Krieg der USA gegen Europa

Krieg der USA gegen Europa

Krieg der USA gegen Europa

Oskar Lafontaine
Ein Artikel von Oskar Lafontaine

Während Europa in scheinbarer politischer Harmonie verharrt, entfaltet sich im Schatten der Diplomatie ein unsichtbarer Wirtschaftskrieg, orchestriert von den USA. Dass die USA einen Wirtschaftskrieg gegen Europa führen, sollten auch die treuesten Gefolgsleute 2022 bemerkt haben, als die Vereinigten Staaten den «Inflation Reduction Act» im Umfang von rund 400 Milliarden Dollar verabschiedeten. Der Wettbewerb wurde verzerrt, amerikanische Firmen wurden stark subventioniert und europäische Unternehmen in die Vereinigten Staaten gelockt oder dazu veranlasst, ihre Produktion nicht in Europa, sondern in den USA auszuweiten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnete dieses Wirtschaftsprogramm als superaggressiv und sagte, diese Politik werde den Westen spalten. Von Oskar Lafontaine.

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Manchmal wehren sich die Europäer, aber oft nehmen sie die rücksichtslosen Handlungen der westlichen Führungsmacht widerspruchslos hin. Ja, sie unterstützen sie sogar auch dann, wenn sie der europäischen Wirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Das gilt für viele Sanktionspakete der USA, die angeblich nur beschlossen wurden, um Russland zu schwächen. Der mit Sanktionen geführte Wirtschaftskrieg gegen Moskau begann spätestens 2017, lange vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine.

Senat und Kongress in Washington beschlossen ein Gesetz, das zum Ziel hatte, den russischen Einfluss in Europa und Eurasien zurückzudrängen. 2018 nahmen die USA Nord Stream ins Visier. Gesetzlich wurde festgelegt, dass die Sanktionsbeschlüsse der USA in Zukunft internationales Recht seien und Verstöße dagegen zivilrechtlich und strafrechtlich in den USA verfolgt würden. Welch eine Anmaßung! Im Dezember 2017 hatten Demokraten und Republikaner der Schweizer Firma Allseas, die die Rohre für Nord Stream verlegte, mit der Vernichtung gedroht, wenn sie nicht binnen 48 Stunden die Arbeit an der Pipeline einstellen würde. Die Firma beugte sich. Immerhin hatte der damalige österreichische Bundeskanzler Christian Kern den Mut, diese US-Gesetze als einen „eklatanten Verstoß“ gegen das Völkerrecht zu brandmarken. Ein mutiger deutscher Bundeskanzler hätte sich ähnlich geäußert und vor allem die Sprengung von Nord Stream eine Kriegserklärung der USA an Deutschland genannt.

Vasallen und Tributpflichtige

Der französische Historiker Emmanuel Todd, der 1976 den Zusammenbruch der Sowjetunion voraussagte und 2002 das Buch «Weltmacht USA: Ein Nachruf» schrieb, sagte in einem Interview mit der Weltwoche am Anfang dieses Jahres: «Der Ausbau der Nato in Osteuropa war nicht in erster Linie gegen Russland gerichtet, sondern gegen Deutschland. Deutschland, das seine Sicherheit Amerika anvertraut hatte, wurde zur Zielscheibe der Amerikaner […] die Deutschen wissen nur zu genau, dass Nord Stream von den Amerikanern zerstört wurde […] aber sie können es nicht sagen.» Die USA streuen sogar, Bundeskanzler Scholz habe im Vorhinein von diesem Terroranschlag auf die wichtige deutsche und europäische Gasleitung gewusst, also Landesverrat begangen. Ein Dementi des Bundeskanzlers gibt es nicht, und die deutschen Medien, sieht man von den «NachDenkSeiten» und anderen alternativen Medien ab, scheint das nicht zu interessieren. Todd fährt fort: «In Wahrheit sind die Deutschen von den Amerikanern angegriffen worden. Man wollte sie vom russischen Gas abkoppeln […]. Der Westen hat seine Werte verloren und befindet sich in einer Spirale der Selbstzerstörung. Europa gerät wieder unter die amerikanische Herrschaft.» Das hatte schon der ehemalige Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch «Die einzige Weltmacht» 1997 ähnlich gesehen: «Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.»

Das Imperium Romanum schickte Legionen, um Völker zu unterwerfen und sie zu Tributpflichtigen zu machen. Die USA landeten in der Normandie, als sie sahen, dass die Rote Armee dabei war, das Dritte Reich zu besiegen. Die USA wollten Westeuropa unter ihre Fittiche nehmen und nicht Stalins UdSSR überlassen. Was das für Westeuropas Zukunft bedeutete, sah der legendäre französische Präsident Charles de Gaulle voraus. Als er an der Feier zur Landung der Alliierten in der Normandie teilnehmen sollte, weigerte er sich und sagte zu seinem Pressesprecher Alain Peyrefitte: «Die Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 war eine Angelegenheit der Angelsachsen. Frankreich wurde ausgeschlossen. Sie hatten die Absicht, sich in Frankreich wie in einem feindlichen Land zu installieren, wie in Italien und in Deutschland. Sie hatten ihr ‹Allied Military Government of Occupied Territories› vorbereitet, das Frankreich nach den Maßgaben der US-Armee regieren sollte […]. Und Sie wollen, dass ich da hingehe, um einer Landung zu gedenken, die das Vorspiel zu einer zweiten Besetzung des Landes war?»

De Gaulle wollte eine selbstständige europäische Politik. Zu diesem Zweck schloss er mit Deutschland den Elysée-Vertrag und war tief enttäuscht, dass der Bundestag in einer Präambel die Unterwerfung der deutschen Politik unter die Vorgaben der USA folgsam festschrieb.

In der Folgezeit wurde der französische Staatspräsident von den USA permanent bekämpft. Zentrum der Agitation war die US-Botschaft in Paris, die in der Wahl der Mittel auch nicht zimperlich war. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen wurden Leute angeworben und teils schlicht eingekauft, die amerikanische Positionen vertraten, um de Gaulle zu schwächen und die hegemoniale Politik der USA in Frankreich durchzusetzen. Diese Politik der ständigen Einflussnahme wird von allen US-Botschaften in Europa bis zum heutigen Tage fortgesetzt.

Unglaubliche Lügenpropaganda

Neben den Wirtschaftskriegen der USA gegen China, Russland und Europa spielen in Zeiten des Internets die Informationskriege der mächtigsten Militärmacht der Welt gegen ihre Rivalen eine immer größere Rolle. Kriegspropaganda gab es schon immer. Als er in den Ersten Weltkrieg eingreifen wollte, schickte US-Präsident Woodrow Wilson 75.000 Redner in Städte und Dörfer, um die amerikanische Bevölkerung gegen die Deutschen aufzuhetzen.

Eine unglaubliche Lügenpropaganda verbreiteten die USA viele Jahre später über eine Werbeagentur, um den US-Bürgern den ersten Irakkrieg als unvermeidbar erscheinen zu lassen. Die irakischen Soldaten, so hieß es, rissen in Kuwait Babys aus ihren Brutkästen und ließen sie qualvoll sterben. Und vor dem zweiten Irakkrieg wurde die Lüge der Massenvernichtungswaffen erfunden, um der Weltöffentlichkeit die Notwendigkeit dieses Krieges vor Augen zu führen. Mit einer gigantischen PR-Truppe habe die Bush-Regierung die Öffentlichkeit in den USA seit Jahren hinters Licht geführt, urteilte damals der Spiegel. Und damit die sozialen Medien die US-Propaganda in den Öl- und Gas-Kriegen und dem Ukraine-Krieg nicht unterlaufen können, hat das Pentagon mittlerweile eine Armee von 60.000 Cyberkriegern aufgestellt, die dafür sorgt, dass «die kriegerischste Nation der Weltgeschichte» (Jimmy Carter) in den westlichen Gesellschaften nach wie vor als ein guter Hegemon angesehen wird, der in aller Welt für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpft. Nur so ist zu erklären, dass im alten Europa, das die Philosophie der Aufklärung mit dem Leitspruch «Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen» hervorbrachte, die Medien, als seien sie gleichgeschaltet, trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit den Kriegslügen der Vergangenheit die US-Kriegspropaganda mehr oder weniger kritiklos übernehmen.

Der größte Schaden für die Europäer entsteht aber dadurch, dass die Vereinigten Staaten sie in alle ihre völkerrechtswidrigen Angriffskriege hineinziehen. Das gilt für Jugoslawien, Afghanistan, den Irak, Syrien, Libyen und für den durch die Nato-Osterweiterung, den Putsch auf dem Maidan und die jahrelange Aufrüstung der Ukraine provozierten, ebenfalls völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Bei all diesen Kriegen versuchen die Vereinigten Staaten, den europäischen Vasallen einen möglichst großen Anteil der Kriegskosten aufzubürden. Selbstverständlich sind die Europäer immer für die Aufnahme der Flüchtlinge zuständig. Und kein europäischer Regierungschef brachte den Mut auf, den polternden US-Präsidenten Donald Trump, als er die Europäer aufforderte, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten, darauf hinzuweisen, dass die europäischen Staaten viele Milliarden Euro jedes Jahr aufbringen, um die Flüchtlinge der von den USA zu verantwortenden Kriege zu versorgen, während sich Washington einen schlanken Fuß macht.

Der größten Gefahr aber würden sich die Europäer aussetzen, wenn sie sich weiter in den kalten Krieg der USA gegen China, der zum heißen Krieg zu werden droht, hineinziehen lassen. Wieder war es der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der bei seinem Besuch in Peking sagte, die Europäer sollten sich nicht in Kriege einbinden lassen, die nicht die ihren seien.

Sofort wurde er von den unterwürfigen europäischen US-Vasallen, allen voran von deutschen Ampelpolitikern, kritisiert. Aber er hatte recht und vertrat im Gegensatz zu den übrigen Europäern die Interessen des alten Kontinents.

Eines darf man aber nicht übersehen. Solange die militärischen Einrichtungen der USA in Europa genutzt werden, um die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der USA zu führen, so lange sind die Europäer in alle US-Kriege verwickelt. Sollte es zu einer militärischen Auseinandersetzung der USA mit China kommen, dann würden die Chinesen alle Flughäfen und Kommandozentralen der USA in Europa ins Visier nehmen, um sie zu zerstören.

Eine aggressive Weltmacht kann daher niemals ein Verteidigungsbündnis anführen, und deshalb sind die Europäer gezwungen, wenn sie überleben wollen, eine eigenständige Politik zu entwickeln und sich aus der Vormundschaft der USA zu befreien. «Zwischen der offensiven Strategie der Amerikaner und der defensiven Strategie der Russen befinden sich die Europäer in einem atemberaubenden Zustand der geistigen Verwirrung. Das gilt ganz besonders für Deutschland», urteilte wiederum Emmanuel Todd. Es wird Zeit, dass die Europäer diese geistige Verwirrung überwinden.

Und die USA? Sie könnten die Erkenntnisse des Historikers Paul Kennedy beherzigen, die er in seinem Bestseller «Aufstieg und Fall der großen Mächte» aufgeschrieben hat: Eine imperiale Überdehnung führt zum Niedergang einer Weltmacht. 900 Militärstationen auf allen Kontinenten, der größte Kriegshaushalt der Weltgeschichte und die vom Forschungsdienst des US-Kongresses festgestellten 251 Militärinterventionen seit 1991 sind klassische Anzeichen einer Überdehnung. Der krampfhafte Versuch, die einzige Weltmacht zu bleiben, übersieht, dass der Aufstieg Europas zum Machtzentrum der Welt im Mittelalter viele Machtzentren in Europa selbst zur Voraussetzung hatte. Ihr Wettbewerb führte zu technologischen Durchbrüchen und wirtschaftlichem Wachstum, den Grundlagen jeder militärischen Macht. Die sich jetzt bildende multipolare Welt werden die USA nicht aufhalten können.

Platons Erkenntnisse

Schon vor 2.400 Jahren erkannte der Philosoph Platon: «Nötig ist zu wissen für jeden Mann, dem ein göttliches Geschick auch nur ein Geringes an richtigen Ansichten eingegeben hat, dass es im Kampf der Gegner kein Ende des Übels gibt, bevor nicht einmal die, die in den Kämpfen die Oberhand gewonnen haben, aufhören, erlittenen Schaden durch Vertreibung und Hinrichtungen zurückzuzahlen und an ihren Feinden Vergeltung zu üben, sondern sich vielmehr selbst in der Gewalt halten, Gesetze für alle zu erlassen, die ihnen selbst nicht mehr Genuss bringen als den Unterlegenen und sie zwingen, sich an die Gesetze zu halten.» Die stärkere Militärmacht hat also die größere Verantwortung für den Frieden. «Der Krieg ist der Vater aller Dinge», schrieb der griechische Philosoph Heraklit. Im Atomzeitalter wäre ein Krieg der USA gegen China, an dem die Europäer beteiligt wären, der Vater der vollständigen Zerstörung nicht nur Europas, sondern wahrscheinlich der Welt.

Titelbild: Carsten Reisinger/shutterstock.com

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