Bundesweite Streiks im Einzel-, Groß- und Versandhandel – Arbeitnehmer: „Mehr Kohle ist die Parole“ – Arbeitgeber blocken ab

Bundesweite Streiks im Einzel-, Groß- und Versandhandel – Arbeitnehmer: „Mehr Kohle ist die Parole“ – Arbeitgeber blocken ab

Bundesweite Streiks im Einzel-, Groß- und Versandhandel – Arbeitnehmer: „Mehr Kohle ist die Parole“ – Arbeitgeber blocken ab

Ein Artikel von Frank Blenz

Uns Menschen, die in Supermärkten und Einzelhandelsgeschäften einkaufen gehen, ist nicht entgangen, dass die Mitarbeiter dieser Geschäfte derzeit neben ihrem täglichen, wichtigen Service für ihre Kunden für sich, für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Lohn und für mehr Respekt ackern – bislang ohne Erfolg. Die Arbeitgeberseite mauert, was das Zeug hält, in Nordrhein-Westfalen ist die inzwischen fünfte Verhandlungsrunde ergebnislos abgebrochen worden. Die Arbeitgeberseite setzt auf den Faktor Zeit und auf Angriff auf das Streikrecht im Handel. Ein Kommentar von Frank Blenz.

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Gewinner und Verlierer

Der Handel brummt, trotz allem, freuen sich die Arbeitgeber. Die Gewinne sprudeln, das Handelsblatt jubelt angesichts exklusiver Analysen, die zum Schluss kommen, dass die Konzerne ihre Profite selbst in all den gemachten Krisen bis heute gesteigert haben.

Das gelang auch deshalb (das schreibt das Handelsblatt nicht), weil sie eine Monopolstellung innehaben und diese in der Manier von Herrschenden, von Marktführern ausnutzen. Sie tun es mit einer Unternehmens-„Kultur“, in der sie die Preise diktieren, mit scheinbar günstigen Angeboten locken, die Kunden mit Mogelpackungen betrügen. Sie sind geschickt im Unten-Halten ihrer Beschäftigten, und das bei gleichzeitiger Sonnenschein-Werbung und ständigem Arbeitgeber-Klagen über all die überbordenden Kosten. Sie haben so viel Monopolmacht, dass sie mitten im August die Regale mit Weihnachtsschokolade füllen lassen – von ihren systemrelevanten Beschäftigten. Oder sie „belehren“ wie bei Penny mit einem Experiment die Kunden, dass Lebensmittel eigentlich viel teurer sein müssten.

Bei all dem Jubel gibt es Verlierer, erwähnt das Handelsblatt ebenfalls. Mittelständler, kleine Mitbewerber sind das. Und wer noch? Ja, die Kunden und die Beschäftigten. Von den Mitarbeitern steht in den Analysen kein Wort. Bei den großen Playern von Schwarz (Lidl, Kaufland), ALDI über REWE (Penny) und METRO (MediaMarkt, Saturn, Real, Kaufhof) bis zu EDEKA (Diska, Nah&Gut, Netto) und auch bei IKEA oder H&M herrscht Champagnerlaune und maximal eine kleine Katerstimmung, denn alles wäre gut, wenn …

Ja, wenn die Arbeitnehmerseite sich nur nicht so hätte. Bei den Arbeitgebern ist es wie immer: Beim Verteilen der Erlöse (die von den Arbeitnehmern erwirtschaftet werden) geben sich die millionen- bis milliardenschweren Arbeitgeber gegenüber ihrer Belegschaft knausrig. Die Zeiten seien halt nicht einfach, Pandemie, Krieg, Kosten, ja, Kosten über Kosten, tönt die bekannte alte Leier. Maßhalten sei angesagt. Also bei den Arbeitnehmern, die ihre Arbeit geben, den Arbeitgebern, die sie nehmen, also in Wahrheit Arbeitnehmer sind. Ironie aus.

Ohne sie geht nichts, doch Würdigung und Respekt werden verwehrt

2023 ist Zeit für Tarifverhandlungen und längst Zeit, Löhne und Rahmenbedingungen spürbar zu verbessern. Die Preisschraube wird einerseits durch die Bosse angezogen, die Löhne bleiben andererseits im Keller. Diese Diskrepanz zu verringern, ist eines der Ziele der Arbeitnehmerseite, die sich nach wie vor kämpferisch zeigt. Man hört solche Worte wie: „Mehr Kohle ist die Parole!“. Streiks im Handel weiten sich aus, inzwischen sammeln sich in den sozialen Medien Fotos über Fotos und Kommentare von protestierenden, streikenden Mitarbeitern unter der Regie der Gewerkschaften, die bundesweit von Berlin bis Hamm, von Hamburg bis München, vom Saarland bis nach Sachsen für ihre Rechte eintreten, und das, ohne den ganzen Laden lahmzulegen. Was wäre, wenn sie das täten? Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will, lautet ein Proletarierspruch. In den heutigen Wortmeldungen wird leider auch offenbar, dass die Arbeitnehmer sich nicht immer und überall einig sind und es Unterschiede gibt in Sachen Organisationsgrad, beim Beschäftigtenanteil an Mitgliedern in der Gewerkschaft. Doch nur gemeinsam sind wir stark, lautet in etwa ein alter Arbeiterslogan.

Fünf Millionen Beschäftigte allein hat der Lebensmittelhandel unter Vertrag, zwei Drittel der Menschen sind Frauen, nicht selten in Teilzeit schaffend. Nebenbei: Vielfach ist es Teilzeitbeschäftigten schlicht nicht möglich, von den Chefs einen besseren Vertrag zu erhalten (etwas mehr Stunden, somit mehr Geld, mehr Sicherheit, mehr Altersvorsorge). Selbst wenn man seine Arbeitssituation verbessern und aktiv mitwirken will, wird dies nicht selten abgeblockt.

Stattdessen ist Tatsache: Die Bezahlung muss mittlerweile als mies bezeichnet werden vor dem Hintergrund, dass es einen Reallohnverlust großen Ausmaßes gibt. Viele Frauen, die an Supermarktkassen, im Laden, in den Lagerräumen, bei der Warenannahme und so weiter ackern, schauen bereits Mitte des Monats in ihr Portemonnaie und erkennen traurig: Es herrscht „Geldende“, obwohl noch viel Monat übrig ist. Diese Situation erleben viele, dies ist existenzbedrohend. Sie lächeln bitter ob des Wortes „Inflation“, welches als falsche Begründung für das Tun der Preistreiber dient, die doch lediglich ihre Margen erhöhen und den noch größeren Gewinn mitnehmen. So verkauft also eine Verkäuferin Lebensmittel zu überhöhten Preisen und auch schon mal den Käse in der Verpackung von 150 Gramm. In der gleichen Verpackung waren vor nicht langer Zeit noch 200 Gramm. Und abends nach der Arbeit muss die Verkäuferin halt ebenfalls teurer einkaufen, obwohl sie keinen Cent mehr verdient …

Streikbrecherei und Angriff auf das Streikrecht

Auch deshalb tobt der Arbeitskampf. Die Arbeitnehmerseite will endlich eine Verbesserung für Löhne und Rahmenbedingungen erreichen. Die Arbeitgeberseite blockt und tut noch mehr. Eine Gewerkschafterin aus NRW sagte unlängst über das Gebaren der Arbeitgeberseite:

„Es ist ein Skandal, wie die Arbeitgeber mit ihren Beschäftigten umgehen. Es wird Geld in die Hand genommen, um Beschäftigte vom Streiken abzuhalten oder Zeitprämien an diejenigen verteilt, die sich nicht an Streikmaßnahmen beteiligen. Am Verhandlungstisch werden aber weiterhin nur Reallohnverluste geboten. Dieses Zeitspiel geht zu Lasten der Beschäftigten, die dringend auf Entgelterhöhungen angewiesen sind“, erklärte die ver.di-Verhandlungsführerin Silke Zimmer.

„Die Tarifverträge im Einzelhandel sind seit Ende April gekündigt. Mit jedem Monat, der verstreicht, können sich die Beschäftigten weniger von ihrem Einkommen leisten. Die Lebensmittelpreise steigen kontinuierlich an. Die niedrigen Entgelte treffen überwiegend Frauen in ihrer Existenz. Die Angst vor Altersarmut ist dabei nicht nur ein Gefühl, sondern eine skandalöse Realität. Dieses Angebot liegt Welten von den Erwartungen der Beschäftigten entfernt. Damit kommen unsere Arbeitskämpfe in eine nächste Phase“, so Silke Zimmer weiter. (Quelle: nrw.verdi.de)

Diese neue Phase schließt ein, dass die Beschäftigten ihre Forderung bekräftigen, dass Tarifverträge eine Allgemeinverbindlichkeit erhalten müssen. Dadurch können sich Beschäftigte (von kleineren Unternehmen) auf die ausgehandelten Vereinbarungen berufen, selbst wenn sie nicht für große Konzerne arbeiten.

Die Forderung der einen Seite und das Angebot der anderen Seite

Die Arbeitnehmerseite, vertreten durch die Gewerkschaft ver.di (hier NRW), fordert 2,50 Euro mehr Gehalt und Lohn pro Stunde. Die Ausbildungsvergütungen für Lehrlinge sollen um 250 Euro angehoben werden. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll zwölf Monate betragen. Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft ein Mindeststunden-Entgelt von 13,50 Euro. Man beachte, dass die Forderungen lediglich eine Art Inflationsausgleich sind, existenzsichernde Bezahlung bedeuten und keine überhöhte Anmaßung darstellen.

Die Arbeitgeberseite indes bietet nur eine Erhöhung der Entgelte von 150 Euro ab August 2023. Das entspricht einer Erhöhung des Stundenentgelts im Endgehalt von 92 Cent pro Stunde. Das Mindeststundenentgelt soll 13 Euro betragen, so die Arbeitgeberseite.

Für die Monate Mai bis August 2023 wird eine Einmalzahlung von 450 Euro als Inflationsausgleichsprämie angeboten. Teilzeitbeschäftigte erhalten diese Prämie anteilig, Auszubildende 150 Euro.

Fünf Verhandlungsrunden fanden bisher statt – die Arbeitgeberseite macht keine neuen Angebote, ihr aktuelles ist keines, das mehr als einen Inflationsausgleich darstellt. Doch Entgelterhöhungen sind dringend notwendig, um die gestiegenen Kosten für Lebensmittel, Strom, Gas, Benzin und, und, und bezahlen zu können. Die Beschäftigten erleben, dass der Lohn nicht mehr reicht. In vielen Filialen ist bei den Beschäftigten, auch ohne das Wort Geld in den Mund zu nehmen, die Belastungsgrenze erreicht, sei es bei den Öffnungszeiten, bei der Betreuung der Vielzahl von Angeboten in den Läden, bei der Ausreizung ihrer Kraft beim Personalschlüssel – optimiert wird, bis es quietscht. Mitunter meistern schon mal zwei Verkäuferinnen (Teilzeit) eine Schicht in einer Filiale inklusive Regale, Kasse, Leergut und Backwarenstand. Innere Kündigungen gibt es bei Beschäftigten zahlreich – und Kündigungen auch. Bei all diesem Maximieren und angesichts aufkommenden Personalmangels braucht man neue Leute, die Reklame für eine Karriere im Handel klingt verlockend, faire Bedingungen und Wertschätzung versprechend. Beispiel: karriere.penny.de Doch: Neue Bewerbungen flattern nicht inflationär ins Haus der Arbeitgeberseite, weil sich das Malochen und die schlechte Stimmung der Belegschaft ebenso herumsprechen wie die penetrant beworbenen Billig- und Mogelangebote der Supermärkte.

Zum Arbeitskampf gehört auch Zusammenhalt

Die Arbeitnehmerseite wird jetzt und künftig erfolgreich(er) sein, wenn es gelingt, die Verhandlungssituation am Tisch gegenüber den Arbeitgebern zu verbessern. Dazu gehört der Grad der Organisation und Einigkeit der Beschäftigten. Spaltung, Zersetzung, Arbeitnehmerrechte ignorieren, verweigern – das sind Mittel der Arbeitgeberseite. Die Wut über das Hinhalten derer ist groß, hier ein Fundstück aus den sozialen Internet-Medien:

An alle Arbeitnehmer, die nicht in der Gewerkschaft sind und sich heute noch ducken.
Zu welchem Arbeitnehmer gehörst Du?
Ein Jahr keine Lohnerhöhung,
zwei Jahre keine Lohnerhöhung,
drei Jahre keine Lohnerhöhungen,
vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun oder zehn Jahre keine Lohnerhöhungen?
Aber im elften Jahr seht Ihr ein Licht am Horizont.
Euer Arbeitgeber muss Euren Lohn anpassen.
Und Ihr braucht dafür auch nichts tun.
Dies wird er mit einem Murren regelmäßig machen. Denn Ihr bekommt den Mindestlohn.
Findet Ihr das gut?
Soll es so weiter gehen?
Ich sage „Nein“!
Fehlt Euch der Mut?
Ich stelle Euch zwei Säcke zu Verfügung.
In den ersten Sack könnt Ihr all Eure Ängste ‘reinpacken.
In den zweiten Sack könnt Ihr Euch so viel Mut und Selbstbewusstsein ´rausnehmen, wie Ihr wollt.
Welchen Weg Ihr geht, liegt ganz an Euch.
Schaue nicht zurück und frage Dich warum?
Schaue nach vorn und frag Dich, warum nicht?

Titelbild: Jacob Lund/shutterstock.com