Kanzler Friedrich Merz hatte am 12. Mai in den sozialen Netzwerken unter dem Titel „Hoffnung kann Dunkelheit überwinden“ ein Video veröffentlicht, welches zeigt, wie er beim Besuch des israelischen Präsidenten Jitzchak Herzog diesem ein großformatiges Bild der „Zikim Beach“ präsentiert, welches, von Merz initiiert, jetzt prominent im Kanzleramt hängt. Zikim hieß allerdings vor 1948 Hiribya und war ein von Palästinensern bewohntes Dorf, welches im Zuge der „Nakba“ fast komplett zerstört und dessen gesamte muslimische und christliche Bevölkerung von zionistischen Paramilitärs und der neugegründeten Armee (IDF) gewaltsam vertrieben wurde. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, aus welchen Gründen sich der deutsche Kanzler ein Bild mit so einer Vertreibungsgeschichte in das Bundeskanzleramt hängt und stolz präsentiert. Von Florian Warweg.
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Hintergrund
Der jüdisch-israelische Historiker Ilan Pappe hat in seiner als Standardwerk geltenden Veröffentlichung „Die ethnische Säuberung Palästinas“, basierend auf zuvor unveröffentlichten Dokumenten der israelischen Armee, detailliert aufgezeigt, wie im Vorfeld der israelischen Staatsgründung im Mai 1948 zionistische Paramilitärs wie Haganah und Irgun sowie nach der Staatsgründung die „IDF“ gezielt Hunderttausende Palästinenser vertrieben, ihre Dörfer größtenteils zerstörten und deren Besitz enteigneten. Im Arabischen gibt es dafür den Begriff Nakba („Katastrophe“). Eines dieser Dörfer war Hiribya, nach Zerstörung und Vertreibung durch die IDF dann unbenannt 1949 in Zikim (hebräisch für „Funke“).
Der Plan zu dieser „ethnischen Säuberung Palästinas“, wie Pappe es nennt, entstand, das ist anhand von Dokumenten nachweisbar, bereits zwei Monate vor dem Ende der britischen Verwaltung Palästinas im Auftrag der Vereinten Nationen und damit vor der Staatsgründung Israels. Am 10. März 1948 traf sich im sogenannten Roten Haus in Tel Aviv, dem Hauptquartier der Untergrundmiliz Haganah, eine Runde hochrangiger zionistischer Politiker. Eingeladen hatte David Ben Gurion, der spätere Ministerpräsident Israels. Mit dabei ist Yigal Allon, der spätere Außenminister, Moshe Dayan (er wird später den Posten des Verteidigungs- und Außenministers übernehmen), Yigael Yadin (später Vize-Ministerpräsident) sowie der spätere Premier Yitzchak Rabin. Sie verabreden die Endfassung eines Masterplans zur Vertreibung der arabischen Bevölkerung, des sogenannten „Plan Dalet“ – auch als Plan D. bekannt. Das Land – nur zu elf Prozent im Besitz der jüdischen Einwanderer, die nicht einmal ein Drittel der Einwohner stellen – soll systematisch freigemacht werden für eine endgültige jüdische Besiedelung, und hierzu ist – auch das legt Pappe minutiös dar, jedes Mittel recht.
Über 400 Dörfer und Städte sowie mindestens 700.000 muslimische und christliche Palästinenser fielen in Folge dieser Zerstörungs- und Vertreibungsorgie im Verlauf von 1948 bis 1949 zum Opfer, bei der auch mehrmals, historisch belegt, auf biologische Kriegsführung zurückgegriffen wurde.

Am 1. November 1948 traf es dann das 14 Kilometer vom heutigen Gaza Stadt entfernt gelegene Dorf Hiribya, welches zu diesem Zeitpunkt 2.598 Einwohner zählte. 1949 und 1950 wurden dann auf dem Gebiet des zerstörten Dorfes und der enteigneten landwirtschaftlichen Flächen zwei Kibbutzim errichtet: Zikim and Karmia. Laut dem Standardwerk „The Palestinian Villages Occupied and Depopulated by Israel in 1948“ des palästinensischen Historikers Walid Khalidi, der unter anderem an der Harvard University und in Oxford lehrte, blieb von den Hunderten Häusern nur die Moschee übrig, die bis heute von den Kibbuz-Bewohnern als Lagerraum genutzt wird, und ein Wohnhaus.
Laut dem letzten verfügbaren Zensus von 1945 lebten, bei einer Gesamtbevölkerung von 2.300 Einwohnern, 2.200 Muslime, 40 Christen und 60 Juden in Hiribya. Nimmt man diese Zahlen als Grundlage, wären rund 97 Prozent der Gesamtbevölkerung von Hiribya gewaltsam von der IDF vertrieben worden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welcher Motivation der amtierende Kanzler, und das noch ausgerechnet wenige Tage vor dem Nakba-Gedenktag, ausgerechnet ein Bild der „Zikim-Beach“ ins Kanzleramt hängen lässt. War es eine bewusste Provokation gegenüber der arabischen Welt und insbesondere gegenüber den Palästinensern oder, die wahrscheinlichere Option, historische Ignoranz gepaart mit Gefallsucht gegenüber den Vertretern des israelischen Staates? Doch egal was auch der Grund für diese Entscheidung gewesen sein mag, der Vorgang wirft kein gutes Licht auf das zukünftige außenpolitische Agieren des Kanzlers im Kontext Palästina-Israel, denn es offenbart ein fast völliges Fehlen von Fingerspitzengefühl für die Region.
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 16. Mai 2025
Frage Warweg
Kanzler Merz hat am 12. Mai in den sozialen Netzwerken unter dem Titel „Hoffnung kann Dunkelheit überwinden“ ein Video veröffentlicht, welches zeigt, wie er beim Besuch des israelischen Präsidenten Herzog diesem ein großformatiges Bild des Zikim Beach präsentiert, welches, von Merz initiiert, jetzt prominent im Kanzleramt hängt. Zikim hieß vor 1948 Hiribya und war ein von Palästinensern bewohntes Dorf, welches im Zuge der Nakba ziemlich komplett zerstört wurde und dessen gesamte Bevölkerung von zionistischen Paramilitärs vertrieben wurde. Da würde mich interessieren: Wieso hängt sich ein deutscher Kanzler ein Bild einer Gegend mit so einer Vertreibungsgeschichte in das Bundeskanzleramt? Können Sie da Hintergründe nennen?
Vize-Regierungssprecher Meyer
Mir liegen dazu keinerlei Informationen vor.
Zusatzfrage Warweg
Können Sie vielleicht nachtragen, aus welcher Motivation Herr Merz gerade dieses Bild für das Kanzleramt ausgewählt hat?
Meyer
In Ihrem Wortbeitrag war jetzt sehr vieles drin, was ich nicht beurteilen kann. Wenn es da etwas nachzureichen gibt, schauen wir uns das an.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 16.05.2025
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