Lügen, Leoparden und notwendige Gemetzel

Lügen, Leoparden und notwendige Gemetzel

Lügen, Leoparden und notwendige Gemetzel

Ein Artikel von Rupert Koppold

Splitter aus dem Krieg: Die deutsche Politik und die deutschen Leitmedien haben sich so eindeutig auf die Seite der NATO und Selenskis Ukraine gestellt, dass sie zu Propaganda-Institutionen geworden sind. Hier eine kleine Nach- und Auslese zu Panzern, PR-Agenturen und einer Osteuropa-„Wissenschaft“, die schon wieder gegen die Russen in den Kampf zieht. Von Rupert Koppold.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Was russische Sprecher gesagt haben, war fast durchgängig nicht wahr, während die Aussagen der ukrainischen Sprecher weitgehend zuverlässig sind.“

(Der Historiker und Ukraine-Propagandist Timothy Snyder, zitiert am 12.6.2023 in Telepolis)

„Die einzige Wahrheit, die aus Russland kommt, ist die Lüge.“

(Robert Habeck zum Anschlag auf die Nordstream-Pipelines, zitiert am 30.9.2022 vom Spiegel. Russland hatte erklärt, mit den Anschlägen nichts zu tun zu haben, für Habeck und die deutschen Leitmedien war der Schuldige jedoch sofort klar.)

„Saboteure der Nord-Stream-Pipeline sollen in die Ukraine geflohen sein“, so die Überschrift eines „Zeit online“-Artikels vom 25.8.2023. In der Unterzeile heißt es: „Die Nord-Stream-Saboteure waren laut einem Bericht vor und nach dem Anschlag in der Ukraine. Ukrainische Kräfte planten demnach zudem, eine weitere Pipeline anzugreifen.“ Inzwischen sprechen selbst unsere Leitmedien kaum mehr von russischer Schuld. Als Täter aber wollen sie lieber die Ukraine sehen denn die USA, die nach einer detaillierten Reportage von Seymour Hersh für die Sprengungen verantwortlich waren.

Im November 2022 schlägt eine Rakete auf polnischem Gebiet ein und tötet zwei Menschen. Der polnische Innenminister Mariusz Kamiński:

„Für jeden von uns war der erste und offensichtlichste Gedanke, dass wir von Russland angegriffen wurden.“

Es drohte also der NATO-Bündnisfall, es drohte der 3. Weltkrieg. Dann jedoch ist klar, dass – versehentlich oder absichtlich? – eine ukrainische Rakete eingeschlagen hat. Die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza schreibt, die polnischen Behörden hätten das früh gewusst, die Informationen aber zurückgehalten, weil die USA sich noch nicht erklärt hatten. In der FAZ vom 19.11.2022 kommentiert Thomas Gutschker:

„Stresstest mit Raketen: Kiew will die Nato in den Krieg ziehen“.

Selbst nachdem die Fakten klar sind, bleibt der ukrainische Präsident Selenski bei seiner Behauptung, es habe sich um eine russische Rakete gehandelt.

Schweineblutmorde und andere Erfindungen

Von den Toten auferstanden: Im Mai 2018, also zwischen Maidan-Putsch und russischer Invasion, ist der ukrainische Geheimdienst stolz auf einen Coup. Er hat in Kiew die Ermordung des kremlkritischen Journalisten Arkadi Babtscheno inszeniert (mit Schweineblut) und die Tat den Russen untergeschoben. Einen Tag später tritt das „Opfer“ springlebendig und grinsend vor die Presse. Man habe das machen müssen, so der Geheimdienst, um einen echten russischen Anschlag zu verhindern. Manche Journalisten sind trotzdem pikiert, die BBC etwa meldet: „Die ukrainischen Behörden werden scharf kritisiert“, die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ stellt fest, es handle sich da wohl um einen „Informationskrieg“.

Vergewaltigung als Waffe: Am 4.5.2022 meldet die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ludmila Denisova, Putin persönlich habe den russischen Besatzern befohlen, „ukrainische Kinder und Frauen“ zu vergewaltigen. Der Spiegel übernimmt das sofort und weitet es noch aus: „Russische Soldaten sollen auch Männer und Jungen vergewaltigt haben.“ Die Frankfurter Rundschau zitiert am 6. Juni 2022 den britischen Independent, der sich wiederum auf eine ukrainische Website beruft: „Russische Soldaten vergewaltigten diese Frauen nachts. Tagsüber. Vor den Augen ihrer Kinder. Nachdem die Russen die Ehemänner der Frauen ermordet hatten.“ Denisova aber hat es mit ihren Horrorgeschichten zu weit getrieben, als einige NGOs Details wissen wollen, kann sie keine liefern. Das ist so peinlich für die Ukraine, dass Denisova tatsächlich gefeuert wird. Sogar die sonst verlässlich ukrainetreue Publikation t-online titelt am 28. Juni 2022:

„Die erfundenen Vergewaltigungen“

Pikantes Detail: Denisowa hatte „diese Berichte offenbar von der Verantwortlichen für eine neu eingerichtete Hotline für Missbrauchsopfer. Und das war Denisowas Tochter…“ Mutter Denisowa erklärt später, „sie habe versucht, die Welt davon zu überzeugen, Waffen bereitzustellen und Druck auf Russland auszuüben.“

Amerikanische PR-Profis machen Geschichte(n)

Der Fall Denisowa erinnert an die Brutkastenlüge, die letztlich Auslöser des ersten US-Irak-Krieges im Jahr 1990 war. Irakische Soldaten hätten bei der Invasion Kuwaits Frühgeborene aus ihren Brutkästen gerissen, auf den Boden geworfen und sterben lassen, erklärt eine Frau namens Naijirah als angebliche Augenzeugin im US-Kongress. Später stellt sich heraus, dass sie die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA ist und niemals in der genannten Klinik gearbeitet hat. Ausgedacht hat sich die Brutkastenlüge (nebst anderen Lügengeschichten) die PR-Agentur Hill & Knowlton.

PR-Profis treiben ihr Propaganda-Geschäft auch im Ukraine-Krieg. Jörg Becker schreibt am 31.7.2023 in der Frankfurter Rundschau: „Nach einer Meldung aus der Fara-Abteilung (Foreign Agents Registration Act) des US-Justizministeriums, bei dem seit 1938 jede US-amerikanische PR-Agentur, die für eine fremde Regierung arbeitet, eine Genehmigung einholen muss, hatten im März 2023 allein aus den USA 25 Agenturen einen Vertrag mit ukrainischen Regierungsstellen.“ Becker fährt fort:

„Zwar arbeiten viele dieser Agenturen kostenlos für die Ukraine, haben aber gleichzeitig gut bezahlte Verträge mit US-Rüstungsfirmen, für die sie sich in der Öffentlichkeit einsetzen, damit die US-Regierung mehr Waffen an das ukrainische Militär liefert. Es geht also um ein Dreiecksgeschäft: Gegenüber der Ukraine geht es um idealistische Solidarität, gegenüber den Rüstungsfirmen geht es um knallharten Profit.“

Europäische Helden auf der Jagd

„Die Ukraine verkörpert all das, wofür die Europäische Idee steht: den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen, den Kampf für Werte und Freiheit, das Ringen für Frieden und Einheit.“

So spricht Ursula von der Leyen am 14.5.2023 anlässlich der Verleihung des Karlspreises an den ukrainischen Präsidenten Selenski. Schon bei ihrer State-of-the-Union-Rede am 14.9.2022 in Straßburg hatte sie Selenskis Ukraine gepriesen:

„Eine Nation von Helden wurde geboren. Wir verneigen uns vor einem Land europäischer Helden.“

Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, so die Berliner Zeitung am 19.5.2023, „hat zugegeben, dass Kiew hinter den Morden an prominenten russischen Propagandisten steckt. ,Wir haben bereits eine ganze Reihe von Menschen erfolgreich ins Visier genommen‘, sagte Generalmajor Kyrylo Budanow in einem Interview, wie die britische Tageszeitung The Times berichtet. Dank der Berichterstattung in den Medien gab es Fälle, von denen jeder wusste.‘“ Budanow will weiter morden: „Abschaum wird irgendwann in jedem Land der Welt bestraft. Nur die Eliminierung kann eine wohlverdiente Strafe für solche Taten sein.“ Die Ukraine hatte vorher immer dementiert und als Täter die Russen vorgeschlagen.

„Wir spüren sie auf und erschießen sie wie Schweine“, so titelt die Daily Mail online am 5.10.2022. Es geht um die ukrainische Rückeroberung besetzten Gebietes. In der Unterzeile heißt es: „Wie die Ukrainer brutale Rache nehmen an den Kollaborateuren, die ihre Nachbarn – und ihr Land – an die Russen verrieten.“ Das Schweine-Zitat stammt von Anton Geraschenko, er ist Berater des ukrainischen Innenministeriums, war Abgeordneter im Parlament und bei der Gründung des faschistischen Asow-Regiments beteiligt. Die Daily Mail distanziert sich übrigens nicht von ukrainischen Racheaktionen, sie berichtet eher zustimmend, ja, fast mit einer Art von Bewunderung.

Geldscheffeln, aber mit ökologisch korrekten Mordwerkzeugen

In Ruben Östlands grandioser Filmsatire „Triangle of sadness“ diskutiert der US-amerikanische Kapitän einer Luxusjacht – ein Marxist! – mit einem osteuropäischen Düngemittel-Oligarchen und sagt: „Meine Regierung hat Martin Luther King, Malcolm X, Bobby Kennedy und John F. Kennedy ermordet. Meine Regierung hat gute, ehrliche, demokratische Regierungschefs in Chile, Venezuela, Argentinien, Peru, El Salvador, Nicaragua, Panama und Bolivien gestürzt. Zusammen mit den Briten haben wir den Nahen Osten zerlegt und dabei künstliche geografische Grenzen gezogen und Marionetten-Diktatoren installiert.“ Der Kapitän fährt fort: „Der Krieg selbst wurde zu unserer lukrativsten Industrie. Bei jeder abgeworfenen Bombe verdient jemand eine Million Dollar.“

Dieser Jemand ist manchmal mit Namen auszumachen. Die Berliner Zeitung schreibt zum Beispiel über die neue Hochstimmung bei einem deutschen Rüstungskonzern:

„,Mit der Zeitenwende und dem Krieg in Europa hat auch für Rheinmetall eine neue Ära begonnen, Allzeithoch beim Ergebnis, Rekord beim Auftragsbestand‘, so Vorstandschef Armin Papperger im Geschäftsbericht 2022.“

Die Selbstbeschreibung des Konzerns lautet übrigens so:

„Rheinmetall ist ein integrierter Technologiekonzern für umweltschonende Mobilität…Bis 2035 wollen wir CO₂-neutral sein.“

Schon heute freuen sich Um- und Tierwelt: „Unter dem Schutz des Sperrgebiets – auf dem Schießplatz herrschen strengste Sicherheitsmaßnahmen – siedeln immer neue Arten an. Der Donner der Kanonen schreckt die Tierwelt nicht…“

Nochmal ein Zitat des jovialen Rheinmetall-Managers Armin Papperger, diesmal aus einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 23. September 2022. Die will von ihm wissen, was er von den Demonstrationen gegen seinen Konzern hält. Papperger antwortet sehr demokratisch: „Ich kenne das gar nicht anders als bis Demos bis fast vor die Tür. Ich bin froh darüber, dass wir in einem Land mit Meinungsfreiheit leben. Wenn einer demonstrieren möchte, dann soll er demonstrieren. Ich habe vollstes Verständnis dafür – ich habe nur kein Verständnis, wenn diese Menschen zerstörerisch werden“.

Denn das fachgerechte Zerstören, das muss man schon den Profis von Rheinmetall überlassen.

Masters of War oder Die Drohnen des Herrn Ischinger

Wolfgang Ischinger, Ex-Diplomat und graue Eminenz der deutschen Außenpolitik, der sich als langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz so staatsmännisch neutral gab, war und ist Repräsentant der Beratungsfirma Agora und hat Aktien der Waffenschmiede Hensoldt, für die er auch im Aufsichtsrat sitzt. Laut dem Journal Politico vom 16.2.2022 und dem Spiegel vom 19.2.2022 bot der Waffenhändler und Rüstungslobbyist Ischinger bei der Tagung stille Räume für Deals mit Saudi-Arabien, Ägypten oder Katar an. Er selber hat öffentlich als Militärexperte etwa für die Ausstattung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen plädiert. Hensoldt stellt solche Drohnen her.

Nochmal zurück zum Film „Triangle of Sadness“, in dem ein älteres britisches Ehepaar – so wohlerzogen, so gutbürgerlich! – von einem Mitreisenden gefragt wird, wie es sein Geld verdiene. Der Mann, der Winston heißt, sagt: „Nun, unsere Produkte werden dazu benutzt, die Demokratie auf der ganzen Welt aufrechtzuerhalten“. Dann spezifiziert er: „Unser bestverkauftes Produkt ist die Handgranate.“ Als die Jacht von Piraten überfallen wird, landet auf dem Deck eine Handgranate. Clementine, die Waffenhändlerfrau, hebt sie auf und spricht freudig erstaunt ihre letzten Worte: „Schau mal Winston, ist das nicht eine von uns?“

So passgerecht geht es auf der Welt nicht immer zu, einiges bleibt Wunschdenken. Wie zum Beispiel in Bob Dylans sechzig Jahre altem Song „Masters of War“. Dylan beginnt mit der Berufsbeschreibung eines Rüstungsprofiteurs („You that build the big guns/You that build the death planes/You that build all the bombs“) und erklärt dann, dass so ein Meister des Krieges sich zwar hinter seinem Schreibtisch verstecken könne, er ihn aber durchschaut habe: „You that never done nothin’/But build to destroy/You play with my world/Like it’s your little toy“. All das eingesackte Geld könne ihnen aber nicht ihre Seele zurückkaufen, singt Dylan. In der letzten Strophe äußert er eine Hoffnung, von der wir uns natürlich distanzieren, die aber in „Triangle of Sadness“ in Erfüllung geht: „And I hope that you die/And your death will come soon…“

Streichelzoo mit Leoparden

Die Bundeswehr führt die Tradition der Wehrmacht fort. Zur Nazizeit schossen Panther, Tiger und Löwen aus allen Rohren, heute ist es der Leopard – und es geht auch wieder gegen die Russen. Wie das vor allem unsere grünen Politikerinnen freut! „The #Leopard’s freed!”, twittert am 24.1.2023 euphorisch Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Auch die Außenministerin Annalena Baerbock wird anlässlich der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst laut Focus vom 5.2.2023 ganz übermütig: „Ich habe lange überlegt, was meine Verkleidung angeht“, sagte Baerbock. Die Verkleidung als Leopard schied aus – sie habe Sorge gehabt, dass das Kanzleramt keine Reisegenehmigung erteile, sagte die Außenministerin mit ironischem Ton. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug und die Narrenkappe.“ Baerbocks Parteikollegin, die Bundestagsabgeordnete Sara Nanni aber – sie hat Friedens- und Konfliktforschung studiert (sic) – , die traut sich! Sie twittert nicht nur „Free the leopards! Just do it!“, sondern führt im Parlament auch ein Leoparden-Sweatshirt vor.

Leopardenmanie auch im diplomatischen Dienst! Anka Feldhusen, bis Juli 2023 deutsche Botschafterin in der Ukraine, streichelt am 22.3.2023 auf Twitter einen Plüsch-Leoparden-Panzer und schreibt dazu:

„Am Ende eines langen und arbeitsreichen Tages mit meinem neuen Lieblingsspielzeug, das mir heute von einem wunderbaren Bürgermeister einer Stadt geschenkt wurde, die vor einem Jahr unter russischer Besatzung stand. #StandWithUkraine“.

Die infantile Verspielzeugung unseres deutschen Mordgeräts zeigt sich auch in einem wunderbaren Bild, auf dem der Verteidigungsminister Boris Pistorius seinem ukrainischen Amtskollegen einen Miniatur-Leoparden-Panzer im Plexiglas übergeben hat und beide um die Wette strahlen.

In Afrika freilich wird deutscher Panzer-Humor nicht verstanden. Als das Auswärtige Amt im Januar 2023 twittert, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow nicht nach Afrika gereist sei, um Leoparden zu sehen, sondern um Lügen zu verbreiten, und dies mit einem Leoparden-Emoji garniert, beschwert sich die Afrikanische Union. Das Auswärtige Amt publiziere „entsetzliche Klischees“, sehe Afrika wohl immer noch als Safarikontinent und nehme Land und Leute nicht ernst.

Übrigens: „Es gibt keine deutschen Waffen in der Ukraine“, beteuerte Arne Kollatz, Sprecher der Bundeswehr auf der Bundespressekonferenz am 10. Juli 2023 und erklärte:

„Es gibt ukrainische Waffen mit deutschem Ursprung. Das sehe ich als völlig andere Verhältnisse.“

Das Bellen der NATO vor Russlands Tür

„Die Story des Ukraine-Krieges ist die Story von der Osterweiterung der NATO, das ist es in einem Satz!“, erklärt der renommierte Ökonom Jeffrey Sachs in einem Video-Gespräch mit dem Canadian Foreign Policy Institute. Dieser Krieg hätte vermieden werden können, so Sachs, der die Maidan-Ereignisse als Putsch bezeichnet, aber denen in Washington seien die Toten egal. Und weiter:

„Man stelle sich bloß vor, Mexiko und China schmieden eine militärische Allianz, da würde die US-Regierung auch nicht sagen: Das ist deren Wahl.“

„Das Bellen der NATO an Russlands Tür“ habe die russische Invasion in der Ukraine zumindest mitverursacht, sagt Papst Franziskus im Mai 2022 der Zeitung Corriere della Sera. In der Süddeutschen Zeitung oder in der Stuttgarter Zeitung wird aus diesem Interview zitiert, allerdings nicht der Satz zur NATO-Ostexpansion, sondern – first things first! – dass der Papst Knieprobleme hat.

Henry Kissinger war (und ist wohl noch immer) zu allen Schandtaten bereit, wenn sie den USA Vorteile bringen. Aber er ist auch Realpolitiker, der in einem Gespräch mit der bellizistischen Zeit (25.5.2023) die Interviewer überrascht:

„Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass alle Schuld bei Putin liegt … ich habe schon 2014 in einem Aufsatz ernste Zweifel an dem Vorhaben geäußert, die Ukraine einzuladen, der Nato beizutreten. Damit begann eine Reihe von Ereignissen, die in dem Krieg kulminiert sind.“

Kissinger sagt weiter: „Ich glaube nicht, dass Putin Atomwaffen einsetzen wird, um seine Eroberungen in der Ukraine zu verteidigen. Aber je mehr es um den Kern der russischen Identität geht, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er es tut … Wenn sich die Krise weiter zuspitzt, geraten wir in eine Lage wie vor dem ersten Weltkrieg, dann führt irgendein absurdes Ereignis unaufhaltsam zur Eskalation.“

Auch der im August 2014 gestorbene Journalist Peter Scholl-Latour, Doyen des Auslandsjournalismus und Russland-Kenner, kritisierte bis zuletzt den westlichen Konfrontationskurs („Fehlentscheidung historischen Ausmaßes“), war gegen die NATO-Osterweiterung und konnte über bevorstehende Sanktionen nur den Kopf schütteln. Noch im Frühjahr 2014 sagte er (zitiert nach Der Westen vom 29.4.2022):

„Man spielt Kalter Krieg auf einmal, man redet von Sanktionen, was für Europäer völlig blödsinnig ist. Wir würden mehr unter den Sanktionen leiden als die Russen.“

Die kindische Kriegerin und ihre Prognosen

Die Außenministerin Annalena Baerbock weiß es besser. Sie gibt sich nach den Sanktionen des Westens im Februar 2022 – denen viele andere vorausgingen – siegessicher:

„Das wird Russland ruinieren!“

Am 24.8.2023 aber schreibt der Spiegel, Baerbock zeige sich ernüchtert, weil die russische Wirtschaft jetzt besser dastünde als die deutsche. (IWF-Konjunktur-Prognose 2023: Deutschland ist Schlusslicht mit minus 0,3 Prozent, Russland dagegen wird 1,5 Prozent Wachstum prognostiziert). Baerbock hat jedoch eine Erklärung:

„Eigentlich hätten wirtschaftliche Sanktionen wirtschaftliche Auswirkungen. Das ist aber nicht so. Weil eben die Logiken von Demokratien nicht in Autokratien greifen.“

Der vom Spiegel zitierte Satz stammt aus einem Interview, das Baerbock im Juli 2023 für Stephan Lambys Buch „Ernstfall. Regieren in Zeiten des Kriegs“ gegeben hat. Die kindische Kriegerin Baerbock, die sich in einem finnischen Bunker mal mit einem Himmel-und-Hölle-Hüpfspiel vergnügte, sagt im Lamby-Buch auch: „Wir haben erlebt, dass mit rationalen Entscheidungen, rationalen Maßnahmen, die man zwischen zivilisierten Regierungen trifft, dieser Krieg nicht zu beenden ist.“ Muss man also zu unzivilisierten und irrationalen Maßnahmen greifen? Aber: Hat man dies nicht längst getan?

Doch Baerbock und Co. können noch so dumm daherschwatzen, sie finden stets ihnen wohlgewogene Medien. Renate Dillmann resümiert am 5.6.2023:

„Mit ihrer parteilichen und moralisierenden Berichterstattung tun Journalist*innen alles dafür, eine loyale Heimatfront herzustellen. Faktizität, Rationalität, Kontroversität und Logik werden von den Medienschaffenden in Kriegszeiten geopfert für die ‚gute Sache‘“.

Helmut Scheben schreibt in seinem Artikel „Der Krieg und die Leitmedien“ (in Emma vom 31.7.2023):

„Und wenn ein Damm bricht, der russische Verteidigungsstellungen und ein von Russland besetztes Gebiet weitgehend überschwemmt, dann finden alle deutschen Talkshows … unverzüglich Experten, die wissen, dass es die Russen waren, die den Damm zerstört haben. Wie es auch die Russen sind, die sich selbst in dem Atomkraftwerk beschießen, welches sie besetzt halten. ‚This the times‘ plague, when madmen lead the blind’, heißt es bei Shakespeare im King Lear.“

Frau Davies schickt Herrn Habermas ins Bett

Einer der größten Bellizisten sitzt im Auslandsressort der taz. Er heißt Dominic Johnson, er weiß nach der Staudammsprengung sofort, dass es die Russen waren, und er befiehlt:

„Die Antwort darauf kann nur lauten: Jetzt erst recht. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und das Putin-Regime muss verschwinden. Es gibt keinen Weg zurück.“

„Forschungslücke – Deutschland versteht zu wenig vom Krieg“, so betitelt Spiegel online am 1.5.2023 einen Artikel, der die zu geringe Zahl von Militärexperten bemängelt. Wenn man sich in deutschen Medien umschaut, sind es allerdings eine ganze Menge. Zum Beispiel die Hardliner Christian Mölling oder die im TV extrem präsente Claudia Major, die auch zusammen Bücher schreiben. Mölling sagt am 31.1.2023, so zitiert bei ntv, dass es nicht so schnell zu einem Verhandlungsfrieden kommen werde. „In der Konsequenz ist dieses Gemetzel – der Tod vieler tausend Menschen – notwendig”, sagte der Vize-Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik…“ Wenn die Ukraine dann irgendwann gewonnen habe, sehe Deutschland freilich alt aus. Denn:

„In der Ukraine wachse gerade eine ,heroische Gesellschaft‘ heran, die später einen Mythos des Sieges vertreten werde. In Deutschland, das sich im Zweiten Weltkrieg nicht selbst befreit habe, sorge das für eine ,doppelte Beschämung.‘“

Da wären auch noch – natürlich alles Transatlantiker – die Experten Florence Gaub, die Russen nicht für Europäer hält; Nico Lange, der den Aufsatz „Frieden schaffen mit deutschen Waffen“ geschrieben hat; Carlo Masala von der Bundeswehruniversität, der die Verwendung geächteter Streumunition für notwendig hält; Gustav Gressel, der immer und sowieso für Aufrüstung ist. Und nicht zu vergessen die Experten von der deutschen Osteuropaforschung, zum Beispiel Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Uni Tübingen, der laut Stuttgarter Zeitung (16.3.2023) „Klartext gegen Putin“ redet, sein Büro und den Flur mit Ukraine-Fahnen und -Fotos geschmückt hat und stolz darauf ist, jeden Tag aus zehn Anti-Putin-T-Shirts auswählen zu können. Gestwas Kollegin, die in München rumrüpelnde, pardon, forschende Osteuropa-Historikerin Franziska Davies, hat den sich für Verhandlungen aussprechenden Essay von Jürgen Habermas, erschienen am 14.2.2023, einen Tag später auf Twitter so kommentiert:

„Der Problem (sic) ist nicht der dämliche Text von Habermas, das Problem ist die @SZ , die den Schnodder abdruckt.“

Frau Davies twittert Habermas dann noch hinterher:

„Zeit, ins Bett zu gehen.“

Alte Kameraden: die Feindforschung ist wieder obenauf

Ach, diese Osteuropa-Forschung! „Kein ernst zu nehmender Wissenschaftler wollte sich mehr mit dieser abseitigen und rückständigen Regionaldisziplin befassen“, so schreibt Wolfgang Michal am 6.4.2023 im Freitag. Seit dem Ukraine-Krieg aber dominierten deren waffenfordernde Vertreter Talkshows, Think Tanks, Netzwerke und Podiumsdiskussionen. „Ob sie nun Franziska Davies heißen oder Karl Schlögel, Anna Veronika Wendland oder Andreas Umland, Gwendolyn Sasse oder Jan Claas Behrends, Klaus Gestwa oder Julia Herzberg, sie werden gern gebucht, denn sie gebärden sich nicht wie langweilige Bedenkenträger, sondern führen oft das große Wort, teilen aus, fahren aus der Haut und kämpfen nicht selten mit Kraftausdrücken und beleidigenden Vorwürfen für ihre ,gute Sache‘“, schreibt Michal und vollzieht die Historie der stets gegen Russland gerichteten Disziplin nach, die sich im Kaiserreich etablierte und im Dritten Reich, etwa durch Reinhard Gehlens Nazi-Geheimdienst „Fremde Heere Ost“, zur Hochform auflief. Auch im Kalten Krieg waren die „nur oberflächlich entnazifizierten“ und sofort wieder netzwerkenden Kameraden mit ihren Verbindungen, etwa zu Stepan Banderas faschistischer OUN, sofort wieder tätig. „Akademische Frontkämpfer“, so Michal, von denen „einer den anderen“ nachzog. Und jetzt ist diese „Feindwissenschaft, die sich als Osteuropa-Expertise tarnte“, schon wieder obenauf.

Was in den meisten Martin-Walser-Nachrufen gefehlt hat: Der am 26. Juli 2023 im Alter von 96 Jahren gestorbene Autor war gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und einer der Erstunterzeichner eines Offenen Briefes vom 29.4.2022 an Bundeskanzler Scholz. Hier sei noch angefügt Walsers Kurzgedicht „Das Endspielspiel“ aus dem Jahr 1974, das sich sehr aktuell anhört: „Spielraum: Wenn du nachsagst, was dir vorgesagt wird,/darfst du sagen, was du willst. Ergreifend ist/das Erlebnis der Meinungsfreiheit. Jeder Versprecher/weckt die Verbote.“

Kleiner Nachtrag: Die christliche Ukraine hat uns eine neue Heilige beschert! Sie heißt Saint Javelin (bitte googeln!) und sieht aus wie eine Madonna, die jedoch statt des Jesuskindes einen Raketenwerfer trägt.

Titelbild: Shutterstock / Oleksii Synelnykov