EU-Kommissionschefin und CDU-Parteikollegin des Kanzlers, Ursula von der Leyen, hatte am 16. Mai erklärt, dass sie präventiv mittels eines neuen EU-Sanktionspakets die mögliche Reparatur und Wiederinbetriebnahme von Nord Stream langfristig verhindern will. Mit der Sanktionierung der Reparatur von Nord Stream würde die EU de facto die mutmaßlich staatsterroristische Sprengung von ziviler Energieinfrastruktur gutheißen und belohnen.
Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, ob Merz und die neue Wirtschaftsministerin Reiche diesen Schritt mit von der Leyen abgesprochen hatten und ob sie dieses Reparaturverbot, welches massive Auswirkungen auf die Versorgungsoptionen der Bundesrepublik Deutschland hat, ebenfalls unterstützen werden, wenn es dem US-Investor Stephen Lynch gelingt, Nord Stream zu kaufen. Von Florian Warweg.
Hintergrund
Beim Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs im Format der sogenannten „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ im albanischen Tirana am 16. Mai hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt, dass sie mit allem Mitteln die mögliche Reparatur und Wiederinbetriebnahme der Nord-Stream-Pipelines verhindern will. In diesem Zusammenhang verkündete sie unmissverständlich:
„Wir wollen verhindern, dass die zerstörten Pipelines jemals wieder ein strategisches Werkzeug Russlands werden.“
Der BSW-Abgeordnete im EU-Parlament Fabio de Masi und andere politische Beobachter wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein langfristiges Verbot einer möglichen Reparatur von Nord Stream in Form von Sanktionierung sowohl die „faktische Belohnung der staatsterroristischen Sprengung von Energieinfrastruktur“ darstellen würde als auch, dass die EU damit beschließen würde, „dass Deutschland nie wieder günstiges Pipeline-Gas beziehen darf (selbst nach einem Frieden in der Ukraine)“ und stattdessen langfristig gezwungen wäre, für seine „Energiesicherheit“ teures US-Frackinggas zu erwerben (russisches Pipelinegas war Stand Februar 2022 um den Faktor 7 günstiger als US-amerikanische Frackinggas).
Wir leben in der Matrix: Sollte die Reparatur von Nord Stream 2 sanktioniert werden, wäre das die faktische Belohnung der staatsterroristischen Sprengung von Energieinfrastruktur. Die EU würde beschließen, dass Deutschland nie wieder günstiges Pipeline-Gas beziehen darf (selbst… pic.twitter.com/DNCaOJBHeZ
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) May 19, 2025
Was sagen Kanzler Merz und Wirtschaftsministerin Reiche zu diesem vdL-Vorstoß?
Regierungssprecher Kornelius erklärte auf die entsprechende Frage der NachDenkSeiten:
„Der Kanzler hat sich in dieser Frage selbst positioniert und hat klargemacht, dass eine Zertifizierung von Nord Stream momentan nicht denkbar ist.“
Hier fällt zumindest im Gegensatz zu vdLs langfristiger Ansage, dass Nord Stream niemals wieder in Betrieb gehen sollte, die Betonung des Merz-Sprechers von „momentan nicht …“ auf. Doch nur zwei Tage nach dieser Aussage in der Regierungspressekonferenz berichtete die britische Tageszeitung Financial Times unter Berufung auf „mit der Angelegenheit vertraute Regierungsbeamte“, dass Merz „aktiv“ ein geplantes EU-weites Verbot der Nord-Stream-Pipelines unterstütze, um einer möglichen Wiederinbetriebnahme durch Russland oder mit US-Unterstützung zuvorzukommen, jegliche innenpolitische Debatten über die Vorzüge einer möglichen Reaktivierung zu unterbinden sowie mittels des EU-weiten Verbots das Thema zu „vergemeinschaften“ und so bilateralen Druck auf Berlin durch Washington und Moskau zu umgehen:
„Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz unterstützt „aktiv“ ein geplantes EU-Verbot der Nord-Stream-Pipelines, die Russland mit Deutschland verbinden, um jegliche Bemühungen der USA und Russlands zur Wiederaufnahme der Gasverbindungen zu unterbinden.“
US-Investor mit Interesse an Nord-Stream-Erwerb war kürzlich zu Besuch in Berlin
Im Gegensatz zur Darstellung von Regierungssprecher Kornelius, der die Nachfrage der NachDenkSeiten zu der Möglichkeit des Erwerbs von Nord Stream durch den US-Investor als spekulativ darstellte („Sie haben jetzt Ihre Frage an verschiedene Konditionen geknüpft, die ich so nicht teilen kann“), berichtete die ZEIT am 24. Mai, dass der entsprechende US-Investor Anfang Mai auf Einladung des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin weilte, um genau über diese Pläne zu sprechen:
„Stephen Lynch war am 6. Mai aus London eingeflogen. Das Ministerium hatte ihn zu einer Besprechung eingeladen, wie aus Teilnehmerkreisen verlautet. Die Berliner Beamten wollten mehr erfahren über den kühnen Plan des US-Investors: den Kauf und die Reparatur der Nordstream-Pipeline.“
Weiter heißt es in dem Artikel:
„Dass Lynch es ernst meint mit seinen Plänen, zeigt, dass er dafür eigens nach Berlin gekommen ist, um mit hochrangigen Beamten zu sprechen.“
Vor einem solchen Kauf von Nord Stream bräuchte er allerdings noch die Genehmigung der US-Sanktionsbehörde (Ofac). Einen entsprechenden Antrag hat er allerdings schon vor Monaten gestellt. In dem Schreiben an die Ofac heißt es als Begründung für den Erwerb der Pipeline, dass eine solche Übernahme „den amerikanischen Einfluss auf die europäische Energie-Infrastruktur sichern (würde)“.
Deutschland als Verlierer …
Bereits jetzt stammen 91 Prozent (Stand März 2025) aller deutschen LNG-Importe aus den USA, Tendenz weiter steigend. Kämen dazu noch die 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die über Strang B von einer in US-Hand befindlichen Nord-Stream-2-Pipeline transportiert werden könnten, wäre Deutschland sowohl bei LNG- wie bei Pipeline-Gas zu großen Teilen von US-Lieferanten abhängig. Zudem könnten die USA als Mittelsmann von Nord Stream zwischen Russland und Deutschland ohne viel Zutun ordentlich Gewinne abgreifen – ein US-Beamter erklärte dazu gegenüber der Financial Times bereits im März 2025 offen und frei:
„Die US-Investoren würden damit ‚Geld für nichts‘ kassieren.“
Ebenso würde so ein Vorgehen Washington ermöglichen, damit seine Beziehungen zu Russland weiter auszubauen und Deutschland in Folge in eine noch weitere Energie- und auch politische Abhängigkeit zu treiben. Sowohl die Scholz- wie jetzt auch die Merz-Regierung haben Deutschland in Bezug auf Nord Stream in eine Situation manövriert, aus der Deutschland nur noch als Verlierer hervorgehen kann …
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 21. Mai 2025
Frage Warweg
Auch zu dem Kontext der Sanktionierung von Nord Stream: Die EU-Kommissionschefin und Parteikollegen des Kanzlers hat am 16. Mai erklärt, dass sie präventiv mittels des schon genannten Sanktionspakets die mögliche Reparatur und Wiederinbetriebnahme von Nord Stream langfristig verhindern wolle. Vor dem Hintergrund würde mich interessieren: Hat denn die EU-Chefin diese Entscheidung, die ja direkte Auswirkungen auf die langfristigen Versorgungsoptionen der Bundesrepublik hat, zuvor mit dem Kanzler und auch mit der BMWE-Ministerin abgesprochen?
Regierungssprecher Kornelius
Der Kanzler hat sich in dieser Frage selbst positioniert und hat klargemacht, dass eine Zertifizierung von Nord Stream momentan nicht denkbar ist.
Zusatzfrage Warweg
Die Frage ging ja auch an das BMWE.
Greve (BMWE)
Dem habe ich nichts hinzuzufügen oder nur den einen Satz: Wir sind unabhängig von russischem Gas, und die Gasversorgungssituation in Deutschland ist sicher. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage Warweg
Die Sanktionierung der Reparatur von Nord Stream 2 wird ja von vielen Beobachtern als eine Art Belohnung einer mutmaßlich staatsterroristischen Sprengung von ziviler Infrastruktur angesehen. Da würde mich interessieren: Würde der Kanzler dieser Sanktionierung auch zustimmen, wenn, was laut Status quo gar nicht so unwahrscheinlich ist, diese Pipeline von US-Investoren gekauft und repariert wird?
Kornelius
Sie haben jetzt Ihre Frage an verschiedene Konditionen geknüpft, die ich so nicht teilen kann. Deswegen kann ich sie eigentlich nicht beantworten. Aber die Bundesregierung hat sich ja nicht zur Reparatur der Pipeline geäußert, sondern zur Inbetriebnahme.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.05.2025
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