Gaza-Kommentare aus der US-Politik – Zwischen Morgenthau und ruandischem Hass-Radio

Gaza-Kommentare aus der US-Politik – Zwischen Morgenthau und ruandischem Hass-Radio

Gaza-Kommentare aus der US-Politik – Zwischen Morgenthau und ruandischem Hass-Radio

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Während man sich in Deutschland – zu Recht – über arabischstämmige Migranten in Neukölln empört, die die Verbrechen der Hamas auf den Straßen bejubeln, verschließt man die Augen vor den Völkermordphantasien, die in den letzten Tagen von einflussreichen Politikern aus den USA kamen. Dort bezeichnet man die Palästinenser als „Wilde“, die man „ausrotten“, ihnen „ein Ende machen“ und ganz Gaza „dem Erdboden gleichmachen“ sollte. Und nein, diese Zitate stammen nicht von irgendwelchen Spinnern auf Twitter, sondern von aktuellen und ehemaligen Präsidentschaftskandidaten – allesamt übrigens Republikaner. Man ist versucht zu sagen: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Jake Tapper (CNN): „Gibt es eine Möglichkeit für Israel, die Hamas zu zerstören, ohne dass es zu massiven Opfern unter den unschuldigen Menschen in Gaza kommt? Es leben ja rund zwei Millionen Menschen im Gaza-Streifen und die Hälfte davon sind Kinder.

Marco Rubio: „Ich glaube nicht, dass man von Israel erwarten kann, mit diesen Wilden zu koexistieren oder einen diplomatischen Ausweg zu finden. Das sind Leute, die absichtlich Mädchen im Teenageralter, Frauen, Kinder und ältere Menschen nicht nur vergewaltigen und ermorden, sondern auch ihre Leichen in den Straßen von Gaza abladen, wo die Menschenmenge ihre leblosen Körper schänden kann. Das sind einfach schreckliche Dinge, und ich glaube, wir kennen noch nicht das ganze Ausmaß davon. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir noch mehr erfahren. Man kann mit ihnen nicht koexistieren. Sie müssen ausgerottet werden. Das wird unglaublich schmerzhaft sein. Es wird unglaublich schwierig sein, und der Preis, der dafür zu zahlen ist, wird entsetzlich sein. Aber noch entsetzlicher ist es, wenn man zulässt, dass eine Gruppe wie diese weiterhin von einem Raum aus operiert, den sie kontrolliert. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Es ist eine schreckliche Option, aber es bleibt die einzige Option.“

Quelle: CNN

Ginge es nach Marco Rubio, müsste man die Palästinenser in Gaza also ausrotten. Es ging ihm – das wird im Kontext der Frage klar – nicht um die Hamas, sondern um die Zivilbevölkerung. Rubio gilt als Hardliner, doch der Senator aus dem US-Bundesstaat Florida ist im politischen System der USA beileibe kein Außenseiter. Bei den Vorwahlen zur US-Präsidentenwahl 2016 wurde er am Ende nur knapp von Donald Trump geschlagen und bis heute gilt Rubio, der unter anderem Vize-Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Senats ist, als Sprecher der außen- und sicherheitspolitischen Falken in den Reihen der Republikaner.
Auf Twitter gab Rubio den Israelis dann noch den Tipp, nun „UNVERHÄLTNISMÄßIG“ – ja, in Großbuchstaben – gegen Hamas und künftige Attacken jedes Feindes vorzugehen. „Unverhältnismäßige Angriffe“ sind übrigens laut der vierten Genfer Konvention ganz explizit Kriegsverbrechen.

Auf der gleichen Linie äußert sich auch Lindsey Graham, der seit zwanzig Jahren als Senator für den Staat South Carolina im US-Senat sitzt, 2016 ebenfalls Trump in den Vorwahlen unterlag und bis vor kurzen Vorsitzender des bedeutenden Justizausschusses des US-Senats war. In einem Interview mit Fox News wählte auch er drastische Worte.

„Wir befinden uns in einem Religionskrieg und ich stehe ohne Wenn und Aber auf der Seite Israels. Was immer Sie tun müssen, um sich zu verteidigen – machen Sie den Ort dem Erdboden gleich!“
Quelle: Lindsey Graham auf Twitter

Auch Graham ist beileibe kein Hinterbänkler, sondern laut New York Times „der Rockstar unter den Konservativen“ und auch er gehört der einflussreichen Gruppe der Falken unter den Republikanern an, die am liebsten in der halben Welt militärisch „intervenieren“ wollen.

Noch mehr im Rampenlicht steht zurzeit Nikki Haley, einst Gouverneurin von South Carolina, dann von Donald Trump ernannte US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und nun die Kandidatin im Vorwahlkampf der Republikaner für die kommende Präsidentschaftswahl, die in den Umfragen immerhin an dritter Stelle liegt. Wer nun meint, ihre Vorgeschichte als oberste US-Diplomatin hätte einen mäßigenden Einfluss auf ihre Wortwahl, der täuscht sich. In einem Interview mit Fox News stellte Haley zunächst einmal fest, dass die Palästinenser nicht nur die Feinde Israels, sondern auch die Feinde der USA seien, die sie – so Haley – genau so sehr hassten wie Israel. Ihre Forderung an den israelischen Premier Netanjahu: „Finish them! Finish them!“ Und damit meint auch sie nicht die Hamas, sondern die Palästinenser in Gaza; Zivilisten und Kinder eingeschlossen, und im gleichen Atemzug auch Iran. Nun müsse die USA eine klare Kante zeigen und zwischen „Gut und Böse unterscheiden“. Ansonsten würde Iran dem Vorbild der Hamas folgen und über die laut Haley ungesicherte Südgrenze in die USA (sic!) eindringen und dort das nächste 9/11 veranstalten. Da blieb sogar dem Fox-Moderator kurz die Spucke weg, bevor auch er in die wilde Verschwörungstheorie Haleys einstieg.

Diese Statements haben den Sound der offenen Hetze, mit der der ruandische Radiosender Libre des Mille Collines 1993 und 1994 das Feld für den Völkermord an den Tutsi ebnete. Wie sollte man die Äußerungen der drei Spitzenpolitiker, die nur die Spitze des Eisbergs sind, anders bewerten als Aufrufe zum Völkermord und zu Kriegsverbrechen? Und ja, es macht qualitativ einen großen Unterschied, ob ein Jugendlicher auf den Straßen Neuköllns widerliche Dinge sagt oder ob sie von der politischen Elite „unseres“ angeblich wichtigsten Verbündeten kommen. Zumindest von Seiten der Republikaner, die im US-Repräsentantenhaus bereits die Mehrheit haben, sie wohl im nächsten Jahr auch im Senat haben werden und die aller Wahrscheinlichkeit auch den nächsten US-Präsidenten stellen werden, scheinen die USA Israel grünes Licht für ein militärisches Vorgehen außerhalb des Völkerrechts zu geben. So sehr man auch die Aktionen der Hamas kritisieren muss und so sehr man natürlich auch Anteilnahme mit den zivilen Opfern Israels haben muss – was sich dort am Horizont zusammenbraut, muss ebenfalls scharf kritisiert werden.

Doch das ist zumindest in den deutschen Medien nicht der Fall. Im Gegenteil. Auch deutsche Politiker dürfen hierzulande offen zu Kriegsverbrechen aufrufen, ohne dass sie dafür Widerspruch kassieren. So durfte beispielsweise der SPD-Falke Michael Roth im ARD-Morgenmagazin fordern, Israel müsse jetzt die „Infrastruktur der Hamas komplett vernichten“. Dies würde zu „sehr schmerzhaften Bildern“ (die gleiche Phrase nutzte Marco Rubio übrigens (s.o.) auch) führen und Israel brauche jetzt dafür die „Unterstützung“ Deutschlands, um sich zu verteidigen. Das Zerstören von Infrastruktur, das Abstellen von Strom und Wasser und eine Blockade von Lebensmittellieferungen haben jedoch nichts mit Verteidigung zu tun, sondern sind reine Vergeltungsmaßnahmen. Auch die sind laut Völker- und Kriegsrecht klar verboten, stellen demnach Kriegsverbrechen dar. Michael Roth ist übrigens Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und hatte sich 2019 – zum Glück erfolglos – um den Vorsitz des SPD beworben.

Dass es auch weisere Stimmen zum Thema gibt, zeigt einmal mehr der US-Senator Bernie Sanders. In einem Statement bezeichnete Sanders Israels totale Belagerung des Gazastreifens als Bruch des Völkerrechts und forderte die Regierung Biden auf, mit der Weltgemeinschaft zusammenzuarbeiten, um ein Ende der eskalierenden Gewalt herbeizuführen, die bereits einen grausamen Tribut von der Zivilbevölkerung in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet gefordert hat.

„Für viele ist es kein Geheimnis, dass der Gazastreifen ein Freiluftgefängnis ist, in dem Millionen von Menschen darum kämpfen, ihre Grundbedürfnisse zu sichern“, so Sanders. Die US-Regierung müsse nun „auch auf die Zurückhaltung der israelischen Streitkräfte bei ihren Angriffen auf den Gazastreifen bestehen und sich für die Sicherung des humanitären Zugangs der Vereinten Nationen einsetzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Hälfte der zwei Millionen Menschen in Gaza Kinder sind. Kinder und unschuldige Menschen verdienen es nicht, für die Taten der Hamas bestraft zu werden.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Titelbild: Screencap CNN

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