Atlas Network, die Internationale des neoliberalen hate speech und des Putsch-Kapitalismus

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Teil 1: Wie US-amerikanische think-tanks und Rechtsextreme die lateinamerikanische Politik umbauen

Vor etwas mehr als einem Jahr debütierte ich in den Nachdenkseiten mit einer Chronik über die gespenstischen Zustände in Brasilien, die seit 2014 mit Anpöbelei, Denunziantentum und Bullying auf der Straße, in Restaurants, auf Flügen, der bedrohlichen Umstellung von Wohnungen und der Gewaltanwendung faschistischer Gruppen das alltägliche Leben der Mehrheit der Brasilianer zur Hölle machen und die historische Legende vom brasilianischen „Homo Cordialis” zerstört hatten. Mit dem Sinngehalt des „liebenswerten Menschen” hatte der renommierte brasilianische Historiker, Essayist und Literaturkritiker, Sérgio Buarque de Hollanda (1902 — 1982) – Vater des weltweit renommierten Liedermachers und Schriftstellers Chico Buarque de Hollanda – einst den Brasilianern die Aura der höflichen, freundlichen, zuvorkommenden, ja liebenswürdigsten und mit Abstand der gastfreundlichsten Menschentypen auf Erden angedichtet. Doch das Ende des Mythos kann datiert werden, er fand am 12. Juni 2014, beim Auftakt der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien, vor den Augen der Welt seinen offiziellen Tod. Von Frederico Füllgraf.

„Dilma, leck mich am A..!”, schmetterten damals Sprechchöre der brasilianischen Präsidentin während der Einweihung des neuen Stadions Itaquerão in São Paulo entgegen und begruben skrupellos die Regeln des Anstands. FIFA-Chef Joseph Blatter blickte konsterniert auf die gedemütigte Staatschefin, die sich jedoch nicht aus der Fassung bringen ließ.

Internationale Medien sprachen von einem Skandal, in der einheimischen Presse hingegen gab es nur schale, halbherzige Kritik. Oder noch bedenklicher: Am gleichen Tag versuchten brasilianische Medien den Zwischenfall mit der Behauptung umzudeuten, das „einfache Volk” habe sich Luft gemacht. Stimmte nicht. Videoaufnahmen und Fotos bezeugten allerdings, dass die aggressiven Chöre von Scharen gelbgekleideter, gutverdienender Brasilianer der Mittel- und Oberschicht angeführt wurden, die sich die teuren Platzkarten geleistet hatten.

Monate vor der Fußball-WM war Rousseff bereits in den sozialen Netzwerken in übelstem, misogynem Jargon von „Trampeltier” bis „Nutte!” beschimpft und verunglimpft worden und zwar mit auffälliger Beteiligung von Polizisten, Staatsanwälten und Richtern. Im Mai 2014 hatte bereits Danilo Mascarenhas Balas, Beamter der Bundespolizei „Policia Federal“, auf Facebook eine von 9mm-Patronen durchlöcherte Zielscheibe eines Schießstands mit dem Konterfei der Präsidentin und dem zynischen Satz veröffentlicht: „So macht die Übung Spaß – lol”. Streng nach geltendem Kriminalrecht genommen war dies ein einwandfreier Aufruf zu einem Attentat, doch der Möchtegern-Attentäter kam mit duldsamen vier Tagen Dienstsuspendierung davon.

Die Verleumdung der Staatschefin und ihres Vorgängers Luis Inácio Lula da Silva griff rasch auf die gesamte, regierende Arbeiterpartei über. Während der Wahlkampagne 2014 zur Präsidentschaft und Erneuerung des Parlaments brachte der rechtsradikale Journalist Reinaldo Azevedo den Kriminalisierungsversuch der Partei in Umlauf, deren Kürzel PT er mit „canalha” (Kanaille) kombinierte. Das Schimpfwort „PTralha” verbreitete sich blitzartig bis ins tiefste Hinterland.

„Linke Verbrecher!”, „Staatsplünderer!”, skandierten Trolls in den digitalen Netzwerken und selbsternannte „Kolumnisten” in rechten Medien, denen bald das Echo auf offener Straße folgte – es war die Geburtsstunde der massiven Aufmärsche gegen Dilma Rousseff. Auf den ersten Blick protestierten da brave Bürger „gegen die Korruption!”, doch sehr bald schwieg die Anklage gegen Filz und Bestechung und es hieß immer lauter „Dilma raus, Tod der PT!”.

Trotz des konservativen Ansturms wurde die Regierungschefin der PT jedoch im November 2014 wiedergewählt. Indes bedeutete die Wahl auch die fortschrittsfeindlichste Zusammensetzung in der Geschichte des brasilianischen Parlaments, das seit 2015 von einem quer durch die konservativen Parteien reichenden, demokratiefeindlichen Stoßtrupp dominiert wird.

Der von der PT-Abgeordneten Erika Kokay als „Bibel-, Rinder- und Ballermann-Fraktion” getaufte Block setzt sich zusammen aus stockkonservativen Evangelikalen, Großgrundbesitzern, ehemaligen Polizisten und Predigern des autoritären Staates und zählt mindestens 40 Prozent der 513 Parlamentarier. Der lautstarke Block war jedoch seit Anfang 2015 in der Lage, mit ad-hoc-Mehrheiten der Präsidentin das Regieren unmöglich, insbesondere mit einer haarsträubenden rückwärtsgewandten Agenda ihre Politik zur Förderung der Menschenrechte zunichte zu machen, wozu die Widerrufung des Verbots privaten Waffenbesitzes, ein erzreaktionäres, sogenanntes „Familienschutzgesetz”, die Herabsetzung des straffähigen Alters auf 16 Jahre und die Erklärung der Abtreibung zum „schändlichen Verbrechen” gehören.

Mit dem seit Ende 2016 wegen schwerer Korruption hinter Gittern sitzenden, ehemaligen Abgeordnetenkammer-Präsidenten, Eduardo Cunha, als Führer gelang der „Bibel-, Rinder- und Ballermann-Fraktion” schließlich mit einem parlamentarischen Putsch im April 2016 Rousseff aus dem Amt zu jagen und die korrupteste, wirtschaftsliberalste Regierung aller Zeiten in den Sattel zu hieven.

Feierliche Putsch-Bilanz

Seit Jahren spekuliert deshalb die demokratische Öffentlichkeit, ob etwa ein beachtlicher Teil der mittleren und oberen Gesellschaftsklasse seine faschistische Veranlagung stets „im Kleiderschrank versteckte” und mit dem Sturz von Präsidentin Rousseff nun „seine wahre Fratze” zeige. Vor allem in südbrasilianischen Landesteilen, mit hoher europäischer Einwanderungsquote, wird diese Annahme punktuell bestätigt, hatte doch schon 2006 der deutschstämmige, südbrasilianische Rechtsaußen-Senator Jorge Konder Bornhausen vor einer Wiederwahl Lulas mit selten gehörtem Hass gewarnt: “Wir werden dieser Rasse ein Ende setzen! Für mindestens 30 Jahre werden wir uns von dieser Rasse befreien!” (“Lula ressuscita em Santa Catarina rixa histórica entre PT e DEM” – Diário Catarinense, 15.09. 2010).

Anderthalb Jahre nach Rousseffs Amtsenthebung erfährt die Öffentlichkeit nun, dass die ideologische Brunnenvergiftung zwar auf fruchtbarem Boden gedieh, jedoch keine hausgemachte Stimmung war. Mit dem Titel „Einflusssphären – Wie amerikanische Libertäre die lateinamerikanische Politik neu drehen” heftete sich der Reporter Lee Fang von der investigativen Digitalzeitschrift The Intercept des US-Amerikaners Glenn Greenwald an die Fersen Alejandro Chafuens, eines in die USA eingebürgerten Argentiniers und Erbe der Atlas Economic Research Foundation, kurz Atlas Network genannt.

Anlass war das für Anfang Mai 2017 von Atlas und der argentinischen Fundación Libertad einberufene, sogenannte „Lateinamerikanische Freiheits-Forum” im Nobelhotel Brick von Buenos Aires, bei dem sich die crème de la crème der lateinamerikanischen Rechtsaußen und Marktvergötterer zusammenfand. Zum feierlichen Dekor mit böhmischem Kristall und Silberbesteck fehlte auch nicht der Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, über dessen seelische Mutationen die Nachdenkseiten bereits im März 2017 berichteten.

Im Brick-Hotel zelebrierte Chafuen die „jüngsten Siege“ des Stiftungs-Netzwerks, dem weltweit nach eigenen Angaben 462 „libertär“-neoliberale Stiftungen und NGOs angehören, die 2016 mit 5,3 Millionen Dollar gefördert worden seien. Der offiziell verbreiteten Zahl muss misstraut werden, die tatsächlichen Mittel werden von Atlas und dem US-amerikanischen Donors Trust geheim gehalten.

In Buenos Aires zog Chafuen Kampfbilanz. Seine mehr als zwanzigjährigen Bemühungen hätten endlich gefruchtet. Und das erklärte der amerikanisierte Argentinier so: In den vergangenen 10 Jahren hätten die linken Regierungen Lateinamerikas „Geld ent- und verwendet, um Stimmen zu kaufen“. Doch der jüngste Verfall der Rohstoffpreise, gepaart mit Korruptionsskandalen, hätte Möglichkeiten geboten für das Eingreifen von Aktivisten des Atlas-Netzwerks. „Ein Handlungsfenster – eine Krise – bot sich an, mit der Forderung nach Veränderung, und wir hatten Leute ausgebildet, um eine bestimmte Politik durchzusetzen“, brüskierte sich der Atlas-Chef und bediente das Auditorium mit einem beliebten und mehrdeutigen Satz des verstorbenen Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedmann, eine der historischen Atlas-Ikonen: „In unserem Fall bevorzugen wir private Lösungen für öffentliche Probleme“.

Doch hier eine sachdienliche Parenthese. Chafuens „Libertäre“ unterscheiden sich von klassischen Liberalen u.a. mit ihrer Kritik am liberalen Minimalstaat, der ihnen immer noch zu groß ist. Auch minimale staatliche Zugeständnisse, mit der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen im Gesundheits- und Bildungssystem und der Anerkennung des Arbeitsrechts, lehnen sie radikal ab. Einzelne Positionen der „Libertären“ – etwa die Verwerfung von Menschenrechten und demokratischer Institutionen – lassen zweifellos ungeschminkte, totalitäre Machtansprüche der Strömung erkennen.

Dann nennt Chafuen einige seiner neuen Lieblinge, die beachtliche Publizität erheischt hätten. Dies seien die Minister der konservativen Regierung Mauricios Macris, einzelne bolivianische Senatoren und Führer der Bewegung Freies Brasilien (MBL), die maßgeblich am Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff beteiligt gewesen seien… „Ich war bei den Demonstrationen in Brasilien dabei und dachte, ,Wow, der Typ war ungefähr 17, als ich ihn zum ersten Mal traf, und jetzt führt er den Lautsprecherwagen an` – Amazing!“, sozialisiert der aufgeregte Rädelsführer. Der es als Ausländer wagte, sich auch öffentlich in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes einzumischen, als er 2015 im südlichen Porto Alegre ungeniert im gelben T-Shirt (siehe Foto – Chafuen links im Bild) und im Chor mit einheimischen Rechtsradikalen „Dilma raus!“ krakeelte.

Mit dem 17-jährigen Typen meinte Chafuen den von japanischen Einwanderern abstammenden Anführer der MBL, Kim Kataguiri, über den die Nachdenkseiten Ende 2016 berichteten und der auf einem Gruppenbild vom 27. Mai 2015 neben Kammerpräsident Eduardo Cunha zu sehen ist, dem er gerade den MBL-Antrag für die Amtsenthebung Rousseffs ausgehändigt hatte. Als schelmische Ironie dieses Fotos darf das Transparent über den Köpfen – „Ein Brasilien frei von Korruption“ – bewertet werden, das Cunha anderthalb Jahre später mit seiner Amtsenthebung und Verhaftung wie ein Bumerang heimsuchte und die Atlas-geförderte MBL als verlogenen Verein entlarvte: niemals ging es den rechtsradikalen „Libertären“ um Korruptionsbekämpfung, sondern von Anbeginn um regime change.

Neoliberale Kampf-Stiftung im Dienst der US-Außenpolitik

Atlas wurde 1981 von einem dilettantischen, in die USA ausgewanderten, britischen Unternehmer namens Anthony Fisher gegründet. Nach missglückten Hühner- und Schildkröten-Massenhaltungsversuchen in England ließ sich der frustrierte Geschäftsmann und resignierte Gegner der Nachkriegs-Verstaatlichungspolitik der Labour-Party im westamerikanischen San Francisco nieder und gründete dort zunächst das Institut for Economic Affairs (IEA) und 1971 das International Institute for Economic Research, aus dem 1981 das Atlas Network hervorging, das 1984 bereits 18 Think Tanks in 11 Ländern bediente.

Grundlagen und Anraten für Fishers Stiftungs-Idee stammten von Friedrich Hayek, dem Gottvater der sogenannten „österreichischen Schule” der Neoliberalen. Als Fisher 1946 Hayeks doktrinäres Gründungswerk „Der Weg zur Knechtschaft“ gelesen hatte, nahm er Kontakt zu dem österreichischen Ökonomen in London auf und schlug Hayek vor, in die Politik einzutreten. Doch dieser weigerte sich und sagte, dass ein von-unten-nach-oben-Ansatz für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und eine „Reform der Gesellschaft“ vielversprechender sei. Damit war die Idee der think tanks geboren.

Das IEA schloss einen Kreislauf. Hayek hatte inzwischen mit einer Gruppe kämpferischer Ökonomen für den freien Markt die Mont Pèlerin Society gegründet. Zu ihren Mitgliedern zählte Ed Feulner, Gründer der konservativen Washingtoner Heritage Foundation, und Ed Crane, Begründer des Cato Institute, einer der einflussreichsten libertären think tanks der USA, mit Ablegern in den wichtigsten lateinamerikanischen Metropolen.

Die Strategie schien simpel: „Die Welt mit think tanks auffüllen und den freien Markt verteidigen.“ Das gefiel Konzernen wie Pfizer, Procter & Gamble, Shell und Philip Morris, die mit der Barclays Bank und British Petroleum zu den Pionier-Spendern gehören, doch im Laufe der Jahre von zeitgenössischen Gebern wie ExxonMobil, MasterCard, dem Investor John Templeton, den militanten neoliberalen Milliardären Charles und David Koch und von Google abgelöst wurden.

Die einst von Fisher stammende und von Chafuen wiederholte Versicherung, Atlas nehme kein Geld der US-Regierung an, ist eine dreiste Lüge. In einem Brief der US International Communications Agency von 1982 soll nach Auskunft Lee Fangs ein Beamter als Reaktion auf einen Finanzierungsantrag Fishers geantwortet haben, er könne kein Geld „direkt an ausländische Organisationen vergeben”, doch sei es möglich, „Konferenzen oder Austausch-Veranstaltungen” von Gruppen wie Atlas zu fördern und er schlug vor, Fisher solle ein Projekt einreichen. „Der Brief, der ein Jahr nach der Atlas-Gründung geschrieben wurde, war der erste Hinweis darauf, dass das Netzwerk als geheimer Partner der US-Außenpolitik agieren würde“, schreibt Fang und fügt aktualisierend hinzu: „Das libertäre Netzwerk, das in vielen Ländern die politische Macht verändern konnte, ist auch eine verschleierte Erweiterung der US-Außenpolitik. Die mit Atlas verbundenen think tanks werden vom State Department und der Nationalen Stiftung für Demokratie (NED) – einer Schlüsselorganisation des amerikanischen soft power – diskret finanziert.“

Von langer Hand gesteuerter Hass

Im Laufe der Jahre hat das Atlas Network Dutzende von Think Tanks in Lateinamerika herangezüchtet, darunter militante Gruppen der Opposition in Venezuela. CEDICE Libertad, die wichtigste Atlas-assoziierte Organisation in Caracas, erhielt bereits 1998 finanzielle Unterstützung vom Center for International Private Enterprise (CIPE), die in einem NED-Förderschreiben als Hilfe für den „Regierungswechsel” bezeichnet wurde. CEDICE-Geschäftsführer, zu denen heute die ultrakonservative Abgeordnete Corina Machado gehört, unterschrieben 2002 einen Aufruf zum gescheiterten Militärputsch gegen Hugo Chávez.

Wenige Jahre später trat Atlas Network als Wahlhelfer des chilenischen Milliardärs Sebastián Piñera als Mitte-Rechts-Kandidat der Präsidentschaftswahlen von 2010 auf und leitete 2015 die libertäre Offensive in Argentinien mit dem think tank Fundación Pensar ein, die entscheidend am Wahlsieg Mauricio Macris beteiligt war.

Doch das „Meisterwerk“ von Atlas sei der Putsch gegen Dilma Rousseff in Brasilien, kommentiert Fang in The Intercept. Kaum ein anderes Land habe die Atlas-Strategie so gut begriffen und ausgelegt wie die neugegründeten Stiftungen und NGOs der „freien Marktdenker“ in Brasilien. Die Strategie lasse sich als ständiger Krieg gegen linke Ideen in den brasilianischen Medien definieren. Die MBL sei in der Lage gewesen, soziale Netzwerke auf effiziente Weise zu nutzen, um den Großteil der Revolte gegen Dilma umzulenken, ihre Entfernung von der Macht und das Ende der Sozialprogramme der Arbeiterpartei zu fordern.

Hélio Beltrão, ein ehemaliger Broker für Hochrisiko-Investmentfonds, der den nach dem austro-amerikanischen neoliberalen Ökonomen Ludwig von Mises benannten, brasilianischen think tank Instituto Von Mises leitet, bestätigte, dass dank der Unterstützung von Atlas-Network etwa 30 neoliberale Kampf-Institute im Lande aktiv sind. In diesem Kampf gehe es zu wie beim Fußball: die Universitäten bilden die Verteidigung und der Angriff sei Sache von Politikern und Aktivisten. Im sogenannten Mittelfeld werde eine Art „Kulturkampf“ gegen Ideen der Linken und den Sozialstaat ausgetragen, doch das entscheidende „Tor“ sei die Amtsenthebung Dilma Rousseffs gewesen.

Zu den von Beltrão nicht zugegebenen Angriffs-Anläufen gehörte die systematische Beschimpfung und Verleumdung der Präsidentin, ihrer Partei und der brasilianischen Linken insgesamt.

Damit sich die deutschen Leserinnen und Leser eine Vorstellung von der Wirksamkeit dieses Polit- und Kulturkampfes der Atlas-Think-Tanks in Brasilien machen können, tippte ich ihre lautstärksten Parolen ein und erhielt mit der Anzahl der im Internet für jedes Reizwort verfügbaren Videos, folgende Google-Statistik: „Dilma Trampeltier“ (7.030), „Luladrão-Lula-Dieb“ (28.200), „PT partido corrupto e ladrão – PT korrupte Gaunerpartei“ (18.800) und „Dilma raus!“ (344.000!).

Rodrigo Constantino, ein Mitbegründer des Atlas-think-tanks Instituto Millenium, der sich inzwischen mit dem Astrologen und rechtsradikalen Hassprediger Olavo de Carvalho in die USA abgesetzt hat, ging so weit, in jedem Winkelzug der brasilianischen Linken – von der Farbe Rot im Logo der Fußball-WM bis zum Sozialprogramm Bolsa Familia (Familien-Stipendium) – „verschleierte Versuche der Linken zur Untergrabung der Demokratie“ zu sehen. Bekannt als „brasilianischer Breitbart”, in Anlehnung an das von Steve Bannon gegründete rechtsradikale US-Journal „Breitbart“, versorgte Constantino drei Jahre lang konservative Medien mit faschistoiden Verschwörungstheorien. In einem selbst von der konservativen Kritik verrissenen Buch mit dem Titel „Die Kaviar-Linke” greift der gescheiterte Wirtschaftswissenschaftler hunderttausende Sympathisanten der Arbeiterpartei – insbesondere eine Schar linker Intellektueller – mit der Beschuldigung an, nichts anderes zu sein als „scheinheilige Reiche, die den Sozialismus predigen, um sich moralisch überlegen zu fühlen.“ Die „Breitbartisierung” des Diskurses, so The Intercept, sei aber nur eine der subtilen Facetten, womit Atlas Network die politische Auseinandersetzung führe.

Fernando Schüler vom Atlas-geförderten think tank Instituto Millenium, ein eingefleischter Gewerkschaftsfeind, brachte den Kampferfolg auf den entscheidenden Punkt: „Mit der Technologie – sprich WhatsApp, Facebook und YouTube – können die Menschen direkt aktiv werden und Proteste gegen linke Politiker zu niedrigen Kosten organisieren… Die einzige, effektive Methode, die Gesellschaft auf radikale Weise zu reformieren und die bisherige Unterstützung des Volkes für den Sozialstaat zu liquidieren, ist ein permanenter Kulturkrieg gegen linke Intellektuelle und Medien”.

Das hörte Anthony Fishers Erbe, Alejandro Chafuen, gern. Das wäre noch längst nicht alles, sagt er im Kurzinterview. Mehr think tanks, neue Versuche, linke Regierungen zu stürzen, stünden auf der Tagesordnung. Und etwas ganz Neues: mehr Atlas-Vertreter in höchsten Regierungsämtern rund um die Welt. „Stets kontinuierliche Arbeit”, sagt schmunzelnd der Berufs-Putschist und geht auf ein Glas Sekt zur Hotelbar.