Steht Kanzler Scholz noch vollumfänglich hinter Wirtschaftsminister Habeck?

Steht Kanzler Scholz noch vollumfänglich hinter Wirtschaftsminister Habeck?

Steht Kanzler Scholz noch vollumfänglich hinter Wirtschaftsminister Habeck?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Bei der Regierungspressekonferenz am 21. Februar skizzierte Regierungssprecher Steffen Hebestreit die schwierige wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik und sprach unter anderem von einem „erheblichem Anpassungsdruck“ der deutschen Volkswirtschaft, welche sich „in einem schwierigen Fahrwasser“ befände. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, welchen Anteil an der aktuellen Krise der Kanzler bei den für das Wirtschafts- und Finanzressort verantwortlichen Ministern sieht und ob er noch „vollumfänglich“ hinter diesen steht. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Liste der Habeck-Verfehlungen ist lang: Geheimdienst gegen nicht genehme Mitarbeiter, Vetternwirtschaft und Verachtung des Parlaments

Wirtschaftsminister Robert Habeck ist erst seit Dezember 2021 im Amt, aber die Liste der in dieser Zeit provozierten Skandale ist ansehnlich und stellt so ziemlich jedes andere Ministerium, vielleicht abgesehen vom Gesundheitsministerium, in den Schatten:

Bereits kurz nach Amtsantritt, im Frühjahr 2022, setzte der ehemalige Kinderbuchautor, wie das Handelsblatt auf Grundlage von internen Protokollen belegen konnte, den deutschen Inlandsgeheimdienst (Bundesamt für Verfassungsschutz – BfV) auf Ministerialbeamte an, nur weil diese, so die Begründung, mit ihrer Fachmeinung zur deutschen Energieversorgung „meilenweit“ von der politischen Linie des Ministers abwichen. (Die NachDenkSeiten berichteten.)

Die Tatsache, dass der Minister den Geheimdienst auf die eigenen Mitarbeiter angesetzt hat, sorgte laut Handelsblatt abteilungsübergreifend für Irritation und Unmut:

„Selbst altgedienten Ministerialen ist kein Vorgang bekannt, dass ein Wirtschaftsminister die Dienste auf seine eigenen Leute ansetzen ließ.“

Es reiche mittlerweile offenbar eine fundierte abweichende Einschätzung der Lage aus, damit die Hausspitze den Verfassungsschutz einschalte, zitierte das Blatt damals eine weitere, in diesem Zusammenhang mehrmals geäußerte Angst im Ministerium.

Clan-Strukturen im Wirtschaftsministerium

Nur kurze Zeit später wird eine, wie die taz es nennt, „Clan-Struktur“ in der Führungsebene des Wirtschaftsministeriums bekannt, die in der an klientelistischen Verbindungen nicht armen Geschichte des Ministeriums ihresgleichen sucht:

Der beamtete Staatssekretär für Energiefragen im Wirtschaftsministerium war bis zu seiner Entlassung am 17. Mai 2023 wegen der sogenannten „Trauzeugen-Affäre“ der Habeck-Vertraute Patrick Graichen, ehemaliger Chef der Grünen-nahen Lobbygruppe „Agora Energiewende“. Dessen Schwester Verena Graichen arbeitet wiederum als „Senior Researcher“ beim Öko-Institut zu den Themen Klimapolitik und Emissionshandel und ist gleichzeitig Vorsitzende des Umweltverbands BUND in Berlin. Verheiratet ist sie mit Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im gleichen Ministerium wie Graichen. Die zwei wichtigsten Staatssekretäre und Habeck-Vertrauten waren also Schwäger. Doch damit nicht genug. Jakob Graichen, der Bruder des Energiestaatssekretärs, arbeitete zu diesem Zeitpunkt als „Senior Researcher“ zu Klima- und Energiefragen beim, dreimal darf der geneigte Leser raten, Öko-Institut. Seite an Seite mit seiner Schwester, der Ehefrau und Schwester der zwei zentralen Staatssekretäre im Ministerium für Wirtschaft und Klima.

Doch kaum hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Entlassung seines wohl wichtigsten Staatssekretärs Patrick Graichen nach massivem medialen und politischen Druck verkündet („der eine Fehler zu viel“), da wurde bekannt, dass ein weiterer Staatssekretär mit Grünen-Parteibuch im BMWK, Udo Jürgen Philipp, seinen Posten für fragwürdige Tätigkeiten nutzte. So empfahl er dem Ministerium unter anderem einen Berater, in dessen Fonds er selbst größere Summen investiert hatte und ließ eine zehn Milliarden Euro schwere Startup-Förderstrategie erstellen. Problem? Philipp hatte zuvor privates Geld in mehrere Startups investiert, die potenziell davon profitieren würden. (Die NachDenkSeiten berichteten.)

Als illustrierendes Beispiel sei auf Philipps Beteiligung an dem millionenschweren Fonds First Momentum Ventures verwiesen. Zu dessen Portfolio gehören mehrere Startups, die im Bereich der Elektromobilität tätig sind, etwa das Unternehmen Heycharge, welches Ladestationen für Elektroautos an Orten mit schlechter Netzverbindung installiert. Der geneigte Leser darf dreimal raten, welcher Staatssekretär im BMWK bis heute für das Themenfeld Elektromobilität und dessen Förderung verantwortlich zeichnet …

Verachtung der Legislative

Ende Dezember 2023 kam es zu einem weiteren Schauspiel der Abgehobenheit grüner Spitzenbeamter. Der Habeck-Vertraute und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Sven Giegold, verweigerte in einem wohl einmaligen Akt der Demokratieverachtung das verfassungsrechtlich verankerte parlamentarische Informations- und Fragerecht der Bundestagsabgeordneten. Den NachDenkSeiten liegt der entsprechende Schriftverkehr exklusiv vor.

Die von der Antwortverweigerung betroffene Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (jetzt BSW) erklärte damals mit Blick auf das Agieren des Habeck-Vertrauten und Grünen-Staatssekretärs:

„Offenbar braucht die grüne Führung im Bundeswirtschaftsministerium Nachhilfe in Sachen parlamentarischer Demokratie. Zunächst der dreiste Versuch der Antwortverweigerung und dann der Vorwurf, dass man als Opposition das verfassungsmäßige parlamentarische Informations- und Fragerecht überhaupt nutzt, zeigen, wie abgehoben und demokratieverachtend die Grünen mittlerweile geworden sind.“

Habecks schwieriges Verhältnis zu Wahrheit und Pressefreiheit

Am 21. Februar 2024 versuchte Habeck in einem wohl auch ziemlich einzigartigen Akt, kritische Fragen in der Bundespressekonferenz zu der skizzierten Personalpolitik in seinem Ministerium zu delegitimieren, indem er diese in bester Kalter-Kriegs-Rhetorik als im Dienste Moskau stehend („Russlands Berichterstatter“) bezeichnete und in dem Zusammenhang zudem nachweislich log:

„Es ist schon schwer zu ertragen, wenige Tage nachdem Nawalny ermordet wurde, dass Russlands Berichterstatter hier im Land die liberale Demokratie in Deutschland so diskreditieren.

Jede Frage soll beantwortet werden, aber mit der Sympathie für ein Land, in dem Fragen noch nicht mal gestellt werden dürfen, sondern Menschen, die Fragen stellen, weggesperrt oder ermordet werden, ist eine moralische Grenze erreicht, die schwer zu ertragen ist.“

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 21. Februar

Regierungssprecher Hebestreit (mit Eingangsstatement zum Jahreswirtschaftsbericht)

Die Bundesregierung erwartet für das Jahr 2024 ein reales Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 0,2 Prozent. Die Inflation geht erfreulicherweise weiter zurück. Der Anstieg der Verbraucherpreise dürfte sich auf 2,8 Prozent verringern. Parallel dazu ist mit einer Steigerung der verfügbaren Einkommen um 3,8 Prozent zu rechnen, sodass wir wieder von steigenden Reallöhnen ausgehen können. Für den Arbeitsmarkt rechnen wir weiterhin mit einer robusten Entwicklung. Der Beschäftigungsaufbau wird sich fortsetzen. Bei der Arbeitslosigkeit rechnen wir allenfalls mit geringfügigem Zuwachs.

Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich zu Beginn des Jahres allerdings – das ist Ihnen allen nicht verborgen geblieben – weiterhin in einem schwierigen Fahrwasser. Wir sehen aber auch Anlass zur Zuversicht. Ich habe die steigenden Reallöhne bereits genannt. Sie werden für eine wachsende Binnennachfrage im Laufe dieses Jahres sorgen können.

Die zu erwartende Erholung wird allerdings durch geopolitische Krisen – genannt seien der Nahostkonflikt, der weitere russische Angriffskrieg auf die Ukraine und andere weltpolitische Verwerfungen – sowie durch geldpolitische Straffungen gebremst. Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht vor erheblichem Anpassungsdruck. Darauf reagieren wir mit zielgerichteten und umfassenden Maßnahmen der Angebotspolitik. Der Jahreswirtschaftsbericht führt zehn zentrale Handlungsfelder auf. Beispielhaft nenne ich die Stärkung der Investitionsdynamik unter anderem durch das Wachstumschancengesetz, das heute in einem anderen Gremium am späteren Nachmittag noch eine Rolle spielen wird, den Abbau unnötiger Bürokratie, die Erhöhung des Arbeitskräfteangebotes unter anderem über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sowie die Erhöhung des Angebotes an erneuerbaren Energien und über die Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes.

Frage Warweg

Herr Hebestreit, Sie haben die schwierige wirtschaftliche Situation in Deutschland skizziert. Welchen Anteil an dieser Situation misst der Bundeskanzler dem verantwortlichen Minister zu? Steht er noch vollumfänglich hinter seinem Wirtschaftsminister?

Hebestreit

Die Kurve muss ich erst einmal nachvollziehen. ‑ Die Ursachen für die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland haben sehr viel mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und mit den weltpolitischen Verwerfungen, die daraus gefolgt sind und weiterhin folgen, zu tun. Wir haben es mit einem aufgeregten weltpolitischen Umfeld zu tun. Wir haben es in Deutschland mit gestiegenen Energiepreisen zu tun. Wir haben es auch mit einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung im Ausland zu tun. Eine so wichtige und große Exportnation wie die unsere wird davon natürlich stärker betroffen als Länder, die nicht so stark auf den Export angewiesen sind oder nicht so stark auf den Export setzen. Insofern gibt es dabei nichts, was dieser Bundesregierung oder Regierungsvertretern vorzuwerfen wäre, wie Sie es insinuieren oder in Ihrer Frage anlegen, sondern diese Regierung arbeitet kraftvoll daran, dieses Land durch dieses weltpolitisch aufgeregte Fahrwasser zu steuern.

Zusatzfrage Warweg

Sieht der Kanzler denn andere Ministerien in der Verantwortung oder zumindest Teilverantwortung für diese aktuelle schwierige Situation, etwa das Ministerium, das sich am vehementesten gegen die Aufhebung der Schuldenbremse stellt?

Hebestreit

Nein.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.02.2024