Vokabelkritik ist zu Kriegszeiten das Gebot der Stunde. Ich veröffentliche in unregelmäßigen Abständen eine Sammlung teils verharmlosender, teils lügenhafter Wörter oder Formulierungen, deren Sinn und Funktion es ist, unsere Gesellschaft – uns alle – möglichst geräuschlos in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ umzukrempeln. Von Leo Ensel.
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Abschreckung
Die hohe Kunst, den Frieden durch permanente Kriegsbereitschaft zu sichern – selbst wenn am Ende von ihm (und den Staatsfinanzen) kaum mehr etwas übrig bleibt.
absolut mega!
Jugendjargon im Tarnfleck. Als Bundespräsident Steinmeier Anfang Juli 2025 die deutsche Panzerbrigade in Litauen besucht, lobt ein junger Bundeswehroffizier, genannt „Hauptmann Florian“, live im Deutschlandfunk die Aufnahmebereitschaft der litauischen Bevölkerung für deutsche Soldaten: „Absolut mega! Ums in Neudeutsch zu sagen. Geb ich ehrlich zu.“ (lacht) – Militär trifft Markensprache. Der Ton kumpelhaft, die Botschaft klar: Kriegstüchtigkeit ist kein feldgrauer Ernst mehr, sondern gut gelaunt, sprachlich nahbar, popkulturell veredelt. Kein Stiefelknallen, sondern „latschen in Sneakers“ – bereit zum Einsatz. So wird der neue Typus des kriegstüchtigen Soldaten für die „woke & wehrhafte Truppe“ modelliert: nicht mehr der im Befehlston schnarrende Preuße, sondern der kommunikative Buddy mit Medienkompetenz, vielleicht sogar genderoffen und festivalerprobt. Ein Offizier, der sich flüssig auf TikTok erklären kann. Mit solchen Hauptmännern zieht auch die GRÜNE JUGEND gerne in den Krieg. Gegen „Putin“. Und für den Frieden. (Und „unsere Lebensweise“ – was auch immer das bedeuten mag …)
agnostische Haltung
Gegenüber der Ukraine. Eine solche warf Stefanie Babst, laut Anmoderation „Sicherheitsexpertin, Autorin, frühere stellvertretende beigeordnete Generalsekretärin der NATO“ (für sage und schreibe fünf Generalsekretäre hat sie nach eigenen Angaben „direkt gearbeitet“!), am 14. August 2025 im DLF-Morgenmagazin dem „erratischen“ US-Präsidenten Donald Trump vor. Und räumte damit unfreiwillig ein, dass es sich hier offenbar um einen Glaubenskrieg handelt …
alternativlos
Umständliches Wort für das klare „Basta!“ Dieses nicht zuletzt durch Angela Merkel berühmt gewordene Unwort des Jahres 2010 dient nun auch Altrocker Udo Lindenberg – „Wozu sind Kriege da?“ –, seinem angestaubten Pazifismus zeitengewendet abzuschwören. Wer „alternativlos“ in den Mund nimmt, will nicht mehr diskutieren. Macht sich immun gegen Argumente. Demnächst wird für ihn auch noch der mit thermonuklearen Bomben ausgefochtene dritte (und letzte) Weltkrieg „alternativlos“ sein!
Angriffskrieg auf Europa
Zu einem solchen blies ein Peter – nomen est omen – Unfried in der taz den russischen Krieg gegen die Ukraine auf. Und bereitete so mit einem Wort seinen argumentativen Salto Mortale vor: Da Russland mit der Ukraine zugleich Europa und damit natürlich Deutschland angegriffen hat, darf unser Land nun – trotz zwei vom Zaun gebrochener Weltkriege plus Holocaust – endlich guten Gewissens „kriegstüchtig“ sein. Und ein alternativer taz-Linker darf, nein: soll dieses Wort jetzt auch offensiv in den Mund nehmen. Denn: „‚Kriegstüchtig‘ sagt unverbrämt, worum es geht und was Sache ist, nämlich mit zeitgemäß ausgebildeten Soldaten und Waffen einen militärischen Angriff tatsächlich abwehren zu können, also einen Krieg führen zu können.“ Womit er, sich erhobenen Hauptes dem „Zeitenbruch“ stellend, von „semantischen Vermeidungsstrategien“ – sprich: unangemessen „verdruckstem und euphemistischem Sprechen“ – Abschied nimmt.
Man kann es auch anders formulieren: Welchen Haken die taz, sei es aus Opportunismus oder Eitelkeit, auch immer schlagen mag: Stets inszeniert sie sich, darunter tut sie‘s nun mal nicht, als mutig-konsequente Avantgarde der Avantgarde! Und sei es auf den europäischen Schlachtfeldern der Zukunft. (vgl. „Kulturwandel“, „semantische Vermeidungsstrategien“, „verdruckstes und euphemistisches Sprechen“)
Anwendungsfall
Ein – es muss nicht immer „Bündnisfall“ oder, wie im ersten Kalten Krieg, der „Ernstfall“ sein – neuer NATO-Ausdruck für den nächsten Krieg. Diesmal: die Eroberung Kaliningrads! Hierfür forderte General Christopher Donahue (US Army Europe and Africa) neulich in Wiesbaden die Stärkung der landgestützten Streitkräfte: „Schnell müssten für die Industrie und die Streitkräfte standardisierte, datengestützte Systeme, gemeinsame Abschuss-Systeme und Cloud-gestützte Koordination entwickelt werden. Man konzentriere sich mit den Anforderungen auf die baltischen Staaten.“ – Bedeutet de facto: „Suwalki-Lücke umgekehrt“. (vgl. „interoperabel“, „Massen- und Impulsproblem“)
Armutszeugnis
Ein solches stellte Deutschland Ende 2024 ein Guntram Wolff vom Brüsseler Think Tank Bruegel laut Frankfurter Rundschau aus: „Der Gesamtzustand der deutschen Wiederaufrüstung ist katastrophal“, empörte sich der Wissenschaftler. Die jämmerliche Realität: „Kriegsbereit in Jahrzehnten“. – Nicht auszudenken! So wird das natürlich nichts mit der allseits geforderten „Kriegstüchtigkeit“… Andererseits: Sollte ab jetzt tatsächlich in den kommenden Jahren billionenschwere Abhilfe geschaffen werden, werden wir es bald mit einem „Armutszeugnis“ etwas anderer Art zu tun haben: Einem Pleitestaat, galoppierender Inflation, Totalkahlschlag der Sozialsysteme – sprich: mit Armut und Armen aller Orten! Und nicht erst in Jahrzehnten. (vgl. „schnellstmöglich“)
as long as it takes
Blankoscheck zur Aufrüstung der Ukraine in alle Ewigkeit – ohne Rücksicht auf deutsche (Inflation, Kollaps der Sozialsysteme, Krieg mit Russland) und ukrainische (Menschenleben, zu Tode verteidigtes Land) Verluste. Ausgestellt mit freundlicher Empfehlung vom (Cum)-Ex-Kanzler Olaf Scholz. Und der deutschen und US-amerikanischen Rüstungsindustrie. Überreicht vom Blackrot-Kanzler Friedrich Merz – „whatever it takes“!
as they should
„Europe is going to pay in a BIG way, as they should, and it will be your win“, bereitete NATO-Generalsekretär Mark Rutte am Vorabend des Den Haager Gipfels im Juni 2025 die Schleimspur seinem „Daddy“, Donald Trump. (Auf Deutsch: „Europa wird kräftig zur Kasse gebeten werden – das sollte es auch.“) Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: Der Europäer Rutte freut sich zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten hämisch, dass beide nun gemeinsam unseren Kontinent, nicht zuletzt zum Wohle der amerikanischen Rüstungsindustrie, vollends in den Ruin treiben … Das ist kein Landes-, das ist Kontinentverrat!
Asymmetrische Bedrohung
Heißt: Der Feind hält sich nicht an die Spielregeln, die wir gemacht haben. Er kämpft anders – also unfair. Das Problem ist nicht, dass er kämpft, sondern wie. Kurz: Wer keine Kampfjets hat (oder benutzt), bedroht unsere Ordnung. Und damit: uns alle!
ausbrechen
Tut kein Krieg. Er wird, wie General a. D. Erich Vad kürzlich noch mal überzeugend darlegte, – gemacht!
Bestie
„Putin ist eine Bestie, die mit Zähnen und Klauen zuschlägt – und entsprechend behandelt werden muss.“ („Putin is a beast, red in tooth and claw — and must be handled accordingly.“) Schrieb am 10. August 2025 die Washington Post im Vorfeld des Gipfeltreffens der beiden Staatschefs von USA und Russland in Alaska. Ein trefflicher Satz, prompt einen Tag später stolz in der Internationalen Presseschau des Deutschlandfunks präsentiert. – By the way: „entsprechend behandeln“… Kennen Sie diese Formulierung? (Falls nicht, einfach mal die Kenntnisse einer bestimmten Epoche der deutschen Geschichte reaktivieren!) (vgl. „blutrünstiges Regime“, „Raubtier“, „verrückter Hurensohn“)
billiger
„Vor allem müsse jedes Waffensystem und jede Munition, mit denen man auf einen Feind schießt, billiger als das sein, was man abschießt.“ (US-General Christopher Donahue, neulich kriegsertüchtigend in Wiesbaden.) – Moderne Grundregel westlicher Kriegsökonomie für den „Anwendungsfall“, und nicht nur demnächst in Kaliningrad: Kriege sollten nicht nur gewonnen, sondern auch rentabel – am besten natürlich auch klimaneutral – geführt werden!
Bösewichte („in Anführungszeichen“)
„Jetzt haben wir über die Bösewichte gesprochen – in Anführungszeichen. Reden wir über die Guten – auch in Anführungszeichen“, leitete Deutschlandfunk-Redakteur Dirk Müller im „Morgenmagazin“ vom 7. August 2025 seine nächste Frage an den Ozeanologen und Plastikmüllspezialisten Professor Mojib Latif zur entsprechenden UN-Konferenz in Genf ein. (Die „Anführungszeichen“ lieferte er verschämt noch mit.) Zu den Letzteren, den „Plastikmüllbeschränkern“, zählte er „Europa“ (gemeint war wohl die EU) sowie Deutschland – „aus eigener Sicht“, wie er gerade noch rechtzeitig ergänzte. Die „Bösewichte – in Anführungszeichen“ hatte Müller bereits in seiner Anmoderation namentlich erwähnt: „Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten, der Iran, Russland, die USA als Erdöl produzierende Länder sind gegen Auflagen, auch China hält dagegen.“ – Was hier bezüglich der Plastikmüll-Produzenten geäußert wurde, lässt sich natürlich mutatis mutandis auch auf das Kriegsthema übertragen. Und wie es geäußert wurde, das macht sämtliche „Nachrichten in leichter Sprache“ überflüssig! (vgl. „Gute“ – „in Anführungszeichen“)
Daddy
„They’ve had a big fight, like two kids in a schoolyard. You know, they fight like hell, you can’t stop them. Let them fight for about 2, 3 minutes, then it’s easy to stop them“, knuffte Mark Rutte seinen NATO-Boss auf dem Den Haager Gipfel 2025 kumpelhaft an. Lachte und fügte rasch hinzu: „Daddy has to sometimes use strong language to get it stopped.“ („Sie hatten einen heftigen Streit, wie zwei Kinder auf dem Schulhof. Sie wissen, sie streiten sich wie die Wilden, man kann sie nicht aufhalten. Lassen Sie sie etwa zwei, drei Minuten lang zanken, dann ist es leicht, sie zu beruhigen. – Daddy muss manchmal harte Worte verwenden, um sie zu stoppen.“) Gemeint war das beherzte F.-Wort, mit dem der erratische US-Präsident sowohl Israel als auch den Iran für deren Bruch des von ihm deklamierten Waffenstillstands abgestraft hatte. – Und anlässlich dieser unüberbietbar infantilen Diktion der Granden des mächtigsten Militärbündnisses der Welt bleibt unsereins nur noch Kurt Tucholskis Sentenz: „Wie sich Klein-Moritz die Weltgeschichte vorstellt – so ist sie auch!“
demokratischer Krieger
Wieder mal die nun zeitgeistkompatibel kriegstüchtige taz. Und wieder mal Sönke Neitzel. Der, kurz vor dem „letzten Friedenssommer“, dort noch schnell den „demokratischen Krieger“ einforderte. – Man beachte die verbale (und semantische) Verschiebung: Was früher mal der „Staatsbürger in Uniform“ war, ist heute zeitengewendet der „demokratische Krieger“! (vgl. „regelbasierte Armee“)
Desinformation
Betreiben immer nur die anderen. Weshalb die Medien des Gegners flächendeckend verboten und Personen, die das gegnerische „Narrativ“ bedienen, möglichst elegant – am besten schnurstracks am Rechtsweg vorbei via EU – kaltgestellt werden.
(wird fortgesetzt)
Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.
Alle bisher erschienenen Folgen der Serie „Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit“ von Leo Ensel können Sie in dieser Übersicht finden und diese auch einzeln darüber aufrufen.
Titelbild: arvitalyaart/shutterstock.com