Eine Rose als Zeichen gegen Gewalt

Eine Rose als Zeichen gegen Gewalt

Eine Rose als Zeichen gegen Gewalt

Ein Artikel von Elisabeth Blenz

Ein Kind zu bekommen, ist für viele Frauen ein Lebenstraum. Nicht selten jedoch, und das ist ein andauernder Skandal, wird die Geburt zum Albtraum, denn jede zweite bis dritte Mutter in Deutschland berichtet von unterschiedlichen Gewalterfahrungen während der Geburt, was in der Öffentlichkeit noch immer zu wenig bekannt ist. Der internationale Aktionstag „Roses Revolution Day“ soll dazu beitragen, dies zu ändern. Der nachfolgende Artikel von Elisabeth Blenz ist ein Debattenbeitrag zum Thema „Gewalt unter der Geburt“.

Die Geburtsaktivistin Jesusa Ricoy hatte vor zehn Jahren die Idee einer „Rosen-Revolution“, am 4. November 2013 fand die dritte „Human Rights in Child-Birth Konferenz“ im belgischen Blankenberge statt, wo internationale Frauenrechtlerinnen davon erfuhren und begannen, die Idee in ihren Heimatländern zu verbreiten. Eine „Revolution der Rosen“ wurde ausgerufen. Frauen, die Gewalterfahrungen während der Geburt erlebten, können jeweils am 25. November eine Rose zusammen mit einem persönlichen Erfahrungsbericht (oder auch ohne diesen) vor einen Kreißsaal, eine Klinik, ein Krankenhaus legen. Ein Foto dieser Rose soll im Internet zum Beispiel auf der Website „www.rosesrevolutiondeutschland.de“ oder in sozialen Medien veröffentlicht werden. Ziel ist, den betroffenen Frauen eine Stimme zu geben, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Forderung der Initiatoren lautet: „Nenn‘ es beim Namen – jede Frau ist eine Rose” (Englisch: „name it – each woman is a rose“). Seit Beginn der Aktion hat sich die Zahl der Teilnehmer, die Zahl der Rosen jährlich erhöht. Zunehmend beteiligen sich auch Angehörige und medizinisches Personal an den Aktionen.

Gewalt unter der Geburt?

Leser werden möglicherweise zunächst innehalten, wenn von einer Verbindung von Gewalt und Geburt geschrieben wird. Ist das nicht absurd? Übliche Vorstellungen einer Geburt sind doch im Allgemeinen mit schönen, auch mit spannenden, überwiegend aber mit positiven Bildern und bleibenden Erinnerungen verbunden. Wenn an eine Geburt gedacht wird, dann ist die mit einem Happy End verbunden.

Spektakulär kündigt sich die Geburt an, die Fruchtblase platzt. Sogleich wird ins nächste Krankenhaus geeilt, wo alle Beteiligten sich mit größter Mühe und Fürsorge um das Wohl von Mutter und Kind kümmern – so oder so ähnlich wird das uns genehme Klischee erzählt und gefestigt. Auf dem Rücken liegend und im eigenen Schweiße badend presst die Frau unter Anleitung von Hebamme und Ärzten ihr Kind auf die Welt. Am Ende liegt sie im Bett und hält ihr Neugeborenes glücklich auf dem Arm. Alles ist gut. Alles?

Doch was passierte nicht selten wirklich? Das Einzige, was bei dieser „wundervollen“ Geburt positiv „gewaltvoll“ war, waren die Wehen, die die Frau erlebte, lautet die Vorstellung. Andere Geschichten werden nicht oder versteckt oder verschämt erzählt. Dass Frauen erleben, in dieser heftigen Situation genötigt, übergangen, unter Druck gesetzt, gezwungen, ohne Betäubung operiert oder genäht, festgeschnallt, grob behandelt, gegen ihren Willen und ohne Grund aufgeschnitten und ihrer Würde beraubt zu werden, wurde und wird in den Geschichten, in den Begleitprotokollen oft, zu oft ausgeblendet, weil es womöglich nicht in „unser Bild“ einer Geburt passt und weil damit Gewalt unter der Geburt vertuscht wird. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Folglich scheint es der Öffentlichkeit undenkbar, dass das, was aber doch wirklich und oft (zu oft und systematisch) geschieht, dass gewaltvolles Handeln gegen Frauen unter der Geburt in unserer westlichen Welt geradezu „Alltag“ ist, dass Frauen allzu oft Opfer von, ja deutlich ausgedrückt, Gewalt werden – in Krankenhäusern, im Kreißsaal. Das Schweigen darüber hält das Tabu darüber aufrecht. Die Öffentlichkeit weiß immer noch zu wenig Bescheid, ebenso wie die meisten betroffenen Frauen selbst, die darum letztlich fatalistisch der Überzeugung sind, ihr Erlebtes sei nun einmal Normalität, eine Geburt müsse so ablaufen. Falls etwas schiefläuft, falls eine Frau deutlich spürt, ihr sei Unrecht geschehen, passiert meist dies: Rechtliche Konsequenzen müssen die, die die Gewalt verursacht haben, wenig bis nicht fürchten, weil viele Mütter gewordene Frauen stillhalten, verdrängen, nach vorn blicken, als normal ansehen, was nicht normal ist. Doch nicht alle schweigen. Mehr. Zunehmend. Der jährlich im November begangene Tag der Rosenrevolution ist ein Teil des Aufbegehrens, der Aufklärung, des Protests.

Facetten von Gewalt bei der Geburt

Neben Berichten, die Frauen im Rahmen des „Rose Revolution Day“ veröffentlicht haben, erschien im Jahr 2015 das Buch „Gewalt unter der Geburt – Der alltägliche Skandal“ der Soziologin Christina Mundlos, in dem sie psychische und körperliche Gewalt gegenüber gebärenden Frauen anprangert. 30 Betroffene (Frauen, auch Ehemänner, Fachpersonal) schildern teils mit drastischen Worten ihr Erlebtes.

Medien haben die dramatische, skandalöse Thematik in den vergangenen Jahren zunehmend aufgegriffen. Der Film „Meine Narbe“, die Arte-Dokumentation „Unter Schmerzen gebierst Du Kinder“, die WDR-Story „Wenn die Geburt zum Albtraum wird“, die SWR-Doku „Gewalt im Kreißsaal: Wenn die Geburt zum Albtraum wird“, die 37-Grad-Doku „Traumatische Geburten – Vom Traum zum Albtraum“ sowie die rbb-Doku des Teams „Upward“ „Durch die Geburt traumatisiert: Wird die Gewalt ignoriert?“ sind Dokumente voller Dramatik und erschütternder Realitätsbeschreibung über die der Geburt – anders, als es alle Welt doch „heil und wundervoll“ verkauft bekommt.

O-Töne

Ich fühlte mich entmündigt, ausgeliefert und missbraucht. Ich lag nackt vor vielen Menschen da, die mich behandelten, als wäre ich nur ein Tier auf der Schlachtbank, das es nicht wert war, dass man sich menschlich kümmert.“ Nadine, 25 Jahre

Sie fuhr mit den Fingern in mich rein, und ein stechender Schmerz fuhr mir vom Unterleib bis hoch in den Kopf. Ich schrie und heulte, und sie schrie auch: ‚Hör jetzt auf mit deinem Theater!‘ Sie hat mir den Muttermund mit den Fingern geöffnet, ohne Betäubung…“ Nina, 37 Jahre

Ich bat sie, flehte: ‚Ach bitte, ich möchte so gerne auf den Hocker.‘ Keine Reaktion. ‚Bitte, den Hocker.‘ Kopfschütteln. Sie legte meine Beine in die Schalen und fixierte sie mit Gurten. Ich kam mir ausgeliefert, gefesselt und ohnmächtig vor.“ Stefanie, 34 Jahre

Ich fühle mich, als würde ich bei einer Vergewaltigung zusehen.“ Lena, Hebammen-Schülerin

(Quelle: Beispiele aus Christina Mundlos‘ Buch)

Diese ausgewählten Zitate verdeutlichen, dass Gewalt, die Frauen unter der Geburt angetan wird, erschütternde Facetten emotionaler, verbaler, körperlicher Gewalt hat. Nicht selten verknüpfen sich die Gewaltformen. Nicht aus der Luft gegriffen ist, was Kritiker abwinkend zurückweisen könnten, dass Frauen berichten, dass sie im Kreißsaal angeschrien, beschimpft, beleidigt oder ausgelacht wurden. Sprüche fielen im Kreißsaal gegen die Frauen wie „Nun stellen Sie sich mal nicht so an“ oder „So wie es ´rein kam, muss es auch wieder raus“. Diese Worte verletzen die Gebärende in einer Ausnahmesituation, die doch eine so schöne Sache, die Geburt eines Menschen, tief ist. Besonders dramatisch wirkt, wenn Frauen bei der Geburt unter Druck gesetzt oder gar erpresst werden, bestimmten Behandlungen ohne Aufklärung zuzustimmen. Solche Worte fallen dabei: „Sie wollen doch nicht, dass ihr Kind stirbt?“ Mehr noch, Frauen werden bei der Geburt offen gesagt nicht ernst genommen, es kommt vor, dass ihnen schmerzlindernde Mittel vorenthalten, ihnen ihr eigenes Schmerzempfinden abgesprochen wird. Lapidar wie zynisch klingt diese Schlussfolgerung: Da der „Wehen-Schreiber“ keine Wehen anzeigt, kann die Frau auch keine Wehen haben. Der „Maschine“ wird eher „geglaubt“ als den Aussagen und offensichtlichen Empfindungen der Frauen. Frauen erleben Traumatisches, Entwürdigendes, sie erleben unglaublich Scheinendes, dass ihnen verboten wird zu essen oder zu trinken, sogar, sich zu bewegen. Wünsche und Fragen werden schlicht ignoriert. Nur zum Besten für Mutter und Kind?

Psychische Gewalt unter beziehungsweise während der Geburt erleben die Betroffenen weiter aufgrund ungenügender Kommunikation oder durch Informationsverweigerung seitens des medizinischen Personals. Frauen werden nicht angemessen über den Geburtsverlauf, über verfügbare Optionen, über Gründe für bestimmte Entscheidungen informiert. Frauen werden unter der Geburt nicht nach ihrem Einverständnis gefragt, geschweige denn über die Maßnahmen vor Ort aufgeklärt. Ihnen wird kaum eine bis keine (echte) Wahlfreiheit bei medizinischen Interventionen gelassen. Medizinische Interventionen ohne Einwilligung sind in der Geburtsmedizin geradezu gängige Praxis, als wäre die gebärende Frau in ihrem Zustand nicht zurechnungsfähig, als könne über ihren Kopf hinweg über ihren Körper, ihre Souveränität entschieden werden. Dies geschieht mit der Bemerkung, doch nur das Wohl von Kind und Mutter im Sinn zu haben. Das ist also das Beste für Mutter und Kind?

Weitere Formen von psychischer Gewalt unter der Geburt sind:

  • Nötigung
  • Respekt- und würdeloser Umgang mit den Wünschen und der Intimsphäre der Gebärenden
  • Gebärende unter Geburt allein lassen (außer, wenn sie dies ausdrücklich will)
  • Machtmissbrauch
  • pietätloser Umgang mit der Plazenta, der Nabelschnur oder mit totgeborenen Kindern
  • Sexualisierte Gewalt in Form von Sprache
  • Diskriminieren (Alter/Gewicht/Herkunft/u.a.)
  • Willkür
  • Zwang

Physische Verletzungen der betroffenen Frauen sind möglicherweise die Folge. Übergriffe am Körper der gebärenden Frau erfolgen durch grobes Festhalten, durch das Festschnallen der Beine am gynäkologischen Stuhl, grobe Behandlungen (beispielsweise das unnötige und schmerzhafte Legen eines Katheters oder das Herausreißen der Plazenta), Verhinderung zur freien Wahl der Geburtsposition (z.B. nur in Rückenlage auf dem Gebärbett) sowie unnötige, häufige und schmerzhafte vaginale Untersuchungen von unnötig vielen Personen, die sich häufig weder vorstellen, geschweige denn um Erlaubnis bitten. Allein dieser Akt wird oft wie ein sexueller Übergriff empfunden. (Im schlimmsten Fall werden Frauen unter der Geburt geschlagen oder gekniffen.)

Medikament war nicht in der Geburtsmedizin zugelassen

Grobes Fehlverhalten in der Geburtsmedizin sorgte im Jahr 2020 für öffentliche Aufmerksamkeit, bei einer Geburtseinleitung wurde das Medikament Cytotec benutzt. Der in der Tablette enthaltene Wirkstoff Misoprostol kann in geringen Dosen künstliche Wehen auslösen. Das Medikament war nicht für die Geburtsmedizin zugelassen, es lag keine Nutzungsempfehlung vor. Dennoch wurde es im sogenannten Off-Label-Use verwendet und teils in viel zu hoher Dosierung verabreicht. In einigen Fällen kam es im Zusammenhang mit der Gabe von Cytotec bei den betroffenen Frauen und Kindern zu schweren Nebenwirkungen. Kinder erlitten aufgrund eintretenden Sauerstoffmangels einen Hirnschaden, Mütter bekamen einen Gebärmutterriss. Gerichtsgutachten und Patientenakten belegen, dass es zu Todesfällen von Mutter oder Kind in Zusammenhang mit dem Medikament kam. Frauen wurden nicht über die Risiken und Nebenwirkungen informiert. Der Skandal, die Katastrophe ist nicht unbekannt: der Überwachungsbehörde Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM liegen mehr als 480 Verdachtsmeldungen von medizinischem Personal und von Betroffenen vor.

Ein besonderer Griff

Eine weitere Form schwerer körperlicher Verletzung ist der sogenannte „Kristeller-Handgriff“, welcher vom deutschen Gynäkologen Samuel Kristeller 1867 erstmals beschrieben wurde. Dieser „Griff“ ist eine inzwischen umstrittene Methode, mit der die Geburt beschleunigt werden soll. Geburtshelfer drücken mit Händen kurz vor Geburt des Kindes im Rhythmus der Wehen auf den oberen Bauch der Frau. Im schlimmsten Fall wird dabei mit den Ellenbogen, mit den Knien oder sogar mit dem gesamten Körper auf den Bauch der Frau gedrückt. Die WHO rät von diesem Handeln ab, da dieses zu Verletzungen von Kind und Mutter führen kann und der Schaden den Nutzen übersteigt. Gebärende Frauen empfinden die Prozedur als sehr gewaltsam. Wurde diese unsachgemäß durchgeführt, kann sie zu Rippenbrüchen, einem Riss der Leber oder der Gebärmutter, der zur frühen Ablösung der Plazenta oder zu Schäden beim Neugeborenen (Hirnschäden, Lähmungen) führen. Viele Frauen berichten, sie hätten ein Gefühl des Erstickens erlebt oder bedauern, dass das Kind förmlich aus ihnen herausgepresst wurde.

Der Schnitt

Diese Aufzählungen sind unerlässlich, weitere, gravierende Verletzungen als Folge müssen öffentlich genannt werden. Dazu zählen folgende Übergriffe gegen den weiblichen Körper: mit einem Messer oder einer Schere. Frauen erleiden dabei ohne ihr Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit einen Dammschnitt oder einen Kaiserschnitt. Warum?

Man stelle sich das vor: Früher wurde bei jeder Erstgebärenden ein Dammschnitt durchgeführt. Heute liegt dieser Anteil immer noch bei etwa zehn bis 25 Prozent aller Geburten.[1]

Mit einem „vorsorglichen“ Schnitt des Gewebes zwischen Scheideneingang und Darmausgang soll die Geburt beschleunigt werden, um den Beckenboden zu schützen und schwere Geburtsverletzungen zu verhindern, lautet die Begründung und auch, dass ein glatter Schnitt besser verheilen würde als ein unkontrollierter Dammriss. Verschiedene Studien haben diese Annahmen entweder widerlegt oder konnten die obige Begründung nicht bestätigen. Diese Maßnahme des Schnittes hat schlicht keinen medizinischen Nutzen (z.B. weniger Todesfälle, besserer Gesundheitszustand bei Mutter/Kind). Dennoch, der Schnitt bleibt „beliebt“ – wohlgemerkt bei Ärzten, nicht bei den Frauen – und zählt zu den häufigsten Eingriffen unter der Geburt. Auf Platz eins der häufigsten Operationen bei Frauen steht folglich die Rekonstruktion weiblicher Geschlechtsorgane durch die Geburt (dazu zählen auch natürliche Dammrisse, 382.558 Eingriffe, Stand 2021).[2]

Viele Frauen beschreiben einen Dammschnitt verständlicherweise als gewaltvoll, weil dieser meist ohne Aufklärung oder Zustimmung und eben schmerzvoll und folgenreich durchgeführt wird. Vielfach wird dies erlebt: Selbst wenn eine Frau sich gegen einen Dammschnitt ausspricht, wird dieser Schnitt dennoch vollzogen. Dieser Schnitt wird meistens ohne Betäubung durchgeführt. Ärzte agieren weiter, und das ist als „rücksichtslos“ zu bezeichnen, indem sie die Frau ohne Betäubung wieder „vernähen“. In dem Zusammenhang muss der sogenannte „Husband Stich“ erwähnt werden. Das ist eine Praxis, bei der Frauen „enger als zuvor“ vernäht werden. Diese „Vernähung“ wird mit der Bemerkung kommentiert: „Das wird Ihrem Mann sicher gefallen“. Manch‘ betroffene Frau plagen noch Monate und Jahre später Schmerzen, und sie ist in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt.[3]

Ein Blick in andere Länder. Wird dort der Genitalbereich der Frau in Verbindung mit scharfen Klingen besprochen, ist die Empörung darüber bei uns berechtigterweise groß. Doch auch in Deutschland ist der Einsatz scharfer Klingen alltägliche Routine. Auf Platz zwei der häufigsten Operationen am weiblichen Körper liegen Kaiserschnitte. Ja, ein Kaiserschnitt kann in einer Notsituation Leben retten. Die Anzahl solcher Notfälle ist jedoch gering. Viel zu häufig werden Kaiserschnitte aus anderen Gründen durchgeführt.

Frauen empfinden einen Kaiserschnitt als Gewaltakt, wenn der ohne medizinische Notwendigkeit, ohne angemessene Aufklärung und Einwilligung durchgeführt wird. Frauen wurden nicht ausreichend informiert, warum der Kaiserschnitt notwendig war, geschweige denn über Alternativen oder Vor- und Nachteile aufgeklärt. Es kommt vor, dass Frauen unter bestimmten Bedingungen direkt zu einem Kaiserschnitt gedrängt werden (z.B. aufgrund ihres Alters oder wegen einer Beckenendlage, eines „zu hohen Geburtsgewichts“ des Babys oder bei Mehrlingsgeburten). Das geschieht, ohne ihnen Alternativen aufzuzeigen. Ein Kaiserschnitt wird als alternativlos bezeichnet, eine Wahl haben die Frauen nicht.

Frauen erleben, dass die große Bauchoperation (Kaiserschnitt) ohne ausreichende Betäubung durchgeführt wird und sie dabei starke Schmerzen erleiden. Aufgrund von Fahrlässigkeit oder grobem Fehlverhalten wird der Schnitt zu tief oder zu groß gesetzt, andere Organe werden während des Eingriffes verletzt. Schließlich führt das unsachgemäße Vernähen der Wunde dazu, dass Frauen noch Jahre später an Folgeschmerzen leiden.

Für Frauen ist es traumatisch, dass sie ihr Kind erst Stunden nach der Geburt sehen. Sie haben häufig das surreale Gefühl, gar nicht an der Geburt ihres Kindes beteiligt gewesen zu sein. Dies kann zu einer gestörten Mutter-Kind-Bindung führen oder dazu, dass Mütter Depressionen entwickeln. Ein ungewollter Kaiserschnitt kann die Psyche der Frau stark verletzen. Ein Kaiserschnitt ist schnell „erledigt“, mögliche Langzeitfolgen für Mutter und Kind bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass künftig erneut Komplikationen auftreten, oder gar für weitere Kaiserschnitte ist nach einer ersten Kaiserschnittgeburt größer. Die gesundheitlichen Risiken für die Kinder sind erheblich. Kinder, die durch Kaiserschnitt geboren werden, haben möglicherweise langfristige Gesundheitsprobleme, Asthma, Allergien seien genannt, sie leiden unter einer deutlichen Infektanfälligkeit, Autismus, Übergewicht sind zu beobachten. Dennoch werden Kaiserschnitte leichtfertig durchgeführt.

Die WHO empfiehlt eine Kaiserschnittquote von zehn Prozent. In Deutschland wurde dieser Wert längst überschritten. Lag die Anzahl an Schnittgeburten im Jahre 1991 bei 15,3 Prozent, hat sie sich 2021 auf 30,9 Prozent verdoppelt.[4] 2022 wurden 226.864 Kinder per Kaiserschnitt geboren (Quote von 31,9 Prozent). Im Saarland erfolgen die meisten Entbindungen per Kaiserschnitt mit einem Anteil von 36,4 Prozent, gefolgt von Hamburg mit 34,3 Prozent. Sachsen und Brandenburg haben eine vergleichsweise geringere Kaiserschnittrate mit 26,1 Prozent und 27,4 Prozent.[5]

Auf der interaktiven Karte des Vereins Mother-Hood sind die Kaiserschnittraten für jedes Klinikum in Deutschland aufgelistet. Dort ist ersichtlich, dass beispielsweise im Städtischen Krankenhaus Eisenhüttenstadt (59,16 Prozent), in der Klinik Hochfranken Naila (66,04 Prozent) und in der Universitätsklinik Heidelberg (50,07 Prozent – Zahlen 2021) mehr als jedes zweite Kind per Kaiserschnitt geboren wird (!).

Kaum vorstellbar ist, dass jedes zweite bis dritte Kind oder deren Mutter ohne Kaiserschnitt gestorben wäre. Diese Zahlen lassen sich nicht erklären, indem angenommen wird, dass Frauen in Größenordnungen einen Wunschkaiserschnitt wollen.

Ein Blick zu unseren Nachbarn, den Niederlanden, lässt staunen: Die Niederlande hat eine Kaiserschnittquote von 15,7 Prozent (Stand 2018). Auch die skandinavischen Länder haben mit unter 20 Prozent eine viel geringer Anzahl an „Schnittgeburten“ als bei uns in Deutschland.

Die Frage stellt sich darauf: Können die Frauen dort besser gebären, oder haben die Interventionen hierzulande ganz andere Motive?

In der kritischen Aufzählung darf die medizinische Intervention mit einer Saugglocke oder Zange nicht fehlen. Mit diesen Gerätschaften wird das Kind aus der Mutter herausgezogen. Für Mutter und Kind ist das häufig ein traumatisches Ereignis.

Systemische Ursachen von Gewalt unter der Geburt

Risiko Frau

Jahrtausendelang war Geburt Frauensache. Kinderkriegen verstand sich als natürlicher, intuitiver und starker Prozess, bei dem sich Frauen gegenseitig unterstützten.

Mit Einzug der technisierten Instrumentenmedizin und der Medikalisierung des Geburtsvorgangs im 18. Jahrhundert gerieten Schwangerschaft und Geburt zunehmend in den Zuständigkeitsbereich der Medizin. Geburten wurden häufiger in öffentlichen Entbindungsanstalten durchgeführt. Die Geburt entwickelte sich zu einem klinischen Ereignis, das medizinischer Sicherung unterworfen wurde. Diese Praxis setzt sich heute in den westlichen Industrienationen als alltägliche Normalität durch.

Der weibliche Unterleib wurde zum Objekt männlicher Fachärzte. Frauen und Hebammen wurden in den männlich orientierten Klinikbetrieb integriert und von den Anordnungen der Ärzte abhängig gemacht. Die Jahrtausende alten Traditionen der Selbstbestimmung von Frauen bei Geburten verschwanden. Die Annahme, dass Geburt ein krankhafter Vorgang sei, der nur durch medizinische Interventionen gerettet werden könne, setzte sich durch.

Obwohl sich seit den 1970er-Jahren durch die feministische Frauengesundheitsbewegung gegen die Medikalisierung, die Pathologisierung des schwangeren und gebärenden Körpers, die Entwertung der Hebammenkunst und die Peinigungen der Gebärenden in den Krankenhäusern fortwährender Widerstand formiert, wird bis heute heftig in den Geburtsprozess interveniert.

Die Geburt wurde zum klinischen Ereignis plus ärztliche Sicherung und medizintechnische, operative und pharmazeutische Eingriffe. Die Schwangerschaft als eine körperliche Phase wird konstant ärztlich überwacht. Der Frauenkörper wird zum besonders gefährdeten Risikokörper erklärt. Dies führt in der Praxis zu einem Überaktionismus gegenüber dem weiblichen Körper. 98 Prozent aller Geburten finden hierzulande im Krankenhaus statt, die wenigsten sind völlig interventionsfrei. Hohe Kaiserschnittraten werden mit einem hohen Sicherheitsanspruch der modernen Medizin begründet.

Die Leitlinien von Krankenhäusern führen schließlich zu zahlreichen ärztlichen Routinemaßnahmen und Eingriffen, die die Individualität und Rechte der Frauen nicht respektieren.

Beispiele: das pauschale Legen eines Venenzuganges, das ständige Aufzeichnen der Wehen-Tätigkeit, häufiges Muttermund-Tasten. Sollte der Geburtsverlauf dabei nicht den gewünschten Fortschritt erreicht haben, wird interveniert, das Kind so schnell wie möglich aus dem Mutterleib zu bekommen. Die Gebärende hat nur noch einen untergeordneten Stellenwert. Das stellt Gewalt an der Frau dar, die Frau wird zum größten Risiko für den „Patienten Kind“. Medizinische Absicherung und die vermeintliche Sicherheit für das Kind lassen die Gebärende als Frau, als Mensch allein.

Gesundheit muss sich lohnen / Krankenhäuser müssen sich rentieren

Die wichtigste Ursache der Entstehung von Gewalt unter der Geburt ist neben der Vorstellung, dass die Geburt ein pathologisches Ereignis wäre, die zu beobachtende völlige Ökonomisierung des Gesundheitssystems, das der Rentabilität Vorrang gibt.

Krankenhäuser sind Wirtschaftsunternehmen, nicht Einrichtungen eines Gesundheitswesens, sondern eines Gesundheitsmarktes. Diese Unternehmen agieren nicht nach dem von Hippokrates geforderten Einsatz für das Wohl des Patienten, sondern konsequent profitorientiert. Die durchgeführten Leistungen in deutschen Krankenhäusern werden nach dem sogenannten G-DRG-System beglichen, dem German Diagnosis Related Groups System. Unabhängig von der Verweildauer des Patienten werden medizinische Maßnahmen über Fallpauschalen abgerechnet. Diese Vergütungsweise belohnt überwiegend medizinische Eingriffe, bei vielen Eingriffen bei wenig Personal ist mehr Rendite möglich.

Die Folge ist zum Beispiel, dass eine normale, komplikationsfreie Geburt mit Eins-zu-Eins-Betreuung (pro Gebärende eine Hebamme) nicht rentabel ist. Präsenz und Aufmerksamkeit, Behutsamkeit und Empathie werden zum Minusgeschäft. Betriebswirtschaftlich haben Krankenhäuser ein Interesse an vielen medizinischen Interventionen.

Je komplizierter der Fall, je mehr Interventionen, desto mehr Geld. Jeder Tropf, jeder Schnitt, jede Naht wird gesondert vergütet. Das Neugeborene wird bereits vor der Geburt Teil eines auf Ertrag statt Bedarf ausgerichteten Wirtschaftskreislaufs.

Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit der oben genannten Problematik der hohen Kaiserschnittrate. Pro Kaiserschnitt können 3.000 bis 4.000 Euro abgerechnet werden, bei einem Zeitaufwand von gerade einmal 30 bis 60 Minuten. Eine normale Geburt, die unter Umständen zehn Stunden und länger dauern kann, wird mit knapp 2.000 Euro vergütet. Kein Wunder, dass mit allen möglichen Mitteln (Dammschnitte, künstliche Fruchtblasenöffnung, Wehentropf, Kristellerhandgriff) versucht wird, die Geburtsvorgangsdauer zu verkürzen. Das ist ebenfalls als Gewaltakt anzusehen.

Die Ausrichtung auf Rentabilität führt dazu, dass Geburten möglichst planbar sein müssen. Das Personal, die Gerätschaften und Räumlichkeiten müssen bestmöglich ausgelastet werden. Im Sinne der wirtschaftlich orientierten Planbarkeit überrascht es nicht, dass Kaiserschnitte an Wochenenden eher nicht stattfinden.

Zahl der Geburtskliniken rückläufig

Finanzieller Druck, die Ökonomisierung und Privatisierung des Gesundheitswesens, des Marktes, führten in den vergangenen Jahren dazu, dass sich viele Krankenhäuser Geburtshilfe nicht mehr leisten. Durch die allgegenwärtige Profitorientierung wurde der Rotstift besonders im Bereich der Geburtsbetreuung angesetzt. Erst ab 1.000 Geburten pro Jahr rentiert sich Geburtshilfe für ein Krankenhaus, lautet das Credo. Für das „Klinikbarometer 2020“ gaben zwei Drittel der Kliniken an, dass ihre Erlöse niedriger als die Kosten für die Geburtshilfe gewesen seien.

Immer weniger Krankenhäuser in Deutschland bieten überhaupt noch Geburtshilfe an. Während es im Jahr 1991 noch 1.887 Krankenhäuser gab, die Entbindungen durchführten, gibt es heute im Jahr 2023 nur noch 659 Geburtsstationen – im ganzen Land! Das ist ein Rückgang von rund 43 Prozent. Das vollzieht sich, während die Anzahl der Geburten in Deutschland steigt. Die wenigen noch zur Verfügung stehenden Geburtsstationen sind von Überbelastung und Überforderung des Personals betroffen.

Die Schließung von Geburtskliniken ist besonders im ländlichen Raum gravierend und führt zur Unsicherheit und potenziellen Gesundheitsgefährdung werdender Mütter dort.

Missachtung der Hebammen/Personalmangel

Die Geburtshilfe in deutschen Kliniken ist mangelhaft. Die wenigsten Frauen können auf die Alternative der Schwangerschafts- und Geburtsbetreuung durch eine Hebamme zu Hause oder in einem Geburtshaus zurückgreifen. Jede Schwangere weiß, welch ein Glück es ist, eine der gerade mal 4.281 freiberuflichen Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, für ihre Geburt zu finden (Zum Vergleich fanden 738.819 Geburten im Jahr 2022 statt). Eine freie Wahl des Geburtsortes und die Aussicht, nicht in ein Krankenhaus gehen zu müssen, werden schließlich zu einer Unmöglichkeit. Das stellt wiederum einen Akt von Gewalt dar. Die freie Wahl des Geburtsortes wird entzogen.

Immer mehr Hebammen stellen ihre Tätigkeit in der freiberuflichen Geburtshilfe ein. Gründe sind unter anderem viel zu hohe Haftpflichtversicherungsbeiträge und zu geringe Einnahmen. Die Versicherungskosten einer freiberuflichen Hebamme mit Geburtshilfe beliefen sich als Beispiel für das Jahr 2022/23 auf 11.508 Euro. Ein Großteil der Summe wird zwar mittlerweile von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) als Sicherstellungszuschlag übernommen, einträglicher wird es für eine Hebamme dennoch nicht. Für die Betreuung einer Hausgeburt kann eine freiberufliche Hebamme 638,75 Euro, mit Zuschlägen 789,89 Euro abrechnen. Die Anzahl der möglichen Geburten, die eine Hebamme zu Hause betreuen kann, bleibt dagegen gering. Die Verdienstmöglichkeiten sind somit mager, auch wenn man bedenkt, wie viele Überstunden, Bereitschaftsdienste, Heimbesuche, Vorbereitungskurse oder einfach seelische Hilfe eine Hebamme leistet. Unsere Hebammen sind wahrscheinlich systemirrelevant. Diese Frauen, die dabei helfen, Kinder auf die Welt zu bringen, müssten hoch angesehen sein. Stattdessen findet gegen sie eine Art moderne Hexenjagd statt, die über den Faktor Geld ausgetragen wird. Hebammen-Arbeit ist uns (dem Gesundheitsmarkt) nichts wert, sie ist ökonomisch nicht rentabel.

Zunehmend hängen Hebammen ihren wichtigen Job an den Nagel oder arbeiten nur noch angestellt in ökonomisierten, gewinnorientierten Kliniken. Ihrer Berufung, die individuelle Begleitung und umfassende Unterstützung einer gebärenden Frau, können sie dort lediglich eingeschränkt folgen. Vom Wunschszenario „eine Hebamme – eine Gebärende“ ist die Realität in deutschen Kliniken weit entfernt. Die meisten Geburtsstationen im Land sind mit einem unzureichenden Personalschlüssel versehen. Die Hälfte aller Hebammen muss drei Gebärende gleichzeitig betreuen, 20 Prozent sogar vier Frauen oder mehr. So passiert es, dass Gebärende im Kreißsaal allein gelassen werden oder versucht wird, die Geburt dahingehend zu „programmieren“, dass der Zeitpunkt der Geburt zum vorhandenen Personal passt.

Die Hierarchien im Kreißsaal (Ärzte stehen über Hebammen), die Überwachungsleitlinien, der Kostendruck durch das DRG-System und die Überlastung führen zusätzlich zu unzähligen Interventionen in der Geburtshilfe.

Großer Schaden

Zu wenig Kliniken, zu wenig Personal, die Unterversorgung mit Hebammen und die ökonomische Ausrichtung des Gesundheitswesens erzeugen einen enormen Schaden. Der allgegenwärtige Kostendruck macht „normale“ Geburten zu einem Minusgeschäft. Nur Interventionen lohnen.

Der renommierte französische Arzt und Geburtshelfer Michel Odent ist prominenter Verfechter der natürlichen Geburt. In seinen bekannten Veröffentlichungen stellt er dar, dass Geburt vor allem eines braucht – Ungestörtheit. Doch in modernen Geburtskliniken wird der Geburtsprozess permanent gestört. Dies steht im Widerspruch zum vorhandenen Wissen, dass jede Intervention ein Risiko weiterer Eingriffe in sich birgt und eine Interventionskaskade in Gang setzen kann – zum Wohle der Klinikkassen, zum Schaden der Frauen.

Ärztliche Routine, Eingriffe und Instrumente, fehlendes Vertrauen und mangelnde Zuwendung erzeugen und vergrößern Angst und Schmerzen von Gebärenden und verlängern oder verkomplizieren den Geburtsverlauf. Vielfach wird kritisiert, dass die Medikalisierung nicht zu einer Verbesserung der Bedingungen für die Gebärenden geführt hat, sondern zu höheren Belastungen und Risiken.

Selbst Ärzten oder Hebammen mit besten Absichten bleiben in diesem System die Hände gebunden. Sie müssen sich dem Diktat des „Kostendrucks“ und der ihnen vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen unterwerfen. Überarbeitung, Stress, Überforderung, Zeitdruck und die ständige Abwägung von Risiken führen zu fehlerhaften, fragwürdigen Handlungen.

Sie geben ihr Bestes

Bei aller Kritik soll hier betont werden, dass viele Hebammen und Ärzte ihr Bestes geben und sich aufrichtig und engagiert um das Wohl der Frauen und ihrer neugeborenen Kinder bemühen.

Die Zahlen der von Gewalt unter der Geburt betroffenen Frauen sind weiter alarmierend, aber die Stimmen, die dagegen aufbegehren, werden mehr.

Nabelschnur

Doch scheinen die vorherrschenden Rahmenbedingungen einen dringend nötigen, wirklichen Wandel hin zu einer menschenwürdigen Geburtshilfe zu verhindern. Wissenschaftliche Erkenntnisse kommen spät oder nicht in der täglichen Praxis an.

Ein Beispiel Nabelschnur: Für das Kind ist enorm wichtig, dass die Nabelschnur nach der Geburt noch auspulsieren sollte, um eine ausreichende Sauerstoff- und Blutversorgung des Neugeborenen sicherzustellen. Die gängige, schnell vollzogene Praxis jedoch ist: Die Nabelschnur wird unmittelbar und direkt nach der Geburt zertrennt. Lakonisch wird dies begründet: Es gibt schließlich durchgetaktete Abläufe, die beachtet werden müssen.

Babyfreundliches Krankenhaus – typisch in unserer Public Relation reichen Zeit

Die Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ der WHO und von Unicef wirbt mit der Zertifizierung von Geburts-, Kinder-, und Perinatalkliniken. In Deutschland werben über 100 Kliniken damit, sich an die zehn Gebote des Zertifikats „babyfreundlich” zu halten und Frauen bei der Bindung zu ihrem Kind und dem Stillen zu unterstützen. Die Website der Initiative liest sich einer rosaroten Werbekampagne gleich. Gern möchte dem geglaubt werden, dass babyfreundliche Kliniken alles für Mutter und Kind und für den Start einer gesunden Still-Beziehung geben. Ein Blick in das Register der babyfreundlich gelisteten Krankenhäuser offenbart vor allem Krankenhäuser großer Konzerne. Es bleibt fraglich, ob Konzerne den ihnen innewohnenden Widerspruch lösen, einerseits einzig darauf abzuzielen, maximale Renditen zu erzielen, andererseits humanistische, renditeferne Richtlinien zum Schutz von Mutter und Kind zu hegen und zu pflegen.

Dass eine Geburt im Krankenhaus sicher sei, wird gern und selbstverständlich angenommen und erwartet. Alles Gute und Mögliche für Mutter und Kind zu tun, dieses Versprechen kann bei kritischer Betrachtung des Alltags, bei Lektüre der hier aufgezählten Informationen und Berichte nicht als eingehalten gelten. Viele Maßnahmen in Kliniken werden durchgeführt, ohne dass eine medizinische, dafür aber wirtschaftliche „Notwendigkeit“ besteht. Fest steht: Die Gebärende begibt sich im Kreißsaal in ein System aus Zeitdruck, Kostendruck, Personaldruck und Druck, Rendite zu erwirtschaften. Viele Interventionen sind wirtschaftlich motiviert und eher nicht medizinisch oder uneingeschränkt ethisch begründet und damit gerechtfertigt. Eine Geburt aber verlangt eine aufwändige und zeitintensive Betreuung, die sich nicht an messbaren Parametern bestimmen lässt und erst recht nicht „wirtschaftlich“ im betriebswirtschaftlichen Sinne sein darf. Doch weil sich die natürliche und interventionsarme Geburtshilfe „nicht lohnt“, schwindet die erforderliche Qualität. Ergebnis: Gebärende erleben den Widerspruch als Gewaltakt.

Was muss passieren, damit diese strukturelle Gewalt in der Geburtshilfe aufhört?

Ein Zustand, der geändert werden muss – Gesetze und Vorschläge

Mit der Rosenniederlegung und dem Aktionstag ist der erste Schritt getan: ein Tabu in der Öffentlichkeit zu benennen. Wird ein Problem nicht angesprochen, kann auch keine Lösung gefunden werden. Dass die Betroffenen ihre Stimme erheben und ein Zeichen gegen Gewalt in der Geburtsmedizin setzen, ist der richtige Anfang. Damit allein sollten wir uns jedoch nicht zufriedengeben. Denn dass Gewalt in der Geburtshilfe überhaupt stattfindet, das sollte zum Tabu werden. Es bedarf umfassender Maßnahmen, um Gewalt in der Geburtsmedizin zu verhindern und zu bekämpfen. Es bedarf des Willens der Beteiligten.

Es ist erstaunlich, dass es einen rechtlichen Rahmen gegen Gewalt und für Selbstbestimmung in der Geburtsmedizin bereits gibt. Es wird sich nur nicht daran gehalten.

In den Leitlinien „Intrapartum care for a positive childbirth experience“ der WHO wird die respektvolle Geburtshilfe beschrieben, die die kontinuierliche Geburtsbegleitung und Unterstützung aller Frauen beinhaltet, die ihre Würde und ihre Privatsphäre schützt, Vertraulichkeit garantiert und sie vor Schädigung und Misshandlung bewahren soll (WHO 2018:3). Dazu wurden insgesamt 56 übliche Praktiken der Geburtshilfe erstellt, welche die frauenzentrierte Betreuung in den Mittelpunkt stellen (WHO 2018: 8 ff.; DHV 2018b).

Zu erwähnen sind ebenso die sechs von Human Rights in Childbirth ausgearbeiteten Grundrechte. Dazu zählen das Recht auf informierte Einverständniserklärung, Ablehnung medizinischer Behandlungen, Gleichberechtigung, Gesundheit, Privatsphäre und das Recht auf Leben. Diese Forderungen basieren alle auf internationalen Verträgen. Sie müssten jedoch zu deren Etablierung von Politik und Gesundheitswesen konsequent umgesetzt und in die nationale Gesetzgebung einfließen.

Neben diesen internationalen Empfehlungen existiert in Deutschland bereits der Paragraf 630 d des Bürgerlichen Gesetzbuches, welcher fordert, dass vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder in die Gesundheit, die Einwilligung des Patienten vom Behandelnden einzuholen ist. Hinzu kommt, dass der Einwilligung eine Aufklärung vorangegangen ist.

In der Geburtsmedizin scheint dieses Gesetz jedoch oft und gewohnheitsmäßig schlicht missachtet zu werden. Für Frauen ist es schwer, Beweise dieser Missachtung zu erbringen, da Geburtsberichte und Gutachten meist zu Gunsten der Kliniken formuliert werden.

Daher muss an dieser Stelle ein wichtiger Hinweis für alle Frauen, die ein Kind bekommen, erwähnt werden: Um sich vor ungewollten Eingriffen im Krankenhaus zu schützen, empfiehlt es sich, eine Patientenverfügung zu erstellen, da diese eine rechtsverbindliche Anweisung darstellt und Schutz vor unerwünschten Übergriffen bieten kann. Diese rechtsverbindliche Anweisung kann im Falle einer Nichteinhaltung vor Gericht als rechtsverbindliches Beweismittel dienen.

Für alle werdenden Eltern ist es besonders wichtig, sich allumfassend auf die Geburt vorzubereiten. Eine wichtige Rolle kommt dabei den Hebammen zu, die auf das Problem von Gewalt in der Geburtsmedizin in Vorbereitungskursen sensibilisieren sollten.

Eine Empfehlung ist auch der Film „Die sichere Geburt – Wozu Hebammen” von Carola Hauck für eine gute Geburtsvorbereitung.

Zur Geburt sollte die Frau eine Begleitperson hinzuziehen, wie den Vater oder eine Doula, welche als Anwältin für die Frau innerhalb des Geburtsprozesses zur Seite steht.

Die Prävention von Gewalt in der Geburtsmedizin muss bereits in der Ausbildung von Hebammen und Ärzten einsetzen. Entscheidend ist, dass die werdenden Fachleute während ihrer Studienzeit und später in der Praxis auf die Thematik sensibilisiert werden (aktuell ist das noch kein Pflichtgegenstand im Studium). Gewaltfreie Kommunikation und Empathie sollten integraler Bestandteil der Ausbildung sein. Regelmäßige Fortbildungsmaßnahmen sollten dazu beitragen, die bestehenden Fachkräfte zu sensibilisieren und ihr Wissen zu vertiefen.

Eine weitere Maßnahme, um auf Gewalt in der Geburtshilfe aufmerksam zu machen und dem entgegenzuwirken, ist die Errichtung von verpflichtenden, niedrigschwelligen und vor allem vertraulichen Meldestellen für Frauen, für Familien sowie für geburtshilfliches Personal.

Besonders wichtig erscheint diese Maßnahme in Hinblick auf die Artikulation des Problems für Studenten (angehende Ärzte und Hebammen). Einen Missstand in der Ausbildung anzusprechen, bedeutet meist negative Konsequenzen. Eine separate Melde-Instanz ermöglicht es, anonym Kritik zu äußern.

Veränderung der Institutionen rund um Geburt, mehr Hebammen, finanzielle Bewertung von Geburt

Um langfristige Veränderungen in der Geburtsmedizin herbeizuführen, ist eine Transformation der Institutionen erforderlich. Denn Gewalt in der Geburtshilfe ist ein institutionelles Problem. Eine neue finanzielle Bewertung, die interventionsfreie Geburten belohnt, muss eingeführt werden, wobei die Krankenkassen eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Anreizen für natürliche Geburten spielen.

Zusätzlich empfiehlt der Deutsche Hebammenverband die Etablierung eine Eins-zu-eins-Betreuung von Schwangeren, die auch die freie Wahl des Geburtsortes garantieren kann.

Hierfür müssen Hebammen finanziell unterstützt werden (Übernahme der hohen Versicherungspolicen, höhere Abrechnungsmöglichkeiten von Arbeitsleistung).

Alle Krankenhäuser müssen neue interdisziplinäre Leitlinien zur normalen Geburt formulieren, die die Forderung nach Senkung der Interventionsraten beinhalten.

Insgesamt muss sich die Politik für mehr Fachkräfte in der Geburtshilfe einsetzen sowie für die Wiedereröffnung von Geburtsstationen im ganzen Land. Es muss unser nationales Anliegen sein, eine neue Geburtskultur zu etablieren, in der Gewalt zum Tabu wird und der Fokus auf der Selbstbestimmung der Gebärenden liegt.

Appell – Folgen von Gewalt unter der Geburt

Die Auswirkungen von Gewalt während der Geburt sind gravierend, sie betreffen nicht nur die betroffenen Mütter, sondern auch ihre Kinder und Familien. Gewalt unter der Geburt hat viele Gesichter. Dass Gewalt unter der Geburt an Frauen in Krankenhäusern ausgeübt wird, scheint eines der letzten großen Tabus in Deutschland (und auch andernorts) zu sein. Kein Land kann sich jedoch auf Dauer massenhafte, systematische, körperliche und psychische Gewalt an Frauen leisten. Die Folgen sind gravierend. Neben Depressionen führt sie zu posttraumatische Belastungsstörungen, massiven psychischen Erkrankungen, Beziehungsproblemen zum Kind oder zum Vater bis hin zu Scheidungen, in besonders extremen Fällen sogar zum Selbstmord der Mutter (Statistiken aus Neuseeland und Australien zeigen, dass Selbstmord die häufigste Todesursache von Müttern im ersten Lebensjahr ihres Kindes ist).

Negative Geburtserfahrungen sind für Frauen teilweise ausschlaggebend, keine weiteren Kinder mehr zu wollen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Frauen während der Geburt in der schmerzhaftesten und anstrengendsten Situation ihres Lebens sind. Sie sind auf den Schutz und die Unterstützung aller beteiligten Personen angewiesen. Eine Frau, die ein Kind auf die Welt bringt, sollte mit größtem Respekt würdevoll behandelt werden.

Die Gynäkologie lässt oft außen vor, dass im Zentrum der Geburtsmedizin die individuelle Frau mit ihren Körper- und Seelenteilen steht und die Geburt einen sexuellen Prozess darstellt. Das Augenmerk liegt auf dem Intimbereich der Frau, einem besonders empfindlichen Teil ihres Körpers. Unter jedem anderen Umstand würden wir Übergriffe im Intimbereich einer Frau klar als sexuelle Gewalt benennen.

Die Handlungsmaxime sollte daher nicht nur „Hauptsache, das Kind ist gesund“ lauten, sondern die körperliche und seelische Unversehrtheit der Frau und aller Beteiligten muss im Mittelpunkt stehen.

Der Umstand, dass Frauen sich bei der Geburt in die Abhängigkeit von Klinikpersonal begeben, bedeutet nicht, dass sie automatisch die Verantwortung und die Entscheidungsgewalt über ihren eigenen Körper abgeben wollen.

In Anbetracht dessen, dass Kinder unsere Zukunft sind und wir wissen, welchen Schaden eine gestörte Mutter-Kind-Bindung anrichten kann, ist der derzeitige Umgang mit Frauen während der Geburt mehr als besorgniserregend – für unsere Gesellschaft ein unverzeihlicher Skandal. Eine nachlässige, fahrlässige, gewinnorientierte Geburtshilfe gefährdet unsere Gesellschaft: Gesunde Nachkommen, geboren in Würde und Güte, sind das (!) Fundament von uns allen.

Wir benötigen ein grundlegend anderes, prinzipielles Verständnis von Geburt: Geburt ist ein natürlicher, kraftvoller und intimer Prozess, bei dem die Frau als Gebärende im Mittelpunkt steht.

Die interventionsfreie Geburt muss die Regel sein und nicht zur Ausnahme ernannt werden. Sie muss das prinzipielle Qualitätskriterium der Geburtshilfe sowie der medizinischen Struktur unseres Landes sein.

Wir müssen daran arbeiten, auf dass wir keine Rosen mehr brauchen!

Für eine menschenwürdige und sichere Geburtshilfe!

Titelbild: Natalia Deriabina/shutterstock.com

Zur Autorin: Elisabeth Blenz studierte Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und der Freien Universität Berlin (Master). Zuvor absolvierte Elisabeth Blenz eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten im Auswärtigen Amt und war danach unter Außenminister Frank Walter Steinmeier und Guido Westerwelle in der Abteilung Protokoll tätig.

In ihren Forschungsarbeiten befasste sie sich mit verschiedenen Themen zu sozialer Ungerechtigkeit. Ihre Masterarbeit beschäftigte sich mit Fragen nach der Berechnung des Existenzminimums in Deutschland. Seit Jahren beschäftigt sich Elisabeth Blenz mit Themen wie Schwangerschaft, Geburt, Kinderbetreuung und Bildung und Missständen in diesen Bereichen.


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