Global gesehen, stehen wir vor dem Ende der imperialen regelbasierten Ordnung und vor der Realisierung neuer gesellschaftspolitischer Vorstellungen, die auf Humanität und der Gleichberechtigung von Menschen und Völkern beruhen, mit anderen Worten: auf den in der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebenen Grundsätzen. Wie auch immer die Politik der neuen US-Regierung unter Donald Trump weitergeht: Viele Staaten des Globalen Südens einschließlich Russland, China und Indien lassen sich – unabhängig von der jeweiligen Präsidentschaft – eine Bevormundung und Unterdrückung durch die USA nicht mehr gefallen, und das ist die große Mehrheit der Weltbevölkerung. Ein Auszug aus dem Buch „Geopolitik im Überblick“ von Wolfgang Bittner, das am 28. Juli 2025 erscheint.
Jetzt bleibt abzuwarten, wie der Autokrat Trump weiter vorgehen wird. Nachdem er anfangs gute Minister und Mitarbeiter um sich versammelte und wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Tiefen Staats unternahm, ist zu bemerken, dass er den imperialen Anspruch der USA aufrechterhält. Trump macht fast alles anders, aber vieles scheint beim Alten zu bleiben. Rigorose völkerrechtswidrige Maßnahmen sind angekündigt, zum Beispiel will er die BRICS-Staaten abstrafen und Kanada, Grönland und Panama annektieren.[1] Die Sanktionen hat er nur zum Teil aufgehoben, er verhängt hohe Einfuhrzölle, was zu großen Problemen in den Lieferketten führt, und er verlangt von den europäischen NATO-Staaten, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, was ohne erhebliche Einschnitte in die Etats für Soziales, Bildung, Kultur, Wissenschaft usw. nicht zu leisten wäre. Des Weiteren beliefert er – ebenso wie Deutschland – Israel mit Waffen und duldet den Genozid an den Palästinensern. Er ließ Luftangriffe auf den Jemen durchführen, wo Saudi-Arabien mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und Frankreichs einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran führt.[2] Anfang April 2025 schickte er See- und Luftstreitkräfte ins Rote Meer und in den Indischen Ozean, um den Iran von seinem vermeintlichen Atomwaffenprogramm abzubringen, und schließlich unterstützte er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels gegen den Iran.
Hinzu kommt, dass Donald Trump weltweit Chaos an den Börsen und in der Wirtschaft verursacht. Nicht auszuschließen ist, dass er damit seine Gegner verwirren und einen bevorstehenden Zusammenbruch des US-Wirtschafts- und Finanzsystems abwenden oder wenigstens verschleiern will. Seinen Hauptgegner sieht er in China, wobei er offensichtlich eine militärische Auseinandersetzung, die sich zu einem Mehrfrontenkrieg oder sogar einem Atomkrieg entwickeln könnte, vermeiden will. Vielmehr setzt er auf eine Schwächung der Wirtschaftskraft durch Isolierung, hohe Zölle und Sanktionen. Sollte Trump es schaffen, China auszumanövrieren, würden Russland, der Iran und einige Staaten des Globalen Südens ihren wichtigsten Unterstützer verlieren. Es wäre klug, wenn sich die Europäer aus der Konfrontation mit China heraushalten würden, sie können dabei nur verlieren.
In der Ukraine-Krise ist vieles in rasanter Entwicklung. Zum Beispiel haben die USA mit der Ukraine ein Abkommen zur Erschließung von Rohstoffen und zur Finanzierung eines Wiederaufbaus geschlossen. Bei dieser Gelegenheit betonte US-Finanzminister Scott Bessent, eine „freie, souveräne und prosperierende Ukraine” liege im Interesse der USA.[3] Auch von Putin kam ein Vorschlag zur Nutzung von Bodenschätzen in Partnerschaft mit den USA.[4] Unklar ist jedoch, wie sich diese Zusammenarbeit gestalten und für wen sie sich auszahlen würde und ob die Ukraine am Ende nicht den bereits von der Biden-Regierung angestrebten Status einer Kolonie der USA erhalten wird.
Maßlosigkeit und Kriegsrhetorik in Berlin
Eine Wende in der Russland-Politik zeichnete sich am 19. Mai 2025 nach einem erneuten Telefonat Trumps mit Putin ab. Trotz des Drucks aus der EU verhängte Trump keine neuen Sanktionen gegen Russland. Den europäischen Staats- und Regierungschefs, die ihn bedrängten, teilte er mit, dass er den Ukraine-Konflikt für eine europäische Angelegenheit halte: „Das ist nicht mein Krieg”, betonte er zum wiederholten Mal. „Wir haben uns in etwas verstrickt, in das wir nicht hätten hineingezogen werden dürfen.”[5] Damit nahm er Abstand von der aggressiven Russland-Politik seiner Vorgänger, die den Ukraine-Konflikt zu verantworten hatten.
Ob nun die Berliner Politiker sukzessive die Einsicht und den Verstand aufbringen werden, die ihnen gebotene Chance eines Politikwechsels im deutschen Interesse wahrzunehmen, ist derzeit unwahrscheinlich. Außen- wie innenpolitisch jagt eine Zumutung die andere. Außenminister Johann Wadephul unterstützt die Forderung Trumps, die Militärausgaben auf fünf Prozent anzuheben, Kanzler Friedrich Merz verlangt von den Deutschen, dass sie mehr arbeiten und sich bescheiden[6], Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Wehrpflicht wieder einführen. Und immer noch werden die Hetze und die Aggressionen gegen Russland in Politik und Medien fortgesetzt. Die führenden Politiker haben jegliches Maß verloren, und die Medien sind bekanntermaßen zu Propagandaorganen verkommen.
Gleich nach seinem Amtsantritt hat sich Friedrich Merz mit Emmanuel Macron und Keir Starmer zusammengetan, um – so absurd es klingt – die Beendigung des Ukraine-Kriegs zu verhindern. Dieses sinistre Triumvirat, zu dem Mitte Mai 2025 noch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk stieß, entfaltet hinter den Kulissen gemeinsam mit den Gegnern Trumps im Kongress, in Behörden, Außenministerium, Pentagon und NGOs im In- und Ausland (wie zum Beispiel USAID[7]) ein Netz von Intrigen zur Verhinderung der Trumpschen Vorhaben. Dazu gehören auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und viele der Politiker und Politikerinnen, die durch Patronage der US-Vorgängerregierungen und deren einflussreiche Organisationen Führungspositionen erlangt haben. Dieser Personenkreis, der Westeuropa in den Ruin getrieben hat, wird von der großen Mehrheit in ihren Ländern abgelehnt.[8]
Aber es gibt kaum Widerstand. In fast allen EU-Ländern steht es aufgrund der bösartigen Kriegsrhetorik und zunehmender strafrechtlicher Verfolgung von widerständigen Bürgern schlecht um die Opposition. In Deutschland gehen Staatsanwaltschaft, Gerichte und eine „Task Force gegen Hass und Hetze”[9] gegen alles vor, was nach Kritik an den Verantwortlichen für die unhaltbaren Zustände angesehen wird. Und kürzlich hat das Bundesfamilienministerium eine Stelle eingerichtet, bei der man sich im Falle von unerwünschtem Denken beraten lassen kann, „um unsere Gesellschaft vor den wachsenden Gefahren von Verschwörungsdenken zu schützen”.[10] Zugleich ermuntern Politiker, die „Kriegstüchtigkeit” fordern und von „Putin-Verstehern” und „Desinformanten” in russischem Auftrag sprechen, zu Denunziation von Regierungskritikern. Damit wird unter anderem die schon vorhandene Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.
Bedrohung und Hoffnung
„Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht”, schrieb Heinrich Heine 1844 im Pariser Exil. Er war nicht der Einzige, dem es so ging. Viele Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler sind damals geflüchtet, weil sie um ihr Leben fürchten mussten. Ganz so weit sind wir noch nicht, es gibt heute andere Möglichkeiten der Existenzentziehung, und sie werden praktiziert: öffentliche Diffamierung, Zensur, Hausdurchsuchung, Kündigung von Arbeitsstelle und Wohnung, Kontensperrung und so weiter. Wer sich nicht unterwirft, soll auf die eine oder andere Weise eliminiert werden.
Trotz allem ist jedoch festzuhalten, dass insbesondere der außerparlamentarischen Opposition in Deutschland, deren Kritik an der Berliner Politik sich zu Teilen in den Reden von Trump und Vance wiederfindet, von außen her der Rücken gestärkt worden ist. Nach wie vor zeigen nicht wenige Menschen Haltung und lassen sich nicht einschüchtern; das nährt immer noch eine vage Hoffnung auf andere, vielleicht bessere Zeiten.
Für bewusste Menschen stellt sich die Frage, wie sich in der gegenwärtigen Gesellschaft ein humanes, ein menschenwürdiges Leben führen lässt – solange es währt. […]
Das ist die momentane Situation, in der von den Vertretern der Kapitalinteressen immer schärfere Maßnahmen zur Kontrolle und Unterwerfung der Bevölkerung realisiert werden. Die Mehrheit der westeuropäischen Staaten einschließlich Deutschlands befindet sich schon lange auf einer abschüssigen Bahn in den Totalitarismus. Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, bedürfte es einer starken und bewussten Zivilgesellschaft. Daher muss Aufklärung der Bevölkerung abseits der Systemmedien ein Hauptanliegen aller Friedenskräfte sein.
Hoffnung im Juni 2025 gab ein Manifest prominenter Sozialdemokraten, die gegen die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung protestierten[11], auch wenn man nicht mit allem, was sie schrieben, einverstanden sein muss. Immerhin: Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteivorsitzender Norbert Walter-Borjans, der frühere Finanzminister Hans Eichel und viele andere forderten eine sofortige Kehrtwende im Umgang mit Russland und in Fragen der Aufrüstung. Sie wandten sich unter anderem gegen die hohen Aufrüstungskosten und die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
In dem Manifest heißt es: „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen.” Aber „militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme” schafften nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führten „zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland”. Daher brauche es eine „von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa”.
Die Widerstände, die sich sofort formierten, sind groß, aber das Manifest der Sozialdemokraten könnte das Signal zu einer friedenspolitischen Neubesinnung sein.
Wolfgang Bittner: Geopolitik im Überblick: Deutschland – USA – EU – Russland (WISSEN KOMPAKT). Osnabrück 2025, Hintergrund Verlag, Taschenbuch, 144 Seiten, ISBN 978-3910568235, 14,80 Euro.
Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Er hat über 80 Bücher veröffentlicht, u.a. „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ (2021), „Deutschland – verraten und verkauft“ (2021), „Ausnahmezustand. Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ (2023) sowie den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ (2019). Der vorstehende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch „Geopolitik im Überblick. Deutschland – USA – EU – Russland“, das am 28. Juli 2025 im Verlag Hintergrund in der Reihe WISSEN KOMPAKT erscheint.
[«1] Vgl. tagesschau.de/ausland/europa/groenland-daenemark-unabhaengigkeit-usa-trump-100.html. Inzwischen soll der US-Finanzinvestor BlackRock die Kontrolle über die Häfen an beiden Enden des Panamakanals übernommen haben.
[«2] Dazu welthungerhilfe.de/aktuelles/gastbeitrag/2019/hintergrundanalyse-jemen-konflikt
[«3] Vgl. tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/usa-ukraine-abkommen-faq-102.html
[«4] Vgl. rtde.org/international/237973-normalisierung-zwischen-washington-und-moskau/
[«5] Zit. n. n-tv.de/politik/Trump-erklaert-europaeischen-Staatschefs-Putin-will-Krieg-nicht-beenden-article25786517.html
[«6] Vgl. augsburger-allgemeine.de/politik/kommentar-merz-leistung-deutsche-sollten-mehr-arbeiten-109053224
[«7] USAID, von Trump erheblich reduziert, finanziert weltweit u. a. fragwürdige US-Projekte, aber auch Maßnahmen der Entwicklungshilfe. Vgl. globalbridge.ch/usaid-jetzt-im-blick-der-ganzen-welt/
[«8] Beispielhaft Macron: de.statista.com/infografik/33628/zustimmungswerte-der-franzoesischen-premierminister-und-des-praesidenten/
[«9] Vgl. initiative-toleranz-im-netz.de/
[«10] bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/-beratungskompass-verschwoerungsdenken-startet-256484