Zwei Journalisten der Zeitung Haïti Liberté warnen in einem Aufruf vor kriegerischen Plänen der haitianischen Übergangsregierung und rufen zum Widerstand auf. Von Berthony Dupont und Henriot Dorcent.
Der von den imperialistischen Mächten eingesetzte Übergangsrat (Conseil Présidentiel de Transition, CPT) besteht aus einer Reihe von Akteuren aus der traditionellen politischen Klasse. Unter ihnen finden sich sowohl linke als auch rechte Akteure, aber alle teilen ein Ideal, dessen gemeinsamer Nenner keinen Zweifel lässt: dem kapitalistischen System zu dienen.
Es ist klar, dass sie sich mit aller Macht – dafür haben sie alle gestimmt – in Unterwerfung und völliger Abhängigkeit von diesem System halten wollen, dessen Bankrott längst bewiesen ist.
So hat der derzeitige Präsident des CPT, Fritz Alphonse Jean, anlässlich des ersten Jahrestages des Abkommens vom 3. April 2024, das zur Gründung dieses Rates geführt hat, zusammen mit den anderen Ratsmitgliedern bekräftigt, dass er ein „Kriegsbudget” benötige, um ein wahrhaftiges Kriegsklima im Land zu schaffen.
Anwesend waren Leslie Voltaire, Edgard Leblanc Fils, Louis Gérald Gilles, Smith Augustin, Emmanuel Vertilaire und Régine Abraham, Premierminister Alix Didier Fils-Aimé, derLeiter der multinationalen Mission, General Godfrey Otunge, der Generaldirektor der Nationalpolizei von Haiti, Rameau Normil, und der Oberbefehlshaber der Armee, Derby Guerrier,
Diese Mentalität spiegelt nicht die Sichtweise eines echten und authentischen haitianischen Anführers wider, sondern die eines Totengräbers, der die Realität der Missstände, unter denen das Land leidet, ignoriert.
Die einzige Stärke dieser herrschenden Klasse besteht darin, bei der internationalen Gemeinschaft die Hand aufzuhalten, ungeachtet der Umstände und der miserablen Bedingungen, unter denen diese internationalen Geier die haitianische Bevölkerung ausbeuten.
Weitere Indizien belegen, dass diese kriegerische Rhetorik das Werk eines Agenten einer ganz bestimmten Klasse ist, einer parasitären Bourgeoisie, die keine Arbeitsplätze schafft, aber den Drang verspürt, sich gegen diejenigen zu verteidigen, die sie ausbeutet und die nicht einmal das nötige Geld für die tägliche Ernährung haben.
Diese Aussage ähnelt sehr der eines Propagandisten, der die Wünsche des Systems übermittelt, für das er arbeitet. Keines der CPT-Mitglieder widerspricht dieser kriegerischen Rede, denn sie alle ernähren sich von derselben Milch des imperialistischen Westens und vereinen sich, um ihm mit Gewalt zu dienen.
Warum ist Krieg die einzige Alternative? Ist das eine Methode, um nicht anzuerkennen, dass es sich um ein Problem der sozialen Ungleichheit handelt, das die wachsende Unsicherheit verursacht? Schlimmer noch, das Ausbeutungssystem gegen die Arbeiterklasse ist kompromisslos in dem Sinne, dass es sich nicht im Geringsten um eine Verbesserung dieser bedauernswerten Situation bemüht, für die es die Hauptverantwortung trägt.
Dies ist zweifellos eine Methode, das Feuer des Volkswillens nicht zu schüren, der die derzeitige katastrophale Politik in Frage stellt und einen Kurswechsel fordert. Und dabei macht das System niemals Zugeständnisse oder gibt seinem Feind Waffen, um es zu bekämpfen, d. h. um uns zu helfen, uns von Elend, Ausbeutung und der immer schrecklicheren Fremdherrschaft zu befreien.
Diese Verschwörer mit ihrem unheilvollen Ruf verhalten sich wie Betrüger, die nicht imstande sind, dem Volk sein verlorenes Lächeln, seine Würde und Souveränität zurückzugeben. Ohne zu zögern und trotz ihrer gestiegenen Privilegien stürzen sie sich in Verschwörungspläne gegen die Bevölkerung. Diese Politiker lassen die unglaublichsten Gerüchte kursieren, um die Massen zu täuschen. Sie stiften Zwietracht, während sie die Opfer gegeneinander aufhetzen, um das Volk vollständig zu ersticken. In welchem Land sehen Sie eine Regierung, die den Bürgerkrieg innerhalb der Bevölkerung anheizt?
Fritz Jean, der derzeitige Kommandant im Dienste der neuen Kolonisten, hat dem Verteidigungsminister und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Haiti (FAD’H) offiziell empfohlen, alle Söhne und Töchter des Landes, die kämpfen wollen, einzusetzen. Es geht darum, die Situation zu eskalieren, um uns genau in diesen Bürgerkrieg zu führen, einen unkontrollierbaren Aufruhr mit der Aussicht auf weitere Verluste an Menschenleben. Ein Krieg, von dem der CPT am meisten profitieren würde, da die sozialen Bedingungen unverändert blieben und nur zu noch katastrophaleren Entwicklungen führen könnten.
„Wir sind hier in diesem Gebäude, weil wir uns im Krieg befinden”, erklärte Fritz Jean[1], um seine Propaganda für ein Kriegsbudget zu bekräftigen, das ausschließlich dazu bestimmt ist, den Staat zu stärken, um nicht gegen die Unsicherheit, sondern gegen das Aufbegehren der benachteiligten Klassen vorzugehen, die eine soziale und radikale Veränderung des Systems anstreben.
Den Bürgerkrieg unter einem trügerischen Vorwand zu befürworten, ist ein abscheulicher Akt des kriminellen Verrats am Land.
Aber eines ist sicher: Der Kriegshaushalt wird nichts anderes sein als der Kauf vieler zusätzlicher Waffen für die Regierung und die bewaffneten Gruppen, zum alleinigen Nutzen der US-amerikanischen Kapitalisten – während die Krankenhäuser keine Medikamente, Verbände und alles andere haben …
Warum gab es nie einen Kriegshaushalt, der für die alltäglichen Probleme der Arbeitslosigkeit und des Elends der breiten Massen bestimmt war? Das würde den haitianischen Arbeitern die Demütigungen ersparen, die sie derzeit in den USA und in der Dominikanischen Republik erleiden.
Der Krieg ist immer ein Projekt der imperialistischen Mächte. Die Massen müssen sich hüten, die Projekte der kapitalistischen Klassen nicht mit denen der unterdrückten Klassen zu verwechseln.
Die Unsicherheit wird vom Staat selbst verursacht, er kann sie nicht beheben. Dieser angekündigte Krieg ist Ausdruck eines großen Widerspruchs zwischen den Zielen einer Macht im Dienste des Kapitalismus und den Interessen des haitianischen Volkes als Ganzes.
Jeder Tag bringt neue Beispiele für die Inkohärenz dieser Klasse. Deshalb werden wir in der Zeitung Haïti Liberté, die sich jede Woche zu Wort meldet und sich für die Erfüllung der legitimen Forderungen der Arbeiterklasse und eine Politik des echten Bruchs mit der pro-imperialistischen Bourgeoisie einsetzt, nicht aufhören zu betonen, dass es nur einen Weg gibt, um gegen die Unsicherheit zu kämpfen: den Bestrebungen aller Arbeiter des Landes zu entsprechen, damit sie wieder Zugang zu einem normalen und anständigen Leben finden.
Um zu verhindern, dass das Volk in den Bürgerkrieg gerät, den die Verräter des Übergangsrats und ihrer Marionettenregierung anstreben, lasst uns alle gemeinsam, echte Patrioten, die endgültige Beseitigung dieses diskreditierten Regierungssystems beschließen. Lasst uns von Mirebalais bis Canapé-Vert, von Les Irois bis Ouanaminthe mobilisieren, um die vollständige Befreiung unseres Landes zu erreichen. Lasst uns ein für alle Mal mobilisieren, indem wir uns in Scharen in die Villa d’Accueil begeben und entschieden alle Manöver der Destabilisierung und des Blutvergießens vereiteln, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert und terrorisiert werden soll.
Berthony Dupont, Direktor der größten Wochenzeitung Haitis, Haïti Liberté
Nein zum Übergangsrat! Populare Mobilisierung!
„Irren ist menschlich, auf Irrtümern zu beharren ist teuflisch”, besagt ein altes lateinisches Sprichwort[2]. Dies gilt umso mehr in Anbetracht der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise, die das Land schon viel zu lange beherrscht.
Zu lange haben sich die Massen von traditionellen Politikern mit hohlen Parolen als politische Programme täuschen lassen. Die wichtigsten politischen Parteien, ohne Ausnahme, bevorzugen es, die Massen zu täuschen, anstatt sie zu organisieren. Auf diese Weise können die unterdrückten Massen ihre Klassenfeinde nie identifizieren. In Wirklichkeit wurden sie von genau denen manipuliert, die vorgeben, sie politisch zu führen.
Nehmen wir als Beispiel all die Parteien oder politischen Plattformen, die den Präsidialrat bilden. Sie sind nichts anderes als eine Bande von Söldnern, die an die Macht gebracht wurden, um das Image des Landes zu trüben. Das Traurige ist, dass sie das Volk weiterhin täuschen. Fanmi Lavalas[3] hat seinerseits Notizen veröffentlicht, in denen sie ihren Vertreter Leslie Voltaire kritisiert und behauptet, sich von ihm zu distanzieren. Was für eine schamlose Lüge, denn die Partei ist eher geneigt, die Regierung zu unterstützen, in der sie fest das Ministerium für öffentliche Arbeiten, Verkehr und Kommunikation innehat. Trotzdem beklagt sie sich weiterhin über den Mangel an Generaldirektorenposten.
Die Montana-Gruppe[4] hat die gleiche Formalität in Bezug auf Fritz Alphonse Jean angewendet, während die Mehrheit der Mitglieder der Bewegung sich amüsiert und genüsslich den Honigkuchen des haitianischen Staates mit ihrem Präsidenten genießt. Der Parteichef von Pitit Desalin[5], Moïse Jean Charles, hat nie die geringste Opposition gegen seinen Stellvertreter Emmanuel Vertilaire gezeigt, aber er hat seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht, dass er unbezahlte Posten erhalten hat.
Was kann man von diesen Söldnern aller Couleur erwarten außer einen durchschlagenden Misserfolg dieser Übergangsregierung? Offensichtlich hat der CPT bewiesen, dass er weder die Sicherheit wiederherstellen noch Wahlen in diesem Jahr gemäß der politischen Vereinbarung vom 3. April 2024 organisieren kann.
In diesem Sinne tun andere Opportunisten dieser politischen Klasse alles, um dem imperialistischen Herrn weiterhin zu dienen und eine neue Formel durchzusetzen, nämlich eine neue Übergangsphase durch den Kassationsgerichtshof, die jedoch zum gleichen Ergebnis führen wird: den Weg zur revolutionären Situation zu blockieren und den Kampf der Massen für eine radikale Veränderung zu beenden. Andererseits wird die andere herrschende Strömung nicht in der Lage sein, die Frist vom 7. Februar 2026 einzuhalten oder auch nur das Sicherheitsklima im Großraum der Hauptstadt und in den anderen Departements des Landes zu verbessern.
Angesichts dieser Situation ist die Wiederbelebung der Mobilisierung der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Dieser neue Widerstand, wenn auch noch zaghaft, muss kategorisch den Rücktritt des in Verruf geratenen und durch Korruptionsversuche getrübten Übergangspräsidialrats fordern.
Um jegliche Verwirrung zu vermeiden, sollten wir auf die Forderungen der Volksmassen achten, die der Sicherheit Vorrang vor der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und dem Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen eingeräumt haben. Die Volksorganisationen müssen wachsam sein, damit der US-Imperialismus und seine lokalen Lakaien nicht die Früchte ihres Kampfes für den Wandel ernten. Die Solidarität anderer Provinzstädte ist notwendig, und die Organisation des Widerstands ist unerlässlich. Die Avantgarde muss Forderungskataloge für die Massen vorbereiten, in denen sie darauf besteht, dass sie einen radikalen Übergang wollen und keinen Übergang durch den Kassationshof. Dass sie eine Regierung der öffentlichen Sicherheit mit ihren authentischen Vertretern und einem Mindestprogramm zur Befriedigung der Grundbedürfnisse fordern.
Das Land hat diese betrügerischen Wahlen mit ihren astronomischen Kosten satt. Die Massen brauchen keine Wahlen; nur eine echte Revolution kann die Existenz der Nation sichern. Die vom Übergangspräsidialrat für die Organisation der Wahlen bereitgestellten 60 Millionen Dollar könnten für Hilfsprogramme für Vertriebene im Großraum Port-au-Prince und in den Departements Centre und Artibonite verwendet werden. Die Probleme Haitis sind strukturell bedingt und erfordern strukturelle Lösungen, keine vorübergehenden Halbheiten. Der nationale Reichtum muss umverteilt werden, das Bildungswesen muss neu gestaltet werden, die Wirtschaft muss auf die Bedürfnisse der Massen ausgerichtet werden und die Sicherheit im Land muss im Hinblick auf unsere nationale Souveränität und Unabhängigkeit neu justiert werden.
Alles muss neu verteilt werden; nur eine sozialistische Revolution kann uns von der chronischen Unterentwicklung und der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Vorherrschaft der westlichen Mächte und ihrer internationalen Institutionen befreien. Die Herausforderung, vor der die haitianischen Massen heute stehen, besteht darin, dem kapitalistischen System ein Ende zu setzen. Die Stunde der sozialistischen Revolution in Haiti ist gekommen, im Rahmen eines nationalen Befreiungskampfes. Alles andere ist nichts als Demagogie.
Zur Vertiefung des Themas empfiehlt das Fachportal zu Lateinamerika Amerika21 die zweiteilige Dokumentation von Dan Cohen und Kim Yves „Another Vision: Inside Haiti’s Uprising”:
Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21.
Titelbild: Shutterstock / Rohane Hamilton
Gewalteskalation in Haiti: US-Außenministerium fordert neue Militärintervention
Haiti: Das Chaos ist zu einem Instrument der Kontrolle geworden
Haiti: Neokoloniales Scheitern und die „ewige Bestrafung seiner Würde”
[«1] Anm.d.Red.: Jean hielt seine „Rede an die Nation” am 3. April in Anwesenheit der oben Genannten aus Sicherheitsgründen nicht im Palace National, dem Präsidentenpalast, sondern in der zum Sitz des Übergangsrates umfunktionierten Villa d’Accueil am Rande von Pétion-Ville, einer früheren Privatresidenz des Präsidenten.
[«2] Anm.d.Red.: “Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum”.
[«3] Anm.d.Red.: Linksgerichtete Partei. Ihr Vorsitzender war der ehemalige haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide.
[«4] Anm.d.Red.: Das Montana-Abkommen wurde im August 2021 von zahlreichen zivilgesellschaftlichen und politischen Gruppierungen unterzeichnet, um nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse eine neue Übergangsregierung zu bilden. Die Parteien des Abkommens, auch „Montana-Gruppe” genannt, stellten sich gegen die Regierung von Premierminister Ariel Henry, der de facto auch die Befugnisse des Präsidenten ausübte.
[«5] Anm.d.Red.: Die Platfòm Pitit Desalin ist eine politische Partei, die nach dem haitianischen Revolutionsführer Jean-Jacques Dessalines benannt ist.