Der Friedensplan für Israel und Palästina von Prof. Jeffrey Sachs

Der Friedensplan für Israel und Palästina von Prof. Jeffrey Sachs

Der Friedensplan für Israel und Palästina von Prof. Jeffrey Sachs

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Der amerikanische Wissenschaftler und Professor an der Columbia Universität in New York Jeffrey Sachs versucht seit Langem, eine Umsetzung der Zweistaatenlösung für Israel und Palästina zu erreichen. Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges hat er einen Artikel mit einem Friedensplan für Israel und Palästina verfasst. Von Jürgen Hübschen.

Kurzer historischer Rückblick

Palästina wurde zwar bereits von 139 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen als souveräner Staat anerkannt, allerdings noch nicht von den USA und den meisten Ländern der EU. Am 23. September 2011 hatte die Palästinensische Autonomiebehörde offiziell einen Antrag auf die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gestellt, und zwar im Einklang mit verschiedenen UN-Resolutionen, u.a. der Resolution 242 aus dem Jahr 1967 und der Resolution 338 aus dem Jahr 1973, in denen ganz konkret eine Zweistaatenlösung gefordert wird. Der Palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hatte in seinem Antrag an den zuständigen Ausschuss der UN für die Aufnahme neuer Mitglieder u.a. auf diese beiden Resolutionen hingewiesen und „das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und die Vision einer Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt“ betont.

Trotz der bilateralen Anerkennung Palästinas durch mittlerweile 139 Staaten hat der UN-Sicherheitsrat aufgrund des Widerstands der USA bis heute über den Antrag nicht abgestimmt, sondern Palästina lediglich einen „Beobachterstatus“ ohne Stimmrecht zugestanden. Alle Versuche, besonders der arabischen Staaten, endlich einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina zu erreichen, sind bislang gescheitert. In diesem Zusammenhang ist besonders der Friedensplan des saudischen Kronprinzen und späteren Königs Abdullah Ibn Abd al-Aziz zu nennen, der von der Arabischen Liga und von allen 57 Mitgliedern der „Organisation der Islamische Konferenz“ (OIK) angenommen wurde. Der Plan beinhaltet im Wesentlichen die Anerkennung Israels und fordert im Gegenzug von Israel den Rückzug aus allen 1967 besetzten Gebieten sowie die Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

Der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon lehnte den Plan ab, und 2018 lehnte auch Premierminister Netanjahu den Vorschlag als Grundlage für Friedensgespräche ab. Netanjahu versuchte stattdessen bis zum 07. Oktober 2023, bilaterale Verträge mit den Staaten der Arabischen Liga zu schließen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die „Zweistaatenlösung“ immer wieder thematisiert wurde. Um auf der palästinensischen Seite das Thema praktisch zu „unterlaufen“, spielte er die Palästinensische Autonomiebehörde und die im Gazastreifen herrschende Hamas jahrelang erfolgreich gegeneinander aus. Präsident Abbas schwächte er durch die Genehmigung immer neuer Siedlungen im Westjordanland, während er es ganz bewusst zuließ, dass die Hamas mit Hilfe einer regelmäßigen finanziellen Unterstützung durch Katar nicht nur im Gazastreifen an der Macht blieb, sondern diese ständig weiter festigte.

Die Arabische Liga unternahm zusammen mit der „Organisation Islamische Konferenz“ am 11. November 2023 in Riad einen erneuten Versuch, die Zweistaatenlösung auf die aktuelle Tagesordnung der Weltgemeinschaft zu setzen, und forderte die umgehende Aufnahme eines „glaubwürdigen Friedensprozesses“ zwischen Israel und Palästina. Die Verhandlungsbasis sollte im Wesentlichen der „Abdullah-Friedensplan“ sein. Passiert ist bis heute leider nichts.

Der Friedensplan von Jeffrey Sachs

Vor dem Hintergrund der mittlerweile kaum noch zu beschreibenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen wurde Jeffrey Sachs initiativ, indem er einen eigenen Friedensplan für Israel und Palästina erarbeitete. Dieser enthält im Wesentlichen folgende Punkte in der von Sachs gewählten Reihenfolge:

  • Sofortige Gründung des Staates Palästina und Aufnahme als 194. Mitgliedsstaat in die Vereinten Nationen in den von der UN bestätigten Grenzen vom 04. Juni 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt und der Kontrolle über die islamischen Heiligen Stätten
  • Sofortige Freilassung aller Geiseln, dauerhafter Waffenstillstand aller Parteien und Bereitstellung humanitärer Hilfen unter Aufsicht der UN
  • Aufstellung einer hauptsächlich von Arabischen Staaten gestellten Friedenstruppe für Palästina, die unter dem Mandat des UN-Sicherheitsrates operiert.
  • Sofortige Entwaffnung und Demobilisierung der Hamas und anderer Milizen durch die Friedenstruppe als Teil des Friedens.
  • Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und allen Staaten der Arabischen Liga

Die genannten Punkte sollen aus seiner Sicht Inhalt einer entsprechenden Resolution des Weltsicherheitsrates sein. Ergänzend fordert Sachs einen neuen UN-Friedens- und Entwicklungsfond, wie er ihn kürzlich im UN-Sicherheitsrat vorgestellt hat. Mit diesem soll neben anderen Zielen ein langfristiges und nachhaltiges Entwicklungsprogramm im östlichen Mittelmeerraum finanziert werden, das neben Palästina und Israel, auch Ägypten, Jordanien, den Libanon, Syrien und andere Nachbarländer einschließt.

Abschließend stellt Sachs in seinem Beitrag fest, dass es über die genannten Punkte hinaus natürlich noch vieles zu verhandeln gibt, einschließlich einvernehmlicher Grenzanpassungen, aber solche Verhandlungen würden dann im Frieden zwischen zwei souveränen UN-Mitgliedsstaaten und unter der Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrates, der UN-Generalversammlung und vor allem auf der Basis der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geführt werden.

Bewertung des Friedensplanes von Jeffrey Sachs

Pessimisten und Berufsskeptiker werden wahrscheinlich sagen, dass dieser Plan wie alle seine Vorgänger scheitern wird. Dieser Standpunkt ist aber, vor allem angesichts der sich abspielenden Katastrophe, nicht zielführend, einmal davon abgesehen, dass ja nicht alle Punkte sofort in Angriff genommen werden müssen.

Zunächst, und das ist aus meiner Sicht das wirklich Neue an diesem Plan, muss Palästina als Voraussetzung für alle weiteren Schritte sofort als 194. Mitgliedsstaat in die Vereinten Nationen aufgenommen werden. Der entsprechende Antrag liegt dem zuständigen Gremium seit nunmehr zwölf Jahren zur Entscheidung auf dem Tisch. De facto fehlt lediglich die Zustimmung der USA, damit Palästina als souveräner Staat Mitglied der Vereinten Nationen wird. Wenn es Washington mit seiner ständig erneut gestellten Forderung nach einer Zweistaatenlösung ernst ist, könnte Präsident Biden das mit seiner Zustimmung zum Beitritt Palästinas umgehend beweisen.

Im Anschluss daran müsste eine entsprechende Resolution über den Beitritt Palästinas verabschiedet werden, ggf. separat von den anderen Punkten des Friedensplans. Unmittelbar danach müsste die Umsetzung der anderen Punkte in Angriff genommen werden, als Erstes ein Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln und umfassende humanitäre Hilfeleistungen unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Nach der Aufstellung der arabischen Friedenstruppe müssten sich die israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen zurückziehen – bei gleichzeitiger Entwaffnung und Demobilisierungen der Hamas und aller Milizen.

Erst dann könnten weitere Verhandlungen zwischen den souveränen Staaten Palästina und Israel unter der Mediation der Vereinten Nationen beginnen, die praktisch von der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und allen Staaten der Arabischen Liga begleitet würden. Im Detail müssten u.a. folgende Themen auf den Verhandlungstisch.

  • Endgültige Festlegung der Grenzen im Detail
  • Rücknahme der Annexion der Golanhöhen und Jerusalems
  • Gesicherte Verbindung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland
  • Beseitigung sämtlicher Sperren, Zäune und sonstiger Barrieren im Westjordanland und im Gazastreifen
  • Klärung des Status der Siedler mit zwei Optionen:
    • Zustimmung, als jüdische Bürgerinnen und Bürger mit allen Rechten und Pflichten im Staat Palästina zu verbleiben
    • Umsiedlung nach Israel
  • Unterstellung der Hamas unter die Palästinensische Autonomiebehörde und Vorbereitung freier Wahlen für eine palästinensische Regierung

Da davon auszugehen ist, dass Netanjahu jegliche Verhandlungen ablehnen wird, bevor nicht seine Kriegsziele erreicht sind – dazu gehört übrigens vor allem sein politisches Überleben –, muss die US-Regierung ihn zu einem Waffenstillstand zwingen. Das wird vermutlich aber nur gelingen, wenn Washington nicht nur damit droht, andernfalls sämtliche Waffenlieferungen einzustellen, sondern dies auch macht. Letzteres ist allerdings kaum zu erwarten, wenn man sich daran erinnert, dass Washington erst am 08. Dezember 2023 eine UN-Resolution, in der ein Cease Fire gefordert wurde, mit einem Veto blockiert hat, obwohl 13 Mitglieder des Weltsicherheitsrates für die Resolution gestimmt hatten. GB als „Appendix der USA” hatte sich enthalten. Auch die Entscheidung des US Außenministeriums vom 07. Dezember 2023, den Kongress mit Hilfe eines sogenannten „Government Sale” zu umgehen, um Panzermunition an Israel liefern zu können, lässt am ehrlichen Bemühen der USA, diesen Krieg zu beenden, zweifeln.

Wenn man sich zusätzlich die aktuellen Bilder von gefangenen Palästinensern ansieht, die nur mit Unterhosen bekleidet und zum Teil mit verbundenen Augen unter Bewachung durch israelische Soldaten im Sand sitzen, dann weiß man leider auch, was von den Aussagen des amerikanischen Außenministers Blinken zu halten ist, der am 7. Dezember 2023 gesagt hat:

„Es ist eine zwingende Notwendigkeit und bleibt eine solche, dass Israel alles tut, um die Zivilbevölkerung zu schützen, und es besteht immer noch eine Lücke zwischen dem, was ich gesagt habe, als ich vor Ort war, nämlich die Bedeutung, die Zivilbevölkerung zu schützen, und den tatsächlichen Ergebnissen, die wir am Boden sehen.“

Fazit: Die internationale Staatengemeinschaft sollte in einem ersten Schritt auf dem Weg zu einem dauerhaften Nahostfrieden in einer UN-Resolution fordern, Palästina umgehend als 194. Land mit allen Rechten und Pflichten eines souveränen Staates in die Vereinten Nationen aufzunehmen, weil ja erst dann formal überhaupt eine Zweistaatenlösung möglich wird.

Das wäre die Nagelprobe für die US-Regierung, ob sie es ernst meint mit der Zweistaatenlösung und außerdem überhaupt willens und in der Lage ist, sich gegenüber Netanjahu durchzusetzen.

Danach sollte umgehend damit begonnen werden, den von Jeffrey Sachs erarbeiteten Friedensplan sukzessive umzusetzen.

Titelbild: Shutterstock / Andy.LIU

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