Stimmen aus der Ukraine: Noch glaubt Selenskyj an Revanche

Stimmen aus der Ukraine: Noch glaubt Selenskyj an Revanche

Stimmen aus der Ukraine: Noch glaubt Selenskyj an Revanche

Gábor Stier
Ein Artikel von Gábor Stier

Die Moral der ukrainischen Armee ist durch die Niederlagen geschwächt, aber von einem Zusammenbruch ist nicht die Rede. Die ukrainische Gesellschaft glaubt immer weniger an einen Sieg, würde aber Verhandlungen als Kapitulation ansehen. Einige in der politischen Elite wären zu Kompromissen bereit, aber Wolodymyr Selenskyj glaubt noch immer an eine Revanche und würde bis zum Ende durchhalten. Der Westen hat es nicht eilig, Kiew zum Verhandeln zu bewegen, ebenso wenig wie Moskau, das auf die Zermürbung setzt.
Zwei Jahre nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sprach der Chefredakteur des ungarischen Fachportals #Moszkvatér, Gábor Stier, mit dem ukrainischen Politikwissenschaftler Konstantin Bondarenko, Leiter der Stiftung Ukrainskaya Politika, über die vergangenen zwei Jahre, die Lage in der Ukraine und die Aussichten. Den Text hat Éva Péli ins Deutsche übersetzt.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gábor Stier: Der Krieg dauert nun schon zwei Jahre an, und ein Ende ist immer noch nicht absehbar. Aber eins scheint sicher zu sein: Die Ukraine ist in einer schlechten Position und kann diesen Krieg nicht gewinnen, wenn das Kräfteverhältnis und die aktuellen Trends anhalten. Sie hat das Recht, ihr Territorium zu verteidigen, aber meinen Sie nicht, dass es für Kiew sogar günstig wäre, wenn der Konflikt entlang der derzeitigen Frontlinien eingefroren würde?

Konstantin Bondarenko: Ja, dieser Gedanke wird zunehmend diskutiert, aber es gibt einige Hindernisse. Zunächst einmal verbietet ein Dekret des Präsidenten jegliche Verhandlungen mit Russland. Aber auch Moskau hat wiederholt deutlich gemacht, dass es nicht mit Kiew über die Beendigung des Konflikts verhandeln will, da die Ukraine nicht selbstständig ist, sondern mit den Vereinigten Staaten verbunden ist. Der Kreml bezieht sich dabei auf die Istanbuler Gespräche, die nach der Ausarbeitung des Abkommens im Frühjahr 2022 durch den Westen zum Scheitern gebracht wurden. Diese Lösung, die mit dem Friedensvertrag mit Finnland von 1940 verglichen werden könnte, liegt also in der Luft, aber Kiew will davon noch nichts wissen. Und Russland ist nur unter Berücksichtigung der Lage an den Fronten und der neuen Realitäten zu Verhandlungen bereit. Die Positionen liegen also weit auseinander.

Inzwischen würde Moskau lieber die Früchte seiner Zermürbungsstrategie ernten. Halten Sie einen Zusammenbruch der ukrainischen Armee für möglich?

Ja, aus Moskauer Sicht ist das offensichtlich eine Chance. Der Verlust von Awdijiwka, der russische Vormarsch an mehreren Fronten schwächt die Moral der ukrainischen Armee, aber es wäre stark übertrieben, von einem Zusammenbruch zu sprechen.

Es scheint, dass die ukrainischen Behörden die Flucht nach vorne ergreifen und nicht zu Friedensgesprächen bereit sind. Wie erklären Sie sich diese Entschlossenheit, die Realität zu ignorieren?

Präsident Selenskyj wird bei der Wiederherstellung der Grenzen von 1991 keine Kompromisse eingehen und glaubt, dass sich die Ukraine, wenn sie genügend hochwertige Technologie und Munition erhält, an Russland für 2014 und 2022 rächen kann. Kiew hofft also immer noch, genügend Waffen aus dem Westen zu bekommen und dass die aktuellen Schwierigkeiten mit der US-Finanzierung vorübergehend sind.

So viel zu der Macht. Aber was ist mit der Gesellschaft? Es scheint, als hätte sie auch nicht erkannt, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Dass sie ihr Heimatland verteidigen, ist klar. Doch für Außenstehende erscheint dieses Beharren eher sinnlos. Wie lange kann aus Ihrer Sicht die Unterstützung für den Krieg noch anhalten?

Vor einem Jahr glaubten noch 83 Prozent der Ukrainer an einen Sieg, jetzt sind es nur noch 42 Prozent. Immer mehr Menschen sehen also der Realität ins Auge. Sie sehen, dass es an der Front schlecht aussieht und dass die Behörden mit Gewalt versuchen, die Menschen zu mobilisieren. Aber sie merken auch, dass die westlichen Gesellschaften und Eliten verunsichert sind, dass die Unterstützung schwindet.

Die Menschen sind immer weniger bereit, durch den Fleischwolf zu gehen, aber sie sind noch weit davon entfernt, sich gegen den Krieg aufzulehnen. Halten Sie es für möglich, dass sich die Gesellschaft nach einer gewissen Zeit gegen die Macht wendet und ein Ende des Krieges fordert?

Wir dürfen nicht vergessen, dass jede Kritik an den Behörden oder am Krieg, also jede Opposition heute als Unterstützung des Feindes strafbar ist. Selbst legitime Kritik wird von den Behörden als Unterstützung für Putin, als Verbreitung russischer Propaganda angesehen. Doch die Unzufriedenheit wächst, und es gibt vereinzelt leise Proteste, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Gesellschaft gegen die Macht wendet. Natürlich ist nichts auszuschließen, denn 1916 dachte auch niemand in Russland daran, dass in wenigen Monaten die Revolution ausbrechen und der Zar zurücktreten würde. Aber die Situation in der Ukraine ist im Moment nicht revolutionär.

Das bedeutet, dass die Ukraine bereit ist, den Krieg fortzusetzen, wenn auch nicht mit dem gleichen Enthusiasmus wie früher.

Ja.

Dem Präsidenten geht langsam die Luft aus. Wie stabil ist die Situation von Selenskyj? Die Ablösung des Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj verlief zwar relativ ruhig, aber ist es völlig ausgeschlossen, dass sich die Armee gegen Selenskyj wendet?

Die Zukunft könnte davon abhängen, ob Saluschnyj politische Ambitionen hegt. Im Moment hat er weder ein Programm noch eine Ideologie, aber er hat die Unterstützung der Bevölkerung. Das erinnert mich ein wenig an den französischen General des späten 19. Jahrhunderts Georges Ernest Jean-Marie Boulanger, der vielen die Hoffnung auf Erneuerung und auf den Boulangismus versprach. Diese gesteigerte Erwartung an Saluschnyj, diese Hoffnung ist in gewisser Weise auch ein Zeichen für die Krise des Systems. Saluschnyj ist jedoch vorerst vorsichtig. Er zog sich zurück, aber er tritt vorerst nicht an, weil er merkt, dass es vorerst keine Wahlen geben wird, seine Zeit sei also noch nicht gekommen. Die Frage ist, ob sie überhaupt kommen wird. Was die Armee betrifft, so wird sie sich nicht gegen Selenskyj wenden. Aber im Mai läuft das Mandat des Präsidenten aus, und laut der Verfassung kann er es nicht einmal im Kriegszustand selbst verlängern. Das kann nur die Rada (das ukrainische Parlament, Anm. d. Red.) tun. Nach dem 20. Mai könnte Wolodymyr Selenskyj also in eine Legitimitätskrise geraten, die sein Ansehen im Westen beeinträchtigen könnte.

Genau. Der Präsident könnte auch dann scheitern, wenn seine westlichen Unterstützer ihn im Stich lassen. Wie lange, glauben Sie, wird Washington zu Selenskyj stehen? Wurde der Aufbau seines Nachfolgers bereits begonnen? Anders formuliert: Gibt es bereits einen Plan B für die irgendwann unvermeidlichen Waffenstillstandsgespräche?

Im Moment spricht Washington nicht über einen Plan B. Erst kürzlich hat sich Vizepräsidentin Kamala Harris in München für die Ukraine ausgesprochen. Was konkret Wolodymyr Selenskyj betrifft, so ist der Präsident zunehmend enttäuscht, woraus er keinen Hehl macht. Er gerät zunehmend mit den USA aneinander. Der Bruch erfolgte recht spektakulär auf dem NATO-Gipfel in Vilnius im Sommer 2023. Die Auseinandersetzung ist bereits so weit fortgeschritten, dass Selenskyj kürzlich erklärte, dass Kiew die Vereinigten Staaten nicht als strategischen Partner betrachten werde, wenn der Kongress nicht für ein Paket stimme, das die Unterstützung für die Ukraine einschließe. Gleichzeitig öffnet sich das Präsidialamt zunehmend gegenüber den Briten. Die Position von Selenskyj ist jedoch derzeit stabil. Diese Stabilität beruht auf der Tatsache, dass es keine Opposition gibt. Der Präsident nutzt den Kriegszustand und verhindert jeden politischen Wettbewerb mit der Begründung, er könnte den Feind unterstützen.

Bereits vor dem Ausbruch des Krieges hatte Selenskyj begonnen, ein autoritäres Regime aufzubauen …

Genau. Und zwar ein streng autoritäres Regime, das auf der Unterdrückung der Opposition, auf Korruption und Kompradorenverhalten beruht. Diese Macht schützt nicht die Interessen der Ukraine, sondern die der transnationalen Konzerne.

Da Sie diese Kräfte erwähnt haben: Inwieweit folgt der Krieg deren Interessen? Es gibt viele, die glauben, dass Washington nicht nur von geopolitischen Interessen geleitet wird, sondern auch von handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Der US-Senator Lindsay Graham erwähnte – und auch Donald Trump hat sich dazu geäußert –, dass die Ukraine keine Unterstützung mehr erhalten wird, sondern Kredite, die mit Bodenschätzen wie Lithium, Kalium und Kobalt abgesichert sein werden. Diese Aussage hat in der Ukraine ernsthafte Debatten ausgelöst. Diese Bodenschätze gehören nämlich nach der Verfassung nicht dem Präsidenten, da sie nicht Eigentum des Staates, sondern des Volkes sind. Daher können diese Schätze ohne ein Referendum nicht als Garantien angeboten werden. Aber in der Ukraine sind bereits mit einem Portfolio von sechs Milliarden US-Dollar Vermögensverwaltungsriesen wie BlackRock oder Investoren in der Landwirtschaft wie Monsanto, Cargill und Dupont anwesend. Washington wird also von zwei Zielen angetrieben. Für den Staat geht es in erster Linie darum, Russland zu schwächen, während Investmentgruppen ein Auge auf das Territorium, das Land und die natürlichen Ressourcen der Ukraine geworfen haben. Für Letztere ist es das Beste, wenn so viele Ukrainer wie möglich auswandern. Das Problem der Arbeitskräfte wird durch Gastarbeiter gelöst werden.

Wir haben bereits gesehen, dass Washington und London sich nicht nur die Rollen teilen, sondern auch um Einfluss konkurrieren, und jeder hat seine eigenen Leute in der ukrainischen Elite.

Das ist richtig. Zum Beispiel ist Andrij Jermak, der Chef des Präsidialamtes, ein echter MI6-Agent, ein Brite, während die „Quartals“ mit grundlegend unterschiedlichen US-amerikanischen Machtgruppen „verbunden“ sind. Und Selenskyj ist sozusagen montags der Mann der US-Amerikaner und dienstags der Briten. Wir können in dieser Hinsicht nicht über Europa sprechen, weil es nicht wirklich in diesem Spiel mitspielt, sondern nur im Interesse der US-Amerikaner und der Briten.

Das wirft auch die Frage auf, wie unabhängig die Ukraine ist.

Seit dem zweiten Maidan im Jahr 2014 können wir nicht mehr von der Unabhängigkeit der Ukraine sprechen. Zu diesem Zeitpunkt begann die tatsächliche und effektive Kolonisierung der Ukraine. Die westlichen Institutionen haben im Wesentlichen die Kontrolle über die Ukraine übernommen. Russland war dazu nach 1991 nicht mehr in der Lage, und als das Land sich erholte und stärker wurde, wurde es von den westlichen Kolonialisten überholt.

Die Eliten des Westens bestehen immer noch darauf, die Ukraine rhetorisch zu unterstützen, aber Munition und Waffen werden immer knapper. Es gibt darüber hinaus in den westlichen Gesellschaften ein wachsendes Gefühl der Kriegsmüdigkeit. Nähert sich aus Ihrer Sicht die Zeit, in der der Westen die Ukraine an den Verhandlungstisch setzt?

Die USA sind weit weg, aber in Europa ist bereits Kriegsmüdigkeit zu spüren. Dies ist jedoch unter dem Gesichtspunkt, die Ukraine zu Verhandlungen zu zwingen, unerheblich, da Europa in diesem Spiel keine Karte in der Hand hält. Washingtons Wille ist wichtig, aber das Weiße Haus hat es nicht eilig, den Konflikt einzufrieren.

Ein Einfrieren des Konflikts ist nur möglich, wenn die direkt und indirekt Beteiligten dies als Sieg verkaufen können. Wie ist die Lage in dieser Hinsicht? Was kann ein Sieg für die jeweiligen Länder bedeuten?

Für Selenskyj bedeutet ein Sieg die Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine von 1991, aber das ist realitätsfern. Ein neuer Präsident kann jedoch einen neuen Ansatz mit sich bringen. Denn es gibt Politiker in der Ukraine, sogar in Selenskyjs Umfeld, die zum Beispiel die Beibehaltung von Kiew und Odessa als Sieg betrachten und mit dem Verlust der Krim und der beiden Donbass-Regionen einen Waffenstillstand unterzeichnen würden.

Wladimir Putin hat mir jedoch auf meine Frage beim Waldai-Treffen 2023 gesagt, dass Odessa eine russische Stadt sei. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach, und was würde Moskau als Sieg verbuchen?

Odessa zu erobern, ist nicht einfach, denn dazu müssten zuerst Cherson und Mykolajiw eingenommen werden. Und wir haben noch nicht über die Tatsache gesprochen, dass Odessa eine Millionenstadt ist und die russischen Streitkräfte in ihrem jetzigen Zustand nicht in der Lage wären, vom Schwarzen Meer aus zu landen. Dies würde eine weitere Mobilisierung oder einen vollständigen Zusammenbruch der ukrainischen Armee erfordern. Russland wäre jedoch – wie Putin und Lawrow wiederholt erklärt haben – zu Verhandlungen bereit, wobei die Lage an den Fronten zu berücksichtigen wäre.

Womit würde sich denn Washington zufriedengeben?

Das Ziel der USA ist es, Russland so weit wie möglich zu schwächen. Doch die Ukraine ist nur einer der Schauplätze der russisch-US-amerikanischen Konfrontation. Da sind auch noch Syrien, Afrika, die Arktis oder sogar Europa und der Pazifik. Die Ukraine ist natürlich der heißeste Punkt dieser Konfrontation, aber eine Lösung des Konflikts ist nur in Verbindung mit den anderen Themen möglich. Wenn Moskau und Washington beispielsweise einen Kompromiss in Bezug auf die NATO, die strategische Stabilität in Europa und die Atomwaffen erzielen könnten, wären die Vereinigten Staaten bereit, die Ukraine dafür zu opfern.

Damit haben Sie ausgesprochen, was ich denke, nämlich dass die Vereinigten Staaten die Ukraine nur für ihre geopolitischen Zwecke benutzen und bereit sind, sie zu opfern, wenn die Situation es erfordert. Fühlen sich die Ukrainer nicht verraten?

Ich sage das schon seit 2014. Der Westen benutzt die Ukraine als Rammbock gegen Russland. Er denkt, dass die Ukrainer für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen werden. Wolodymyr Selenskyj wurde im Wesentlichen für diese Rolle „angeheuert“.

Fügen wir noch hinzu, dass es angesichts der Vergangenheit der Ukraine und der Mentalität der Ukrainer nicht schwer war, Kiew übers Ohr zu hauen.

Die Ukraine wurde nicht zufällig ausgewählt.

Der bekannte amerikanische Analyst George Friedman hat gesagt: Der Krieg ist vorbei, aber niemand weiß, wie man aufhört zu kämpfen. Es ist wirklich einfacher, einen Krieg anzufangen, als ihn zu beenden. Wie lange kann dieser Krieg wohl noch dauern?

Friedman hat recht. Niemand ist gerne ein Verlierer. Um den Konflikt zu beenden, müssen wir also versuchen, dass alle beteiligten Parteien so weit wie möglich ihr Gesicht wahren.

Es ist schon jetzt klar, dass die Ukraine der größte Verlierer dieser zwei Jahre ist.

Sie hat bisher die größten Verluste erlitten, aber es ist zu früh, sie als den größten Verlierer zu bezeichnen. Der Krieg ist noch lange nicht vorbei.

Demographisch und wirtschaftlich gesehen ist die Lage katastrophal, der Staat wäre ohne ausländische Hilfe bankrott, er hat 18 Prozent seines Territoriums verloren …

Ja, das stimmt.

Wie hätte die Ukraine Ihrer Meinung nach diese Situation vermeiden können? Haben sie alles getan, um einen Krieg zu vermeiden?

Die Ukraine hatte mehrere Gelegenheiten, den Krieg zu vermeiden. Die erste war am 9. Dezember 2019, als Selenskyj Putin, Merkel und Macron in Paris traf. Es ging um das Minsker Abkommen, und Selenskyj verpflichtete sich, es umzusetzen. Nach seiner Rückkehr nach Kiew erklärte er dann, dass die Ukraine sich nicht an das Minsker Abkommen halten werde. Die zweite im Oktober 2020, als die beiden separatistischen „Volksrepubliken“ des Donbass einen Kompromissvorschlag unterbreiteten, wonach ihnen der im Minsker Abkommen garantierte Sonderstatus für 30 Jahre zuerkannt werden sollte. Danach hätte die Angelegenheit überprüft werden können.

Schließlich erklärte Präsident Selenskyj kurz vor der Invasion auf der Münchner Konferenz provokativ, dass Kiew vom Budapester Memorandum zurücktreten werde. Dies konnte in Moskau zu Recht so interpretiert werden, dass sich die Ukraine bereit erklärt, ihre eigene Atomschlagkraft aufzubauen. Selbst Joe Biden hatte Selenskyj zuvor davon abgeraten, in dieser angespannten Situation nach München zu reisen. Und was macht der ukrainische Präsident? Er fuhr nicht nur hin, sondern provozierte Moskau.

Wie kann Kiew in der gegenwärtigen Situation seine Verluste begrenzen?

Dafür ist es zu spät, die Verluste sind enorm. Und wenn Selenskyj morgen ankündigen würde, dass er mit Moskau verhandeln würde, würde die Mehrheit der Ukrainer dies noch nicht als vernünftigen Kompromiss, sondern als Kapitulation verstehen und ablehnen. Nach all dem Leid würden die Soldaten nicht aufgeben, viele würden um ihr Kriegsgeschäft fürchten, die Nationalisten würden bis zum Schluss durchhalten und diejenigen, die zu Kompromissen bereit wären, würden eingeschüchtert und schweigen.

Kann die Ukraine für diesen Krieg durch eine mögliche EU- und NATO-Mitgliedschaft entschädigt werden?

Die Ukraine wird kein vollwertiges Mitglied der NATO sein. Das wäre ein zu großes Risiko für die NATO, und sie will sicher nicht, dass Artikel 5 in diesem Zusammenhang angewandt wird. Was die europäische Integration anbelangt, so hat die Ukraine keine der Grundvoraussetzungen dafür erfüllt, da sie über keine stabile Wirtschaft und kein stabiles Sozialsystem verfügt, der Staat am Rande des Bankrotts steht, die demokratischen Institutionen schwach sind und nicht einmal ihre Grenzen klar sind.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der ungarischen Wochenzeitung Demokrata.

Titelbild: Shutterstock / Review News

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