UN-Menschenrechtsrat: Bundesregierung sieht „schwerste Völkerrechtsverbrechen“ in Belarus – aber nicht in Gaza

UN-Menschenrechtsrat: Bundesregierung sieht „schwerste Völkerrechtsverbrechen“ in Belarus – aber nicht in Gaza

UN-Menschenrechtsrat: Bundesregierung sieht „schwerste Völkerrechtsverbrechen“ in Belarus – aber nicht in Gaza

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Auf der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats am 19. März erklärte die Bundesregierung, dass es „alarmierende Beweise für einige der schwersten Verbrechen des Völkerrechts“ gäbe und alle Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Der deutsche Vertreter bezog sich mit seinen Äußerungen auf die aktuelle Lage in Belarus. Als dann aber der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, der österreichische Diplomat Volker Türk, über die Menschenrechtslage in den besetzten palästinensischen Gebieten berichtete und von „vielen Vorfällen“ sprach, „die auf Kriegsverbrechen durch israelische Streitkräfte“ hindeuten, sowie von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht, kommentierte dies die Bundesregierung mit keinem Wort. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, mit welcher Begründung die Bundesregierung im UN-Menschenrechtsrat „alarmierende Beweise für einige der schwersten Völkerrechtsverbrechen“ in Belarus spricht, aber zur Lage in Gaza schweigt. Von Florian Warweg.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 20. März 2024

Frage Warweg
Ich habe tatsächlich gerade jetzt gelesen, dass Deutschland gestern bei der Sitzung des UN-Menschenrechtsrats – ich zitiere kurz – erklärt habe, es gebe alarmierende Beweise für einige der schwersten Verbrechen des Völkerrechts. Alle Täter müssten und würden zur Rechenschaft gezogen werden. Straflosigkeit dürfe nicht herrschen. Damit nahm die Bundesrepublik Deutschland Bezug auf die Lage in Weißrussland, Belarus.

Auf derselben Sitzung des UN-Menschenrechtsrats war aber auch der Hochkommissar für Menschenrechte präsent, der ausgeführt hat, dass sein Büro zahlreiche Fälle dokumentiert habe, die auf schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht durch Israel hindeuteten. Zu diesen Ausführungen hat zumindest nach meinen Informationen Deutschland keinerlei Stellungnahme verfasst.

Wie begründen Sie die sehr harsche Formulierung in Bezug auf Weißrussland und das Schweigen zu den Ausführungen des UN-Menschenrechtskommissars gestern in Genf?

Fischer (AA)
Ich denke, unsere Haltung zur Lage im Gazastreifen ist sehr klar. Wir setzen uns seit Wochen und Monaten auch gegenüber der israelischen Regierung dafür ein, dass mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen hineinkommt. Wir sind noch nicht da, wohin wir wollen, aber wenn wir uns an den 7. Oktober und die Zeit unmittelbar danach erinnern, erkennen wir, dass zunächst überhaupt keine humanitäre Hilfe hineingekommen ist. Mittlerweile kommt humanitäre Hilfe auf dem Landweg hinein, wenn auch nicht ausreichend. Wir beteiligen uns an der Luftbrücke. Wir arbeiten daran, einen Seekorridor aufzubauen, um die Menschen in Gaza zu versorgen. Insofern ist unsere Haltung, denke ich, sehr klar. An ihr gibt es keinen Zweifel.

Im Übrigen würde ich davor warnen, verschiedene Konflikte auf die Art, wie Sie es tun, miteinander zu vergleichen.

Zusatzfrage Warweg
Aber wenn Sie im Kontext von Weißrussland von schwersten Verbrechen des Völkerrechts reden – mich würde auch interessieren, welche im Sinne von Völkerrecht das sind – und gleichzeitig zu den Ausführungen des UN-Hochkommissars, der von schwersten Völkerrechtsverbrechen Israels im Gazastreifen spricht, schweigen, dann ergibt sich daraus für mich eine argumentative Dissonanz. Damit setze ich das mitnichten gleich. Aber ich würde gerne wissen: Wieso schwerste Menschenrechtsverbrechen in Belarus aus Sicht Deutschlands und keinerlei Verweis auf Menschenrechtsverbrechen in Bezug auf Israels Vorgehen im Gazastreifen?

Fischer (AA)
Ich denke, die Unterstellung in Ihrer Frage ist völlig absurd. Wir äußern uns praktisch jeden Tag in jeder Bundespressekonferenz zum Konflikt im Gazastreifen. Wir fordern, dass es dort mehr humanitäre Hilfe gibt. Die Außenministerin ist mittlerweile fünfmal in Israel gewesen, der Bundeskanzler zweimal. Er hat das direkte Gespräch mit der israelischen Regierung gesucht. Wir tun wirklich alles, um mehr humanitäre Hilfe nach Gaza hineinzubekommen. Wir tun alles dafür, dass es endlich zu einer Feuerpause kommt, damit auch die Geiseln freikommen, die die Hamas immer noch festhält. Insofern ist Ihr Vorhalt, wir würden uns zu diesem Thema nicht äußern, völlig unbegründet. Alleine mit Ihnen habe ich mich bestimmt schon mehrere Male über die Situation im Gazastreifen unterhalten.

Ich warne wirklich davor, verschiedene Konflikte miteinander zu vergleichen. Aber dass das belarussische Regime seine Bevölkerung unterdrückt, steht, denke ich, außer Frage.

Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
Herr Fischer, ich will die Frage des Herrn Kollegen Warweg aufgreifen. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die EU haben nun gesagt, dass es mögliche Kriegsverbrechen Israels in Gaza gebe. Unterstützt die Bundesregierung eine internationale Untersuchung dieser möglichen Kriegsverbrechen?

Meine zweite Frage: Die Vereinigten Staaten haben Israel heute eindrücklich vor einer militärischen Offensive in Rafah gewarnt. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Regierungssprecher Hebestreit
Bezüglich Ihrer zweiten Frage kann ich Sie darauf hinweisen, dass der Bundeskanzler – der Kollege Fischer hat schon darauf hingewiesen – am Wochenende zunächst in Akaba in Jordanien gewesen ist, wo er den jordanischen König getroffen hat, und danach auch in Jerusalem, wo er auch mit Premierminister Netanjahu gesprochen hat. Danach hat er sich in einem Pressestatement sehr klar dazu geäußert. Deshalb wundert es mich, dass Sie das bis Mittwoch noch nicht erreicht hat. Er hat massiv vor einer Bodenoffensive auf Rafah gewarnt und ihn zum Schutz der Zivilbevölkerung aufgerufen.

Fischer (AA)
Das hat auch die Bundesaußenministerin an verschiedenen Stellen getan. Von daher ist es in der Tat verwunderlich, dass Sie das verpasst haben könnten.

Zusatzfrage Towfigh Nia
Ich habe es nicht verpasst. Aber nun hat gestern der israelische Ministerpräsident noch einmal gesagt, dass er diese Offensive starten werde. Deswegen noch einmal die Frage.

Hebestreit
Unsere Position hat sich in den vergangenen 72 Stunden nicht verändert.

(Zuruf Towfigh Nia: Die Frage nach Kriegsverbrechen, Herr Fischer!)

Fischer (AA)
Wir haben ja schon oft darauf hingewiesen, wie groß unsere Sorgen mit Blick auf den Gazastreifen sind. Wir haben die israelische Regierung auch aufgefordert, ihre Art der Kriegsführung zu ändern, um Zivilistinnen und Zivilisten besser zu schützen. Das ist die klare Erwartung, die wir haben, genauso mit Blick auf das, was Sie zu Rafah gefragt haben, nämlich, dass es keine großflächige Offensive gegen Rafa gibt und dass die Menschen — Derzeit hält sich ja über eine Million Menschen in Rafah auf, 1,2 Millionen. Das sind überwiegend Menschen, die auf israelische Aufforderung hin aus dem Norden des Gazastreifens nach Rafah geflüchtet sind, um vor den Kampfhandlungen Schutz zu suchen. Jegliche Offensive, die jetzt auf Rafah geht und sozusagen das Leid dieser Zivilistinnen und Zivilisten ignoriert, haben wir sozusagen im Gespräch mit der israelischen Regierung auch kritisiert. Wir haben sehr klar gemacht, dass wir nicht sehen, wie eine Offensive zum jetzigen Zeitpunkt in der jetzigen Situation den Schutz der Zivilbevölkerung ausreichend berücksichtigen könnte.

Frage Warweg
Noch eine ganz kurze Verständnisfrage – keine Sorge, es wird nicht lange dauern -: Herr Hebestreit hat vergangenen Mittwoch nochmals erklärt, der Kanzler hege keinerlei Zweifel daran, dass sich Israel im Gazastreifen an das Völkerrecht halte. Herr Fischer hat gerade erklärt, man fordere Israel dazu auf, die Kriegsführung zu ändern. Herr Hebestreit hat gerade vor Hungersnot in Gaza gewarnt.

Zumindest für mich ergibt sich da ein gewisser Widerspruch. Können Sie kurz erklären, wie man einerseits sagt, man habe keine Zweifel daran, dass sich Israel in seinem Vorgehen an das Kriegsvölkerrecht, allgemein an das Völkerrecht halte, und andererseits gleichzeitig erklärt, man fordere Israel dazu auf, sein militärisches Vorgehen zu ändern? Könnten Sie diesen Widerspruch für mich auflösen?

Hebestreit
Ich sehe da keinen Widerspruch, Herr Warweg, und insofern muss ich das nicht auflösen. Ich finde es lustig, dass Sie mich in der dritten Person zitieren, also sicherlich für Ihre Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das wieder auf Ihren Sender stellen.

Klar ist, und die Position – – –

(Nicht verständlicher Zuruf von Warweg)

Entschuldigung, darf ich kurz ausreden, Herr Warweg? Jetzt bin ich dran!

Klar ist: Die Position, die wir hier immer vertreten haben, haben auch der Bundeskanzler und die Außenministerin in ihren Gesprächen mit unseren israelischen Freundinnen und Freunden vertreten. Unsere Haltung ist klar und eindeutig, und das ist das, was steht. Ich kann den Widerspruch, den Sie versuchen, aufzumachen, wirklich nicht erkennen. Insofern kann ich Ihnen auch bei der Lösung der selbstgestellten Frage nicht helfen.

(Zuruf Warweg):
Vielleicht kann mir da Herr Fischer weiterhelfen?

Fischer (AA)
Ich schließe mich den Worten des Regierungssprechers an.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 20.03.2024