NachDenkSeiten tauchen in einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes auf

NachDenkSeiten tauchen in einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes auf

NachDenkSeiten tauchen in einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes auf

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Den NachDenkSeiten wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, in einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes namentlich genannt zu werden. Laut den Verfassungsschützern wurden einzelne Inhalte der NachDenkSeiten über ein angeblich russisches Kampagnennetzwerk auf Facebook und X verteilt. Das ist zunächst einmal unspektakulär, ist die Liste der derart unfreiwillig verbreiteten Medien doch lang und reicht vom NDR über Bloomberg und Reuters bis hin zu Springers WELT. Die Autoren des Berichts unterteilen die benutzten Quellen jedoch in drei Gruppen: Fake-Seiten, echte Seiten und echte Seiten, „die Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten“ – in die letzte Kategorie wurden neben den NachDenkSeiten auch der Freitag und die Berliner Zeitung einsortiert. Das ist, um es freundlich zu sagen, befremdlich. Wird nun jede unliebsame Kritik an der Bundesregierung als „russisches Narrativ“ gewertet? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Um was geht es? Laut FBI und dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz haben unbekannte Akteure von Mai 2023 bis Juli 2024 ein „Desinformationsnetzwerk“ betrieben, dessen Kernaufgabe die Erstellung und Weiterverbreitung von gefälschten Artikeln bekannter Nachrichtenportale war. So wurden demnach bekannte Seiten wie Spiegel.de mit gefälschten Inhalten nachgebaut und unter der Adresse Spiegel.ltd veröffentlicht.

Abbildung: Gefälschte SPIEGEL-Seite aus dem Bericht

Um diese gefälschten Seiten bekannt zu machen, wurde angeblich ein Kampagnentool genutzt, das die Verbreitung der Inhalte über eigens dafür erschaffene Accounts auf Facebook und X koordiniert und ausgewertet hat. Laut bayerischem Verfassungsschutz gibt es Indizien dafür, dass die Betreiber dieser Kampagne und die Administratoren des Kampagnentools in Russland sitzen. Ob das alles stimmt, ist für Außenstehende nicht seriös zu sagen. Mir selbst sind derlei gefälschte Artikel jedoch zwei- oder dreimal per Zufall auf X begegnet und auch ich fragte mich damals, wer der Urheber dieser Fälschungen ist.

Um diese Teile der von den Verfassungsschützern „Doppelgänger“ getaufte Kampagne soll es hier jedoch nicht gehen. Glaubt man dem Bericht, wurde das Kampagnennetzwerk aber auch dafür eingesetzt, „Nachrichten [zu] verbreiten, die ins russische Narrativ passen“, also auch Beiträge echter Medien über die gesteuerten Accounts auf Facebook und Twitter zu verbreiten. Das betraf dem Bericht zufolge, wie bereits eingangs erwähnt, offenbar auch einzelne Beiträge der NachDenkSeiten sowie zahlreicher anderer Medien, die sich redaktionell mal mehr und mal weniger kritisch zu den Themen positioniert haben, die in den wenigen im Bericht genannten Fallbeispielen genannt sind; und das ist keineswegs nur der Themenkomplex Russland/Ukraine, sondern auch Wirtschaftsthemen und Themen aus dem Umfeld der Parteien AfD und Grüne.

Um zum angeblichen „russischen Narrativ“ zurückzukommen – Artikel, die sich beispielsweise kritisch mit der Wirtschaftspolitik, den Grünen oder dem Umgang mit der AfD auseinandergesetzt haben, fallen dann wohl in diese Kategorie. Es wäre an dieser Stelle ja mal interessant zu wissen, ob auch echte Artikel „echter Medien“, die die stellenweise ja sehr kritischen Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Söder zur Wirtschaftspolitik und zu den Grünen zum Inhalt hatten, über dieses Kampagnennetzwerk verbreitet wurden; wenn ja, dann wird der bayerische Verfassungsschutz dies sicher verschweigen.

So weit, so gut. Dass einzelne Artikel, die sich in diesem Themenumfeld kritisch geäußert haben, über dieses angebliche Netzwerk verbreitet wurden, ist ja erst einmal nicht sonderlich problematisch. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung wird ja nicht deshalb besser, weil ein angebliches Kampagnennetzwerk ein Interesse daran hat, kritische Meinungen dazu zu verbreiten. Und ob Accounts, die beispielsweise Artikel der NachDenkSeiten auf Facebook oder X verlinken, nun echt oder angeblich gefälscht sind, entzieht sich ohnehin unserer Kenntnis. Inhalte der NachDenkSeiten werden jeden Tag von hunderten bis tausenden Nutzern weiterempfohlen und die überwältigende Mehrheit dieser Nutzer sind Sie – unsere Leser.

Generell drängt sich hier der Eindruck auf, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht werden soll. Über die 14 Monate soll das Netzwerk laut Bericht in 7.983 Kampagnen insgesamt rund 828.000 Klicks generiert haben, die sich auf „mehr als 700 Zielseiten“ verteilen. Zieht man die 2.595 im Bericht spezifizierten Kampagnen für die „Doppelgänger-Seiten“ ab, kommt man auf etwas mehr als 5.400 Kampagnen und auf rund 780 auf diese Art und Weise generierte Klicks pro Zielseite – und dies in 14 Monaten. Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: An normalen Tagen haben die NachDenkSeiten 300.000 bis 400.000 Besucher, die Zahl der Klicks messen wir erst gar nicht. Rein statistisch kamen also im genannten Zeitraum zwei dieser Besucher pro Tag über das untersuchte Kampagnennetzwerk – das wir dies noch nicht einmal bemerkt haben, wird wohl niemanden wundern. Das wird aber für fast alle der „mehr als 700 Zielseiten“ gelten, die die Verfassungsschützer ausgemacht haben.

Ist das also alles ein Sturm im Wasserglas? Nein! Denn es ist schon erstaunlich, dass Seiten wie die NachDenkSeiten, der Freitag oder die Berliner Zeitung dennoch im Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes namentlich genannt werden, und noch erstaunlicher ist es, dass die Autoren des Berichts für diese Medien eine spezielle Kategorie eingeführt haben.

Abbildung: Auszug aus dem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes

Diese Einordnung kann man nur als Kampagne gegen kritische Medien wie die NachDenkSeiten bewerten. Es gibt offenbar für die Verfassungsschützer gute und böse Kritik. Der WELT wird beispielsweise unterstellt, dass deren „gute Kritik“ „aus dem Kontext gerissen und für die Desinformationskampagne einsetzt [wurde]“, während unsere „böse Kritik“ ja „anscheinend grundsätzlich ins russische Narrativ passt“. Das ist nicht nur eine haltlose Unterstellung, die zudem rein subjektiv von den Autoren vorgenommen wurde, sondern auch eine Steilvorlage für die „üblichen Verdächtigen“. So wurde beispielsweise der ohnehin sehr einseitige und manipulative Wikipedia-Eintrag über die NachDenkSeiten bereits mit folgendem Passus ergänzt ..

„Laut einer Analyse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz für den Zeitraum vom Mai 2023 bis Juli 2024 zählt das Blog Nachdenkseiten zu den einschlägigen Medien, die im Rahmen der russischen Auslandspropaganda Narrative des Kremls verbreiten, die die westlichen Gesellschaften spalten und den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen.“

Überflüssig zu erwähnen, dass diese Aussage so nicht stimmt und so auch gar nicht im Bericht der Verfassungsschützer steht. Von einem Verbreiten irgendwelcher Narrative „im Rahmen“ einer „russischen Auslandspropaganda“ ist im Bericht beispielsweise gar nicht die Rede, würde dies doch unterstellen, dass hier eine Koordination vorliegt, was selbstverständlich Unsinn ist. Ebenso großer Unsinn ist es freilich, dass wir „die westlichen Gesellschaften spalten“ wollen – das Gegenteil ist der Fall.

Ist es nicht eher so, dass diejenigen, die berechtigte Kritik unterbinden wollen, indem sie sie als „russisches Narrativ“ brandmarken, die Gesellschaft spalten wollen? Als kritisches journalistisches Medium sehen wir es selbstverständlich als unsere Aufgabe an, die Arbeit der Bundesregierung dort kritisch zu kommentieren, wo Kritik notwendig ist. Gerade bei den Themenkomplexen „Krieg und Frieden“ und „Russland und Ukraine“ gibt es zahlreiche Punkte, die man in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich kritisch debattieren sollte. Positionen, die vielleicht den „Narrativen“ der Bundesregierung und eines Großteils der Leitartikler widersprechen, reflexhaft als „russisches Narrativ“ einzuordnen und damit vom Diskurs ausschließen zu wollen, empfinden wir hingegen als zutiefst undemokratisch.

Es ist leider zu erwarten, dass auch andere Kritiker der NachDenkSeiten diesen Bericht auf manipulative Art und Weise nutzen werden. Seien Sie also bitte auf der Hut und informieren Sie uns gerne, wenn Sie auf derlei Meinungsmache stoßen.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Screenshot verfassungsschutz.bayern.de