Interview mit Valentukeviciute wird deutlich, dass die negative Entwicklung im Krankenhausbereich auf Weichenstellungen zurückgeht, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Valentukeviciute ordnet für die NachDenkSeiten die Situation einer stark gebeutelten Kliniklandschaft ein und erklärt, warum die Initiative sich in einem Offenen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn wendet. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau Valentukeviciute, Stimmen, die vor dem Zustand unseres Krankenhaussystems warnen, gibt es schon lange. Gerade in der Corona-Krise wird nochmal sehr deutlich, wie wichtig ein gut ausgebautes Netz an Krankenhäusern ist. Was ist Ihre Einschätzung, wie ist es um unsere Krankenhäuser bestellt?

Schon seit Jahren sind die Probleme im Krankenhauswesen bekannt: zu wenig Geld, zu wenig Personal und durch die weiterhin fortschreitenden Schließungen auch immer weniger Krankenhäuser. Seit der Wiedervereinigung wurden 25 Prozent aller Krankenhäuser geschlossen und 20 Prozent aller Krankenhausbetten abgebaut. Wenn man einen längeren Zeitraum von 50 Jahren nimmt und BRD und DDR zusammenrechnet, dann sind schon 53 Prozent aller Krankenhäuser verschwunden. Seit 2016 bekommt das Kliniksterben sogar eine neue Dimension: Bund und Länder geben seit 2016 viel Geld in einen Strukturfonds, aus dem bevorzugt Schließungen von Abteilungen oder ganzen Standorten gefördert werden (seit 2016 eine Milliarde Euro, seit 2018 750 Millionen Euro). Gleichzeitig kommen die Länder seit Jahren ihren gesetzlich vorgeschriebenen Investitionen in die Krankenhäuser nicht vollumfänglich nach.

Wie meinen Sie das?

2017 haben sie nur 44,3 Prozent der vorgesehenen Investitionen getätigt. Das heißt: Geld für Schließungen wird bereitgestellt, aber Geld für Investitionen, um Schließungen zu verhindern, offenbar nicht. Die Tatsache ist: Die Klinikschließungen passieren, weil Krankenhäusern das Geld ausgeht, und das ist politisch gewollt.

Würden Sie das bitte erklären?

Sogenannte Gesundheitsökonomen drängen schon seit längerem zu einer Marktbereinigung im Krankenhausbereich. Marktbereinigung ist aber bei Krankenhäusern ein völlig falscher Begriff. Nicht der Markt bestimmt, ob viele oder wenige Menschen ins Krankenhaus müssen, sondern ihr Gesundheitszustand. 2016 erarbeitete Professor Busse für die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein Thesenpapier, in dem das dänische Krankenhaussystem als beispielhaft für Deutschland dargestellt wird: Demnach könnte es in Deutschland nur noch 330 zentralisierte Krankenhäuser geben. 2019 veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie, federführend vom gleichen Professor Busse, in der eine Reduktion von Krankenhäusern auf nur noch 600 empfohlen wird.

Gesundheitspolitiker wie der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der selbsternannte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach oder der NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann unterstützen die Schließungen. Der Minister Spahn hat noch Ende Februar 2020 mehr Mut bei der Debatte um Krankenhausschließungen gefordert. Aufgrund der Corona-Krise traut er sich nicht mehr, das so zu nennen, und spricht mittlerweile von notwendigen Strukturveränderungen.

„Strukturveränderungen“? Das hört sich nach einem Begriff an, bei dem man hellhörig werden sollte.

Der Blick auf den Strukturfonds verrät: Schließungen werden weiter gefördert.

Über viele Jahre konnten gar nicht genug Krankenhäuser geschlossen werden. Viele der Kliniken, die übriggeblieben sind, wurden, wie es so heißt, auf „Effizienz“ getrimmt. Wie konnte es zu diesem Irrweg kommen?

Dass Krankenhäuser effizient arbeiten, ist nicht verkehrt. Das haben sie auch vor der Einführung der DRG gemacht. Die Krankenhäuser sind zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet und das wird von den Krankenkassen überwacht und geprüft. Worum es hier geht, ist nicht mehr „Effizienz“. Es geht, im Jargon der Ökonomen ausgedrückt, um die Marktbereinigung. Aber Krankenhausversorgung ist kein Markt.

Mal unabhängig von der Corona-Situation: Sollte es nicht eine Selbstverständlichkeit sein, dass in einem Land wie Deutschland Krankenhäuser top ausgestattet sind und grundsätzlich auf alle Eventualitäten vorbereitet sein müssten?

Sicher. Das Problem ist, dass unser Gesundheitssystem seit Mitte der 80er Jahre sukzessive den Marktregeln unterworfen wurde. Es läuft einiges schief: Die Privatisierung der Krankenhäuser schreitet voran und private Klinikkonzerne machen sagenhafte Gewinne. Allein die Asklepios-Kliniken-Gruppe erwirtschaftete im Jahr 2018 einen Gewinn von 171,1 Millionen Euro. Das Abrechnungssystem nach DRG (Diagnosis Related Group, auch Fallpauschalen genannt) führt dazu, dass Krankenhäuser nicht ausreichend Geld für den laufenden Betrieb bekommen und deswegen am Personal sparen. Die Länder vernachlässigen, wie bereits erwähnt, ihre gesetzlich vorgeschriebenen Investitionen. Viel zu viel Geld wird für die Pharmaindustrie ausgegeben. Auch gibt es aktuell 105 gesetzliche Krankenversicherungen – diese Strukturen müssen gesundgeschrumpft werden. Es gäbe genug Geld, aber wir brauchen tiefgreifende Veränderungen, damit dieses Geld für die Behandlungen, für das Personal und für die Bildung von Reserven bei Belastungsspitzen wie Covid-19 zur Verfügung steht.

Gemeingut in BürgerInnenhand hat sich an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewandt. Sie haben eine Reihe von Forderungen an den Minister. Was sollte Ihrer Meinung nach von politischer Seite unternommen werden?

Zunächst: Es dürfen keine weiteren Krankenhäuser schließen. Insolvente und akut von Insolvenz bedrohte Kliniken müssen vom jeweiligen Bundesland aufgefangen werden. Die Schließungsförderung, die jetzt vom Bund und von den Ländern über den Strukturfonds gewährt wird, muss gestoppt werden. Die Gelder, die für die Schließungen bereitgestellt werden, müssen als Investitionen an die Krankenhäuser fließen. Nur ein Beispiel: In Künzelsau in Baden-Württemberg wurde für die Ertüchtigung des Krankenhauses eine Investition von vier Millionen Euro verweigert. Diese Klinik musste schließen. Stattdessen soll die Klinik im Nachbarort Öhringen ausgebaut werden. Der Neubau soll 100 Millionen Euro kosten. 51,5 Millionen Euro dafür kommen von der Landesregierung, die das Geld nur gibt, wenn gleichzeitig Betten woanders abgebaut werden.

Was sollte noch unternommen werden?

Das Krankenhauspersonal muss erheblich aufgestockt werden und seine Bezahlung und Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, um Überlastung zu verhindern und Abwanderung zu reduzieren. Die Abrechnung via Fallpauschalen muss durch ein kostendeckendes Abrechnungssystem ersetzt werden. Die Krankenhäuser müssen in den Zentren und auf dem Land mit ausreichenden Intensivstationen, Isolierstationen, Beatmungseinheiten, Schutzkleidungen sowie diagnostischen Mitteln und Medikamenten ausgestattet werden – so dass sie vorbereitet sind für Versorgungen bei Pandemien, Epidemien und Endemien.

Haben Sie weitere Forderungen?

Zwei aktuelle Forsa-Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten (86 Prozent) die Krankenhausschließungen ablehnt und für 93 Prozent die wohnortnahe Krankenhausversorgung wichtig oder sehr wichtig ist. Von den Schließungen sind besonders kleine regionale Kliniken betroffen. Wir fordern daher, dass in den derzeit unterversorgten Regionen Deutschlands die Zahl der Betten, Notaufnahmen, Intensiv- und Geburtenstationen etc. durch Förderung der öffentlichen Kliniken auf das notwendige Maß angehoben wird.

Einerseits hat man den Eindruck, dass Politik nun durchaus sensibilisiert ist im Hinblick auf die Situation in den Krankenhäusern. Aber andererseits: Was meinen Sie, wird der politische Wille vorhanden sein, tatsächlich grundlegend die Probleme, unter denen die Kliniken leiden, zu lösen?

Der politische Wille ist leider noch nicht vorhanden, aber der Druck im Kessel ist groß! Die Meinungsumfragen sind eindeutig: Wir brauchen grundlegende Veränderungen, und zwar weg von den Marktlösungen. In einer der Fragen in der aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage ging es darum, ob die Menschen die Patientenversorgung oder die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser für wichtiger halten. 96 Prozent finden, die Patientenversorgung wichtiger. Wenn das nicht ein klarer Auftrag an den Bundesgesundheitsminister ist.

Anmerkung: Gemeingut in BürgerInnenhand hat eine Petition gegen bundesweite Krankenhausschließungen an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestartet. Diese kann hier unterzeichnet werden.

Titelbild: Spotmatik Ltd/shutterstock.com

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