„Maulkorb für Kriegsgegner“ – Verfassungsbeschwerde gegen Neufassung von „Volksverhetzung“-Paragraf 130 eingereicht

„Maulkorb für Kriegsgegner“ – Verfassungsbeschwerde gegen Neufassung von „Volksverhetzung“-Paragraf 130 eingereicht

„Maulkorb für Kriegsgegner“ – Verfassungsbeschwerde gegen Neufassung von „Volksverhetzung“-Paragraf 130 eingereicht

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Der Jurist Dr. Ralf Hohmann hat gemeinsam mit den zwei Vorsitzenden der DKP, Wera Richter und Patrik Köbele, Verfassungsbeschwerde gegen die im Zuge des Ukraine-Krieges erfolgte Änderung von § 130 des Strafgesetzbuches eingelegt. Sie argumentieren, dass die Neufassung des Paragrafen gegen „Volksverhetzung“ einen Verstoß gegen die grundgesetzlich gesicherte Meinungsfreiheit und die ebenso grundgesetzlich vorgeschriebene Bestimmtheit eines Gesetzes darstellt. Zudem wird kritisiert, dass die Verfahrensweise der parlamentarischen Beschlussfassung als sogenanntes „Omnibus-Gesetz“, also als Anhang eines anderen Gesetzes ohne inhaltlichen Bezug und ohne die sonst übliche parlamentarische Befassung, spätabends „durchgepeitscht“ worden sei. Die Verfassungsbeschwerde liegt den NachDenkSeiten vor. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 9. Dezember 2022 trat das „Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) und des Strafgesetzbuches (StGB)“ in Kraft. Im Rahmen dieser Änderung wurde unter anderem § 130 StGB (Volksverhetzung) um einen fünften Absatz ergänzt. Im Bundesgesetzblatt heißt es dazu:

„Nach Absatz 4 wird folgender Absatz 5 eingefügt:
(5) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Handlung der in den § 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art gegen eine der in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.“

Zuvor war der Volksverhetzungsparagraf beschränkt auf Aufstachelung und Aufforderung zu „Hass“ und „Gewalt- oder Willkürmaßnahmen“ gegen „eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe“ sowie den Versuch, „nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft“ zu billigen oder zu verherrlichen.

Weder wirkliche Beratung noch Debatte zur Gesetzesänderung

In der den NachDenkSeiten vorliegenden Verfassungsbeschwerde wird zunächst angeführt, dass bis zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, formuliert in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 19. Oktober 2022, dem Parlament kein Entwurf zur Änderung des § 130 StGB vorlag. Des Weiteren wird dargelegt, dass bei der bereits für den Folgetag vorgesehenen Abstimmung im Bundestag am 20. Oktober zwar die Änderung des Bundeszentralregistergesetzes in der Tagesordnung aufgeführt wurde, nicht aber die daran angehängte geplante Ergänzung des § 130. Zudem wird moniert, dass die Abstimmung als letzter Tagesordnungspunkt (TOP 25) um 22.15 Uhr angesetzt war.

Mit Verweis auf den „dicht gepackten und eng getakteten Sitzungstag“ wird geschlossen, dass „weder Vor- noch Zwischenberatungen zum BZRG, geschweige denn zur Änderung des § 130 StGB inner- und interfraktionell stattgefunden haben dürften“.

Auch eine reale Debatte im Bundestag zu der Gesetzesänderung, so die weitere Argumentation, habe es nicht gegeben, da aufgrund des späten Zeitpunkts der Abstimmung vier von sechs Parteien ihre Redebeiträge bereits vor dem Tagesordnungspunkt nur schriftlich zu Protokoll gegeben hatten. Dies betrifft laut Sitzungsprotokoll zwei Vertreter der Ampelkoalition, Dr. Thorsten Lieb für die FDP sowie Dr. Johannes Fechner von der SPD, sowie von Oppositionsseite Ingmar Jung für die CDU/CSU und Clara Bünger für Die Linke. Das heißt, von sechs im Bundestag vertretenen Parteien nahmen vier erst gar nicht an der Debatte teil. Von den genannten Parteien-Vertretern, die ihre Rede nur schriftlich eingereicht hatten, nahm zudem nur der FDP-Mann explizit Bezug auf die Änderung von § 130 StGB. Dessen schriftlicher Redebeitrag wird in der Verfassungsbeschwerde wie folgt zitiert:

„Mit der ergänzenden Regelung in § 130 StGB, die dem Gesetz angefügt ist, verdeutlichen wir auch noch einmal, dass wir das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in keinster Weise dulden. Dies wird nunmehr explizit unter Strafe gestellt – ein wichtiger Ausdruck in Kriegszeiten.“

Neben den genannten Mitgliedern des Bundestages gab es noch eine vielsagende schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages durch den fraktionslosen Abgeordneten Stefan Seidler:

„Der vorliegende Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes vermischt meines Erachtens zwei grundsätzlich verschiedene Sachverhalte. Die sachfremde Ankoppelung einer komplexen Reform des § 130 StGB an die ebenfalls hochkomplexe Änderung des BZGR erlaubt es mir in der Kürze der Zeit nicht, eine stringente Meinung zum vorgelegten Gesetzentwurf zu bilden. Ich enthalte mich daher.“

Nur AfD und Grüne nahmen an Bundestagsdebatte teil

An der eigentlichen Debatte, die laut Sitzungsprotokoll um Punkt 22:15 Uhr von der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau eröffnet wurde, nahmen lediglich die Vertreter der Grünen und der AfD teil. Beide Reden werden in der Verfassungsbeschwerde auszugsweise zitiert. Als Erster sprach der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner:

„Und was machen Sie? Sie denken nicht darüber nach, die Formulierung des Paragrafen zu verbessern, Sie dehnen ihn auch noch aus – mit unsäglichen Worthülsen, unbestimmten Rechtsbegriffen, die niemand richtig wird einordnen können (…). Und weil Ihnen das so peinlich ist, weil Sie genau wissen, was für einen Murks Sie da machen, versuchen Sie, diese Änderung an ein Omnibusgesetz dranzuhängen, ohne erste Lesung, ohne ordentliche Behandlung im Ausschuss.“

Ihm folgte der Abgeordnete von Bündnis90/Die Grünen, Canan Bayram:

„Alle demokratischen Fraktionen in diesem Haus sind sich einig, dass das strafbar sein sollte. Es ist doch, umgekehrt, ein Skandal, dass solche Äußerungen bisher noch nicht strafbar waren, meine Damen und Herren. Die Verharmlosung und Leugnung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch darf nicht weiter straflos bleiben.“

Auf diese zwei Redebeiträge beschränkte sich die gesamte Bundestagsdebatte um die einschneidenden Ergänzungen des § 130 StGB. Danach folgte die namentliche Abstimmung. Um 22:46 Uhr gab Bundestagsvizepräsidentin Pau das Abstimmungsergebnis bekannt:

„Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes – bekannt: abgegebene Stimmkarten 608. Mit Ja haben 514 Abgeordnete gestimmt, mit Nein stimmten 92, und es gab 2 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.“

„Einschränkung der Meinungsfreiheit“

Vor diesem Hintergrund wird in der Verfassungsbeschwerde, neben den aufgezeigten formalen Defiziten im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere auf den Aspekt der durch die Änderung von Paragraf 130, Absatz 5 erfolgten Einschränkung der Meinungsfreiheit verwiesen. Im Wortlaut heißt es dazu:

„Wenn historischen Fakten nicht mehr als Orientierung im Rechtsgutsschutz gelten, sondern Wertungen, ist eine schrankenlose, vom jeweiligen „Zeitgeist“ geprägte Strafverfolgungsmöglichkeit eröffnet. Dies wird auch daraus deutlich, dass es noch nicht einmal eine Grenzziehung der Art gibt, dass ein Gericht (gleich welches) festgestellt haben müsste, welche konkrete Völkerstraftat vorliegt.
Die Kriterien zur Definition eines bestimmten Vorgangs als verfolgungswürdig im Sinne des § 130 Abs 5 StGB hängen damit allein davon ab, welche Meinung zu diesem oder jenem Sachverhalt gerade vorherrschend ist, welche Einschätzung gerade in den öffentlichen Medien vorzugswürdig opportun erscheint.“

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Urteil des Berliner Amtsgerichts Anfang Januar 2023 gegen den bekannten Berliner Friedensaktivisten Heiner Bücker, der in erster Instanz in Form eines Strafbefehls zu einer vierstelligen Geld- oder ersatzweise 40-tägigen Haftstrafe verurteilt worden war. Die damalige Begründung? Er hätte in einer Rede anlässlich des 81. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2022 erklärt, man müsse „offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen“. Diese Aussage, so die Begründung vom 3. Januar 2023, billige „den völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine“ und hätte „das Potenzial, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen“ (Die NachDenkSeiten berichteten).

Die aktuelle Verfassungsbeschwerde schließt mit der Aussage:

„Die Norm des § 130 Abs. 5 GG vertunnelt den freien Raum öffentlicher Debatte, in dem er zulässt, dass eine bestimmte Meinung zu einem historischen Vorgang – im Übrigen: gleich wo auf der Welt er stattfand, stattfindet oder stattfinden wird – mit strafrechtlicher Sanktion gegen Andersdenkende durchgesetzt werden kann.
Präventiv unterbindet er damit auch zukünftige Debatten zur Einschätzung historischer Vorgänge. Ein jeder wird sich angesichts der Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 5 StGB intensivst überlegen, ob er überhaupt eine Position zu einem Vorgang einnehmen soll, bevor nicht die situativ bestimmende herrschende Auslegung hierzu verbreitet worden ist. § 130 Abs. 5 StGB schränkt die Meinungsfreiheit in verfassungswidriger Weise ein. Das Gesetz ist daher für nichtig zu erklären.“

Die Einreicher der Verfassungsbeschwerde, Wera Richter und Patrik Köbele, erklären die Motivation für ihren Schritt wie folgt:

„Wurde der Volksverhetzungsparagraf in der Vergangenheit viel zu selten gegen die Leugnung und Verharmlosung der Verbrechen des Faschismus eingesetzt, so soll er jetzt als Waffe gegen alle die genutzt werden, die die Aufrüstungs- und Kriegspolitik, die die NATO-Gefolgschaft der Bundesregierung ablehnen. Das ist Teil einer Politik des reaktionären Staatsumbaus, die wir auf allen Ebenen, auch auf der juristischen, bekämpfen. Wir gehen davon aus, dass die Neufassung des Gesetzes verfassungswidrig ist.“

Es ehrt die DKP, dass sie als einzige Partei den Beschwerdeweg bezüglich der fragwürdigen Umstände der Abstimmung zum ergänzten Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches sowie der Implikationen dieser Gesetzesnovelle für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik eingelegt hat. Viel Illusionen hinsichtlich der Erfolgsaussichten sollte man sich allerdings nicht machen. Die Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichtes weist eine Erfolgsquote von 1,29 Prozent der im letzten Jahr eingelegten Verfassungsbeschwerden auf.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Screenshot von Verfassungsbeschwerde

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