Justizministerium kann „Antisemitismus“-Vorwürfe gegen Berlinale-Preisträger nicht belegen

Justizministerium kann „Antisemitismus“-Vorwürfe gegen Berlinale-Preisträger nicht belegen

Justizministerium kann „Antisemitismus“-Vorwürfe gegen Berlinale-Preisträger nicht belegen

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat am 27. Februar öffentlich erklärt, dass die Berlinale schweren Schaden genommen hätte, weil dort laut seiner Darstellung „Antisemitismus viel zu unwidersprochen“ geblieben sei. Bei der fraglichen Preisverleihung gab es eine Äußerung vom US-Filmemacher Ben Roussel zum Genozid-Verdacht beim Vorgehen Israels in Gaza, eine Sorge, die auch vom IGH in Den Haag geäußert worden war. Des Weiteren hatte der jüdisch-israelische Filmmacher Yuval Abraham auf die aus seiner Sicht existierenden Apartheid-Strukturen in Israel hingewiesen sowie sein Co-Regisseur, der palästinensische Filmemacher Basel Adra, zum Stopp von Waffenexporten nach Israel aufgerufen. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, welche der skizzierten Äußerungen laut Herrn Buschmann den Vorwurf des Antisemitismus erfüllen. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

„Die Berlinale hat dieses Wochenende schweren Schaden genommen. Antisemitismus ist unerträglich und kann keinen Platz haben – schon gar nicht dort, wo es um den freien Austausch von Meinungen und Kultur gehen soll. Antisemitische Hetze ist keine in Deutschland geschützte Meinung.“

So die öffentliche Äußerung von Bundesjustizminister Buschmann auf X-Twitter, in welcher er zudem auf einen ZEIT-Artikel verweist, in dem er mit den Worten zitiert wird, dass auf der Berlinale angeblich „Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist” und er mit „strafrechtlichen Konsequenzen“ droht:

Wie aus den Antworten der Sprecherin des Justizministeriums ersichtlich, war diese trotz mehrmaliger Nachfrage (siehe BPK-Protokoll) nicht in der Lage, auch nur in einem konkreten Fall argumentativ darzulegen, wieso die genannten Äußerungen laut ihrem Chef „antisemitisch“ gewesen sein sollen.

Es zeugt von einer enormen Hybris, wenn ausgerechnet ein deutscher Justizminister unter anderem einen regierungskritischen jüdischen Israeli, der einen Großteil seiner Familie im Holocaust verloren hat, zum Antisemiten erklärt. Ein Vorwurf, der neben seiner offensichtlichen Gehaltlosigkeit und Anmaßung zugleich direkte Konsequenzen sowohl für den jüdischen und als auch den palästinensischen Regisseur hatte. So berichtet Yuval Abraham, dass am 26. Februar ein „rechtsgerichteter israelischer Mob“ zum Haus seiner Familie kam, um nach ihm zu suchen, und Familienmitglieder bedrohte. Er hätte zudem nach den „Antisemitismus“-Vorwürfen deutscher Politiker und Medien zahlreiche Morddrohungen aus Israel erhalten. Weiter erklärt er:

„Der entsetzliche Missbrauch dieses Wortes durch Deutsche, nicht nur um palästinensische Kritiker Israels zum Schweigen zu bringen, sondern auch um Israelis wie mich zum Schweigen zu bringen, die einen Waffenstillstand unterstützen, der das Töten in Gaza beenden und die Freilassung der israelischen Geiseln ermöglichen würde, entleert das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung und gefährdet damit Juden in der ganzen Welt.“

Zudem führt der israelische Regisseur aus, dass der größte Teil der Familie seines Großvaters im Holocaust ermordet wurde und erklärt vor diesem Hintergrund:

„Ich finde ich es besonders empörend, dass deutsche Politiker im Jahr 2024 die Dreistigkeit besitzen, diesen Begriff in einer Weise gegen mich zu verwenden, die meine Familie gefährdet.“

Vor allem aber, so Abraham, bringe dieses Verhalten das Leben seines palästinensischen Co-Regisseurs Basel Adra in Gefahr, „der unter einer militärischen Besatzung umgeben von gewalttätigen Siedlungen in Masafer Yatta (in der Nähe von Hebron) lebt“.

Halten wir fest: Der bundesdeutsche Justizminister (und viele weitere Politiker der Ampel-Regierung sowie der CDU) werfen, ohne dies auf Nachfrage belegen zu können, internationalen Kulturschaffenden, darunter einem jüdischen Israeli und einem Palästinenser, „Antisemitismus“ vor, nur weil diese legitime Kritik am aktuellen Vorgehen der israelischen Regierung äußern, und gefährden damit nachweislich deren Leben und berufliche Zukunft.

Wir sprechen hier von denselben Politikern derselben Regierungskoalition, die auf parlamentarische Fragen zu „rechtsextremen Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik“ erklären, dass man sich die geschichtshistorische Einordnung „antisemitisch“ für die paramilitärischen Gruppierungen unter dem nachweislich fanatischen Antisemiten Stepan Bandera in der Ukraine „ausdrücklich nicht zu eigen“ mache:

Diese Antwort der Bundesregierung (Bundesdrucksache 20/8456) erfolgte in Reaktion auf Zitate aus dem Jahrbuch für Antisemitismusforschung sowie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur geschichtswissenschaftlichen Bewertung der mit dem NS-Regime kollaborierenden und für die Ermordung abertausender Juden verantwortlichen ukrainischen Gruppierungen wie OUN-B und UPA. Welch ungeheure Doppelmoral…

Auszug aus dem Wortprotokoll von der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2024:

Frage Warweg
Bundesjustizminister Buschmann hat diese Woche erklärt, dass die Berlinale schweren Schaden genommen habe, weil man dem Antisemitismus nicht entsprechend widersprochen habe. Jetzt gab es bei der Preisverleihung den Kommentar eines US-Filmschaffenden mit Verweis auf die Genozidgefahr in Gaza, ein jüdisch-israelischer Filmschaffender wies auf den Apartheidscharakter Israels aus seiner Perspektive hin, und ein palästinensischer Filmeschaffender hat dazu aufgerufen, keine Waffen nach Israel zu liefern. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Welche dieser skizzierten Darlegungen der Kulturschaffenden auf der Berlinale entspricht nach dem Verständnis von Herrn Buschmann seinem Vorwurf des Antisemitismus?

Dr. Fuchs (BMJ)
Vielen Dank für die Frage. Wie Sie wissen, sind für die strafrechtliche Beurteilung dieser Vorfälle die Staatsanwaltschaften zuständig, und dann eben auch die Gerichte. Herr Buschmann hat sich gegenüber der Presse im Allgemeinfall und generell dazu geäußert, wann solche Parolen wie die, die Sie angesprochen haben, eventuell strafbar sein könnten. Ich kann das gerne wiederholen: Generell hat er gesagt, dass unser Strafrecht gut aufgestellt ist, um mit solchen antisemitischen Äußerungen oder auch dem Absprechen des Existenzrechts Israels gut umzugehen. Die Verwendung der Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ kann etwa als Billigung der im Rahmen der Angriffe der Hamas im Oktober 2023 in Israel begangenen Tötungsdelikte verstanden werden.

Wie ich schon darauf hingewiesen habe, ist das jetzt Sache der Staatsanwaltschaft, und ich glaube, die Staatsanwaltschaft Berlin hat sich auch schon dazu geäußert, dass sie das aufnehmen wird und schauen wird, wie diese Fälle bei der Berlinale nun einzuordnen sind.

Zusatzfrage Warweg
Ich hatte ja nach den konkreten Belegen gefragt, aber gut. Herr Hebestreit, wie bewertet es denn der Kanzler, dass ein Minister seiner Regierung die Kritik am israelischen Vorgehen, die von Kulturschaffenden aus den USA, Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten geäußert wurde, mit Antisemitismus gleichsetzt? Sieht er nicht die Gefahr, dass man diese Kritik mit der Gleichsetzung diffamiert und gleichzeitig den wirklich real existierenden Antisemitismus relativiert?

Regierungssprecher Hebestreit
Der Bundeskanzler sieht den Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland als ein ganz wichtiges Anliegen. Wir haben in Deutschland nach dem 7. Oktober auch darüber eine heftige Debatte gehabt und haben auch Entscheidungen getroffen, etwa die Entscheidung, dass die Parole, die die Kollegin vom Justizministerium eben genannt hat, strafrechtlich relevant ist.

Zum konkreten Fall: Das sind Äußerungen des Ministers, die stehen für sich. Darüber habe ich mit dem Bundeskanzler nicht zu sprechen gehabt, und ich habe auch nicht darüber gesprochen. Das ist an dieser Stelle meines Erachtens ein Urteil des Politikers Buschmann gewesen. Das Strafrechtliche müssen die dafür zuständigen Behörden tun, und das werden sie auch prüfen. Anhand dessen, was diese Prüfung erbringt, wird es dann auch ein Ergebnis geben.

Frage Jäckels
Noch einmal an das Justizministerium: Mit seiner Aussage sprach Herr Buschmann eben nicht nur von dem, was auf dem gehackten Instagram-Kanal passiert ist. Da das auf Instagram passiert ist, kann es ja nicht unwidersprochen bleiben. Insofern muss er sich mit den Antisemitismusbeschuldigungen ja auf die Preisverleihung oder auf die Events beziehen, die da stattgefunden haben. Deshalb noch einmal die Frage: Auf welche genauen Aussagen, die antisemitisch sein sollen, bezieht sich Herr Buschmann?

Dr. Fuchs (BMJ)
Ich glaube, ich habe hier klar zu erkennen gegeben, dass Herr Buschmann sich nicht auf die einzelnen Vorfälle, auf die konkreten Vorfälle bei der Berlinale bezogen hat. Ich habe darauf hingewiesen, dass es nicht die Aufgabe ist von Herrn Buschmann, das einzuschätzen. Das ist vielmehr die Aufgabe der Staatsanwaltschaft und vielleicht später die Aufgabe der Gerichte. Herr Buschmann hat sich diese Woche und auch davor schon des Öfteren dazu geäußert, dass unser Strafrecht gut aufgestellt ist, um diese antisemitischen Vorfälle zu ahnden, und er hat sich dazu geäußert, welche strafrechtlichen Paragrafen dort möglicherweise infrage kommen.

Noch einmal: Er hat sich dazu generell geäußert und hat keine Einschätzung der Vorfälle auf der Berlinale gegeben.

Zusatzfrage Jäckels
Dann noch einmal die Nachfrage: Worauf bezieht er sich denn, wenn er sagt, es bliebe zu viel unwidersprochen? Wenn es nur darum ging: Inwiefern hätte denn irgendjemand auf diesen gehackten Instagram-Kanal reagieren und damit widersprechen können?

Dr. Fuchs (BMJ)
Auch diese Aussage bezieht sich nicht auf die konkreten Vorfälle, sondern bezieht sich auf das Urteil von Herrn Buschmann, dass generell antisemitische Vorfälle in Deutschland verfolgt werden sollen und verfolgt werden müssen und dass Antisemitismus in Deutschland nicht zumutbar ist, schon gar nicht auf solcher Art von Kulturveranstaltungen.

Frage Scally
Ist Antisemitismus in Deutschland strafbar?

Dr. Fuchs (BMJ)
Auch da kommt es darauf an, um welche genaue Tat es sich handelt. Antisemitismus ist an sich ja kein strafrechtlicher Begriff, den man als solches einer Straftat zuordnet. Da müsste man schon genau hingucken, was genau dort passiert ist, und dann kann man das entsprechend einstufen. Wie gesagt, es ist eine Aufgabe der Staatsanwaltschaften und der Gerichte und nicht des Justizministeriums, zu beurteilen, ob sich aus konkreten Vorfällen eine strafrechtliche Einstufung nach unserem Strafgesetzbuch ergibt.

Zusatzfrage Scally
Zur Äußerung des Bundesministers, das sei unerträglich und antisemitisch: Es gibt vieles, was unerträglich ist, aber manche würden sagen, dass man in einer Demokratie vieles Unerträgliche aushalten muss freie Meinungsäußerung usw.

Der Bundesminister leitet unerträgliche Sprüche also an die strafrechtlich relevanten Stellen weiter, mit der Bitte, das zu untersuchen. Er selbst hat aber gesagt: Es ist aus meiner Sicht unerträglich. Was von dem, was gesagt wurde, ist illegal? Sie haben ja nicht definieren können, was von dem, was da gesagt wurde, antisemitisch war. Das ist ja ein sehr schwerwiegender Vorwurf, den er da gemacht hat. Wenn ich bei der Berlinale gewesen wäre, dann würde ich gerne wissen: Meint er mich, meint er jemand anderes oder ist das ein Generalverdacht? Welche Aussagen waren also antisemitisch bzw. waren für ihn Antisemitismus, der unerträglich ist?

Dr. Fuchs (BMJ)
Ich glaube, ich habe mich jetzt hinreichend dazu geäußert, dass es Herrn Buschmann nicht um die Bewertung der einzelnen Vorfälle bei der Berlinale ging. Noch einmal der Hinweis: Dass die Meinungsfreiheit in Deutschland ein sehr hohes Gut ist, hat Herr Buschmann auch an mehreren Stellen und immer wieder vorgebracht. Aber auch die Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen in den Strafgesetzen.

Frage Jung
Frau Fuchs, der Minister hat gesagt Zitat:

„Die Berlinale hat an diesem Wochenende schweren Schaden genommen, weil dort Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist.“

Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, bezieht sich dieses „dort“ auf einen kleinen Unteraccount der Berlinale auf Instagram und nicht auf die Örtlichkeiten der Berlinale, wo Menschen ihre Meinung geäußert haben, korrekt?

Dr. Fuchs (BMJ)
Herr Jung, es ist nicht meine Aufgabe, das Zitat des Ministers hier auszulegen.

Zusatz Jung
Das haben Sie aber bisher getan.

Dr. Fuchs (BMJ)
Diese Aussage steht für sich.

Noch einmal, auch für Sie: Dem Minister ging es nicht um die Einstufung der konkreten Vorfälle bei der Berlinale. Das steht den Staatsanwaltschaften zu.

Zusatz Jung
Aber genau über diese Vorfälle redet er ja, wenn er davon spricht, dass es „dort“, also auf der Berlinale, Antisemitismus gab.

Dr. Fuchs (BMJ)
Ich habe keine weitere Aussage mehr dazu.

Frage Jäckels
Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte, der Abend der Preisverleihung sei von tiefem Israelhass geprägt. Auch da ist die Frage: Worauf bezieht sich diese Aussage genau?

Dann ließ sie auch noch verkünden, dass sie eben nicht für den palästinensischen Journalisten applaudiert hat, sondern nur für den israelischen. Welches Problem sieht Claudia Roth denn bei den Aussagen des palästinensischen Journalisten, sodass sie explizit ein Statement herausgibt, dass sie nur für den israelischen geklatscht hätte?

Hebestreit
Ich glaube, für die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien bin ich formal zuständig. Das muss ich nachreichen. Sie war heute nicht im Kabinett, weil sie auf einer Dienstreise ist, und insofern müsste ich mich da erst schlau machen. Diese Antwort kann ich nicht aus der Hand geben.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 28.02.2024