Mit einem „digitalen Vermummungsverbot“ will Wolfgang Schäuble (CDU) das Recht auf anonyme Meinungsäußerung im Internet beschneiden. Die Pläne, die auch andere EU-Länder verfolgen, bergen Gefahren für Datenschutz und Redefreiheit. Sie sind scharf abzulehnen. Von Tobias Riegel.
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Die Freiheit, sich im Internet anonym äußern zu können, will Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) einschränken. Das von ihm am Wochenende im „Spiegel“ ins Spiel gebrachte „digitale Vermummungsverbot“ ist scharf abzulehnen: Es widerspricht mutmaßlich aktueller Rechtssprechung, es ist in der Praxis kaum umsetzbar und es birgt zahllose Gefahren für Datenschutz und Redefreiheit. Einmal mehr sollen bei diesem Vorgang mit dem Verweis auf angebliche „Hasssprache“ Bürgerrechte beschnitten werden.
Freie Kommunikation wichtiger als das Verstummen der Pöbler
Schäuble begründet seinen Vorstoß damit, dass die Anonymität im Netz Schutz biete, der oft für Beleidigungen und Bedrohungen von Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens genutzt werde. Für eine “offene Gesellschaft” sei es jedoch “schwer erträglich, wenn sich die Menschen bei Debatten im Internet nicht offen gegenübertreten”. Das hört sich zunächst schlüssig an – aber auch Schäuble weiß mutmaßlich: Wenn die Menschen aus Angst vor Nachteilen im Internet verstummen, führt das eher zu einer geschlossenen als zu einer kommunikativen Gesellschaft. Auch ist in einer Abwägung der Rechtsgüter der Schutz der neuen Internet-Kommunikation höher einzuschätzen als das Verstummen noch des letzten Internet-Pöblers – zumal bereits ausreichend Gesetze gegen Beleidigung etc. existieren.
Schäuble verlangt im „Spiegel“-Gespräch, “dass die Verrohung im Netz nicht achselzuckend hingenommen wird“. Wie genau ein solcher Schritt in Deutschland umgesetzt werden solle, erklärt der CDU-Politiker nicht. Er verweist aber auf aktuelle Pläne für einen Klarnamenzwang in Österreich: Dort sollen zukünftig Teilnehmer in sozialen Netzwerken und Diskussionsforen nur nach Hinterlegung einer Telefonnummer posten dürfen. Diese Verpflichtung hätte – zusätzlich zur (Selbst-)Zensur der Nutzer – für die großen Netzwerke mutmaßlich den Vorteil, dass sie zukünftig große Mengen an zusätzlichen Daten verwalten und kommerziell ausnutzen könnten. Das Verwenden von Pseudonymen wäre nach diesem Modell weiter zulässig.
Die österreichischen Pläne sehen Sanktionen von bis zu einer halben Million Euro vor, wenn die betroffenen Betreiber ihren Pflichten nicht nachkommen, im Wiederholungsfall bis zu einer Million Euro. In Frankreich gibt es ähnliche Überlegungen zu einer Verpflichtung auf Klarnamen.
Die Gesetze sind vorhanden – Aber die Gerichte wurden kaputtgespart
Schäubles Pläne bergen, wie gesagt, zahlreiche Gefahren für Datenschutz und Meinungsfreiheit. Zusätzlich muss bei der Debatte um Internet-Zensur immer wieder zweierlei betont werden: Um gegen „Hasssprache“, Beleidigungen und Volksverhetzungen vorzugehen, braucht es keine neuen Instrumente – die Gesetze zu diesen Tatbeständen sind eindeutig und ausreichend. Es hapert aber an der Durchsetzung – unter anderem darum, weil Regierungen (auch mit Beteiligung Wolfgang Schäubles) die Gerichte und Staatsanwaltschaften kaputtgespart haben.
Die Initiativen gegen angebliche Hasssprache speisen sich darum mutmaßlich aus zwei Motivationen: Zum einen soll die kritische Meinungsäußerung im Internet unter Kontrolle gebracht werden. Zum anderen soll durch den Aktionismus davon abgelenkt werden, dass der Spardruck wirtschaftsliberaler Regierungen die Handlungsfähigkeit der deutschen Gerichte bedroht.
Bundesgerichtshof: Es gibt ein Recht auf anonyme Kommunikation
Andererseits gibt es höchstrichterliche Urteile zum Recht auf Anonymität im Internet, die kaum eindeutiger formuliert sein könnten. So hat der Bundesgerichtshof 2009 in der Sache „VI ZR 196/08“ entschieden:
„Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde (…) die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegengewirkt werden.“
Der „breite Kommunikationsprozess“ muss beschützt werden – auch vor Schäuble
Eingeschränkt wurde dieses Recht laut “anwalt.de” kürzlich etwa für Ärzte-Portale, die Vorteile für zahlende Mitglieder einräumen. Teils beeinflusst auch die neue Datenschutz-Grundverordnung die bestehenden Regelungen. Sehr deutlich wird aber das Prinzip des Schutzes vor der Selbstzensur am Beispiel eines Portals zur „Bewertung“ von Lehrern, wie der Bundesgerichtshof schreibt:
„Die Veröffentlichung der Bewertung sei nicht schon deshalb unzulässig, weil sie anonym abgegeben werde. (…) Aufgrund des hierarchischen Über- und Unterordnungsverhältnisses zwischen Lehrer und Schüler würden letztere bei Veröffentlichung ihres Namens aus Furcht vor negativen Konsequenzen auf eine Kundgabe ihrer Meinung häufig verzichten.“
Das Gericht verweist auch auf die oben im Text betonte Existenz von ausreichenden Gesetzen gegen Schmähungen:
„Solange der Betroffene gegen den Betreiber des Forums bei unzulässigen, weil beleidigenden, unwahren oder schmähenden Äußerungen vorgehen könne, trete das Interesse an der Individualisierung desjenigen, der die Bewertung abgebe, hinter dem Schutz der Freiheit eines breiten Kommunikationsprozesses über die Qualität der Bildungsarbeit zurück.“
Vorläufer der Regelung ist gescheitert
Der Blog „T3N“ beschreibt einen bereits gescheiterten Versuch des Klarnamenzwangs:
„Wie wenig ein Klarnamenzwang bringt, zeigt das (…) Beispiel aus Südkorea, wo 2007 eine solche Verpflichtung verabschiedet wurde. Was folgte, kann man unter kreativem Beleidigen zusammenfassen. Menschen suchten offenbar vermehrt nach nicht jusitziablen Beleidigungen (…) Fünf Jahre später entschied das südkoreanische Verfassungsgericht, dass die Meinungsfreiheit über dem Klarnamenzwang stehe und gab den Klarnamenzwang wieder auf.“
Titelbild: kolbet / Shutterstock