Die neue Bundesregierung möbelt Deutschlands Schienen, Brücken und Schulen wieder auf!? Von wegen: Was ein milliardenschweres Schuldenpaket an Investitionen verspricht, soll hoppladihopp aus dem regulären Bundeshaushalt weggekürzt werden. So verlangen es der neue Finanzminister und die „Zeitenwende“. Militärs und Rüstungskonzerne dürfen dagegen aus dem Vollen schöpfen. Und der „kleine Mann“? Der darf die Zinsen der Kreditgeber begleichen. Von Ralf Wurzbacher.
Für die schwäbische Hausfrau wäre ein Sondervermögen ein Graus. Abermilliarden Euro raushauen für Töpfe, Pfannen, Teller, das Ganze auch noch auf Pump, und hoffen, dass sich das irgendwann irgendwie rentiert. Das brächte sie gewiss um ihr Seelenheil. Deutschlands neue Regenten sind nicht so kleingeistig. Sie pumpen Unsummen in die Aufrüstung, Unsummen in die Infrastruktur, so als schisse der Bundesadler Dukaten, und schlafen den Schlaf der Gerechten. Motto: Reinbuttern, dass sich die Balken biegen beziehungsweise nicht mehr biegen, damit bald jede Brücke im Land einer Panzerkolonne standhält.
Als im März eine Kurzzeit-Kenia-Koalition praktisch über Nacht verfügte, den jahrzehntelangen Investitionsstau mit einem Finanzpaket historischer Dimension und qua Grundgesetzänderung abzuhaken, staunte das Publikum nicht schlecht. Meinen die das wirklich ernst? Bringen die die Republik wirklich auf Vordermann? Oder hat das Ganze vielleicht einen Haken? Also neben dem, dass vor allem die vermeintlich abgehalfterte Bundeswehr mit nahezu grenzenloser „Ertüchtigung“ rechnen darf. Werden tatsächlich mit demselben Eifer demnächst auch die kaputten Schienen, Bahnhöfe und Schulen in Schuss gebracht? Abwarten …
Geben und Nehmen
Siehe da: Bis zur Klärung der Fragen musste man sich gar nicht lange gedulden. Dieser Tage ist der neue Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) mit den Etatplanungen für das laufende und kommende Jahr befasst. Wie üblich zu solcher Gelegenheit hat er seinen Ressortkollegen Bescheid gestoßen, den Gürtel eng zu schnallen. „Wir müssen sparen“, verbreitete er zu Wochenanfang über das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Jedes Ministerium habe zu liefern und: „Sich zurückzulehnen, weil wir das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur haben und die Verteidigungsausgaben jetzt von der Schuldenbremse ausgenommen sind, geht nicht.“
Warum eigentlich nicht? Und was hat das eine mit dem anderem zu tun, also der reguläre Haushalt mit dem von Bundestag und Bundesrat gebilligten Schuldenpaket? Die Antwort findet sich in einem Rundschreiben von Finanzstaatssekretär Steffen Meyer an die Fachressorts und obersten Bundesbehörden. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) und das Handelsblatt (hinter Bezahlschranke) haben zu Wochenanfang aus dem sechsseitigen Papier zitiert. An einer Stelle heißt es: „Die Einzelpläne sind um die Maßnahmen, die zukünftig im Sondervermögen gemäß Artikel 143h des Grundgesetzes finanziert werden, abzusenken. Sie reduzieren den jeweiligen Plafonds in gleichem Maße.“ Ebenso seien die Kalkulationen des Wirtschafts-, des Verkehrs- und des Forschungsministeriums „um die Maßnahmen, die zukünftig im Klima- und Transformationsfonds finanziert werden, abzusenken – jeweils in Höhe der bisherigen Ansätze“.
Von wegen „zusätzlich“
Das erscheint einigermaßen unstimmig. Denn nimmt man den Wortlaut besagten Artikels, der eigens frisch in der Verfassung verankert wurde, dann taucht darin das Wörtchen „zusätzlich“ auf. Konkret: „Der Bund kann ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 mit einem Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro errichten.“ Und weiter: „Zusätzlichkeit liegt vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird.“
„Zusätzlich“ ist nur dann etwas, wenn es an anderer Stelle nicht wieder weggenommen wird. Das gebietet die Logik. Aber logisch ist nicht die Sache von Schwarz-Rot. Dafür versteht sie sich bestens auf Augenwischerei. Sie behauptet, „wir machen die Infrastruktur flott“, kürzt aber das Wenige, was bisher an Investitionen in dieselbe geflossen ist, einfach in dem Umfang weg, wie Geld aus dem Sondervermögen mobilisiert wird. So etwas nennt man „Verschiebebahnhof“. Als einem der ersten Kritiker war dies dem Forum Ökologische Marktwirtschaft (FÖS) nach Vorlage des Koalitionsvertrags aufgefallen. „Die Mittel aus dem Sondervermögen Klima drohen in einen Verschiebebahnhof zu geraten, was am Ende sogar zu weniger statt mehr Klimaschutzinvestitionen führen könnte“, monierte der Verband am 10. April in einer Medienmitteilung.
Der nächste Wahlbetrug
Die Sorge teilen noch andere. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Milliarden aus dem Infrastruktur-Sondervermögen reguläre Investitionen aus dem Haushalt ersetzen werden“, erklärte gegenüber den NachDenkSeiten der Generalsekretär des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), Christian Leye. „Das wäre der nächste Wählerbetrug von Merz!“ Ähnlich äußerte sich die Bundesvorsitzende von Die Linke, Ines Schwerdtner, im NDS-Gespräch. „Der Klima- und Transformationsfonds wird zum Verschiebebahnhof und finanziert Posten, die nichts mit Klimaschutz zu tun haben.“ Die Grünen hätten „sich über den Tisch ziehen lassen – und die Koalition nutzt das schamlos aus“.
Zur Erinnerung: Die Grünen-Partei rühmt sich damit, bei den Verhandlungen mit Union und SPD durchgesetzt zu haben, dass 100 Milliarden Euro vom 500-Milliarden-Euro-Kuchen für Infrastruktur in den kommenden zehn Jahren in besagten Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen und damit dem klimagerechten Umbau der Wirtschaft zugutekommen würden. Allerdings fehlt es an einer gesetzlichen Vorgabe, ab welchem Punkt dabei das Sondervermögen zum Einsatz kommt. Die deutsche Sektion des World Wide Fund for Nature (WWF) hat auf diese Problematik in einem am Dienstag vorgelegten Gutachten hingewiesen. Zitiert wird darin Moritz Schularick, Präsident beim Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW): „Wichtiger, als jetzt bestimmte Namen für bestimmte Töpfe zu erfinden“, ist für ihn, „eine sinnvolle Regelung zu finden, wie festgestellt wird, dass dieses Sondervermögen für Infrastrukturausgaben, wenn es kommt, nicht Investitionsausgaben im regulären Haushalt verdrängt und da Verschiebebahnhof gespielt wird“.
Nichts da mit grüner Energiewende
Ein Beispiel: Die Regierung plant eine allgemeine Strompreisreduzierung in der Größenordnung von fünf Cent pro Kilowattstunde, was allein bis zu 20 Milliarden Euro jährlich kosten könnte. Das Geld dafür soll laut genanntem Schreiben von Staatssekretär Meyer aus dem Sondervermögen abgezweigt werden. Aber wieso läuft eine Strompreissenkung unter Investition in die Infrastruktur? Jedenfalls bekräftigt Rechtsanwältin Roda Verheyen, die die WWF-Analyse erarbeitet hat, Mittel aus dem Sondervermögen dürften „keinesfalls für Zuschüsse zum Strompreis und Ausgleichszahlungen verwendet werden“. Und wenn doch? Dann wären die zehn Milliarden Euro, die der KTF per anno aus dem Schuldentopf beziehen soll, schon komplett aufgebraucht. Und nichts bliebe mehr übrig für die grüne Industriewende.
Die Mittel aus dem Infrastrukturtopf sind laut Meyers Rundbrief vor allem für Investitionen in Bahnhöfe, das Schienennetz, die Digitalisierung der Schiene, die Modernisierung von Brücken, zur Steigerung der Energieversorgungssicherheit, zum Ausbau des Breitband- und des Mobilfunknetzes und dafür gedacht, die Verwaltung zu digitalisieren und den Wohnungsneubau anzuschieben. Alles schön und gut. Was aber, wenn es nach den drohenden Schiebereien bei einem Nullsummenspiel bleibt und nur kümmerlich mehr investiert wird? 2024 waren im Bundeshaushalt für „investive Aufgaben“ knapp über 70 Milliarden Euro veranschlagt. Läuft es schlecht, könnte davon ein beträchtlicher Teil auf das Konto des Sondervermögens umgebucht, aber kaum etwas im Land besser werden.
Alles auf Hochrüstung
Einen entscheidenden Unterschied macht die Sache aber doch. Investitionen aus dem Kernhaushalt speisen sich überwiegend aus Steuermitteln, also Geld, das der Staat hat. Dagegen hantieren Bund und Länder bei einem Sondervermögen mit Geld, das sie nicht haben, woran alle möglichen Kreditgeber kräftig mitverdienen: Banken, Hedgefonds, Versicherungen, Vermögensverwalter, darunter auch Friedrich Merz‘ früherer Arbeitgeber BlackRock. Die NachDenkSeiten hatten bereits zu mehreren Anlässen die Mitte der 2010er-Jahre von marktliberalen Ökonomen und Vertretern der Finanzbranche ausgeheckte Strategie thematisiert, ureigene staatliche Aufgaben zu privatisieren und in Schattenhaushalte auszulagern – zwecks Schaffung hochprofitabler Anlagemöglichkeiten „zur Stärkung von Investitionen in Deutschland“, Stichwort Fratzscher-Kommission. Aus dieser Perspektive lassen bröckelnde Schulen und wankende Brücken „Investorenherzen höher schlagen“. Wie muss es sich erst anfühlen, wenn schon bald vielleicht sämtliche öffentlichen Investitionen aus Schuldentöpfen bezahlt werden?
Carl Waßmuth, Sprecher beim Verein „Gemeingut in Bürgerinnenhand“ (GiB), schwant Schlimmes. „Es zeichnet sich ab, dass das schwarz-rote Gerede von den Investitionen in die Infrastrukturen nur Lyrik war, um Schulden machen zu dürfen – vor allem für mehr Rüstung“, bemerkte er gegenüber den NDS. Nach den Vorstellungen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sollen Deutschlands Ausgaben fürs Militär langfristig fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprechen, wobei er bis 2032 eine Quote von 3,5 Prozent erreichen will. Hinzu kommen müssten „verteidigungsbezogene Ausgaben“ in Höhe von 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung – für militärisch nutzbare Infrastruktur wie Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen.
Freie Fahrt nach Polen
Ergo setzt die GroKo schon jetzt Prioritäten. Wie heißt es so schön in ihrem Koalitionsvertrag: „Zentrale Teile der Verkehrsinfrastruktur nach Polen und der Tschechischen Republik werden zügig ausgebaut.“ Soldaten und Kriegsgerät müssen schließlich im Ernstfall ruckzuck an die NATO-Ostgrenze befördert werden. Das verlangt die „Zeitenwende“, und die Großmobilmachung zum großen Knall ist schon in vollem Gange. Wer will, kann ja davor noch in Warschau und Prag Urlaub machen. Vom Bahnaufrüsten hätte dann sogar der einfache DB-Kunde etwas. Das wäre dann immerhin ein doppelter Nutzen, von wegen Dual-Use.
Man kann sicher sein, dass das Geld dafür aus dem Sondervermögen Infrastruktur gewonnen wird, wie vieles mehr, was primär der „Kriegsertüchtigung“ dient. „Damit könnte am Ende noch weniger für echte, zivile Investitionen übrigbleiben“, fürchtet BSW-Politiker Leye. „Während die Wirtschaft weiter stagniert, wird die Bundesregierung offenbar den Investitionsstau in dringend benötigte Infrastruktur und Modernisierung einfach weiter verschleppen.“ Gleichzeitig drohten die Zinslasten für die gigantischen Aufrüstungspakete den Haushalt weiter zu belasten, „was den Spar- und Kürzungsdruck verschärfen wird“, so Leye. „Die arbeitenden Menschen werden bei Rente, Gesundheit und Pflege den Preis zahlen für die Bewaffnung des Landes.“
Vermögensteuer jetzt!
Wie GiB-Sprecher Waßmuth vorrechnete, lag die staatliche Investitionsquote der BRD Anfang der 1990er-Jahre bei über drei Prozent des BIP. Bis 2005 ist sie dann auf unter 2,5 Prozent gefallen, verharrte 25 Jahre lang auf diesem Niveau und rutschte bisweilen sogar unter zwei Prozent. „Mit anderen Worten: Weil Deutschland seinen Infrastrukturen langjährig ein Prozent vom BIP verweigert hat, haben wir jetzt diesen Investitionsstau.“ Aber der werde nicht wirklich aufgelöst, denn „die Bettdecke wird nur auf der einen Seite hochgezogen und auf der anderen weggezogen“. Im Endergebnis profitierten „allein Banken und große Kapitalanleger, denen der Staat jetzt viele Zinsen zahlen wird“.
Der Aktivist kennt das probate Gegenmittel: „Wir brauchen echte zusätzliche Einnahmen und echte zusätzliche Investitionen, insbesondere in den Kommunen.“ Und woher das Geld dafür nehmen? „Das geht nur mit einer Vermögensteuer.“ Das fände selbst die schwäbische Hausfrau „echt guad“.
Titelbild: Thorsten Schier/shutterstock.com