Der AfD-Höhenflug ist eine logische Folge einer immer tiefer gespaltenen Gesellschaft

Der AfD-Höhenflug ist eine logische Folge einer immer tiefer gespaltenen Gesellschaft

Der AfD-Höhenflug ist eine logische Folge einer immer tiefer gespaltenen Gesellschaft

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Glaubt man den wie stets aufgeregten Medien, müsste Deutschland gerade eben mitten in einem Rechtsruck stehen. Davon merke ich jedoch ehrlich gesagt nichts. Was ich jedoch aus Gesprächen mit Freunden und Bekannten mitbekomme, ist eine immer stärkere Entfremdung mit dem politisch-medialen Komplex und damit der Politik der Ampelregierung. Auch wenn niemand aus meinem Umfeld die AfD und ihr Programm gut findet, so begegne ich immer häufiger klammheimlicher Freude über deren Umfragen-Höhenflug. Die AfD ist sicher keine Alternative, aber sie wird mittlerweile von vielen als einzige Opposition wahrgenommen. Dass in Zeiten, in denen die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung historisch hohe Werte erklimmt, die Umfragewerte dieser als einzige Opposition wahrgenommenen Partei ebenfalls Rekorde verzeichnen können, sollte nicht wirklich überraschen. Der politisch-mediale Komplex hat so ziemlich alles getan, um die Spaltung der Gesellschaft zu vertiefen; nun darf er sich nicht darüber wundern, dass die Saat aufgeht. Ein Kommentar von Jens Berger.

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Wer „den typischen AfD-Wähler“ sucht, sollte sich erst einmal frei von tradierten Klischees machen. Glaubt man den zahlreichen jüngeren Studien zu diesem Thema, hat mittlerweile der „alte, wütende, sozioökonomisch prekäre Mann in der Plattenbausiedlung“ als AfD-Kernwähler ausgedient. Die größte Zustimmung erhält die Partei laut Forsa mittlerweile von der klassischen Mittelschicht – Arbeitern und Angestellten mittleren Alters, mit leicht überdurchschnittlichem Einkommen, die vor allem auf dem Land leben; in den Großstädten schneidet die AfD bei Umfragen am schlechtesten ab. Umfragen sind Umfragen. Nicht mehr. Erst neulich kritisierte Albrecht Müller vollkommen zu Recht den Missbrauch solcher Umfragen gerade bei der AfD-Thematik. Abseits von Umfragen kann man sich dem Thema jedoch auch empirisch nähern. Die „Heizungsdebatte“ der letzten Monate ist dafür ein geeignetes Fallbeispiel, das aufzeigt, wie sehr sich der Riss in unserer Gesellschaft vertieft.

Die klassische Grünen-Wählerschaft wird die gesamte Debatte gar nicht verstehen können; man lebt entweder als Besserverdiener im hochpreisigen modernen Energiesparhaus auf dem Land oder als Mieter in einem der angesagten Viertel der Metropolen. Im ersteren Fall hat man selbst keine finanzielle Mehrbelastung durch die „Heizungswende“ zu befürchten, im letzteren Fall sind die Kosten eher abstrakt und stehen in keinem Verhältnis zu den für diese Klientel tatsächlich existenzbedrohenden Kaltmieten. Das sieht in den kleineren und mittleren Städten und den Dörfern jedoch diametral anders aus. Ich lebe ja selbst auf dem Land und für mich persönlich sind die horrenden Kaltmieten in den Metropolen eher ein PaL – ein Problem anderer Leute. Dafür sind die im Raum stehenden Mehrkosten für Energie und die bald anfallende Wärmepumpe in der Tat eine existenzielle Frage. Hier geht es um Lebensentwürfe und für einen Normalverdiener bringen monatliche Zusatzkosten im vierstelligen Bereich den derzeitigen Lebensentwurf gehörig durcheinander. Das ist, liebe Berliner, Münchner und Hamburger, so, als würde Eure Kaltmiete von einem Jahr aufs nächste im vierstelligen Bereich steigen.

Hierbei geht es nur am Rand um das Thema Klimaschutz. In meinem Umfeld gibt es fast niemanden, der das Thema nicht ernst nehmen würde und auch selbst gerne Emissionen einsparen würde. Aber – und das ist ein großes „Aber“ – dadurch darf selbstverständlich nicht die eigene Existenz, der eigene Lebensentwurf, bedroht werden. Der subjektive Eindruck vieler ist vielmehr: Hier wird für einen überschaubaren Effekt in der Klimabilanz ein maximaler Preis eingefordert, den viele gar nicht zahlen können und fast alle nicht zahlen wollen. Doch dieser subjektive Eindruck findet sich in der politischen und gesellschaftlichen Debatte nicht wieder. Man fühlt sich alleingelassen, politisch nicht wahr- und schon gar nicht ernstgenommen, nicht repräsentiert. So geht es fast allen Menschen aus meinem Umfeld. Und wenn man den Umfragen dann doch einmal Glauben schenken darf, sind diese empirischen Beobachtungen keine Einzelfälle, sondern die Mehrheit. Laut ARD-Deutschlandtrend haben zwei Drittel der Befragten die Sorge, dass sie die „Heizungswende“ finanziell überfordern wird. Zwei Dritteln der Bevölkerung eine existenzielle Angst einzuflößen – das ist genau die Hybris der „Berliner Blase“, die aus der ohnehin schon vorhandenen Entfremdung einen tiefen Riss macht, der durch unsere Gesellschaft geht. Da wundert es nicht, dass mittlerweile 79 Prozent der Befragten mit der Bundesregierung nicht zufrieden sind. Das ist übrigens ein historischer Wert. Noch nie war die Unzufriedenheit mit der amtierenden Bundesregierung so groß.

Nun muss man nur Eins und Eins zusammenzählen. Eine historisch hohe Unzufriedenheit mit der Regierung und drei Oppositionsparteien, von denen mit der CDU und der Linkspartei zwei sich bei vielen Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, kaum von der Ampelkoalition unterscheiden. Was bleibt, ist die AfD und gerade bei der Heizungsfrage ist diese Partei ja in der Tat eine Art „Fundamentalopposition“ zur Regierungspolitik. Dass die AfD eine im Kern reaktionäre und neoliberale Partei ist, die für progressiv denkende Menschen keine echte Alternative sein kann, versteht sich von selbst. Laut Infratest dimap gibt aber ohnehin nur ein Drittel derer, die in den Umfragen der AfD ihre „Stimme geben“, an, der AfD näher als anderen Parteien zu stehen und von ihr überzeugt zu sein. Zwei Drittel der „AfD-Umfragewählern“ sind demnach klassische Protestwähler; also Menschen, die mit den anderen Parteien unzufrieden sind und ihnen oft auch einen Denkzettel verpassen wollen, der AfD selbst aber ebenfalls kritisch gegenüberstehen.

Ist das wirklich so verwunderlich? Ich meine, nein. Auch Umfragehochs können ein Korrektiv sein. So wurde die SPD weiland in ihren neoliberalen Sturm- und Drangzeiten erst durch die immer besseren Umfrageergebnisse der Linkspartei „domestiziert“. Die Linkspartei musste nicht in die Regierung kommen, um als Korrektiv zu wirken; so könnte es sich künftig mit der AfD auch verhalten. Parteien sind auf Wählerstimmen angewiesen, Politiker wollen Mandate gewinnen – beides geht nicht, wenn man immer nur den Empfehlungen der Meinungsmacher in den Medien hinterherhechelt und dabei die Wählerschaft permanent vor den Kopf stößt. Und 79 Prozent Unzufriedenheit mit der Regierungsarbeit sind ein massiver Stoß vor den Kopf.

Gerade in sich als „links“ verortenden Kreisen scheint ja das „Bekämpfen der AfD“ nicht nur der kleinste gemeinsame Nenner, sondern sogar ein identitätsstiftendes Merkmal zu sein. Doch wie „bekämpft“ man die AfD? Die bisherige Strategie, jeder inhaltlichen Positionierung der AfD durch die Übernahme der exakten Gegenposition zu begegnen, ist für jeden erkennbar gescheitert und hat die AfD nicht etwa kleiner, sondern größer gemacht. Wer die AfD zurückdrängen will, kommt nicht drumherum, sich selbst auch einmal kritisch zu hinterfragen und in besonders spaltenden Debatten die eigene Position zu überdenken. Wenn trotz medialen Meinungsbombardements die Mehrheit keine existenziell bedrohlichen Kosten für die Heizungswende aufbringen will und den deutschen Kurs bei der Ukrainekrieg-Frage kritisch sieht, könnte man ja auch einmal darüber nachdenken, in diesen Punkten ernsthaft auf die Mehrheit zuzugehen. Das nennt sich übrigens Demokratie. Die Parteien haben also die freie Wahl. Entweder sie bleiben bei ihrem Kurs, kriegen von den Medien Beifall, aber vertiefen den Riss, der durch die Gesellschaft geht. In diesem Fall stehen der AfD gute Zeiten bevor. Oder aber sie hinterfragen ihren Kurs und verfolgen endlich einmal eine vereinende Politik. Dann kriegen sie zwar schlechte Presse, aber sie kitten den Riss und entziehen der AfD damit ihr Protestwählerpotential. Noch gibt es diese Wahl.

Titelbild: ScenaStudio/shutterstock.com

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