„Wie man es dreht und wendet: Gegen Armut hilft Geld“

Ein Artikel von Marcus Klöckner
Ulrich Schneider

„Der Familienausgleich muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, die Regelsätze auch für die Eltern in Hartz IV müssen erhöht werden.“ Das sagt Ulrich Schneider im Interview mit den NachDenkSeiten. Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ist der Auffassung, dass das Bildungs- und Teilhabepaket ein „Bürokratiemonster“ ist und es an der „bedrückenden Situation“ von Kindern aus armen Familien nichts ändere. Schneider betont, wie notwendig ein „umfassendes Maßnahmepaket“ sei, das Armut gezielt in den Familien bekämpfe. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Schneider, der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB) hat vor kurzem gesagt: „Das Bildungs- und Teilhabepaket stigmatisiert Kinder, weil es sie immer wieder dazu zwingt, sich in Schule und Freizeit als arm zu outen.“
Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket scheint es einige Probleme zu geben, oder?

Auf jeden Fall hält es nicht, was der Name verspricht. Nach wie vor wachsen Millionen von Kindern und Jugendlichen in unserem reichen Land in Armut auf und erfahren Ausgrenzung und Mangel Tag für Tag als Normalität, statt eine unbeschwerte Kindheit genießen zu dürfen. Die Einladung zur Geburtstagsparty muss ausgeschlagen werden, weil man sich kein Geschenk leisten kann, Reisen sind nicht drin, oft nicht einmal die Kugel Eis im Freibad. Das Bildungs- und Teilhabepaket hat an dieser bedrückenden Lebenssituation armer Kinder kaum etwas geändert. Statt für echte Teilhabe und Perspektiven für jedes Kind zu sorgen, wurde ein Bürokratiemonstrum geschaffen.

Was hat die Studie im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Teilhabepaket zu Tage gebracht?

Die Studie der Paritätischen Forschungsstelle zeigt: Das Bildungs- und Teilhabepaket ist gefloppt und läuft in der Praxis weitgehend ins Leere. Aus der Praxis unserer Einrichtungen und Träger wussten wir bereits um die vielerorts schwierige Umsetzung. Für die so genannten „soziokulturellen Teilhabeleistungen“ haben wir das nun konkret überprüft. Wir haben dabei auf Daten zurückgegriffen, die die Kommunen als Träger des Bildungs- und Teilhabepaketes an die Bundesagentur für Arbeit übermitteln. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur weniger als 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren im Hartz-IV-Bezug profitieren von der 2011 neu eingeführten monatlichen Förderung von zehn Euro pro Kind für beispielsweise Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen oder Musikunterricht. Bei der großen Mehrheit der grundsätzlich leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 15 Jahren kommt diese Förderung dagegen überhaupt nicht an.

Was noch?

Die Studie belegt deutliche regionale Unterschiede. Da die Bildungs- und Teilhabeleistungen von den Kommunen umgesetzt werden, gibt es große Unterschiede in der administrativen Ausgestaltung, unter anderem was die Antragsverfahren und die Bewilligungspraxis angeht. Im Ergebnis hängt es damit letztlich auch vom Wohnort ab, ob und wie die Kinder an ihre Unterstützung kommen. Insgesamt ist aber in einem Großteil der Kommunen die durchschnittliche Quote bewilligter Anträge und festgestellter Ansprüche niederschmetternd gering.

Ist das Bildungs- und Teilhabepaket gescheitert?

Ja. Da gibt es nichts mehr schönzureden. Es ist zu bürokratisch und lebensfern. Dazu kommt, dass die Leistungshöhe vielfach wirklich absolut an der Lebensrealität vorbeigeht – das hat der Deutsche Kinderschutzbund erst gerade wieder am Beispiel Schulbedarf nachgewiesen: 100 Euro für Schulbedarf im Jahr reichen da hinten und vorne nicht. Und auch von einem 10-Euro-Gutschein im Monat lässt sich zwar vielleicht eine Mitgliedschaft im Sportverein bezahlen, aber mit Sicherheit kein Musikunterricht.

Wie erklären Sie sich, dass von politischer Seite nicht schon längst gegengesteuert wurde?

Das Hauptmanko ist und bleibt die Unterfinanzierung all dessen, was nötig wäre. Wer Armut nachhaltig bekämpfen und eine wirklich offensive Sozialpolitik gestalten will, die alle Menschen mitnimmt und kein Kind zurücklässt, kommt um die Verteilungsfrage nicht herum. Der Verzicht auf eine stärkere Besteuerung sehr großer Einkommen, Vermögen und Erbschaften ist auch in dem aktuellen Koalitionsvertrag wieder einer der entscheidenden Knackpunkte. Notwendig wären ein finanz- und steuerpolitischer Kurswechsel, um dringende Reformen und Investitionen solidarisch zu finanzieren.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden? Wie müsste eine effektive Unterstützung von armen Kindern aussehen?

Wir setzen uns – gemeinsam mit vielen anderen Verbänden – für die Einführung einer existenzsichernden, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung ein. Denn wie man es dreht und wendet: Gegen Armut hilft Geld. Darüber hinaus fordern wir einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Angebote der Jugendarbeit. Teilhabechancen dürfen weder von der Herkunft noch vom Wohnort abhängen. Es geht darum, Angebote für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen, die sie in ihrer Entwicklung fördern.

Was müsste noch getan werden?

Es braucht ein umfassendes Maßnahmenpaket, das nicht nur die Kinder, sondern die ganze Familie in den Blick nimmt. Wir werden die Kinder auch mit noch so vielen Bildungsprogrammen und Förderangeboten niemals aus der Armut herausbekommen, wenn wir nicht die finanzielle Situation für die ganze Familie verbessern. Der Familienlastenausgleich muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, die Regelsätze auch für die Eltern in Hartz IV müssen erhöht werden, öffentlich geförderte Beschäftigungsangebote ausgebaut, passgenaue Hilfen für Langzeitarbeitslose sowie gezielte Angebote zur Unterstützung Alleinerziehender geschaffen werden. Es gibt keine armen Kinder ohne arme Familien.

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