Denkfabrik SWP präsentiert drei Optionen für „dauerhafte Sicherheit der Ukraine“: Demilitarisierung Russlands, Aufbau eines Atomwaffenarsenals oder NATO-Beitritt

Denkfabrik SWP präsentiert drei Optionen für „dauerhafte Sicherheit der Ukraine“: Demilitarisierung Russlands, Aufbau eines Atomwaffenarsenals oder NATO-Beitritt

Denkfabrik SWP präsentiert drei Optionen für „dauerhafte Sicherheit der Ukraine“: Demilitarisierung Russlands, Aufbau eines Atomwaffenarsenals oder NATO-Beitritt

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die 1962 auf Initiative des Bundesnachrichtendienstes gegründete Denkfabrik „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ (SWP), deren zentrale Aufgabe es ist, die Bundesregierung zu beraten, hat vor dem aktuellen NATO-Gipfel eine Analyse mit dem Titel „Dauerhafte Sicherheit für die Ukraine“ vorgelegt. Die Autorinnen, Claudia Major und Margarete Klein, erklären in dem Dokument, „drei Optionen können die Sicherheit der Ukraine maximal, verlässlich und dauerhaft gewährleisten“. Die dann aufgeführten Optionen sind ein Offenbarungseid für den Geisteszustand des wichtigsten regierungsnahen Thinktanks der Bundesrepublik. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mit diesem Tweet zum „Israel-Modell“ für die Ukraine, welches zu Beginn dieser Woche US-Präsident Biden ins Spiel gebracht hatte, machte Claudia Major, ihres Zeichens Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der SWP, auf ihre Analyse aufmerksam:

Das acht Seiten umfassende Analysepapier fängt schon im ersten Satz mit einer nicht belegten und bis heute auch nicht belegbaren Behauptung an, die da lautet:

„Die erneute russische Invasion hat der Frage nach internationalen Sicherheitsgarantien für die Ukraine neue Dringlichkeit verliehen.“

Die Nutzung von „erneute russische Invasion“ impliziert, es hätte bereits vor dem 24. Februar 2022 eine solche gegeben. Doch sowohl die Bundesregierung wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages und sogar Veröffentlichungen der SWP selbst hatten diese Behauptung bisher immer als nicht belegbar bezeichnet. So schreibt beispielsweise der Wissenschaftliche Dienst in einem Gutachten im Dezember 2019 zum Thema „Intervention in Bürgerkriegsgebieten: Zur Rolle Russlands im Ost-Ukraine-Konflikt“:

„Der Territorialkonflikt weist klassische Züge eines nicht internationalen (internen) bewaffneten Konflikts auf. Über Umfang, Qualität und Ausmaß der militärischen Involvierung Russlands im Ukraine-Konflikt gibt es neben wenigen belastbaren Fakten und Analysen vor allem zahlreiche Spekulationen, zum Teil widersprüchliche Berichte und Pressemeldungen, verschiedene Dementi, aber insgesamt kein eindeutiges Lagebild. Auch der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben offenbar keine belastbaren Erkenntnisse vor.“

Im weiteren Verlauf wird dann vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages auf ein SWP-Analysepapier von 2019 mit dem Titel „Der Donbass-Konflikt – Widerstreitende Narrative und Interessen, schwieriger Friedensprozess“ verwiesen:

„Eine aktuelle politikwissenschaftliche Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) thematisiert u.a. die fragile Faktenlage: „(…) Belastbare Informationen über die nicht von Kiew kontrollierten Teile der ukrainisch-russischen Grenze sind rar. Die OSZE-Mission hat, ungeachtet ihres umfassenden Mandats, nur eingeschränkten Zugang zu diesem Gebietsstreifen (…).“

Diese faktisch nicht belegbare Einstiegsbehauptung steht dann auch sinnbildlich für den gesamten Charakter dieser „Analyse“: Spekulation und Wunschdenken statt Analyse und Fakten.

Im ersten Kapitel unter der Überschrift „Ukrainische und europäische Interessen“ werden systematisch und jeder ernsthaften Analyse hohnsprechend deutsche, europäische und ukrainische Interessen vermengt und erklärt, ukrainische Interessen entsprächen automatisch deutschen und EU-Interessen. Der als EU-Korrespondent in Brüssel tätige Journalist Eric Bonse hat die Widersprüche, Spekulationen und unzulängliche „Argumentation“ in diesem Kapitel der SWP-Analyse umfassend in seinem Artikel „Wenn deutsche Experten die europäische Sicherheit „aus Sicht der Ukraine“ definieren“ aufgearbeitet. Wir widmen uns daher ausführlich dem darauffolgenden Kapitel, welches von Medien bisher weder aufgegriffen, geschweige denn kritisch durchleuchtet wurde und mit folgender Behauptung eingeleitet wird:

„Drei Optionen können die Sicherheit der Ukraine maximal, verlässlich und dauerhaft gewährleisten.“

Dann werden diese drei Optionen näher vorgestellt:

  • „Die erste Option besteht in der Demilitarisierung Russlands. Dazu wäre eine Reduzierung der Streitkräfte und der Rüstungsindustrie auf ein Maß nötig, das Selbstverteidigung gestattet, aber keine Offensivoperationen. Flankiert werden müsste dies durch eine Demilitarisierung der strategischen Kultur. Diese verändert sich indes nur über langfristige Sozialisationsprozesse oder externe Schocks. Für Letzteres wäre eine eindeutige Niederlage gegen die Ukraine notwendig. Aber selbst dann könnte sich die Ukraine nur bei einer gleichzeitigen Denuklearisierung des russischen Militärpotenzials sicher fühlen.“
  • „Die zweite Option liegt darin, dass die Ukraine ihr Abschreckungspotenzial durch eine unilaterale Nuklearisierung stärkt, das heißt entweder ein Atomwaffenarsenal aufbaut oder mittels einer Ankündigung Druck erzeugt. Sollte die Ukraine diesen Weg wählen, würde sie sich dem israelischen Modell annähern, das auf starken Streitkräften, Atomwaffen und bilateralen Abkommen beruht (…).
  • „Als dritte Option die Einbindung der Ukraine in bi- oder multilaterale Systeme kollektiver Verteidigung. (…) Die abschreckende Wirkung gegenüber Moskau (ließe sich) am effektivsten durch eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine erzielen.“

Diese hinter diesen Darlegungen stehende analytische Bankrotterklärung muss man sich noch einmal vor Augen führen. Die Denkfabrik, welche als zentrale Aufgabe hat, die Bundesregierung zu beraten, und von sich selbst behauptet, sie unterscheide sich von anderen Thinktanks durch ihre „Wissenschaftlichkeit, die wir konsequent multiperspektivisch betreiben“, behauptet allen Ernstes, es gäbe lediglich diese drei genannten Optionen, die die Sicherheit der Ukraine sicherstellen würden.

Dabei werden alle drei Optionen ausschließlich „aus Sicht der Ukraine…“ formuliert und diese ignorieren nicht nur komplett die artikulierten Sicherheitsinteressen der zweiten Partei in diesem Konflikt, sondern sind auch noch so formuliert, dass scheinbar das höchstmögliche Provokationspotenzial gegenüber Russland ausgespielt werden soll, egal ob dies „Demilitarisierung“, „Renuklearisierung“ oder „NATO-Beitritt“ betrifft.

Die SWP-Autorinnen argumentieren dann, dass die Option des NATO-Beitritts die empfehlenswerteste und am einfachsten umzusetzende sei. „Demilitarisierung“ wird als „zurzeit (!) unrealistisch“ in der Priorisierung erst mal zurückgestellt, nur um dann auf Seite 7 wieder als aktuell umzusetzende Strategie propagiert zu werden. Ebenso die „Renuklearisierung“, die „nicht wünschenswert“ sei, da sie „die europäische Sicherheitsordnung und das globale Nichtverbreitungsregime schwer belasten würde“. Doch selbst diese Einschränkung wird wieder relativiert, indem auf derselben Seite erklärt wird, dass ohne NATO-Beitritt dies sehr wohl eine Option wäre:

„Sollten die Alliierten ihr diese Perspektive nicht aufzeigen, könnte sie (die Ukraine) über andere Wege versuchen, ihre Sicherheit zu gewährleisten, beispielsweise eine Renuklearisierung.“

Die SWP bedient sich hier eines alten rhetorischen Taschenspielertricks: Man bringt drei Vorschläge ein, von denen zwei so absurd anmuten, dass dann der dritte als das einzig „vernünftige“ und „alternativlose“ Vorgehen erscheint.

Das Kapitel wird mantraartig abgeschlossen mit einer Variation der Eingangsbehauptung:

„Alle Optionen außerhalb dieser drei bieten einen geringeren Schutz (…).“

Man fragt sich, was so ein Vorgehen mit „multiperspektivischer“, auf „Wissenschaftlichkeit“ beruhender und vor allem zu „mehr Sicherheit“ führender Politikberatung zu tun haben soll. Dieselbe Frage stellt sich auch in Bezug auf die diplomatischen Initiativen zur Lösung des Konflikts, die bisher von China, der Afrikanischen Union, der Türkei sowie lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko und Brasilien ausgingen und die mit keiner Silbe in dem SWP-Papier Erwähnung finden.

„Da die Beratung von Bundestag und Bundesregierung im Zentrum steht, behandeln wir Probleme und Fragestellungen, die für diese Akteure relevant sind oder sein sollten. Ziel ist es, Expertise aus der SWP in Urteilsbildung und Entscheidungsprozesse der Akteure einzuspeisen“, heißt es in der Selbstdarstellung der Denkfabrik. Zumindest diese Analyse und Politikempfehlung der SWP scheitert an diesem Eigenanspruch spektakulär. Denn im vorliegenden Fall handelt es sich mitnichten um einen Beitrag, der bemüht ist, unvoreingenommen mittels eines dialektischen und multiperspektivischen Ansatzes einen Beitrag zur umfassenden Urteilsbildung von politischen Entscheidungsträgern zu leisten, sondern um den recht plumpen Versuch der Meinungsmache.

Apropos Meinungsmache: Wirklich wird die Katze (und wohl Intention des Ganzen) aber erst ganz am Schluss aus dem propagandistischen Sack gelassen. In der die „Analyse“ abschließenden Handlungsempfehlung an die Adressaten in Bundesregierung und Bundestag heißt es:

„Die dauerhafte Stärkung der Ukraine muss deshalb zwingend mit einer Stärkung der eigenen Resilienz einhergehen. Dazu gehört zum Beispiel, Sinn, Zweck und Ziele eines ukrainischen NATO-Beitritts den eigenen Bevölkerungen proaktiv zu vermitteln, gleichzeitig Desinformation zu bekämpfen und vorzugehen gegen Einrichtungen, die sich als zivil-gesellschaftliche ausgeben, aber de facto (!) vom russischen Staat kontrolliert sind.“

Acht Seiten Spekulation und Meinungsmache kulminieren in der Aufforderung, gegen zivilgesellschaftliche Gruppierungen vorzugehen, wenn diese nicht dem von der SWP propagierten Meinungsbild entsprechen. Mit „de facto“ wurde wohl in diesem Zusammenhang bewusst eine so butterweiche Formulierung gewählt, dass man sich lieber gar nicht vorstellen will, gegen was für eine Breite an Gruppen, Organisation und Medien da gewisse Forschungsleiter* in der SWP „vorgehen“ wollen. Denn dem Vorwurf, vom „Kreml kontrolliert“ zu sein, muss sich in diesem Land derzeit so ziemlich jeder „de facto“ aussetzen, der sich auch nur für das Primat der Diplomatie gegenüber dem eines militärischen Sieges ausspricht. Der in der SWP-Handlungsempfehlung propagierte „de facto“- statt „de jure“-Ansatz würde in seiner Umsetzung willkürlichen Maßnahmen Tür und Tor öffnen. In gewisser Weise erinnert diese Empfehlung an die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Dezember 2022 vorgeschlagene Umkehr der Beweislast. Vielleicht war das ja auch damals schon Produkt einer SWP-Beratung?

Zum Abschluss noch eine vielsagende Gegenüberstellung der Gründungsgeschichte der SWP. Bei der Denkfabrik selbst heißt es dazu lapidar:

„Die SWP wurde auf private Initiative im Jahre 1962 als rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts in München gegründet.“

Bei Wikipedia klingt das mit „auf private Initiative…“ etwas anders und wird mit Verweis auf das wissenschaftliche Standardwerk von Albrecht Zunker zur Geschichte der „Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Entwicklungsgeschichte einer Institution politikbezogener Forschung“ so beschrieben:

Die Gründung der SWP geht auf eine Initiative des Bundesnachrichtendienstes (BND) zurück. Klaus Ritter war während der NS-Diktatur Mitglied des militärischen Nachrichtendienstes Fremde Heere Ost und nach dem Krieg Gründungsmitglied der Organisation Gehlen, aus der der BND hervorging. Ritter war 1959 zu einer Studienreise durch die USA abgestellt und lernte dort die Arbeit von Think Tanks kennen. Außerdem wurde er von US-Außenpolitikern wie Henry Kissinger darauf angesprochen, dass es in Deutschland keine inoffiziellen Stellen gäbe, bei denen man „Gesprächspartner im voroffiziellen Raum [finden könne] – also in jenem Vorfeld offizieller Politik, in dem internationale politische Probleme nicht nur frei erörtert, sondern oft im Austausch von Positionen und Sichtweisen vorformuliert, mit Begriffen belegt und so auch in ihrem Kerngehalt abgegrenzt werden“. Ritter glaubte, dass eine solche Einrichtung nur außerhalb der ministerialen Hierarchie funktionieren könne, sodass er in enger Abstimmung mit dem Bundesnachrichtendienst die „Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft und Politik“ (AWP) ins Leben rief, in der er Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft zusammenbrachte.“

Ebenso bezeichnend ist auch ein Blick auf die Präsidenten des Stiftungsrates der SWP seit 1964 bis heute, ausschließlich Militärs und Industriebosse:

  1. 1964 bis 1978: General a. D. Hans Speidel
  2. 1979 bis September 2000: Hans Lutz Merkle, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH
  3. 2000 bis 2007: Ulrich Hartmann, Aufsichtsratsvorsitzender der E.ON AG
  4. Dezember 2007 bis Mitte 2017: Hans-Peter Keitel, Vizepräsident des BDI und Mitglied des Aufsichtsrats der Hochtief AG
  5. Juni 2017 bis heute: Nikolaus von Bomhard, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Münchener Rückversicherungs-AG

Titelbild: Screenshot

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