Deutschlands Waffen für einen Staat systematischer Menschenrechtsverbrechen – Erfahrungen der Menschenrechtsbeobachterin Brigitte Hahn-Michaeli

Deutschlands Waffen für einen Staat systematischer Menschenrechtsverbrechen – Erfahrungen der Menschenrechtsbeobachterin Brigitte Hahn-Michaeli

Deutschlands Waffen für einen Staat systematischer Menschenrechtsverbrechen – Erfahrungen der Menschenrechtsbeobachterin Brigitte Hahn-Michaeli

Bernhard Trautvetter
Ein Artikel von Bernhard Trautvetter

Die Bundesregierung hob Mitte November 2025 ihren Beschluss zur Einschränkung von Waffenexporten an Israel auf und begründete das mit der von ihr beobachteten Waffenruhe in Nahost, die sich „stabilisiert“ habe. Auch Kriegswaffen, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten, können wieder in den Verkauf an die israelische Regierung. Die Bundesregierung verwies auf eine Einigung, die die USA, Qatar und Ägypten vermittelt hatten. Sie blendete dabei die Tatsache aus, dass Israel nach wie vor gegen internationales Recht wie die UNO-Charta wegen kriegerischer Handlungen im Libanon, im Irak, gegen den Iran und in Syrien verstößt. Das hat eine lange Tradition. Dies offenbart den Zynismus der antifaschistisch hergeleiteten Menschenrechtsrhetorik der Solidarität mit den von den Nazis verfolgten Menschen. Es offenbart auch die Unglaubwürdigkeit der Selbstbeschreibung der Bundesregierung, sie sei Verteidigerin des Rechts. Von Bernhard Trautvetter.

Diese Kritik gilt mitnichten nur der Bundesregierung, auch große Teile etwa der Bündnisgrünen zeigen sich auf einem Auge in der Palästina-Frage blind. Dazu schrieb die Berliner Zeitung nach dem Bundesparteitag der Grünen in Hannover:

In dem verabschiedeten Text wird betont, dass die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson nicht dazu führen dürfe, Unterstützung für die israelische Regierung über das Völkerrecht und den Schutz der Menschenrechte zu stellen.

Delegierte einigten sich auf Anerkennung Palästinas

Eine sofortige Anerkennung Palästinas als Staat wurde nach längerer Debatte nicht beschlossen. Ein entsprechender Antrag wurde nicht zur Abstimmung gestellt. Stattdessen einigten sich die Delegierten darauf, dass eine Anerkennung durch Deutschland ein ‚prioritärer Schritt‘ im Rahmen eines laufenden Friedensprozesses sein solle.“

Die Frage der Anerkennung Israels bindet sich nach Völkerrecht an die Palästinas: Die israelische Regierung bricht seit mehr als einem halben Jahrhundert die UNO-Weltsicherheitsrats-Resolution 242 von 1967, die den völkerrechtlichen Status des Westjordanlandes nach der Eroberung dieses palästinensischen Gebietes durch Israel im Sechs-Tage-Krieg regelt. Die UNO betont in dieser Resolution die „Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg und die Notwendigkeit, auf einen gerechten und dauerhaften Frieden hinzuwirken, in dem jeder Staat der Region in Sicherheit leben kann, sowie unter Betonung dessen, dass alle Mitgliedstaaten mit der Annahme der Charta der Vereinten Nationen die Verpflichtung eingegangen sind, in Übereinstimmung mit Artikel 2 der UN-Charta zu handeln (…)“ Die Verwirklichung der Grundsätze der Charta erfordert „die Schaffung eines gerechten und dauerhaften Friedens (…) die Anwendung der beiden folgenden Grundsätze (…): 1) Rückzug der israelischen Streitkräfte aus den Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden; 2) die (…) Achtung und Anerkennung der Souveränität, territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region (…).“

Diese Pflichten verletzen die Regierungen Israels seit über einem halben Jahrhundert mit massiven Auswirkungen für die palästinensische arabischstämmige Bevölkerung, die als Bewohner dieser Region auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurückblickt und die, obwohl Staatsbürger in Israel, Bürger zweiter Klasse sind.

Israel kontrolliert das Gebiet, das bis zum Krieg 1967 zu Jordanien gehört hatte, faktisch als Besatzungsmacht. Es hat das Westjordanland in drei Zonen aufgeteilt:

In der A-Zone leben Bewohner größerer Städte wie Ramallah und haben die vergleichsweise umfassendsten Rechte.

In der B-Zone existiert eine gewisse palästinensische Verwaltungsebene neben der Macht der israelischen Armee.

Die C-Zone steht komplett unter israelischer Kontrolle.

Die „Aufteilung in diese drei Zonen war in den Verhandlungen über den Osloer Friedensvertrag als Zwischenlösung vereinbart worden, die fünf Jahre Gültigkeit behalten sollte.“ Inzwischen sind daraus über 30 Jahre geworden, ein Ende ist nicht in Sicht.

Die Verhandlungen zwischen der ‚Palästinensischen Befreiungsorganisation‘ PLO und der Regierung Israels erbrachten am 13.September 1993 eine Vereinbarung auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung; dieser Prozess riss, als ein rechter Israeli den damaligen israelischen Regierungschef Jitzhak Rabin erschoss. Die daraufhin notwendig gewordenen Wahlen führten zu einem Machtwechsel zugunsten von Benjamin Netanjahu, der für das Lager stand, in dem die Kritik an Rabin geschürt worden war.

Seither eskaliert die unerträgliche Lage für die palästinensische Bevölkerung der Region, zu der Brigitte Hahn-Michaeli ausführte:

Die Menschen in den C-Zonen, die oft als Hirten an das Land gebunden sind, haben keinen Zugang zu fließendem Wasser, sie müssen sich Wasser in Tankwagen aus Regionen besorgen, zu denen sie oft nur über israelische Checkpoints Zugang haben, an denen sie oft stundenlang aufgehalten werden. Das hygienisch weniger reine Wasser ist achtmal teurer als das für Siedler.

Das Militär führt in der unmittelbaren Nähe zu den Zeltbehausungen, in denen die Hirten leben, Schießübungen durch, und Siedler trennen das Land durch Zäune mit Stacheldraht, Wo Siedler unüberwindbar hohe und breite Zaunanlagen errichten, zergliedern sie das Land immer weiter, und sie untergraben so gezielt jede Perspektive auch für eine Zweistaatenlösung. Palästinenser, die einen Zaun überwinden wollen, gefährden ihr Leben.

Es gibt im Gebiet hunderte Checkpoints, die es auch Kindern erschweren, zuverlässig zu ihren Schulen zu kommen. Im Unterricht bekommen sie Aufgaben, die nichts mit ihrem Leben zu tun haben, wie etwa die Aufgabe im Fach Englisch, sie sollten sich zum Thema Reisen eine Meinung zu Plänen bilden, wie es wäre, wenn sie eine Kreuzfahrt, eine Städtetour oder eine Reise nach Tunesien erleben würden. Eine Frau, mit der Brigitte Hahn-Michaelis sprach, berichtete, sie war drei Mal in ihrem Leben in einem Gebiet außerhalb des Westjordanlandes, und zwar jeweils, um ihren Sohn in einem israelischen Gefängnis zu besuchen. Dieser war monatelang inhaftiert, ohne je eine Gerichtsverhandlung erlebt zu haben. Die Hirten haben weder einen israelischen noch einen anderen Pass, sie sind da, wo sie sich befinden, fest gebunden.

Verhaftungen durch Polizisten können ohne Belege von Rechtsanwälten oder Gerichten als Verwaltungshaft erfolgen. Diese kann bis zu sechs Stunden dauern. Daran kann sich mit ähnlicher juristisch unabgesicherter Willkür Sicherungsverwahrung anschließen, die sechs bis zwölf Monate dauern kann. Die Polizei kann sogar ganz konkret auch Kühe von Hirten in gefängnisähnliche Anlagen „inhaftieren“. Wenn Hirten den Erfolg haben, sie mit Rechtsanwaltshilfe freizubekommen, dann fehlt es ihnen in der Regel an Geld für den Rücktransport.

Wenn Kinder in Rollenspielen ‚Hände hoch!‘ hören, kann es sein, dass sie sich auf den Boden werfen, weil das ein Vorgang ist, den sie aus ihrem Alltag in der Begegnung mit Polizisten und dem Militär kennen. Siedlerterror kann auch dazu führen, dass Palästinenser Pfefferspray in die Augen bekommen, dass Zucker in den Tank von Traktoren gestreut wird, dass ganze Behausungen ersatzlos zerstört werden – und das alles mit der Begründung, es handele sich schließlich um biblisches Land, in dem ausschließlich Juden das Recht zu leben haben. Es kann sein, dass junge israelische Straftäter, statt eine Haftstrafe abzusitzen, im Westjordanland offiziell „rehabilitiert“ werden, sodass auch schon Teenager mit Maschinenpistolen zu beobachten sind. Demütigung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung erfolgt ohne Widerspruch oder Kontrolle.

Eines Tages erhielt ein Hirte den Befehl, er solle seine Behausung aufgeben, was er nicht tat, da dies schon das Land seiner Vorfahren war. So kam die Polizei am Folgetag und zerstörte seine Zelte. Die Menschenrechtsbeobachter haben in ihrer ‚Protective Presence‘ zu helfen versucht und spannten eine Plane gegen die brennende Sonne als Schutz für die Wohnungslosen auf. Das galt als ‚illegaler Akt‘, was zur Zerstörung des Sonnenschutzes führte.

Die Lebensplanung und Perspektive selbst für ausgebildete arabischstämmige Bewohner des Westjordanlands ist voller Hürden. Selbst ausgebildete Ärzte oder auch Ingenieure finden zurzeit keine Anstellung. Die wirtschaftliche Situation dort ist seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 katastrophal.

Das Unrecht ist mitnichten auf das Westjordanland beschränkt, und es ist nicht exklusiv in der Verantwortung der israelischen Regierung. So hat sich kürzlich die Regierung Deutschlands geweigert, Verletzte, darunter Kinder und Jugendliche, aus dem Gazastreifen zur Heilbehandlung in Deutschland aufzunehmen, obwohl schon Städte wie Frankfurt am Main und viele andere bereit waren, die Pflege zu übernehmen. Frieden kann sicher erst dann einkehren, wenn auch die Nachbarn eines jeden Staates in Sicherheit leben können. Die konkrete Hilfe der Menschenrechtsbeobachter ist das Erlebnis der Solidarität und des partiellen Schutzes vor Willkür. Und sie können Geld sammeln, um in besonderen Notsituationen eine gewisse Linderung zu ermöglichen.

Kritiker, die Waffenlieferungen an die israelische Armee ablehnen, werden mit der Unterstellung, sie seien Antisemiten, mundtot gemacht. Dies spielt der Netanjahu-Regierung in die Hände, in der mit Ben Gvir und Smotrich faschistoide Kräfte die Siedler-Gewalt stützen.

Brigitte Hahn-Michaeli (70) ist Deutsche und lebt seit 40 Jahren in Israel. Sie hat 34 Jahre im Hochschuldienst gearbeitet und war Dozentin für Deutsch als Fremdsprache am „Technion – Israel Institute of Technology“ in Haifa. Seit über zehn Jahren ist sie in Gruppen tätig, die palästinensische Shepherd Communities gegen die Vertreibung und Angriffe von Siedlern schützen.

Titelbild: Fly Of Swallow Studio/shutterstock.com

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