Propaganda auf allen Kanälen

Propaganda auf allen Kanälen

Propaganda auf allen Kanälen

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Seit gut einer Woche läuft nun die mit großem Tamtam angekündigte Offensive der Ukraine. In den deutschen Medien war es jedoch lange still – die katastrophalen ukrainischen Verluste der Anfangstage wurden erst zeitversetzt und verharmlosend erwähnt, als es parallel dazu kleinere „Erfolgsmeldungen“ gab, die dann aber in epischer Breite zu strategischen Erfolgen hochgespielt wurden. Wer möglichst unabhängige und neutrale Berichte sucht, schaut in die Röhre. Deutschlands Medien haben ein derartiges Pro-Ukraine-Bias entwickelt, dass man kaum mehr von Journalismus sprechen kann. Was dem Publikum vorgesetzt wird, ist Meinungsmache. Diese Meinungsmache schadet allen – auch der Ukraine. Von Jens Berger.

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Für Carlo Masala ist alles klar – darauf hat Albrecht Müller gestern bereits hingewiesen: „Erste Erfolge sind zu sehen. Aber es gilt: Diese Offensive wird lange dauern und sie wird sehr blutig werden“, so der „Experte“ am Sonntagabend im heute Journal. Ähnlich sieht es der SPIEGEL, der bei seiner Analyse ausschließlich ukrainische und pro-ukrainische Quellen zitiert, deren Wahrheitsgehalt er nicht infrage stellt. Alles, was die Erfolgsmeldung dieser Quellen infrage stellt, gilt dort als russische Propaganda. Eine wahre Jubelarie auf das „strategisch kluge Vorgehen“ der Ukraine kam am Wochenende im Deutschlandfunk, wo die Schreibtischfeldherrin Gesine Dornblüth die ukrainischen Desinformationen gar zur Taktik erklärt, die „voll aufgegangen sei“, da sie die Russen „verwirrt“ habe. Nun ja, so verwirrt waren die Russen dann wohl doch nicht. Besonders absurd ist dabei, dass ausgerechnet BILD-Korrespondent Julian Röpcke (Spitzname „Jihadi Julian“), der sich seit jeher als Twitter-Feldherr geriert, als einer der wenigen westlichen Journalisten schon früh von den Verlusten der Ukrainer berichtete und sich dafür von pro-ukrainischen Twitter-Kanälen den Vorwurf anhören musste, er sei ein russischer Troll.

Wer nur die Berichte deutscher Medien kennt, muss in der Tat zum Ergebnis kommen, dass die Lieferung schwerer Waffen durch westliche Staaten die große Wende gebracht hat und die Ukraine nun drauf und dran ist, das vom Westen vorgegebene Ziel, die Krim zu „befreien“, mit den Worten des ehemaligen US-Generals Ben Hodges bis Ende August umgesetzt haben soll. Kein Wort davon, dass die ukrainischen Truppen dafür eine bis zu 30 Kilometer tiefe, gestaffelte Verteidigungslinie durchbrechen müssten, die auch von westlichen Militärexperten abseits der Kameras als „undurchdringbar“ bezeichnet wird. Andere westliche Experten sehen das Vorgehen der Ukraine – unter dem Deckmantel der Anonymität – noch kritischer:

„Ein paar Ukrainer haben versucht, es Guderian gleichzutun“ […] „Aber Guderian hatte 3.000 Panzer, und diese Idioten haben die 30, die sie haben, einfach verspielt.“
„Und ohne Luftüberlegenheit“, fügte die Quelle hinzu, „ist es ein Selbstmordkommando“.
Quelle: Ein nicht genannter britischer Militärexperte, zitiert von der Asia Times

Doch solch kritische Bewertungen sind in den westlichen Medien – zu denen man die Asia Times freilich nicht zählen kann – selten. Wer sich sein eigenes Bild machen will, kommt in der Regel nicht drumherum, sich auch aus pro-russischen Quellen zu informieren. Und das ist durchaus lohnenswert, gibt es doch abseits der üblichen „Z-Kanäle“ auf Telegram, die in ihrer Einseitigkeit das Pendant zu den pro-ukrainischen Twitter-Feldherren des Westens darstellen, durchaus Stimmen, die umfassend informieren, ihre Quellen offenlegen und ihre Lageeinschätzung ausführlich begründen. Dazu gehört beispielsweise ein anonym betriebener Kanal auf der Plattform Substack. Es fällt schwer, dies als reine Propaganda abzutun, obgleich natürlich auch hier ein Bias zu erkennen ist. Machen Sie doch einmal selbst die Probe aufs Exempel und lesen Sie sich dessen Analyse der ersten Tage der Offensive durch und vergleichen Sie sie mit den Meldungen westlicher Medien; wobei man jedoch erwähnen muss, dass die US-Medien in der Regel ausgewogener berichten als die deutschen Medien, die sich offenbar im kollektiven Propagandamodus befinden.

Wenn man liest, dass die Ukraine in einer einzigen Schlacht bereits die Hälfte ihrer vom Westen gelieferten Leopard-Panzer, die Hälfte ihrer Leopard-Minenräumpanzer (diese Meldung wurde immerhin von westlichen Medien „bestätigt“) und 15 Prozent ihrer Bradley-Schützenpanzer aus US-Produktion verloren hat, stellt sich die Situation schon ein wenig anders dar, als von den deutschen Medien berichtet. Und wenn man dann noch liest, dass sich die „Erfolge“ bislang ausschließlich auf unbedeutende Dörfer beziehen, die sich in der sogenannten „grauen Zone“ befinden und auch vor der Offensive regelmäßig ihren Besitzer oder besser Besatzer wechselten, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt wenig Raum für den Optimismus westlicher „Experten“.

Je nach Quelle haben die Ukrainer in der ersten Woche ihrer Offensive nicht nur große Teile der westlichen Waffen, sondern auch 3.000 bis 5.000 Soldaten verloren. Während deutsche Medien dies unter dem Argument relativieren, Verluste gehörten halt zum Krieg und Russlands demoralisierte Armee werde nun unter Kosten von Material und Menschenleben hinfortgefegt, verweisen pro-russische Kommentatoren darauf, dass der Ukraine bei dieser „selbstmörderischen“ Kriegsführung bereits in zwei bis drei Wochen nicht nur die Waffen und die Munition, sondern auch das menschliche „Kanonenfutter“ ausgehen wird. Eine Faustregel besage, dass der Angreifer eine Überlegenheit von 3:1 haben sollte. Bei der für solche Manöver wichtigen Artillerie sei das Verhältnis jedoch 1:10 und bei der Luftüberlegenheit 1:100. Ob das alles so stimmt? Es ist schwer, dies als Nicht-Experte zu bewerten und daher halten sich die NachDenkSeiten mit derartigen Lageeinschätzungen in der Regel ja auch zurück. Es dürfte hochinteressant sein, wie der Analyst Jaques Baud diese Fragen beim Pleisweiler Gespräch bewerten wird, zu dem Sie herzlich eingeladen sind.

Es sind jedoch nicht nur die „Berichte von der Front“, bei denen vor allem deutsche Medien in den Propaganda-Modus schalten. Zunächst müsste man auch einmal die Frage stellen, warum die ukrainische Armee von ihrer Führung auf ein derartiges „Selbstmordkommando“ geschickt wird. Und dafür muss man offenbar nach Washington schauen. Das US-Medium Politico fasst es kurz und präzise zusammen:

„Hochrangige US-Beamte sind davon überzeugt, dass die künftige Unterstützung für den Ukraine-Krieg – und das weltweite Ansehen von Präsident Joe Biden – vom Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive abhängt.
Wenn sie erfolgreich ist, wird westliche Militär- und Wirtschaftshilfe fließen. Wenn der Erfolg ausbleibt oder die Erwartungen nicht erfüllt werden, wird diese Unterstützung wahrscheinlich versiegen, was den Ruf nach einer raschen diplomatischen Lösung verstärkt und eine der wichtigsten internationalen Errungenschaften des Weißen Hauses beeinträchtigt.“
Quelle: Politico

Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass im nächsten Jahr in den USA Präsidentschaftswahlen sind. Die Ukraine wurde also indirekt zur Offensive gezwungen und wenn diese Einschätzungen zutreffen, geht es für die Ukraine bei ihrer Offensive gar nicht um das – ohnehin realitätsferne – Ziel, die Krim in diesem Sommer zu „befreien“, sondern vor allem darum, die USA bei der Stange zu halten und „Erfolge“ zu präsentieren, die sich in der US-Öffentlichkeit so gut verkaufen lassen, dass Biden seine Ukraine-Politik fortführen kann.

Das heißt aber auch: Der Krieg wird in diesem Fall in die Länge gezogen, der Westen wird die Ukraine bis zum letzten Ukrainer „verteidigen“. Und da eine absolute Niederlage der Atommacht Russland vollkommen unrealistisch ist, heißt dies letztlich, dass die ohnehin irgendwann stattfindenden Friedensverhandlungen noch weiter in die Zukunft verschoben werden. Der Krieg kann somit auch gut und gerne noch zehn Jahre dauern. Hunderttausende Tote, ein zerstörtes Land und millionenfaches Leid wären der Preis. Und die Gefahr einer Eskalation ist ohnehin gegeben. So gesehen kann man sich aus humanitärer und geopolitischer Sicht eigentlich nur wünschen, dass diese Offensive ohne noch größere Opfer scheitert und so der Weg für „eine rasche diplomatische Lösung“, wie es Politico formuliert, eröffnet wird. In den deutschen Redaktionsstuben wird dies sicher für so einige Tränen sorgen.

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