In Myanmar läuft die Pandemie aus dem Ruder

In Myanmar läuft die Pandemie aus dem Ruder

In Myanmar läuft die Pandemie aus dem Ruder

Marco Wenzel
Ein Artikel von Marco Wenzel

Die Länder in Ostasien hatten das erste Jahr der Pandemie relativ unbeschadet überstanden. Im Gegensatz zu Europa und den USA, wo sich die Lage gerade verbessert, steht ein Großteil der 660 Millionen Einwohner in Ostasien jedoch nun vor einer neuen Pandemiewelle, die alle Rekorde des letzten Jahres übersteigt. In der vergangenen Woche meldeten alle Länder der Region einen neuen Höchststand an Coronavirus-Infektionen und Todesfällen. Der Ausbruch der Delta-Variante, die aus Indien eingeschleppt wurde, hat die Lage zusätzlich verschlimmert. Die Fallzahlen steigen ständig, die Regierungen der Region kämpfen darum, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Covid-19 hat Asien fest im Griff und überschattet die Olympischen Spiele in Tokyo. In Indien ist die Zahl der Infizierten rückläufig, aber Japan, Australien, Südkorea, die Philippinen, Indonesien, Malaysia, Kambodscha, Vietnam, Thailand, fast alle Länder in Asien melden täglich neue Rekordwerte und verhängen Ausgangssperren. Auch in China beginnt das Virus, sich erneut auszubreiten. Es gibt kaum Anzeichen für eine baldige Besserung. Besonders dramatisch aber sieht es in Myanmar aus, wo die Lage außer Kontrolle gerät. Der Militärputsch hat die Situation nochmals verschlimmert, hinzu kommt noch die Regenzeit, die letzten Monat begonnen hat. Die Militärjunta ist unfähig, die weitere, explosionsartige Verbreitung des Virus zu verhindern. Von Marco Wenzel.

Die Länder Südostasiens haben die Beschaffung von Impfstoffen im letzten Jahr zurückgestellt. Die Impfrate ist dementsprechend niedrig und liegt in der Regel unter 5 Prozent. “Thailand hat während der Virusphase im letzten Jahr so gut abgeschnitten, dass es sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat und bei der Impfstoffbeschaffung ins Hintertreffen geraten ist”, sagte ein Professor für Politikwissenschaften an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok. Hinzu kommt noch die absolute Unfähigkeit der meisten Regierungen in der Region, die in Malaysia bereits zu einer Regierungskrise geführt hat. Der Unmut der Bevölkerung in den anderen Ländern Südostasiens wächst. Nach einem jahrelangen Lockdown und Einreiseverboten und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Rückgang insbesondere im Hotelgewerbe und der Gastronomie ist die Belastbarkeit der Bevölkerung erschöpft. 2020 staunten Fachleute noch über die niedrigen Fallzahlen in Südostasien. Nun steht die Region am Rande einer Tragödie.

Myanmar

Bei dem blutigen Vorgehen des Regimes gegen die Putschgegner wurden seit Februar bereits 1.000 Menschen durch das Militär gezielt getötet, die Wirtschaft wurde zerschlagen. Der dramatische Anstieg der Covid-19-Fälle ist nun der nächste Schlag für das Land. Seit Ende Mai/Anfang Juni steigen die Infektionsraten in Myanmar rasant an, ab Juni kann man von einer dritten Pandemiewelle sprechen, eine neue Pandemiewelle, die weit schlimmer ist als die beiden Wellen von März und August letzten Jahres zusammen. Alle Varianten des Virus sind verbreitet.

Mit 6.000 Todesfällen war der Juli der bislang tödlichste Monat, seit das Coronavirus zum ersten Mal im Land auftauchte. Das sind weit mehr als alle Fälle seit Beginn der Pandemie vor anderthalb Jahren zusammen. Besonders die hochübertragbare Delta-Variante breitet sich schnell aus. Die offiziellen Zahlen, sowohl der Infizierten als auch der Todesopfer, spiegeln aber kaum die Wirklichkeit wider, die Zahlen sind mit Sicherheit noch viel höher, die Statistiken der Junta müssen ernsthaft angezweifelt werden, da die Zahl der Menschen, die zu Hause sterben, nicht erfasst wird. Es gibt nur wenige Tests und die sind jedes Mal zu über 30 Prozent positiv, was auf eine weitverbreitete Übertragung in der Bevölkerung hindeutet. Alle Daten für Myanmar sind katastrophal schlecht.

Die neue Welle kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich viele medizinische Mitarbeiter der landesweiten Kampagne des zivilen Ungehorsams angeschlossen haben. Und die Infektionen sickern zudem über Myanmars poröse Grenzen nach Indien, Bangladesch und China. Millionen von Menschen in Rangun und Mandalay wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben, aber die Zahl der Toten steigt immer weiter. Seit dem Putsch sind eine Million Menschen auf Hilfe angewiesen und es gibt mehr als 336.000 Binnenflüchtlinge. Mindestens 6 Millionen Menschen sind derzeit von Ernährungsunsicherheit betroffen.

Die Entwicklung

Vor dem Putsch hatte das Gesundheitsamt allein in der Region Rangun 205 Quarantänezentren eingerichtet und sieben staatliche Krankenhäuser waren für die Behandlung von COVID-19-Patienten bestimmt. Jetzt gibt es nur noch fünf staatliche Krankenhäuser, die COVID-19-Patienten behandeln und es ist unklar, wie viele Quarantänezentren noch in Betrieb sind. Myanmar schaffte es unter der NLD-Regierung von Aung Suu Kyi, die erste und zweite Welle des Virus zu bewältigen. Seit dem Putsch ist das System zusammengebrochen. Mitarbeiter in den Krankenhäusern und Freiwillige weigern sich, unter der Junta zu arbeiten.

Bis zum 31. Januar, einen Tag vor dem Coup, musste niemand aus den Krankenhäusern abgewiesen werden. Es gab Feldlazarette und improvisierte COVID-19-Behandlungszentren. Und auch Myanmars Impfprogramm, das am 27. Januar, 4 Tage vor dem Coup, mit gespendeten und aus Indien gekauften Impfstoffen gestartet wurde und landesweit eingeführt werden sollte, ist unter der Junta ins Stottern geraten.

Am 14. Juli meldete das von der Junta kontrollierte Gesundheitsministerium 145 Todesfälle und 7000 neue COVID-19-Fälle an einem Tag, die höchste tägliche Zahl seit dem Militärputsch. Am 3. August waren es schon 312 Todesfälle an diesem Dienstag allein. Die Gesamtzahl der Todesfälle überstieg am selben Tag die Zahl von 10.000. Seit März wurden über 300.000 Menschen positiv getestet. Die Einwohner von Rangun und Mandalay wurden aufgefordert, nicht notwendige Ausgänge zu vermeiden. In 90 Prozent aller Gemeinden des Landes wurden bereits Infektionen gemeldet, das Militärregime hat in 74 Gemeinden eine Ausgangssperre verhängt. Die Zahl der Infektionen und Todesfälle ist auf einem Rekordhoch. (Statistik Myanmar)
Das Militärregime verhängte am 17. Juli eine landesweite Abriegelung.

Berichte über Menschen, die wegen Sauerstoffmangel sterben, nehmen täglich zu und es fehlt an Medikamenten und Impfstoffen. Da von der Junta-Regierung keine Hilfe zu erwarten ist, hängen die Menschen jetzt gelbe oder weiße Kleidung und Fahnen vor ihre Häuser, um zu zeigen, dass sie infiziert sind und Hilfe brauchen. Gelb bedeutet, dass die Bewohner medizinische Versorgung benötigen, und Weiß bittet um Lebensmittel. Oft sind ganze Familien infiziert, so dass keiner das Haus verlassen kann.

Probleme im Gesundheitswesen

Seit dem Putsch im Februar haben sich viele Ärzte und medizinische Fachkräfte der Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) angeschlossen und weigern sich, für das Regime zu arbeiten. Statt in den Krankenhäusern behandeln sie ihre Patienten oft in buddhistischen Tempeln, die teils zu Lazaretten umfunktioniert wurden. Freiwillige, die eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie in der ersten und zweiten Welle spielten, weigern sich ebenfalls, mit dem Regime zusammenzuarbeiten. Zudem weigern sich viele Menschen, sich impfen zu lassen. Sie trauen der Junta und den Impfstoffen nicht. Alles, was von der Junta kommt, ist ihnen suspekt. Zudem wollen sie sich, aus Angst verhaftet zu werden, nicht registrieren lassen. Seit der Machtübernahme durch das Militär ist der Impfstatus nur schwer zu verfolgen.

Das Regime hat aber auch selber Tausende von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, die sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen haben, verhaftet oder Haftbefehle gegen sie erlassen. Infolgedessen sind viele Krankenhäuser, die vor dem Putsch der Junta noch in der Lage waren, den Zustrom von Patienten während der ersten und zweiten Welle des Virus im Land zu bewältigen, jetzt unterbesetzt. Als sich die COVID-19-Infektionen in Rangun ausbreiteten, wurden die Patienten von den öffentlichen Krankenhäusern und COVID-19-Zentren abgewiesen und gezwungen, sich zu Hause zu versorgen, sagen Wohltätigkeitsorganisationen und Angehörige. “In einigen Fällen waren die Krankenhäuser voll und wir mussten die Patienten zurückbringen. Sie starben bald darauf.”

Die Impfungen kommen nur sehr langsam voran. Es mangelt an Impfstoffen. Nach Angaben der Junta wurden bis jetzt nur etwa 1,75 Mio. Menschen in dem 54 Millionen Einwohner zählenden Land geimpft. Mitglieder des Militärs und Regierungsbeamte sowie das Kabinett der Junta werden vorrangig geimpft. China hat jetzt nochmals 2 Millionen Dosen gespendet. Letzte Woche sind davon 750.000 Dosen eingetroffen. Die Junta will nochmals 4 Millionen Dosen dazukaufen.

Aber auch wenn ausreichend Impfstoffe zur Verfügung stünden, wer würde sie verabreichen? Und wo und wem? Die Menschen, die der Junta nicht trauen, werden sich nicht in Impfzentren, die von ihr beaufsichtigt werden, registrieren lassen. Und da ist immer noch der Mangel an Personal. Aber das Problem beschränkt sich ja nicht nur auf Covid allein. Das zusammengebrochene Gesundheitssystem wird von Covid-Patienten überlaufen, die Patienten stehen Schlange vor den Kliniken. Wo bleiben dann die Patienten, die wegen anderer Krankheiten nicht mehr behandelt werden können? Und wie wird die Zukunft aussehen, wenn hunderttausende von Kindern nicht mehr gegen Kinderkrankheiten geimpft werden?

Am besten ist die Lage noch in den Gebieten, die nicht vom Militär kontrolliert werden. Die ethnischen Gruppen in diesen Gebieten organisieren die Hilfe selbst, sie haben das Vertrauen der Patienten und haben auch Impfstoffe selber organisiert oder teils geschenkt bekommen.

Sauerstoffmangel und fehlende Medikamente

Einer der größten Engpässe während der dritten Welle ist fehlender Sauerstoff, den etwa 20 Prozent aller COVID-19-Patienten benötigen. Der Preis für Sauerstoffflaschen und Sauerstoffkonzentratoren ist gestiegen, falls sie überhaupt noch erhältlich sind. Die Fabriken, die Sauerstoff herstellen, verkaufen nur noch an Krankenhäuser, obwohl diese überfüllt sind und die meisten Patienten zu Hause liegen. Die Angehörigen von Infizierten stehen, trotz der nächtlichen Ausgangssperre, bereits mitten in der Nacht Schlange, um ihre Sauerstoffflaschen doch noch zu füllen, meist vergeblich.

COVID-19 treibt zudem die Preise für Arzneimittel in die Höhe. Die Preise für gängige Medikamente gegen Erkältungen und Grippe bis hin zu Medikamenten, die das Immunsystem stärken, sowie Nahrungsergänzungsmittel und Vitaminpillen sind gestiegen. Auch die Kosten für Medikamente gegen andere Krankheiten steigen. Die Apotheken berichten, dass Medikamente für die Behandlungen von Diabetes, Bluthochdruck, Krebs, Nierenkrankheiten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen jetzt zwischen 6,5 und 20 Prozent mehr kosten als noch vor ein paar Monaten. Sogar die Preise für Produkte der traditionellen Medizin steigen. Viele Banken sind geschlossen und es gibt Höchstgrenzen, wieviel der einzelne Kunde täglich abheben darf. Bargeld ist knapp, aber die Händler nehmen nur noch Bargeld als Zahlungsmittel an. Viele Menschen haben auch ihre Arbeit verloren und können sich keine Medikamente leisten. Die Preise für Gesichtsmasken und hygienische Artikel, wie Desinfektionsmittel, sind für normale Menschen fast unerschwinglich geworden.

Es gibt eine große Nachfrage. Diejenigen, die es sich noch leisten können, kaufen auf Vorrat. Jeder hat Angst vor COVID-19 und so decken sie sich mit allem ein, von dem sie glauben, dass sie es brauchen werden. Der Grund für die Preiserhöhungen liegt aber nicht nur an der gestiegenen Nachfrage, sondern auch darin, dass die meisten Medikamente importiert werden müssen. Und nun sind viele Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Manche Großhändler horten auch ihre Ware, um so eine Verknappung herbeizuführen und den Preis hochzutreiben. Mehr als 40 Prozent der Medikamente kommen aus Indien, das selber knapp an Medikamenten ist. Dazu noch ist der Kurs des Kyat um mehr als 20 Prozent gefallen.

Die Maßnahmen der Junta

Anstatt der Zivilbevölkerung zu helfen, benutzt das Militär die Gesundheitskrise, um den Widerstand zu untergraben. Einwohner berichten, dass das Militär Leute ins Visier nimmt, die Hilfe suchen. Alles deutet darauf hin, dass die Junta die Pandemie absichtlich nicht einzudämmen sucht, weil die Menschen jetzt ihre Aufmerksamkeit und Energie auf die Pandemie lenken und sich deshalb nicht an der Bewegung des zivilen Ungehorsams beteiligen können.

Als die Mitarbeiter des Gesundheitswesens sich der Bewegung des zivilen Ungehorsams angeschlossen und gestreikt haben, hat die Junta streikendes Gesundheitspersonal festgenommen, entlassen und gewaltsam angegriffen. Die Verhaftungen von medizinischem Personal hat die Gesundheitskrise wesentlich verschärft. Kliniken werden vom Militär überfallen, um nach Regierungsgegnern zu suchen, und das anwesende Personal mit Schlagstöcken verprügelt. Das Myanmar Doctors for Human Rights Network (Netzwerk der Ärzte für Menschenrechte) berichtete, dass es bereits mindestens 240 Angriffe auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen gegeben hat, mit mindestens 17 Toten. Auch Dr. Htar Htar Lin, die ehemalige Leiterin der Covid-19-Impfung des Landes, wurde verhaftet.

Fünf freiwillige Ärzte, die für eine COVID-19-Präventions- und Wohltätigkeitsgruppe arbeiten, wurden unter falschen Vorwänden in ein Haus gelockt und vom Militärregime festgenommen. Junta-Truppen stürmten danach das Büro der Wohltätigkeitsgruppe und zwei weitere Ärzte wurden dort verhaftet. Zudem beschlagnahmten sie Sauerstoff und gespendete Medikamente. Ärzte, die bei Protesten gesehen wurden, werden verhaftet, gespendete Medizin wird konfisziert. Denn auch das Militär ist von der Pandemiewelle getroffen und konfisziert den Sauerstoff und die Medikamente auch für den eigenen Bedarf. Der Irrawaddy berichtete letzte Woche, dass ein Oberst des Militärs zugab, dass er 100 medizinische Sauerstoffflaschen, die offiziell von Wohltätigkeitsorganisationen aus Thailand importiert worden waren, beschlagnahmt hat. So sieht die Krisenbewältigung der Putschgeneräle aus. Der UN-Sonderberichterstatter Tom Andrews sagte zudem, dass “die Junta auch Rechenschaft über die COVID-Hilfe in Höhe von 350 Mio. USD ablegen muss, die der Internationale Währungsfonds dem Volk von Myanmar nur wenige Tage vor dem Staatsstreich zur Verfügung gestellt hat.”

Die verhängte Ausgangssperre hat die Situation zusätzlich verschlimmert. Krankenwagen werden am Weiterfahren gehindert. Die Menschen wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben, Reisen sind untersagt. Nur Geschäfte, die Grundnahrungsmittel, Medikamente und medizinische Hilfsmittel verkaufen, dürfen geöffnet bleiben, die Menschen müssen Masken tragen, wenn sie ins Freie gehen.

Die meisten Todesfälle sind auf eine Anordnung des Regimes zurückzuführen, den Zugang zu Sauerstoff für Privatpersonen einzuschränken. Das Regime hat die Sauerstoffproduzenten angewiesen, keine Sauerstoffflaschen für Einzelpersonen nachzufüllen, obwohl kaum noch Betten in Krankenhäusern und COVID-19-Zentren frei sind. Die Infizierten sind gezwungen, sich zu Hause zu pflegen, einschließlich der Suche nach medizinischem Sauerstoff. Aung Hlaing hat letzte Woche behauptet, die Sauerstoffversorgung sei ausreichend und dürfe nicht politisiert werden.

Als die UN-Hilfsorganisation UNHCR humanitäre Hilfsgüter an die vertriebene Bevölkerung von Mindat liefern wollten, hat das Militär sie nicht durchgelassen. Die Hilfe hat die Stadt Mindat nicht verlassen dürfen und die Menschen haben die Hilfsgüter nicht bekommen. Die Reisegenehmigung, die dem UNHCR erteilt wurde, erlaubte den Zugang nur zu Menschen innerhalb der Stadt Mindat. Die Hilfe der UN durfte nur in Gebiete gehen, die das Regime zuließ.

Letzte Woche gingen Fotos und Videos von Reihen von Leichen in den sozialen Medien viral, die in einem überfüllten Krematorium lagen. Die Junta hat nun versucht, diesen peinlichen Szenen ein Ende zu setzen, indem sie einfach die Anzahl der Bestattungswagen, die zu den Krematorien fahren dürfen, beschränkt hat.

Anstatt bei der Eindämmung der Pandemie tätig zu werden, hat die Junta die Bevölkerung dazu aufgefordert, buddhistische Verse zu rezitieren. Während das Regime tatenlos zusieht, wie die Pandemie sich immer weiter ausbreitet, tun zivile Hilfsorganisationen alles Mögliche, um die Menschen zu versorgen. Untereinander besteht große Nachbarschaftshilfe. Die Untergrundregierung NUG ihrerseits versucht, die Lücken auszufüllen, wo immer sie gebraucht wird. Das Gesundheitsministerium der NUG und die ethnischen Gesundheitsorganisationen gründeten gemeinsam eine Covid-19-Task-Force, um die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie zu verhindern. Derweil versucht das Militär alles, um zivile Hilfsmaßnahmen zu behindern. Wer Hilfe sucht oder leistet, begibt sich dabei in Gefahr.

Während in der Bevölkerung die Verzweiflung immer weiter um sich greift und das Land kurz vor dem vollständigen Zusammenbruch steht, hat der Putschistenführer am 1. August, sechs Monate nach dem Putsch vom 1. Februar, eine weltfremde Rede gehalten, die an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lässt. Wenn er das wirklich glaubt, was er da gesagt hat, dann ist seine geistige Umnachtung bereits weit fortgeschritten. Mich erinnert das unwillkürlich an Hitler im Führerbunker im April 1945, der sogar dort noch an den Endsieg glaubte. So behauptete Aung Hlaing, seine Feinde würden „Covid-19 als Mittel des Bioterrorismus“ einsetzen. Er aber würde die Pandemie entschlossen bekämpfen und bis Ende des Jahres die Hälfte der Bevölkerung impfen. Wahlen würden irgendwann im Jahre 2023 stattfinden, bis dahin sei der Ausnahmezustand verlängert. „Gegenwärtig ist das ganze Land stabil, abgesehen von einigen terroristischen Anschlägen“, so der General weiter. Gruppen von Terroristen würden unschuldige Menschen angreifen. „Warum tun sie das?“

Internationale Reaktionen

Längst ist die Lage in Burma so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr nur ein innerstaatliches Problem des Landes darstellt, sondern zum regionalen Problem wird. Myanmar könnte ein Super- Spreader-Staat und damit ein Gefahrenherd für die gesamte südostasiatische Region werden. Experten befürchten, dass in zwei bis drei Wochen bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung infiziert sein könnte. Die Grenzen zwischen Myanmar und seinen Nachbarländern kontrollieren auf burmesischer Seite die ethnischen Gruppen und ihre Armeen. Die Regierung in Naypyidaw hat dort keine Kontrolle. Die Nachbarländer versuchen, sich so gut es geht abzuschotten und haben die Grenzen gesperrt. Aber die Grenzen sind nur schwer zu überwachen und Grenzbeamte sind leicht zu bestechen.

Am 14. Juli sagte Tom Andrews, der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Myanmar, „eine Explosion von COVID-Fällen, einschließlich der Delta-Variante, der Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Myanmar und das tiefe Misstrauen der Menschen in Myanmar gegenüber allem, was mit der Militärjunta in Verbindung steht, sind ein perfekter Sturm von Faktoren, die ohne Nothilfe durch die internationale Gemeinschaft zu einem bedeutenden Verlust von Menschenleben in Myanmar führen könnten.“ Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, „ein nicht von der Junta kontrolliertes, unpolitisches Gremium zu ermöglichen, das eine COVID-Antwortinitiative koordiniert, die ein Impfprogramm einschließt, dem die Menschen in Myanmar vertrauen werden.“ „Der Junta fehlen die Ressourcen, die Fähigkeiten und die Legitimität, diese Krise unter Kontrolle zu bringen“ und „Die Krise … ist besonders tödlich, weil das Misstrauen gegenüber der Militärjunta allgegenwärtig ist.“

Wenn die internationale Gemeinschaft nicht sehr bald echte Maßnahmen ergreift, wird es eine humanitäre Katastrophe in Myanmar geben. Das öffentliche Gesundheitssystem, oder was davon noch übriggeblieben ist, wird bei dieser hohen Infektionsrate innerhalb kürzester Zeit ganz zusammenbrechen.

Am 16. Juli veröffentlichte der Special Advisory Council for Myanmar (SAC-M) eine Erklärung mit dem Titel „Das Volk von Myanmar braucht dringend Hilfe, da die Junta die COVID-19-Krise als Waffe einsetzt“. Die Hauptaussage der Erklärung ist: „Die internationale Gemeinschaft muss dringend auf die lähmende COVID-19-Krise in Myanmar reagieren und lebensrettende Hilfe über die Grenzen hinweg durch die Netzwerke der Demokratiebewegung ins Land bringen.“ „Die Junta erlaubt COVID-19, ungehindert zu zirkulieren. Der Putsch, den sie im Februar startete, ist gescheitert. Die Junta hat keine normalen Regierungsstrukturen aufgebaut und ist auch nicht in der Lage, dies zu tun. Der einzige gangbare Weg, mit der COVID-19-Krise in Myanmar umzugehen, ist der Umgang mit der Demokratiebewegung“, sagte Chris Sidoti von SAC-M.

Die Erklärung schob die Schuld sowohl auf die ASEAN als auch auf die UN, indem sie feststellte: „Die ASEAN hat vor über zweieinhalb Monaten beschlossen, humanitäre Hilfe zu leisten, als Teil ihres Fünf-Punkte-Konsenses“. „Es ist inakzeptabel, dass ASEAN nur nach dem Belieben der Junta handelt, während so viele Menschenleben verlorengehen. Es gibt keine Entschuldigung für ASEAN, UN-Organisationen oder andere Akteure, zu verzögern. Es gibt Möglichkeiten, den Menschen jetzt direkt Hilfe zukommen zu lassen.“

„Die Junta benutzt COVID-19 als Waffe für ihren eigenen politischen Gewinn, indem sie die Demokratiebewegung erstickt und versucht, die Legitimität und Kontrolle zu erlangen, nach der sie sich sehnt. Die Generäle sind keine Partner für die Lieferung von Hilfsgütern. Sie sind Mörder, die für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden,“ sagte Yanghee Lee vom SAC-M, die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für die Situation der Menschenrechte in Myanmar, die dieses Mandat von 2014 bis 2020 innehatte. Ein „dringendes und massives“ internationales humanitäres Eingreifen ist erforderlich, um die Covid-19-Krise in Myanmar zu bewältigen, sagte der Sonderbeirat für Myanmar (SAC-M) in einer Erklärung. „Die Situation hat sich zu einer humanitären Katastrophe solchen Ausmaßes entwickelt, dass eine internationale Präsenz von Gesundheits- und medizinischem Personal kritisch geworden ist“, sagte SAC-M-Mitglied und ehemaliges Mitglied der UN-Erkundungsmission für Myanmar (FFM) Chris Sidoti in der Erklärung.

Unter diesen Umständen kann Hilfe von außen nicht neutral sein. Viele westliche Regierungen und internationale Organisationen stehen vor dem Dilemma, wie sie Hilfe und Unterstützung leisten können, ohne als Legitimation für das Militärregime angesehen zu werden. Das weiß auch die Junta und es ist klar, dass sie selber niemanden um Hilfe bitten wird und auch keine ausländischen Hilfsorganisationen ins Land lassen wird. Dem Militär kommt die Pandemie gerade recht, es lehnt sich zurück und schaut zu, wie die Menschen mit der Pandemie kämpfen. Das schwächt die Kraft des Aufstandes. Eine erzwungene Intervention von außen aber müsste durch den UN-Sicherheitsrat mandatiert werden. Aber mit Russland und China im UN-Sicherheitsrat wird das notwendige Mandat für eine Intervention gegen die Junta nicht zustandekommen.

Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an den Zyklon Nargis, der im Mai 2008 das Irrawaddy-Delta verwüstet hatte. Mehr als 130.000 Menschen wurden dabei getötet und hunderttausende wurden obdachlos. Ganze Dörfer waren zerstört, die ganze Deltaregion war überschwemmt. Es fehlte an Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser. Das eindringende Salzwasser hatte die Ernten zerstört. Damals liefen ganze Schiffsladungen mit Hilfsgütern aus mehreren Ländern aus und lagen vor Myanmar vor Anker. Aber zum Entsetzen der Welt ließ die Militärjunta sie nicht an Land, aus Furcht, die Anwesenheit von ausländischen Hilfstruppen könnte die Bevölkerung zu erneuten Massenprotesten veranlassen. Erst im September 2007 hatte das Militär eine große Protestbewegung niedergeschlagen und wollte keine Hilfslieferungen von Ländern annehmen, die damals Sympathie für die Protestbewegung gezeigt hatten, und schon gar nicht deren Vertreter ins Land lassen. Die Schiffe mit den Hilfsgütern fuhren nach zwei Wochen wieder vollbeladen nach Hause.

Internationale humanitäre Akteure, die an einer Intervention beteiligt wären, dürften sich nicht mit dem Militär einlassen, die Junta kommt als Partner für die Lieferung von Hilfsgütern nicht infrage. Humanitäre Helfer, sollten sie denn ins Land gelangen, müssen Solidarität mit der Bevölkerung zeigen, die das Militärregime mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Eine effektive Hilfe wäre nur unter Einbeziehung der Untergrundregierung und der ethnischen Gruppen und ihren Organisationen möglich, nur sie haben das Vertrauen der Menschen, nur sie können die Menschen überhaupt erreichen, von denen viele sich aus Angst vor dem Militär verstecken. Zur Bewältigung der Covid-19-Krise sollte die Unterstützung mit der Covid-19-Taskforce koordiniert werden, die von der Regierung der nationalen Einheit und ethnischen Gesundheitsorganisationen gebildet wurde.

Manche reden jetzt auch von einer gewaltsamen militärischen Intervention im Rahmen der Responsibility to Protect (R2P) und von einer Flugverbotszone, um das Militär daran zu hindern, weiterhin die eigene Zivilbevölkerung zu bombardieren. Eine Flugverbotszone müsste aber von ausländischem Militär überwacht und durchgesetzt werden. Die R2P hat keine völkerrechtliche Bindung und würde den UN-Sicherheitsrat umgehen. Zudem ist eine Pandemie als Interventionsgrund bei R2P nicht vorgesehen. Mit Sicherheit würde eine Intervention in diesem Rahmen von den USA oder deren Verbündeten angeführt werden und von dem Militärregime bekämpft werden, sobald sie auch nur einen Fuß auf burmesischen Boden setzt. Myanmars Nachbar China würde unweigerlich in einen wahrscheinlich bewaffneten Konflikt mit hineingezogen werden.

Am einfachsten wäre es noch, wenn die internationale Gemeinschaft endlich die NUG als rechtmäßige Regierung Myanmars anerkennen würde. Dann nämlich könnte die NUG andere Länder oder die UN offiziell um Hilfe bitten und die hätten dann auch das Recht, im Land selber tätig zu werden. Das könnte schon bald der Fall sein. Bei der nächsten Sitzung der UNO-Generalversammlung im September muss eine Entscheidung getroffen werden, wen sie als rechtmäßige Regierung Myanmars betrachtet. Sowohl die NUG als auch die Junta werden einen Antrag dafür an das Beglaubigungskomitee stellen, das dann entscheiden muss, wen es als legitime Regierung Myanmars betrachtet.

Die Chancen für die NUG stehen nicht schlecht. Bei einer Sitzung der UN-Generalversammlung Anfang Juni stimmte die Mehrheit der Länder für einen Antrag, die Aktionen der Junta zu missbilligen. „Viele der westlichen Demokratien unterhalten sich regelmäßig mit der NUG und sogar einige asiatische Regierungen führen stille Gespräche mit ihnen“, sagte Robertson von Human Rights Watch. Anfang Juli verabschiedeten rund 150 französische Senatoren eine Resolution, die die französische Regierung auffordert, die NUG anzuerkennen. Auch hat die UNO Kyaw Moe Tun, der sich kurz nach dem Putsch in der UN-Generalversammlung gegen die Putschisten gewandt und sich auf die Seite der Demokratiebewegung gestellt hatte, erlaubt, seinen Sitz zu behalten, und einen vom Militär genehmigten Ersatz abgelehnt, da sie die Junta nicht als rechtmäßige Regierung von Myanmar anerkennt. Zudem macht sich die Militärjunta zurzeit mit ihrem repressiven Vorgehen und Erschießen von Gegnern sowie mit ihrer Unfähigkeit nicht gerade international beliebt.

Leider aber wird es im September wahrscheinlich schon zu spät sein. Die Gesundheitskrise in Myanmar scheint zurzeit nicht das dringendste Problem für den Rest der Welt zu sein.

Titelbild: R. Bociaga/shutterstock.com

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