Präsident Biden und der Nahostkrieg – wofür steht der US-Präsident wirklich?

Präsident Biden und der Nahostkrieg – wofür steht der US-Präsident wirklich?

Präsident Biden und der Nahostkrieg – wofür steht der US-Präsident wirklich?

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Am 18. Dezember 2023 hat der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin III in Tel Aviv Gespräche mit dem israelischen Premierminister Netanjahu und seinem Amtskollegen Joav Gallant geführt. Austin hatte bei seinem zweiten Besuch seit Kriegsbeginn versucht, die israelische Regierung davon zu überzeugen, endlich ein Konzept für die weitere Vorgehensweise gegen die Hamas vorzulegen. In der Hauptsache ging es darum, Israel zu veranlassen, statt der Bombardierung des Gazastreifens eher ganz gezielte Operationen gegen Kämpfer und Einrichtungen der Hamas durchzuführen, um die Zivilbevölkerung mehr zu schützen. Der amerikanische Präsident Biden hatte zwar in der Vorwoche davor gewarnt, dass Israel durch „die willkürliche Bombardierung“ die Unterstützung weiter Teile der Welt verlieren würde, aber nicht konkret verlangt, diese Form des Bombardements zu stoppen. Dadurch stellt sich einmal mehr die Frage, wofür der US-Präsident wirklich steht. Von Jürgen Hübschen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Position des amerikanischen Präsidenten im Nahostkrieg

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die USA am 8. Dezember 2023 eine UN-Resolution, in der ein humanitärer Waffenstillstand gefordert wurde, durch ihr Veto mit der Begründung geblockt haben, ein Waffenstillstand gäbe der Hamas die Chance, sich neu zu formieren. Ein Cease Fire würde „nur die Saat für den nächsten Krieg legen“, sagte der US-Vertreter im Sicherheitsrat, Robert Wood.

Eine Forderung der UN-Vollversammlung desselben Inhalts wurde am 12. Dezember 2023 von den USA mit einem Nein abgelehnt, obwohl die Vollversammlung dieses Cease Fire mit 153 Stimmen, also einer Zweidrittelmehrheit gefordert hatte. Am 15. Dezember 2023 sagte Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, bei einem Treffen mit hochrangigen israelischen Vertretern u.a., Israel und die USA seien sich einig, dass der Krieg noch Monate dauern werde.

Derartige Aussagen und das Abstimmungsverhalten sind mit den persönlichen Aussagen des Präsidenten nicht in Einklang zu bringen, weil er Israel immer wieder aufgefordert hat, die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schützen. Allerdings habe er „kein Vertrauen“ in die Zahlen, die das Gesundheitsministerium der Hamas veröffentliche, „sei sich aber sicher, dass Unschuldige dort getötet würden“.

Der Präsident betont immer wieder Israels Recht auf Selbstverteidigung und nimmt das als Begründung für die uneingeschränkte militärische Unterstützung der USA, die, auch vor diesem Krieg, bereits 3,8 Milliarden US Dollar pro Jahr betrug. Die konkrete Forderung der USA an Israel, die Zivilbevölkerung besser zu schützen, überlässt er in der Regel seiner Administration. So erklärte Vizepräsidentin Kamala Harris, „Israel muss mehr tun, unschuldige Zivilisten zu schützen“, und Außenminister Blinken sagte, als Israel seine Offensive auf den Süden Gazas ausdehnte, es sei eine zwingende Notwendigkeit aus Sicht der USA, „dass sich die massiven Verluste in der Zivilbevölkerung und der Umfang von Vertreibung im Norden des Gazastreifens im Süden nicht wiederholen“.

Der Präsident selbst erklärte Anfang Dezember auf einer Wahlveranstaltung: „Ich bin ein starker, starker Unterstützer Israels, seit ich 1973 Mitglied des US-Senats geworden bin.“ Bei einer anderen Gelegenheit hatte Biden sogar gesagt: „Ich bin ein Zionist.“ Vermutlich hat der US-Präsident bei dieser Aussage nicht bedacht oder es schlicht und einfach nicht gewusst, dass es die Zionisten sind, die das „Heilige Land“ ausschließlich für sich beanspruchen und die Palästinenser vollständig vertreiben oder sogar vernichten wollen.

Nach Aussagen von Sicherheitsberater Jake Sullivan und Pentagon-Sprecher John F. Kirby sei der Präsident in seiner Kritik am Vorgehen Israels gegen die Hamas und an Netanjahus Position genau so klar wie Vizepräsidentin Harris, halte sich aber in der Öffentlichkeit zurück. Martin S. Indyk, ein ehemaliger Sonderbeauftragter für den Mittleren Osten, erklärte: „Die Aussagen sind nicht widersprüchlich, sondern der Unterschied im Ton und in der Nachdrücklichkeit spiegeln in einem gewissen Masse die traditionelle Diplomatie des ‚guten und bösen‘ Polizisten wider, wobei ein Präsident es anderen überlässt, eine härtere Position zu vertreten“, und er ergänzte: „Der Präsident möchte vermeiden, ‚Bibi´ in der Öffentlichkeit so stark wie möglich zu kritisieren.“

Olivia Dalton, eine Sprecherin des Weißen Hauses, fasste die Position der US-Regierung im Nahostkrieg am 5. Dezember 2023 auf einem Flug in der Präsidentenmaschine Air Force One nach Boston wie folgt zusammen: „Israel hat laut und klar unsere Erwartungen gehört, internationales Recht und die Regeln des Kriegsrechts zu beachten und alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um die Zahl der zivilen Opfer in ihrem Krieg gegen die Hamas zu minimieren.“

Es stellt sich die Frage, ob der US-Präsident wirklich einen Beitrag dazu leistet, dass Israel diese Position der US-Regierung tatsächlich umsetzt, oder ob es sich seinerseits letztlich nur um „stramme Sprüche“ handelt, die Israel ungestraft ignorieren kann, wie Sarah Leah Whitson von der Gruppe „Democracy for the Arab World now“ es auf den Punkt bringt: „Letztlich wird Israel sich nur darum kümmern, was die Biden-Administration aktuell tut, nicht das, was sie nur sagt.“

Was macht die US-Regierung unter Führung ihres Präsidenten aktuell wirklich?

Was tut die US-Regierung tatsächlich, um Israel im Kampf gegen die Hamas zu unterstützen, und was tut sie, um die Zivilbevölkerung zu schützen?

Militärische Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas

Details ihrer militärischen Unterstützung werden seitens der USA nicht veröffentlicht. Bekannt ist allerdings, dass Bomben, Granaten, Raketen für das Abwehrsystem „Iron Dome“ und Ersatzteile für alle von den USA gelieferten Waffensystemen praktisch über eine Luftbrücke permanent an Israel geliefert werden. Bei diesen Bomben, die eine Sprengkraft von bis zu 2000 Pfund haben, handelt es sich nach Aussagen von Col. ret. Lawrence Wilkerson, dem ehemaligen militärischen Berater von US-Außenminister Colin Powell, und anderer amerikanischer Insider zu annähernd 50 Prozent um sogenannte „dumb bombs“. Das sind ungelenkte Bomben, die fast ohne Zielgenauigkeit einfach abgeworfen werden und dabei immense Kollateralschäden verursachen. Es ist davon auszugehen, dass die USA auf diese Weise ihre Arsenale leeren; denn sie selbst setzen ausschließlich gesteuerte Bomben ein, die allerdings sehr viel teurer sind. Diese Vorgehensweise passt übrigens zu der Lieferung von Streubomben an die Ukraine, die von den USA selbst auch nicht mehr eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass es unbestätigte Hinweise aus den USA gibt, Washington habe auch Phosphorbomben an Israel geliefert, obwohl diese Waffe mittlerweile völkerrechtlich verboten ist.

Amerikanische Fachleute gehen davon aus, dass Israel seinen Kampf gegen die Hamas in der jetzigen Form maximal noch drei Tage fortsetzen könnte, falls Washington seine Waffenlieferungen einstellen würde.

Bei ihrer militärischen Unterstützung Israels ignoriert die US-Regierung das bereits angesprochene „Leahy Law“, das die Lieferung von Waffen an ein Land unter Strafe stellt, wenn durch den Einsatz dieser Waffen Menschenrechte verletzt werden, was gegenüber der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zweifellos der Fall ist. Unter Umgehung des Kongresses und des „Arms Export Control Act“ wurde am 9. Dezember 2023 die Lieferung von 14.000 Panzergranaten an Israel im Wert von 106,5 Millionen US-Dollar genehmigt. Das war nur möglich, nachdem Außenminister Blinken unter Eid ausgesagt hatte, dass andernfalls die nationale Sicherheit der USA bedroht sei.

Amerikanische Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung

Auch der amerikanische Druck auf Israel hat sicherlich dazu beigetragen, dass der Grenzübergang nach Ägypten immer wieder geöffnet wurde und jetzt noch ein zweiter Grenzübergang zur Lieferung von Hilfsgütern von Israel freigegeben wurde. Auch an den Verhandlungen zum Geisel- und Gefangenenaustausch waren die USA beteiligt. Es muss allerdings konstatiert werden, dass Washington sicherlich nicht entscheidend dafür war, dass diese Maßnahmen erfolgt sind, sondern die ganze Welt hatte mehr humanitäre Unterstützung für die Bevölkerung im Gazastreifen gefordert. Die bislang erfolgte Freilassung der Geiseln und auch die aktuell stattfindenden Gespräche gehen in der Hauptsache nicht auf die USA, sondern auf die Bemühungen Katars und anderer arabischer Staaten zurück.

Entscheidend aber ist, dass die US-Regierung ihre Forderungen nach humanitärer Unterstützung der palästinensischen Bevölkerung und an Israel, bei den Militäroperationen mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen, selbst dadurch ad absurdum geführt hat, dass Washington die entsprechende UN-Resolution mit einem Veto blockiert – außer Großbritannien, dass sich enthalten hatte, hatten alle anderen 13 Mitglieder des Sicherheitsrates für diese Resolution gestimmt – und in der UN-Vollversammlung gegen ein Cease Fire gestimmt hat.

Wofür steht der US-Präsident wirklich?

Die USA haben eine wesentliche Mitverantwortung für die katastrophale Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen, und auch der amerikanische Präsident trägt dafür eine nicht geringe Schuld. Er hat sich bislang damit begnügt, in der Israel-Politik den „good cop“ zu spielen, wohl wissend, dass er die Vorgehensweise von Netanjahu damit in keiner Weise beeinflussen, geschweige denn ändern oder letztlich auch stoppen kann. Das Ganze kommt mir vor wie ein politisches Rollenspiel ohne irgendwelche Auswirkungen auf die Lage der palästinensischen Bevölkerung einerseits und dem militärischen Vorgehen Netanjahus auf der anderen Seite. Dabei ist schwer einzuschätzen, was Joe Biden wirklich denkt und vorhat. Unstrittig ist, dass er ein sehr empathischer Mensch ist, aber was ist ihm wirklich wichtig? Geht es ihm wirklich darum, Israels Politik in seinem Sinne zu beeinflussen, oder ist er in der Hauptsache daran interessiert, seine jüdischen Wähler nicht zu verprellen?

Zweifellos kann er sich gegenüber einem Kongress, der aus Sicht von amerikanischen Insidern von den Juden dominiert wird, nicht durchsetzen, auch weil das jüdische „American Israel Public Affairs Committee“ (AIPAC) neben der „National Rifle Association“ (NRA) die mit Abstand stärkste Lobby Group der USA ist. Aber als Präsident hätte er – im Gegensatz z.B. zum deutschen Bundespräsidenten, der in der aktuellen Politik über keinerlei Befugnisse verfügt – die Möglichkeit, mit sogenannten „Executive Orders“ viel stärker in die US-Politik einzugreifen. Außerdem hätte er die Waffenlieferungen an Israel unter Hinweis auf das „Leahy Law“ spätestens dann stoppen können, als die israelischen Verletzungen der Menschenrechte im Krieg gegen die Hamas unübersehbar wurden. Mittlerweile sprechen auch namhafte amerikanische Intellektuelle von einem Genozid der palästinensischen Bevölkerung. Präsident Biden hätte auch die aktuelle Lieferung der 13.000 Panzergranaten unterbinden und Außenmnister Blinken daran hindern können, unter Eid zu lügen, indem dieser behauptet hatte, die nationale Sicherheit der USA sei in Gefahr, wenn diese Waffen nicht an Israel geliefert würden. Auch das Abstimmungsverhalten der USA im Weltsicherheitsrat und in der UN-Vollversammlung wäre letztlich ohne Zustimmung des Präsidenten nicht möglich gewesen.

Last, but not least sind sicherheitspolitische Experten der USA wie Ray McGovern, Col. Ret. Macgregor, Jeffrey Sachs oder auch Professor Mearsheimer, um nur einige zu nennen, davon überzeugt, dass Präsident Biden durch einen Anruf bei Premierminister Netanjahu einen sofortigen Waffenstillstand erreichen könnte, indem er einen Stopp aller amerikanischen Waffenlieferungen für den Fall einer Ablehnung des Cease Fire durch den israelischen Premier ankündigt.

Vor diesem Hintergrund gibt es aus meiner Sicht keine Zweifel, dass der amerikanische Präsident mehr an seiner Wiederwahl interessiert ist als an einem schnellen Ende des Nahostkriegs, sonst hätte er seinen nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan am 15. Dezember 2023 in Tel Aviv nicht erklären lassen, Israel und die USA seien sich einig, dass der Krieg noch Monate dauern werde.

Titelbild: Muhammad Aamir Sumsum / Shutterstock

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